Ein von mir mitbehandelter Patient, der mit Methadon substituiert wird, war neulich aufgrund einer schmerzhaften Erkrankung in einem anderen Krankenhaus. Dort erhielt er eine Reihe von Medikamenten zur Behandlung seiner Krankheit. Er berichtete, dass er jedesmal kurz nach der Medikamenteneinnahme einen „Turbo-Entzug“ gehabt habe. Zittern, Knochenschmerzen, Schwitzen, maximales Unwohlsein. Er wünsche so etwas seinem ärgsten Feind nicht. Was da wohl los gewesen sein könne?
Ein Blick in die Medikamentenliste im Arztbrief erklärte die Symptomatik schnell. Er hatte vom Kollegen Valoron N Tropfen gegen die Schmerzen erhalten. Valoron ist ein Schmerzmittel, das das Opiat Tilidin enthält, ein potentes Analgetikum. Der zweite Wirkstoff im Valoron N ist Naloxon, dafür steht das N. Naloxon ist ein OpiatANTAGONIST. Das hat den Vorteil, dass man Valoron N verschreiben kann, ohne Sorge haben zu müssen, dass es den Weg auf den Schwarzmarkt findet und da verkauft wird. Für Menschen, die sonst keine Opiate konsumieren, ist das Mischungsverhältnis von Tilidin und Naloxon so gewählt, dass immer noch eine starke analgetische Wirkung eintritt. Anders ist das bei Opiatkonsumenten und opiatsubstituierten Patienten. Diese Patienten vertragen Valoron N überhaupt nicht. In dem Moment, in dem der Opiatantagonist Naloxon die Opiat-Rezeptoren erreicht, verdrängt er sofort alle bisher wirksamen Opiate einschließlich des Methadons und verursacht eine sofortige, starke Entzugssymptomatik, den „Turbo-Entzug“. Und der ist wirklich extrem unangenehm.
Merke: Wenn Du einem Opiatabhängigen oder einem Opiat-Substituierten in die eine Hand eine heiße Kartoffel gibst und in die andere Hand ein Fläschchen Valoron N, dann lässt er das Valoron N als erstes fallen.
Ein wichtiges Detail wurde übersehen…. Wussten die Ärzte nicht das der Patient beim Methadonprogramm teil nimmt?
Der arme Mensch….
Ich habe lange mit jemandem zusammen gearbeitet der auch daran Teil nimmt. Ist wirklich Wahnsinn was da manchmal 2-3 Stunden aus machen….
Ich habe natürlich gleich den anderen Arzt angerufen und diese Interaktion erklärt.
Davon gehe ich aus…
Aber trotzdem. Klar, wo gehobelt wird, fallen Späne… Aber diese Art Späne sind wohl ein wenig grob.
Na ja, wer weiss, auch der Patient steht immerhin in einer gewissen Sorgfaltspflicht über alle anderen Behandlungen und Massnahmen die in diesem Moment neben herlaufen, zu informieren. Hat er das, liegt die Schuld klar beim Arzt. Manchmal gibt es eben leider solche blöden Missverständnisse und Kommunikationslücken.
Die wussten nicht nur bescheid, die haben ihm das Substitut selbst jeden Morgen verabreicht, da er dort stationär war.
Wenn der Behandler über die Substitution bescheid wusste, dann ist es erschreckend, was für grundlegende pharmakologische Kenntnisse da anscheinend seit dem Studium über Bord gegangen sind. Und auch erschreckend, dass das Pflegepersonal nicht interveniert hat. Beiden Berufsgruppen sollten solche Basics eigentlich auf den ersten Blick auffallen …
Kann doch auch gut sein, dass sie einfach dachten „helfen wir ihm mit einem Entzug *lieb gugg und Gott in weiß spiel*“ Die körperlichen Entzugserscheinungen MÜSSEN doch aufgefallen sein. Starker Schweißausbruch, übermäßig viel Stress und das vermutlich über Stunden?!
Ist zwar schon eine Weile her, aber es ergänzt den Artikel, denke ich. Tilidin/Naloxon-LÖSUNGEN gehen ab 01.01.2013 von der normalen Verschreibungspflicht in die BtM-Verschreibungspflicht zurück. Retardtabletten sind von dieser Regelung nicht betroffen.
