Bislang größte Studie findet 108 Genorte, die mit Schizophrenie assoziiert sind

Dass die Schizophrenie eine wesentliche erbliche Komponente hat, ist schon lange bekannt. Bislang waren aber nur wenige gut replizierte Gene gefunden worden, die bei Patienten mit einer Schizophrenie deutlich häufiger verändert sind als bei Gesunden. Da die Schizophrenie eine polygenetische Erkrankung ist und die bisher gefunden Gene nicht wirklich richtungweisend für das Verständnis der Krankheitsmechanismen waren, verhalfen die bisherigen Funde nicht wirklich zu einem Durchbruch im Verständnis dieser komplexen Erkrankung. Das Psychiatric Genomics Consortium, eine sehr große internationale Arbeitsgruppe, zu der mehr als 80 Zentren aus 35 Ländern gehören, beschreibt in Nature nun die Ergebnisse der bislang mit Abstand größten genomweiten Suche nach verdächtigen Genen. Der Artikel ist hier als PDF in voller Länge zu laden. Verglichen wurden die vollständigen Genome von 36.989 Schizophrenie-Patienten und 113.075 gesunden Kontrollen. Es fanden sich 108 Genvarianten, die mit einem erhöhten Risiko einhergehen, an einer Schizophrenie zu erkranken. Einige der gefundenen Gene codieren für Proteine, die im Verdacht stehen, eine pathogenetische Rolle in der Entstehung der Schizophrenie zu spielen. Darunter das Gen DRD2, das den Dopamin-2-Rezeptor codiert, an dem die meisten Neuroleptika ansetzen. Es wurden auch  mehrere Gene (GRM3, GRIN2A, SRR, GRIA1) identifiziert, die an der Regulation der glutamatergen Neurotransmission beteiligt sind. Dies unterstützt die These, dass eine Dysfunktion an den NMDA-Rezeptoren eine Rolle bei der Entstehung der Schizophrenie spielt. Interessant ist, dass einige Gene gefunden worden sind, die an der Regulation der synaptische Plastizität beteiligt sind, was Überschneidungen mit bestimmten Autismus-Spektrum-Störungen nahelegen kann. Die stärkste Assoziation bestand mit Regionen auf dem Chromosom 6, wo sich verschiedene Gene des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC), eines Bestandteils des Immunsystems befinden. Diese Assoziation ist schon länger bekannt, ihre Bedeutung ist aber noch unklar. Forscher auf der ganzen Welt haben sich zusammengetan, die Erkrankung Schizophrenie besser zu verstehen. Das langfristige Ziel dieser vereinten Anstrengungen ist die Entwicklung neuer Medikamente, die Patienten mit einer Schizophrenie besser und zielgerichteter helfen können. Dieses Ziel ist noch ein ganzes Stück entfernt. Heute ist es einen Schritt näher gekommen.

Links:

12 Gedanken zu “Bislang größte Studie findet 108 Genorte, die mit Schizophrenie assoziiert sind

  1. Winston Smith 22. Juli 2014 / 21:54

    Das würde im Umkehrschluß aber auch heißen, daß jemand sich auf diese Gene untersuchen lassen könnte und wenn das ohne Befund bleibt, eine Schizophrenie sicher ausgeschlossen werden könnte. Das wiederum würde mit Sicherheit eine ganze Reihe von Schadensersatzklagen von falsch positiv diagnostizierten nach sich ziehen. Ob sich die Psychiatrie diesen Schuh wirklich anziehen will? Wenn es nach Thomas Insel geht schon…

  2. tired2013 22. Juli 2014 / 22:14

    Soweit ich weiß wird ja davon ausgegangen das Schizophrenie vererbt werden kann, aber genauso auch davon, das sie auch ohne genetische Vorbelastung auftreten kann.
    Von daher hätte man bei einem negativen Test auch keine Folgen zu erwarten, wenn dann doch eine Erkrankung auftritt.

    Es wäre aber sicher sehr interessant für genetisch vorbelastete Familien.
    In meiner Familie gibt es im erweiterten und im engeren Kreis gehäuft Schizophrenie/Psychosen, das schwebt dann schon wie ein Damoklesschwert über einem.
    Besonders für die jüngere Generation wäre es sicher ein Vorteil, zu wissen ob sie diese genetische Disposition hat, nicht weil mans kann, sondern aus rein praktischen gründen.
    Wenn so ein Test vor dem Ausbruch gemacht würde, dann wäre es sicher auch mit der Krankheitseinsicht viel besser bestellt, denn das ist wirklich ein großes Problem, welches sich vielleicht bessern würde, wenn die Leute sich mit der Möglichkeit einer Erkrankung schon vor deren Ausbruch beschäftigen.

