Das wirkliche Problem der Patienten mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung

Das Problem für einige Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung und einige Menschen mit einer klassischen Zwangserkrankung ist ja weniger, dass die Kranken so lange diesen lästigen und manchmal etwas bizarren Zwängen nachgehen.

Das Problem ist vielmehr, dass einige Betroffene Probleme haben, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden; dass manche Probleme haben, die Prioritäten richtig zu setzen.

Dann gehen sie ihren Zwängen nach und lassen die wichtigen Dinge unerledigt, die wesentlichen Dinge ungelebt. Diese Versäumnisse sind das größte Problem der Krankheit.

Nicht die Zwangshandlungen sind manchmal das Schlimmste. Das Wichtige und Wesentliche Dinge nicht hinkriegen ist oftmals das Schlimmste.

P.S. Aus den Kommentaren habe ich gelernt, das für viele Betroffene die Kombination aus Angst und Zwangshandlungen sehr wohl das Belastendste ist. Prioritäten zu setzen und diesen Prioritäten folgen zu können ist nicht für jeden Zwangskranken ein Problem, es gehört auch nicht zu den diagnostischen Kriterien der Zwangskrankheit der ICD-10.

Dies könnte manchmal eher ein Problem von Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sein.
Stimmt! Vielen Dank für diese Korrekturen!

9 Gedanken zu “Das wirkliche Problem der Patienten mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung

  1. Tired 27. Dezember 2013 / 22:26

    Ich würde das nicht als ein Unterscheidungsproblem zwischen wichtig und unwichtig sehen, aber sicher sind nicht alle Zwangserkrankungen gleich intensiv oder gleich hinderlich.
    Ich kann sehr wohl unterscheiden was wichtig und was unwichtig ist, trotzdem haben die Zwänge oft die Oberhand, sie behindern das Bemühen wichtiges „schnell genug“ zu erledigen.
    Das Paradoxe ist doch oftmals das man trotz Zwänge vollkommen klar ist, genau weiß wie bescheuert das ist und das anderes jetzt wichtiger wäre, aber man kann es trotzdem nicht lassen. Ich finde Zwänge haben viel von einer Suchterkrankung, nur das sie (vielleicht leider?) nicht benebeln, sondern gerade dadurch das ein klares Denken erhalten bleibt nochmal extra schwer belasten.

    Zumindest ich habe die Erfahrung gemacht das sich immer mehr Zwänge dazu gesellen und einige davon auch noch körperliche Beschwerden hervorrufen, auch aufgrund von Verkrampfungen etc., so fühlt man sich nicht nur psychisch sondern auch physisch nicht gut. Das Wissen das kein Ende in Sicht ist und wie schwachsinnig das Ganze ist, was man sich alles ersparen könnte, ist das schlimmste überhaupt, würde ich sagen.
    Ich finde auch das Problem das man den Zwängen nachgeht sehr belastend, oft belastender als die Auswirkungen, weil anderes zu erledigen wäre und nicht erledigt wird. Allerdings muss ich dazu sagen das ich meist alles was nach Außen wichtig ist schaffe, auch wenns meist ziemlich knapp wird,

  2. missmelancholia 27. Dezember 2013 / 23:12

    Ich geb Tired vollkommen recht. Für mich sind nicht mal die Versäumnisse das Schlimmste, sondern die furchtbare Panik und Angst beim Nicht erledigen der Zwänge.

  3. dualessein 28. Dezember 2013 / 19:26

    Mir ist das auch zu kurz gefasst. Diese Angst-Zwangs-Dynamik halte ich für das wesentlich größere Problem und vor allem für den Punkt, der die Leute belastet. Daraus folgt dann, dass man weiß, was eigentlich wichtiger wäre, dem aber nicht nachkommen kann, weil die Angst das Handeln weit mehr lenkt.

  4. 123456 28. Dezember 2013 / 21:59

    Es gibt vieles, das ich an diesem Blogeintrag problematisch finde. Das „wirkliche“ Problem einer ganzen Gruppe von Menschen in 4 markigen Sätzen feststellen zu wollen, finde ich mindestens ungeschickt, auch angesichts der besonderen Vielfalt der Symptome bei Zwangsstörungen.

    Noch mehr irritiert mich, all diesen Menschen pauschal die Fähigkeit abzusprechen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Da dies zumindest laut DSM-IV und ICD-10 ist dies kein Symptom der Erkrankung ist, wäre vielleicht eine Erklärung oder Quellenangabe sinnvoll. Ein generelles Problem mit Priorisierung würde ich allenfalls bei der anankastischen Persönlichkeitsstörung einordnen.

    Fast am ärgerlichsten finde ich aber die Gleichsetzung von „Zwangserkrankung“ mit „Händewaschen“ im Blog eines Psychiaters.

    Zwangserkrankte haben sicherlich schon genug Probleme mit Stigmatisierung und eindimensionalen, problematischen Darstellungen ihrer Erkrankung in den Medien. Als bloggender Psychiater könnte man vielleicht die Chance nutzen, mit einer etwas differenzierteren Ausdrucksweise zumindest nicht zum Teil des Problems zu werden.

  5. Marmotta 28. Dezember 2013 / 23:22

    Ich bin ebenfalls ziemlich verwundert und schockiert, wie Sie als Psychiater über Zwänge denken und worin sie das Hauptproblem sehen. Bei Ihrem Beitrag habe ich das Gefühl, sie werfen zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Zwangsstörung in einen Topf.