Hintergrund ist, dass das Naloxon bei oraler Einnahme zu einem Großteil in der Leber metabolisiert wird (First-Pass-Effekt) – das Tilidin unterliegt diesem Effekt nur sehr gering. Bei einem „nicht vorbelasteten“ Patienten wird eine sehr geringe antagonisierende Wirkung des Naloxons auf diese Weise erreicht. Wird eine Tilidin/Naloxon-Lösung nun i.v. appliziert, unterliegt das Naloxon dem First-Pass-Effekt NICHT, und es antagonisiert die Wirkung des dramatsich schnell anflutenden Tilidins. Somit soll ein Missbrauch der Tilidin/Naloxon-Lösung verhindert werden.
Nun wurde in den letzten Jahren verstärkt über Missbrauch dieser Lösungen durch Jugendliche berichtet, die es (wie auch immer) schaffen, die antagonisierende Naloxon-Wirkung zu umgehen.
Da eine Extraktion des Tilidins aus Retard-Arzneimitteln nur sehr schwer zu bewerkstelligen ist, bleiben die Retard-Varianten von der BtMVV freigestellt.
Zum Artikel: Wenn der Behandelnde über die Substitution bescheid wusste, wäre (egal welcher) Opioid-Einsatz mit Vorsicht durchzuführen gewesen. Prinzipiell konkurrieren die verschiedenen Opioide um die gleichen Rezeptoren, auch wenn verschiedene Opioide stärkere oder schwächere Affinität zu den unterschiedlichen Opioid-Rezeptor-Subtypen haben. Ein schächer wirksames Opioid mit hoher Rezeptor-Affinität kann also ein stärker wirksames Opioid mit geringerer Rezeptor-Affinität vom Rezeptor verdrängen und damit die Wirksamkeit der Schmerztherapie verringern. (Mit Naloxon hat man dieses Prinzip nur auf die Spitze getrieben: hohe Rezeptoraffinität; keine schmerzlindernde Wirkung). Opioide wirken nicht additiv, eine Mischung von Opioiden sollte man immer gut abwägen. Konsequenz dieses Problems ist, die Schmerzspitzen-Medikation gegebenenfalls der Standard-Schmerzmedikation anzugleichen; z.B.
– Grundmedikation: Morphin-Retard-Tabletten; Schmerzspitzen: Morphin unretardiert.
– Grundmedikation: Fentanyl-Pflaster: Schmerzspitzen: Fentanyl-Lutscher /-Nasenspray
Spannend in diesem Zusammenhang ist auch das Opioid Loperamid. Da es beim gesunden Menschen die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann, führt es zwar zur bekannten Opioid-Wirkung der Motilitätsdämpfung, aber nicht zu anderen Opioid-Effekten. Bei defekter Blut-Hirn-Schranke, oder bei Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke führen, kann aber auch z.B. Atemdepression auftreten. Von einem Entzug via Loperamid habe ich bisher noch nichts gelesen, aber denkbar wäre nach einer (unbeabsichtigten) Überwindung der Blut-Hirn-Schranke eine Konkurrenz um die Opioid-Rezeptoren mir der Folge des Entzugs.
Zur Problemanalyse im dargestellten Fall könnte ich mir denken, dass die „wahre Opioid-Natur“ von Tilidin und Tramadol (und teilweise auch von Codein) leicht „vergessen“ werden kann, da die Wirkstoffe ja ganz oder teilweise von der BtMVV freigestellt sind und somit „nur“ der „normalen Verschreibungspflicht“ unterliegen.
(Disclaimer: Ich bin kein Anästhesist. Sollte ich etwas falsch dargestellt haben, bitte ich darum, mich zu korrigieren.)
Ich stecke gerade in dieser Situation, bin gerade in der Entgiftung, bekomme 22 ml L-Polamidon und soll, obwohl ich den Arzt darauf aufmerksam gemacht habe, das es da zu Entzugserscheinungen kommt, das tilidin nehmen, oder die Schmerzen aushalten bis morgen, bis er mit dem Oberarzt abklären könne, ob mir etwas anderes gegeben werden kann. Er ist sich sicher, daß es nur zu einem Turbo Entzug kommt, wenn das tilidin intravenös konsumiert würde. Heftig, oder?! Und das auf ner qualifizierten Entgiftung, ich glaube es nicht. Jetzt kann ich Schmerzen schieben bis morgen denn nehmen tu ich es auf keinen Fall
Ist da ein Schreibfehler? Tilidin ist doch ein Opioid und kein Opiat oder hab ich da was falsch verstanden?