    • Anna_Cranach 23. Juli 2014 / 22:36

      eerbt oder anerzogen….. das ist in Familien immer die Frage.

      Gibt es ein Scheidungs-Gen? Man könnte die Unfähigkeit, die erste ernsthafte Beziehung lebenslang zu führen, als psychische Krankheit definieren.

      Mit eindeutig erblicher Komponente, denn:
      Die Statistik ist da eindeutig. Scheidungskinder lassen sich meistens selber scheiden,
      bei Kindern von Ehepaaren mit lebenslanger Beziehung ist es meistens bei ihnen genauso.

      (Ehen von Scheidungskindern und Nicht-Scheidungskindern werden meistens auch geschieden. Passt zur steigenden Scheidungsrate.)

      Auf dem Gebiet habe ich aber noch NIE von jemand die Behauptung gehört, Scheidung sei erblich. Da wird immer die Vorbildwirkung und der Einfluss der Eltern angeführt.

      Warum bei Depression/Wahnhaftigkeit/Borderline nicht? Das soll plötzlich erblich sein.

  3. Anna_Cranach 23. Juli 2014 / 21:58

    wenn es insgesamt 108 Gene gibt, die mit Schizophrenie in Verbindung gebracht werden, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dann, KEINES davon zu haben?

    Das Thema ist stochastisch interessant.

    Ich habe mal ein bißchen gerechnet.

    Nehmen wir mal an, die Wahrscheinlichkeit für jedes Einzelne dieser Gene, dieses Gen zu haben, sei 5 %. (p = 0,05)
    Dann ist die Wahrscheinlichkeit, KEINES davon zu haben,
    (1-p)^108 = 0,0039278 = 0,39278 %

    Bei p = 0,01 = 1% ist die Wahrscheinlichkeit immerhin 33,8 %, also etwa ein Drittel.

    Bei p = 0,07 = 7 % ist die Wahrscheinlichkeit 0,0394601 %

    Bei p = 0,10 = 10 % ist die Wahrscheinlichkeit 0,00114338 % , also nahe bei Null. Dann gibt es weltweit nur noch ca. 81.000 von den ca. 7 Milliarden Menschen, die keines dieser Gene haben.

    (Natürlich ist die Häufigkeit der einzelnen Gene unterschiedlich. Die Überlegungen sind aber trotzdem sinnvoll. Denn auch bei unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten ergeben sich Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die der Binomialverteilung bzw. Gauß-Verteilung ähnlich sind. Wie groß die Wahrscheinlichkeiten sind, müsste ich das paper lesen, habe aber gerade keine Zeit dazu.)

    Nehmen wir eine Wahrscheinlichkeit von p = 0,07 = 7 % für ein einzelnes Gen.

    Dann ist der Durchschnittwert 108*p = 7,56
    Durschnittlich haben also die Menschen dann 7,56 dieser Gene.

    Die Standardabweichung ist dann sigma=Sqrt[n*p*(1-p)]=2.65
    (n=108)

  4. tired2013 23. Juli 2014 / 23:44

    Anerziehen könnte man eine Schizophrenie ja nur, wenn von den Hauptpersonen, in der Stammfamilie, auch jemand eine Schizophrenie hat, das ist aber bei Weitem nicht immer der so. Oft gibt es pro Generation nur einen Fall und der dann bei einem etwas entfernteren Verwandten, mit dem kein so enger Kontakt bestand.

    Das psychische Erkrankungen erlernt werden können ist allerdings nicht neu und auch keine Theorie mehr.
    Wenn jemand in Therapie ist und in dessen Familie sich z.B. Depressionen häufen, dann ist das auch bei vielen Therapeuten durchaus ein Thema.

    Da gibt es also wohl auch Möglichkeiten zu unterscheiden, bei einigen anderen Störungen oder Schizophrenie wohl eher nicht, also wird das auch nicht angenommen.
    Ich glaube durchaus das man eine Paranoia erlernen kann, bei Wahnvorstellungen, Manien und solch regelrechten Naturgewalten habe ich meine Zweifel.

