Es gibt einige gute Psychiatrie Lehrbücher auf dem Markt, und jeder muss für sich selbst dasjenige finden, das ihm nach Umfang, Aufmachung und Art am besten liegt. Für viele, die sich erst im Gebiet der Psychiatrie orientieren wollen, kann das auch ein gutes Kurzlehrbuch sein. Aber diejenigen, die Fachärztin / Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie werden wollen, sollten schon ein etwas ausführlicheres Buch lesen. Nun kenne ich auch nicht alle in Frage kommenden Psychiatrie Lehrbücher ganz genau, möchte aber gerne hier mal meine Top drei vorstellen:
Mein Platz 1: Psychische Erkrankungen: Klinik und Therapie von Mathias Berger
Den Berger habe ich nachweislich hier auf dem Blog schon 2012 als das lesenswerteste Psychiatrie Lehrbuch für Weiterbildungsassistenten empfohlen. Das hat sich seither nicht geändert, das Buch ist nur weiter besser geworden.
Vorteile: Es ist ein dickes Buch; 936 Seiten ungefähr im DIN A4 Format, da braucht man schon die fünfjährige Weiterbildungszeit, um es halbwegs durchzuarbeiten. Aber man muss ja auch nicht wirklich jedes Kapitel lesen…
Die Texte sind durchgehend gut lesbar gechrieben, ohne verschwurbelten Fachjargon, ohne übertriebene Faktenhorderei, Tabellenexzesse oder kursivfettfarbige Texteskapaden. Die Inhalte werden einfach verdammt gut erklärt. Und sie werden durchgehend im gesamten Buch darauf hin überprüft, in welchem Maße sie evidence-based sind. Gibt es ordentliche Studien, die eine Aussage stützen, wenn ja, welche, oder ist es einfach Herrschende Meinung? Das kann ja auch berechtigt sein, dann will ich es aber wissen.
Nachteile: Wenn man es liest, kann man fünf Jahre lang seinen Netflix-Zugang abschalten.
Online Zugang: Man erhält einen zeitlich begrenzten Zugang zu Elseviers Onlineportal Psychiatriewelt. Dort kann man auf das vollständige Buch sowie einige zusätzliche Materialien (Videos, neue Kapitel, etc.) zugreifen.
Seitenzahl: 936 Seiten
Auto-Vergleich: Jaguar XF
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Mein persönliches Fazit: Wenn ich mich auf ein Thema vorbereite, nehme ich mir gerne den Berger zur Hand. Dann bin ich gut im Bilde, weiß, woher die aktuellen Therapieeinschätzungen kommen und weiß, wo ich weiterlesen müsste, um mehr zu erfahren. Für Ärzte in Weiterbildung zum Psychiater bleibt der Berger meine Empfehlung.
Mein Platz 2: Therapie psychischer Erkrankungen von Ulrich Voderholzer und Fritz Hohagen
Wir Psychiater haben die Internisten lange um ihren “Herold-Innere Medizin“ beneidet, der verlässlich wie ein schweizer Uhrwerk jährlich aktualisiert wird und stets den neusten Stand der Technik widergibt. Allerdings ist der Herold ungefähr so gut lesbar wie ein Telefonbuch, pro Quadratzentimeter Papier stehen da ungefähr 92 Fakten; niemand liest das, man schlägt nur was nach.
Vorteile: Der Voderholzer vereint praktisch das beste aus beiden Welten: Er kombiniert die gute Lesbarkeit eines Berger mit der Aktualität eines Herold. Und das geht so: Voderholzer und Hohagen sind die Herausgeber; die einzelnen Kapitel werden jeweils von echten Spitzenautoren für ihr Gebiet geschrieben, und zwar jährlich aktualisiert. Pünktlich zum DGPPN-Kongress im November (dieses Jahr als Weltkongress schon im Oktober…) erscheint die aktuelle Auflage. Die Texte sind gut lesbar, evidenzbasiert, leitlinienorientiert. Das Buch ist mit 585 Seiten auch nicht gerade dünn, aber immerhin fast halb so dick wie der Berger.
Nachteile: Einen Text im Berger zu lesen macht etwas mehr Spaß.
Online Zugang: Zeitlich begrenzter Zugang zu Elseviers Psychiatriewelt. Dort kann man auf das vollständige Buch sowie einige Zusatzinhalte zugreifen.
Seitenzahl: 585 Seiten
Auto-Vergleich: Der aktuelle VW Passat 2017
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Mein persönliches Fazit: Wenn jeder Weiterbildungsassistent 300 der 585 Seiten im Voderhölzer gelesen hätte, wären die Facharztprüfungen ein Traum…
Mein Platz drei: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie von Möller, Laux, Deister
Vorteile: Unter Studenten ist die Duale Reihe sehr beliebt. Das Konzept ist, im inneren Teil der Seiten jeweils einen ausführlichen Fließtext zu haben, und am Außenrand jeweils Stichworte und sehr knappe Zusammenfassungen. So kann man Teile, die man zu kennen glaubt, querlesen, indem man sich einfach die Stichworte am Rand ansieht. Das verleitet etwas zum Geschwindigkeitsrausch, kurz vor der Prüfung ist das aber oft hilfreich. Insgesamt also ein mittellanges Lehrbuch auf Speed. Design und Layout sind modern.
