Linke und rechte Hand sind nicht gleich…

Mater fragte in den Kommentaren: “Gibt es eigentlich einen signifikanten Unterschied zwischen Citalopram und Escitalopram? Lohnt sich der Umstieg?”

Chiralität:

Leg bitte mal Deine rechte Hand auf Deine linke Hand. Sind sie deckungsgleich? Nein. Sie sind lediglich spiegelsymmetrisch gleich. Bei chemischen Molekülen gibt es das auch. Zwei Moleküle sind spiegelsymmetrisch, aber eben nicht deckungsgleich. Bei Molekülen heißt das chiral (vom griechichen Wort für Hand, von dem auch das Wort Chirurgie abstammt). Bei Arzneimitteln ist es in der Regel so, dass beide Varianten eines Moleküls zu je gleichen Teilen in der Medizin enthalten sind, es wirkt aber nur eines der beiden Enantiomere.
So ist es auch beim Citalopram. Das ist eine 50 zu 50 Mischung des antidepressiv wirksamen S-Citaloprams (handlicher benannt als Escitalopram) und des nicht wirksamen spiegelbildlichen R-Citaloprams.

20 mg Citalopram enthalten 10 mg Escitalopram

20 mg Citalopram entsprechen 10 mg Escitalopram. Logisch, denn in 20 mg Citalopram sind ja auch 10 mg S-Citalopram drin, und halt noch 10 mg R-Citalopram.
Lundbeck hat, kurz bevor das Patent von Citalopram ausgelaufen ist, einen in der Pharmabranche üblichen Trick angewendet. Das S- und R-Citalopram-Gemisch, das als Citalopram verkauft wird, wurde chemisch getrennt, und nur noch die wirksame Hälfte, das S-Citalopram verkauft. Name Escitalopram. 10 Jahre neues Patent drauf, und damit wesentlich höhere Gewinnmarge. Dann macht man mit Escitalopram noch Zulassungsstudien für Indikationen, bei denen man für Citalopram keine Zulassungsstudie gemacht hat, und schon erscheint es ein breiteres Wirkspektrum zu haben als Citalopram.
Dabei ist aus logischen Gründen ausgeschlossen, dass 10 mg Escitalopram besser wirken können als 20 mg Citalopram, denn in 20 mg Citalopram sind ja auch 10 mg S-Citalopram drin.
Es ist theoretisch möglich, dass das R-Citalopram Nebenwirkungen macht. Aber es macht nicht die typischen serotonergen Nebenwirkungen wie Übelkeit, QT-Zeit-Verlängerung oder verzögerten Orgasmus, denn das R-Citalopram ist ja eben gerade nicht aktiv am Serotonin-Transporter. Es könnte vielleicht Allergien auslösen, die Escitalopram nicht auslöst.

Fazit:

Meine Einschätzung ist also: Was auch immer die Marketing-Experten uns erzählen möchten: Escitalopram ist nicht wirksamer als (die zweifache Menge) Citalopram. Es könnte theroretisch weniger Nebenwirkungen machen. Aber nicht die klassischen Nebenwirkungen.

18 Gedanken zu “Linke und rechte Hand sind nicht gleich…

  1. schizoiert 24. November 2013 / 22:19

    Danke für den sehr sehr interessanten Artikel, wirklich.

  2. fiirvogu 24. November 2013 / 23:20

    …und dann ist es noch nicht einmal billiger, als ein Generikum von Citalopram. Da wäre ja sonst noch ein gutes Marketing-Argument gewesen… 😉

    • stuttgarterapothekerin 25. November 2013 / 17:21

      Aber hallo, irgendwer muß doch die Personen, die die Enantiomeren-Pulver-Mischung auseinandersortiert (was für ne Fitzelarbeit!) gerecht bezahlen! *wer Ironie findet, darf sie behalten*
      Bei Xusal und Aerius (ok, nicht gerade Psychopharmaka….) genau die gleiche Masche – Patent abgelaufen, Enantiomer patentiert (Xusal) bzw. erstes und aktives Abbauprodukt (Aerius) patentieren lassen = neu auf dem Markt, daher Verschreibungspflichtig und erstattungsfähig durch die GKV…

  3. Tired 25. November 2013 / 21:24

    Sehr interessantes Thema.
    Ich steige nur nicht ganz dahinter welchen Sinn es macht eine Hälfte Wirkstoff und eine Hälfte von etwas das nicht wirkt zu mischen?
    Hat das einen tieferen Sinn? Oder wird da schon vorgebaut, das Veränderungen möglich sind und damit die Patente nicht ausgehen?
    Mir ist das irgendwie ein Rätsel……….