    Um zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu können, um Prioritäten setzen zu können, ist ein freier Wille nötig. Und diesen freien Willen hat ein Zwangskranker nicht mehr. Ein Zwangskranker ist seinem Zwang unterworfen wie eine Marionette, er fühlt sich gesteuert durch den Zwang. Wehrt sich ein Zwangskranker gegen seinen Zwang, dann kommt die Angst, die immer stärker wird und ihn letztlich zwingt, erneut die als sinnlos empfundene Tätigkeit (zB Kontrollieren oder Hände waschen) auszuüben. Immer und immer wieder. Das größte Problem dürften also die Angst und das Gefühl der Ohnmacht sein. Die Ohnmacht, dem Zwang hilflos ausgeliefert zu sein. Und die Verzweiflung darüber, dass man immer mehr die Kontrolle über sich selbst verliert.

    • psychiatrietogo 29. Dezember 2013 / 06:44

      Du, Tired und 123456 haben Recht. Ich habe den Text korrigiert. Vielen Dank für die Hinweise!

  6. Tired 29. Dezember 2013 / 12:45

    Eigentlich ist doch jeder Zwangserkrankte (was auch auf alle anderen Erkrankungen zutrifft) in seiner eigenen Welt gefangen. Was da so vor sich geht kann man kaum beschreiben, so müssen sich selbst die Fachleute oft auf Äußerlichkeiten und Kriterien verlassen.
    Mal ehrlich, welcher Mensch mit Zwängen berichtet schon gerne über all die Gefühle, Gedanken und Prioritäten die damit verbunden sind, ich kann mir vorstellen das die meisten immer einen Punkt haben ab dem sie beschönigen, bei den Schilderungen etwas mogeln, oder erst gar nicht darauf eingehen. Das wäre aber wichtig, um alles einigermaßen zu verstehen.
    Es ist auch einfach peinlich, gerade wenn der Verstand glasklar ist, man eine logische Denke hat und die Handlungen, Gefühle und dazugehörigen Gedanken genau das Gegenteil besagen. Das kann man doch keinem erzählen, was da in einem vorgeht obwohl man doch genau weiß das es unsinnig ist, sich aber nicht dagegen wehren kann, obwohl dieses Wehren nur aus Unterlassung bestehen würde, man bekommt es einfach nicht hin.
    Ich glaube es kommt noch dazu das man als Betroffener auch Schwierigkeiten hat diese Welt zu verstehen, geschweige denn so zu beschreiben wie man sie wirklich empfindet, ich habe jedenfalls noch nicht die richtigen Worte gefunden die beschreiben können was in mir vorgeht wenn ich das beschreiben soll. So bin halt auch teilweise auf die Empathie, Erfahrung und sogar Fantasie des Psychiaters angewiesen wenn er das verstehen soll, natürlich gibt es da auch entsprechende, natürliche Grenzen.
    Ich kann mich sogar noch genau an den Moment erinnern als der erste Zwang entstand, vom Gefühl her weiß ich was die Ursache war und warum, aber erklären kann ich es nicht, da diese Gefühle unbeschreiblich sind und mir selber immer wieder entwischen.

    Mein Bruder passt auch sehr gut ins Bild von der Beschreibung das wichtiges nicht mehr von unwichtigem unterschieden werden kann, oder es wird zumindest nicht mehr drüber nachgedacht, weil das eigentlich wichtige zu sehr belastet und fast in den Wahnsinn treibt, da er es ja eh nicht machen kann, hoffnungslos. Das ist vielleicht eine Form des Aufgebens, sich den Zwängen unterzuordnen und ihnen auch den Raum der wichtigen Dinge zu überlassen, denn sie breiten sich ja umso mehr aus desto mehr man ihnen nachgibt
    Ich glaube das betrifft meist Leute die sich vollkommen zurückgezogen haben, die jemanden haben der sich zu kümmern versucht, deren Lebensunterhalt einigermaßen abgesichert ist und die sich dann aus der Außenwelt zurückziehen, möglicherweise auch noch unter mehreren erhebliche Störungen leiden die kein soziales Umfeld mehr zulassen. Damit verschwinden die wichtigen Dinge aus dem Leben, die eigentlich Priorität hätten aber in den Gedanken keinen Platz mehr haben und an deren Stelle treten die Zwänge und Ängste, deshalb muss auch nicht mehr zwischen wichtigem und unwichtigem unterschieden werden, es ist einfach nichts mehr da zum Wählen.
    So etwas extremes kenne ich aber nur von meinem Bruder, den eine bewusste Wahlmöglichkeit wohl eher suizidal machen würde, als das er sich der Wahl stellen könnte.
    Ich und die Zwangserkrankten die ich sonst kenne, sind sich aber sehr bewusst darüber wie paradox das ist und denken im Grunde auch das es unwichtig ist wenn man den Zwang mal nicht ausführen würde, haben ja auch den Wunsch ihn los zu werden. Aber, in der Situation in der der Zwang Erledigung fordert ist halt alles wieder etwas anders, als es im Kopf gedacht wird.

    Das trifft es wahrscheinlich nicht so richtig, aber wie gesagt, ich kann es auch nicht wirklich gut erklären.

  7. Yezrel 3. Januar 2014 / 23:02

    Ich habe beides, eine zwanghafte Persönlichkeit und zusätzlich Zwänge, beides durch Gutachter diagnostiziert. Der Artikel trifft durchaus zu, was die zwanghafte Persönlichkeit betrifft, die zu unterscheiden ist von Zwängen. Der Leidensdruck bei einer zwanghaften Persönlichkeit besteht primär darin, zu viele Aufgaben zu sehen und sie alle als gleich wichtig zu empfinden und sich folglich nicht entscheiden zu können. Dadurch entsteht ein großer Leidensdruck, da alles korrekt und lückenlos erledigt werden soll im Drang nach Perfektion und Kontrolle, der sich aber doch wesentlich vom Leidensdruck durch Zwänge unterscheidet. LG Yezrel

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