Dosierung von Sedativa für Fortgeschrittene: Einfach mal die Dosis halbieren!

Schlafende Ariadne

Die schlafende Ariadne auf Naxos / von John Vanderlyn / 1808-1812

Es ist heiß. Sehr heiß. Wenn ein Patient aus einem bestimmten Grunde ein sedierendes Medikament braucht, dann braucht er aktuell sicher eine deutlich niedrigere Dosis als in kühleren Zeiten, wenn überhaupt. Insbesondere niederpotente Neuroleptika wie Truxal, Atosil, Neurocil oder Ciatyl soll man jetzt sehr zurückhaltend verordnen.

Akute Psychosen werden ursächlich mit hochpotenten Neuroleptika behandelt. Sedierende Medikamente sind zusätzlich nur dann erforderlich, wenn der Patient große Angst hat oder sehr angespannt und getrieben ist. Im Einzelfall kann auch ein gefährlicher, handlungsbestimmender Wahn ein Grund für eine vorübergehende Sedierung sein.

Aber auch, wenn der Wahn nicht gefährlich ist, wird die Dosierung der sedierenden Medikamente oft langsamer reduziert, als der psychische Befund es zuließe. Irgendwie scheint es die Tendenz zu geben, die Dosis von sedierenden Medikamenten erst mit einem Zurücktreten der Halluzinationen und des Wahnes so richtig zu reduzieren. Das ist meist nicht nötig. Die Dosis des hochpotenten Neuroleptikums muss ausreichend hoch sein, um Plus-Symptome zu reduzieren, nicht die der Sedativa.

Das niederpotente Neuroleptikum kann oft am zweiten oder dritten Tag schon halbiert werden, und an den folgenden Tagen weiter um ein Drittel bis die Hälfte pro Tag reduziert werden.

Ergo:

  • Gerade bei der aktuellen Hitze heißt das, sich bei jedem verordneten Milligramm eines Sedativums zu fragen: Braucht der Patient das wirklich? Braucht er es in dieser Dosis? Braucht er eine fest verordnete Dosis oder reicht die Gabe bei Bedarf?
  • Im Zweifel: Einfach mal die Dosis des Sedativums deutlich reduzieren und schauen, ob sich der Befund verschlechtert. Wenn nicht: Weiter reduzieren und dann Sedierung absetzen.
  • Benzodiazepine sind kurzfristig besser verträglich als niederpotente Neuroleptika. Aber sie machen mittel- und langfristig natürlich abhängig. Wenn klar ist, dass nur für wenige Tage eine Sedierung notwendig ist, dann sind Benzodiazepine zu bevorzugen.
  • Benzos in aller Regel nicht länger als vier Wochen geben.
  • Eine langfristige Gabe von Sedativa ist ebenso wie eine langfristige Gabe von Benzodiazepinen fast nie sinnvoll und sollte dann in jedem Fall von einem Facharzt für Psychiatrie verordnet werden, der sich immer wieder überlegt, ob und wie davon runter zu kommen ist.
  • Die Sedierung muss jeden Tag an die Situation angepasst werden. Im wesentlichen sollte daher die Beschreibung der Pflegemitarbeiter die Höhe der Dosis bestimmen. Wenn es gut abgesprochen ist können die Pflegemitarbeiter die Sedierung am besten bestimmen, denn sie sehen den Patienten sehr viel öfter und in unterschiedlichen Situationen. Die sedierende Medikation sollte daher möglichst frühzeitig von regelmäßigen Gaben auf Bedarfsgaben umgestellt werden.
  • Niemals ein hochpotentes Neuroleptikum wie Haldol zur Sedierung geben. Es hat zu viele Nebenwirkungen im Vergleich zur erreichten Sedierung.
  • Niemals ein hochpotentes Neuroleptikum wie Haldol oder Risperdal bei Bedarf geben. Das ist einfach Quatsch.
  • Die Patienten lehnen die Medikamente ja nicht ab, weil sie die Behandlung der Krankheit ablehnen. Sondern wegen der Nebenwirkungen, und hier insbesondere Müdigkeit und EPMS (Steifigkeit der Gelenke).

7 Gedanken zu “Dosierung von Sedativa für Fortgeschrittene: Einfach mal die Dosis halbieren!

  1. M. S. 20. August 2012 / 17:14

    War nicht Seroquel neulich noch in genau diesem Theater ein sedierendes, mittelpotentes Neuroleptikum?!

  2. psychiatrienogo 20. August 2012 / 20:59

    Das Hitze Müde macht und dass man dann die Menschen nicht noch weiter sedieren braucht, wenn es denn überhaupt notwendig sein sollte was ich bezweifle wenn man vorher das Problem das die Angespanntheit hervorgerufen hat beseitigt, ist eine Allerweltsweisheit.

    Wirklich interessant ist der Letzte Satz:

    „Die Patienten lehnen die Medikamente ja nicht ab, weil sie die Behandlung der Krankheit ablehnen. Sondern wegen der Nebenwirkungen, und hier insbesondere Müdigkeit und EPMS.“

    Mal davon abgesehen, dass die Wirkungen von Neuroleptika nicht nur EPMS sind, was auch nicht Steifigkeit der Gelenke bedeutet.
    Es kommt zum Bsp:
    – Todesfälle durch plötzlichen Herztod.
    – malignem Neuroleptischen Syndrom, welches nur noch intensivmedizinisch behandelt werden kann
    – Zungenschlundkrämpfe, eine Verkrampfung der Zungen-Schlund Muskulatur.
    Dabei hat man subjektiv das Gefühl zu ersticken
    und vieles mehr
    Siehe z.B. http://www.borreliose-berlin.de/neuroleptdauersch.php

    Wirklich bahnbrechend ist:
    Der Herr Oberspychiater nimmt hier Abstand von dem Konstrukten
    „Krankheitsbedingten fehlenden Krankheitseinsicht“
    „krankheitsbedingter Nocompliance“
    „fehlender Einwilligungsfähigkeit“

    Sondern er schreibt es wie es ist:
    Die Menschen wollen das Zeug einfach nicht nehmen will die (Neben)wirkungen grausam sind.
    Vielleicht sollte der Herr Oberpsychiater diese wahre Erkenntnis seinem Ober-Ober-Psychiater mitteilen der in der TAZ immer noch den Unsinn verbreitet, dass der Patient sich aufgrund seiner Krankheit gegen Medikamente wehrt.

    siehe

    http://www.taz.de/Urteil-zu-Zwangsmedikation/!97592/

    • psyina 25. August 2012 / 19:35

      Einfach mal die Dosis reduzieren, ist genauso: wenn ich einen voll mit Wasser gefüllten Staudamm, dessen Mauer um die Hälfte einreißen will. Die Bewohner unterhalb des Staudammes werden ihren Spaß dabei haben. Ebenso der Damm.

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