In der Medizin wird gerne von Bewährtem auf Unbekanntes geschlossen. Bewährt ist, dass nach einem Knochenbruch der Knochen ruhig gestellt werden muss, dann heilt er wieder aneinander, und ist danach wieder belastbar.
Unbekannt ist, was bei psychischen Krankheiten wie Ängsten und Depressionen hilft. Hier wird daher gerne im Analogschluss sicherheitshalber auch erst einmal „Schonung!“ gerufen.
Aber dieser Analogschluss ist nicht immer richtig. Bei Rückenschmerzen ist das schon seit einiger Zeit bekannt. Wer unter Rückenschmerzen leidet, geht zum Arzt, läßt eine Diagnostik über sich ergehen, bekommt möglicherweise eine passive Therapie verschrieben, wie z.B. Massagen, bekommt vielleicht ein Medikament verordnet, und oft empfiehlt ihm der Arzt: „Schonung!„. Schonung kann auch bei einigen Krankheitsbildern sinnvoll sein, beispielsweise bei Entzündungen oder Reizzuständen, die die Rückenschmerzen verursachen. Aber bei sehr vielen Patienten mit Rückenschmerzen ist Schonung eben gerade nicht richtig, sondern das Gegenteil ist hilfreich: Aktivierung!
Kräftigung der Muskulatur durch vernünftig dosierte Kraftübungen, regelmäßige Aktivierung durch maßvollen Sport und eben gerade keine Ruhigstellung sind oft sehr viel hilfreicher als Schonung, oft selbst bei starken LWS-Beschwerden, die erfahrungsgemäß besonders häufig zur Empfehlung „Bettruhe“ führen.
Auch bei Depressionen und Ängsten kann es Phasen geben, in denen Schonung sinnvoll und erforderlich ist. Aber sehr oft und meist schon sehr früh ist gerade bei diesen Krankheiten eine maßvolle Aktivierung hilfreich. Die aktive Teilnahme an den normalen Aktivitäten des Alltages kann sehr viel mehr Gesundheit zurück bringen als eine zu große Zurückhaltung.
Bei Ängsten ist Schonung oft Vermeidung,
bei Depressionen ist Schonung oft Rückzug,
meistens fördert aber Aktivierung am besten die Genesung.
Die Vorstellung, man müsse sich bei Krankheiten meistens schonen, ist ein mechanistischer Analogschluß von gebrochenen Knochen, verschlissenen Apparaten und aushärtendem Sekundenkleber.
Schonung kann bei psychischen Krankheiten phasenweise sinnvoll und notwendig sein. Aber sobald ein Spaziergang in der frischen Luft wieder möglich ist, sollte man ihn unternehmen. Sobald man wieder zu einem Treffen mit Freunden gehen kann, sollte man das tun. Aktivierung heilt hier meist viel besser als Rückzug.
Hat dies auf trauma Hilfe rebloggt und kommentierte:
seher gut!
Auch bei Asthma haben die Leute das früher gedacht. In normalen Therapiestationen ist Bewegung auch fast immer dabei, macht Sinn 😉
Das Bild gefällt mir gut.
Aus meiner (Krankheits-)Erfahrung kann ich sagen, dass das für mich überhaupt nicht stimmig ist. Im Gegenteil: ich habe mittlerweile eine Allergie gegen Menschen, die dauernd mit dem Gleichen kommen: „Geh in die Natur“, „frische Luft tut dir gut“, „Komm doch mal mit, das ist doch nichts, wenn du immer zuhause sitzt“, „du darfst dich nicht so abkapseln“, „dann kommst du auf andere Gedanken“ etc. etc. etc. Die Liste ist unendlich…. voller solcher „Aktivierungen“.
Ich empfinde diese als massive Ignoranz gegenüber meinem Befinden, auch wenn man diesen Menschen/Freunden/Bekannten sagt, dass man das nicht KANN (und nicht: nicht WILL), hören sie nicht auf, ständig diese Aktivierungsversuche zu unternehmen, dann auch mit Vorwürfen: „Warum hebst du das Telefon nicht ab, ich will ja nur mit dir „reden“ etc..
Ich habe noch 2 Freunde/-innen, das sind die, die VERSTEHEN, wie es mir geht, und WARUM es mir so geht. Die niemals beleidigt sind, wenn ich nicht abhebe, die mich NICHT mehr fragen, ob ich dorthin und dorthin mitgehe… weils MIR doch gut tut…
Diesen Menschen fühle ich mich verbunden, weil sie wahrnehmungsfähig sind, für meinen Zustand.
Früher habe ich mir „einreden“ lassen, dass ich mit nach draußen gehe, zu einer Veranstaltung, oder zu einem Abend unter Leuten. Ich habe es IMMER bereut. Ich fühle mich NIRGENDS einsamer, als unter Menschen, die „einen geselligen Abend“ haben… Immer ist es mir schlecht gegangen nach solchen Treffen und „Aktivierungs-Versuchen“, mittlerweile nehme ich daran nicht mehr teil.
Das Problem ist: Solange Helfer (Freunde, Familie, Bekannte, Ärzte, Therapeuten) immer BESSER WISSEN, was einem selbst gut tut (tun soll), solange werden Depressive oder psychisch Erkrankte sich immer selbst unter Druck setzen lassen müssen – gesellschaftlich geduldet – und sich dauernd selbst dafür beschuldigen müssen, dass sie eben DAS ALLES, was ihnen gut tun soll, SCHADET.
Diese „Aktivierungsversuche“ sind mEn Gift für die Seele.
Kein Mensch möchte, dass es ihm schlecht geht. Auch ich würde gerne FREUDE daran haben, an den Dingen, die Sie als Aktivierung schildern. Aber es GEHT (NOCH) NICHT.
Und wenn es sich ändert, werde ich mich darüber freuen.
Aber niemand – auch kein Arzt oder Psychiater oder Therapeut, weiß, was MIR gut tut.
DAS weiß ICH SELBST.
Und wer es nicht respektiert, der kann in meinem Umfeld nicht als Vertrauter bestehen.
Da hast Du AUCH recht. Natürlich gibt es diese Phasen, wo man eben nichts machen kann, und dann ist es wirklich doof, wenn alle immer sagen, man solle mal spazieren gehen.
… ich meinte jetzt die anderen Zeiten … 🙂
Ein sehr schöner Beitrag – würde ich aus Patientsicht (Depressionen & Zwangsstörung, Panikattacken) sofort unterschreiben.
In der Depression habe ich das Gefühl, mir ist jede Handlung, und sei sie noch so einfach, zu viel, dass ich zu nichts mehr Kraft habe und das alles eh sinnlos ist.
Die Angst wiederum verführt mich dazu, Dinge zu vermeiden, in der Hoffnung, so den Panikattacken aus dem Weg gehen zu können und die Zwänge verkomplizieren´s dann noch alles.
Wenn ich dem aber nachgebe, habe ich festgestellt, geht es mir nur noch schlechter. Also versuche ich jetzt (mal mehr, mal weniger erfolgreich ;-)) trotzdem irgendwie am Leben teilzunehmen – arbeiten zu gehen, Freunde anzurufen …Nichts führt schneller dazu, dass ich mich noch schlechter fühle, als allein den ganzen Tag im Bett zu liegen und im düsteren Kopfkino zu versinken.
Darum: Schonen ja (gibt auch Tage, wo kaum noch was geht), aber wenn wieder ein Funken Energie da ist: nutzen!