    Es gibt ja auch die Theorie eines Virus, mit dem man im Mutterleib infiziert wird, angeblich gar nicht so abwegig, aber mir leuchtet die genetische Variante am meisten ein. Gerade wenn ich die Familie betrachte, die meisten Erkrankten konnten jedenfalls nichts von einem anderen Schizophrenen übernehmen, das ist völlig unabhängig voneinander.

    • Anna_Cranach 24. Juli 2014 / 01:09

      Stimmt, die meisten Schizophrenen haben nie mit einem anderen eindeutig diagnostizierten Schizophrenen zusammengelebt.

      Aber eine gewisse Neigung zur Wahnhaftigkeit kommt bei ca. 5-10 % der Bevölkerung vor.

      Glaube an Geister, magisches Denken, usw. ist auch weit verbreitet.

      Es gibt jede Menge Leute, die behaupten, der steckt doch mit dem unter einer Decke,

      der und der ist bestochen, sonst würde er sich nicht so verhalten,

      wenn sie etwas vermissen, sind sie sich sicher, es ist doch bestimmt geklaut (anstatt einfach anzunehmen, dass sie es verloren haben)

      diverse Male habe ich mir schon von verschiedenen Leuten angehört, wo angeblich schon wieder die Seilschaften von den Burschenschaften dahinterstecken

      wiederum andere führen sämtliche Gesundheitsprobleme von sich auf den Handy-Mast in der Nachbarschaft ihres Hauses zurück.

      Der Artikel ist interessant, da sind Bilderbuch-Beispiele wahnhaften Denkens angeführt, aber fast keiner davon dürfte eine Psychose-Diagnose haben.

      http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-51373594.html

      Zitat:
      —–
      Die Büchers beschlossen, die Wellen auszusperren. Sie wickelten das ganze Haus in Hasengitter, innen Abschirmtapeten, das volle Programm. Um den Garten pflanzten sie Palisaden von Bambus. Und ganz langsam, sagen sie, schwanden die Beschwerden. Der Sohn, heute 18, hat es aufs Gymnasium geschafft. Ein Handy besitzt er nicht. „Muss ja nicht jeder enden wie diese Hirnlosen“, sagt der Vater.

      Der Sieg war aber nicht von Dauer. Etliche Symptome sind schon wieder da, die Antriebslosigkeit, der Hautausschlag. Wie kann das sein? Schon vor der Abschirmung ergaben Messungen im Haus nur ein Tausendstel des Grenzwertes. Seither dringt nur noch ein Hunderttausendstel durch. Woraus man nun was ersieht? „Wie gefährlich die Strahlung ist“, sagt der Vater. „Die Werte sind immer noch zu hoch.“
      —–

      Es ist die Mobilfunkstrahlung!! Ich ändere meine Meinung nicht aufgrund von Tatsachen!

      Der Vater Herr Bücher ist übrigens leitender Buchprüfer bei der Bundesbank, Leute mit Schizophrenie-Diagnose in leitenden Positionen sind sehr, sehr selten.

      Auch das Denken anderer Leute ist in dem Artikel beschrieben, es ist sehr ähnlich. Wieviele davon gelten als schizophren?

      Wenn dann so jemand allerdings noch zum Chaos neigt,
      und auf der Straße die Nerven verliert und die Bauarbeiter anschreit, von denen er denkt, die bauen da einen Handymast,
      dann landet er mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Psychiatrie und kriegt eine Diagnose.

      – Beeinflussungs- und Beeinträchtigungswahn
      – chaotisches Verhalten, die Familienmitglieder berichten dem Psychiater über den Familien-Chaoten, der ständig Unordnung im Haus verursacht (so jemand gibts in jeder Familie, der seine Sachen übers Haus verteilt, sein Zeug meistens nicht abspült und sein Zimmer auch nur in Ausnahmefällen aufräumt)
      – psychotische Erregung

      Diagnose ist da.

      Während seine ganzen Mobilfunk-paranoiden Familienmitglieder keine Diagnose kriegen, weil sie keinen anschreien und ihr Zimmer aufräumen.