    • psychiatrietogo 25. November 2013 / 21:34

      Nein, bei der chemischen Synthese, bei der Herstellung entstehen einfach beide Varianten, das kann man gar nicht verhindern. Wenn man nur eine Variante, ein Enantiomer haben will, muss man die Mischung aufwändig trennen. Das ist also keine Absicht, das das unwirksame Enantiomer dabei ist, sondern das ist eine unerwünschte Folge des normalen Herstellungsprozesses.

  4. Tired 25. November 2013 / 21:52

    Ah, Dankeschön für die Erklärung.

  5. Maxi 27. November 2013 / 13:37

    Grundsätzlich stimme ich dieser Darstellung und auch weitgehend der Meinung zu. Dennoch gibt es auch immer wieder Patienten, die von weniger Schlafstörungen unter Cipralex berichten als unter Citalopram – eine Frage von Einzelfallentscheidungen also.

  6. tuzer 13. Februar 2014 / 23:36

    Jetzt würde ich nur gerne wissen, wie Dr. Dreher dann die positiven Studienergebnisse wie folgendes zu Cipralex bewertet:

    http://www.nature.com/npp/journal/v30/n7/full/1300686a.html

    Hier und in anderen Vergleichen schneidet cipralex angeblich besser ab als Citalopram.

    In Foren behaupten auch einige leute dass sie nach Umstellung auf Citalopram weniger Wirkung oder mehr Nebenwirkungen haben. Andere merken hingegen keinen Unterschied.

    Was soll ich denn jetzt glauben?

  7. Tired 14. Februar 2014 / 09:03

    Ich nehme an das die Dosierung wichtig ist.
    Wenn jemand sagt das ihm 10mg Cipralex besser helfen als 10mg. Citalopram hat er wohl recht, denn im Citalopram ist ja auch nur die Hälfte an Wirkstoff drin.

    Ich höre auch oft das den Leuten Valium besser half als Diazepam, oder ein Antiallergikum besser war als das neue Präparat mit dem gleichen Wirkstoff.
    Ich tippe auf die Unterschiede in der Zusammensetzung, das auch die Füllstoffe eine Rolle spielen und denke nicht das es am Wirkstoff selber liegt.

  8. tuzer 14. Februar 2014 / 12:30

    Mm. Angeblich verändert das R-Citalopram ja die Wirkung des S Citalopram. Cipralex hat in Messungen angeblich bessere Bindung an 5HT-Rezeptoren und viel weniger an Dopamin und Noradrenalin… Das R Citalopram soll laut messungen das S Citalopram behindern und die Wirkung einschränken. Laut Studien wirkt cipralex angeblich besser. Hier gibt es aber auch wieder aussagen, dass der Effekt klein wäre.

    Wie sind die praktischen Erfahrungen?

  9. iuz 11. Juli 2015 / 00:15

    Na dann hoffe ich mal, dass Herr Dr. Dreher dieses Fazit nicht in sein psychopharmaka Buch geschrieben hat , es ist nämlich falsch.

    Escitalopram ist schneller, stärker und besser wirksam und hat weniger Nebenwirkungen.

    Auch wenn ich es bisher selbst als Werbung von Lundbeck angesehen hatte , habe ich es einfach selbst ausprobiert.

    Es macht wesentlich weniger müde , weniger Appetit und bessere Libido als Citalopram. Und die Stimmung ist auch deutlich besser.

    Hierfür gibt es auch wissenschaftliche Erklärungen, die ein psychiater meiner Meinung nach kennen muss , erst recht als Autor von Büchern über psychopharmaka. Aber er ist damit nicht alleine. Nach dem Lesen einiger Literatur habe ich das Gefühl deutlich besser Bescheid zu wissen als viele Ärzte. Vielleicht sollte die auch lieber wissenschaftliche Literatur lesen als Broschüren der Pharmaindustrie.

    Das ist jetzt böse formuliert, aber ich verstehe es wirklich nicht , warum ich nach dem Lesen einiger Literatur mehr weiß , als mancher Arzt oder sogar Facharzt.

    Würde ich so arbeiten, hätte ich ein Problem. …

  10. Juz 21. Juli 2016 / 14:57

    Citalopram bindet anders an Serotonin, wirkt zusätzlich auf Histamin und bindet noch leicht an andere Rezeptoren. Escitalopram bindet fast ausschließlich an Serotonin. Da mittlerweile beide Präparate denselben Preis haben, würde mich mal interessieren, was im klinischen Alltag mehr verschrieben wird

  11. Sandra 3. Juni 2019 / 19:01

    Mein Freund nimmt das Citalopram (20 mg) und hat am Wochenende sein Medikament zu Hause vergessen und dann am Samstag und Sonntag jeweils eine Escitalopram (je 10 mg) von mir genommen. Schadet ihm das, bzw. könnte sich das negativ auf sein Verhalten auswirken, da er ja zwei Antidepressivas gemischt hat? Oder macht das nichts, da ja in 20 mg Citalopram auch 10 mg Escitalopram drin sind?

    Danke schon mal für eure Antworten 🙂 .

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