      • Anna_Cranach 24. Juli 2014 / 01:27

        na ja, für die Schizophrenie-Diagnose müsste dann wohl noch gegeben sein, dass derjenige in einer Lebenskrise steckt und deswegen beruflich oder schulisch nicht so richtig weiterkommt, auch das ist nichts Besonderes

        Aber dann kriegt er auf jeden Fall eine Schizophrenie-Diagnose.

  5. Anna_Cranach 24. Juli 2014 / 00:16

    Nun zu meiner These, dass sich die psychiatrische Genetik selbst abschafft, indem sie immer mehr Gene als potentielle Krankheitsauslöser identifiziert.

    Nehmen wir z.B. an, jemand werde als vor Krankheit X sicher betrachtet – egal in wie krankheitsbegünstigende Umstände er gerät – wenn er weniger als die Hälfte der Gene trägt als der Durchschnitt.

    Und es werde angenommen, er werde die Krankheit X auf jeden Fall kriegen – egal wie gesund seine Lebensumstände sind – wenn er mehr als das doppelte der Gene trägt als der Durchschnitt.

    Nehmen wir p = 0,07, ein einzelnes Gen kommt bei 7 % der Bevölkerung vor.
    ——————————————————————-

    1. Es wurden 108 Gene identifiziert. n= 108

    Durchschnittswert: n*p = 7,56 Schizophrenie-Gene
    sicher: 7,78 % der Bevölkerung
    wird es auf jeden Fall kriegen: 0,2 % der Bevölkerung
    (Werte bestimmt anhand der Standardnormalverteilung)
    Rest der Bevölkerung, wo man keine sichere Vorhersage machen kann: 92,20 %

    ——————————————————————-

    2. Es wurden 216 Gene identifiziert, n = 216
    Durchschnittswert: n*p = 15,12 Schizophrenie-Gene
    sicher: 2,17 % der Bevölkerung
    wird es auf jeden Fall kriegen: 0,003 % der Bevölkerung
    Rest der Bevölkerung, wo man keine sichere Vorhersage machen kann: 97,83 %

  6. Anna_Cranach 24. Juli 2014 / 00:39

    Nächste Annahme: Betrachtet man jeden als potentiellen Schizophrenen, bei dem mindestens 1 solches Gen ausfindig gemacht werden kann, dann ist es so:

    Nehmen wir wieder an, p = 0,07 und es wurden bisher n = 20 solche Gene gefunden:
    1-(1-p)^n = 76,6 %
    76,6 % sind potentiell schizophren, sie haben ja zumindest mindestens 1 solches Gen.

    p = 0,07 und n = 60, es wurden also 60 solcher Gene gefunden:
    1-(1-p)^n = 98,7 %
    98,7 % sind potentiell schizophren, sie haben ja zumindest mindestens 1 solches Gen.

    p = 0,07 und n = 100 :
    1 – (1 – 0.07)^100 = 99,9 %
    99,9 % sind potentiell schizophren, sie haben ja zumindest mindestens 1 solches Gen.

    Usw.

  7. Anna_Cranach 24. Juli 2014 / 01:51

    Weitere Beispiele:

    Wo schon wieder die Juden da dahinterstecken, die laut 11 % der Bevölkerung sowohl in Deutschland als auch weltweit zuviel Einfluss haben

    (Vorsicht Ironie. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre.)

    Antisemitismus trägt oft oder sogar meistens eindeutig wahnhafte Züge. Da werden Dinge in Verbindung gebracht, die beim besten Willen nichts miteinander zu tun haben.

    (Mit Antisemitismus meine ich NICHT Kritik an der israelischen Regierung. Sondern die Feindlichkeit Juden gegenüber, sowohl gegen die, die in Israel leben, als auch gegenüber denen, die in Europa und USA oder sonstwo leben.)

  8. Dr. med. Hans Bangen 31. Juli 2014 / 15:21

    Nehmen wir an ein 40 Jahre alter Mensch hat viele dieser Genveränderungen. Wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß er eine Schizophrenie hat?

    Das müsste doch mit den vorhandenen Daten relativ einfach korreliert werden können.

    • Anna_Cranach 1. August 2014 / 23:31

      ja, müsste es. Denn aus genau solchen Daten wurde die Studie ja gewonnen.

      Es sind nicht die Daten, auf die geschlossen wird,
      sondern solche Daten sind die Ausgangslage für die Studie.

      Die Validität müsste dann natürlich an Personen geprüft werden, deren Gene in die Erstellung der Studie nicht eingegangen sind.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..