Nachteile: Die Texte lesen sich manchmal schon etwas komprimiert. Die Darstellung erschient mir manchmal etwas unruhig und überladen.
Online Zugang: Über die Thieme eRef-App kann das ganze Buch online oder auf dem iPhone, iPad oder was auch immer gelesen werden. Auf der begleitenden CD gibt es Patientenvideos, allerdings unter einer etwas umständlichen Benutzer-Oberfläche.
Seitenzahl: 672 Seiten
Auto-Vergleich: Ford Fokus Turbo
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Mein persönliches Fazit: Für Studenten fünf Tage vor dem Examen, Weiterbildungsassistenten, die noch ein Leben außerhalb der Medizin haben und Angehörige anderer Berufsgruppen, die ein vollständiges, modernes Buch suchen, das eine schnelle Orientierung bietet, ist es sehr gut geeignet. Zum abendlichen Schmökern mit einem Glas Rotwein ist es ungeeignet. Aber so ließt ja eh niemand mehr Lehrbücher…
Welches Lehrbuch lest ihr?
Schreibt doch bitte mal in die Kommentare, welches Buch ihr lest und warum!
Zur Zeit bin ich (1. Wb-Jahr) mit dem „Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie“ von K. Lieb et al (8. Auflage) sehr zufrieden. Das Fallbuch dazu hatte ich fürs Examen benutzt. Layout und Textfluss finde ich sehr ansprechend. Der Inhalt reicht für meine aktuellen Bedürfnisse völlig.
Na ja, für Pharma habe ich selbstverständlich den „Dreher“😊 und den „Benkert“ immer griffbereit. Von Benkert finde ich auch das kleine Taschenbuch fürs schnelle Nachschlagen super.
Ich kann Matarratas´ positive Bewertung des Intensivkurses bestätigen. Fast eine Art „Berger in Kurzform“. Das wäre meine Nr. 3 statt der Dualen Reihe.
Sehr schön, aber etwas kürzer als der Intensivkurs, ist auch das „Kurzlehrbuch Psychiatrie und Psychotherapie“ von Stefan Leucht und Hans Förstl, 1. Aufl. 2012.
Berger: The one and only! 🙂
Ich habe vor einem Jahr Facharztprüfung gemacht.
Als Vorbereitung habe ich den „Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie“ von K. Lieb einmal systematisch von vorne bis hinten durchgelesen, dann das Facharztrepetitorium (DGPPN) gemacht und von da an die Wissenslücken gezielt mit dem Berger aufgefüllt. Hat wunderbar geklappt und der „Lieb“ hat mir die Sicherheit gegeben nichts vergessen zu haben.
Meine unangefochtene Nummer 1 ist „der Rothenhäusler“ (Kompendium Praktische Psychiatrie von Rothenhäusler & Täschner).
+: Präzise, strukturiert, klare Handlungsempfehlungen
-: In die Jahre gekommen
Vom Voderholzer bin ich sehr enttäuscht. Habe mir – motiviert durch den fantastischen DGPPN Kongress – die aktuelle 16. Auflage gekauft.
„Vor lauter Wald die Bäume nicht sehen können“ beschreibt mein Gefühl nach der Lektüre vieler Kapitel am besten.
+: Aktualität (!), teils präzise;
-: chaotisch, unübersichtlich, teils lückenhaft;
Die Duale Reihe habe ich in den letzten Auflagen nicht mehr gelesen, aber als angenehm aber unverbindliches Leseerlebnis in Erinnerung. Einer genaueren Einschätzung enthalte ich mich mangels Kenntnis.
Auch wenn der Beitrag mittlerweile vier Jahre her ist, gebe ich mal meinen Senf dazu, zumal sich an der Auswahl an deutschsprachigen Lehrbüchern der Psychiatrie ja seitdem nichts geändert hat. Und die ist meines Erachtens nach eher übersichtlich, zumal obsolete Schinken wie der „Huber“ (Schattauer) oder der unsägliche „Tölle“ (Springer) keine Rolle mehr spielen.
Wie einige Vorredner bin auch ich grundsätzlich ein Freund der sympathischen „Lieb“-Produkte aus dem Hause Elsevier (Intensivkurs + Fallbuch) und der Meinung, dass der m.E. einzige Konkurrent, die Duale Reihe, auch in der brandneuen 7. Auflage (jetzt mit Prof. Falkai als neuem Mitherausgeber an Bord) bei äußerlich ansprechender Gestaltung inhaltlich teils leider dermaßen enttäuschend ist, dass ich es nicht empfehlen würde. Was da drin steht, dürfte für den Facharzt auch keinesfalls ausreichen, so dass ich mich ehrlich gesagt etwas wundere, wie man es überhaupt unter den Top 3 aufführen kann. Da ist der „kleine Berger“, wie Astraios den „Lieb“ zu Recht nennt (zumal auch ganze Textpassagen 1:1 identisch mit dem „Berger“ sind) wesentlich aktueller, präziser und zuverlässiger. Aber wie Hr. Lieb in seinem Buch selbst betont: Für den Facharzt sollte man schon (zusätzlich) ein ausführlicheres Buch lesen. Und da stellt sich aus meiner Sicht die Frage: Welche Alternative gibt es denn zum „Berger“? Wohl kaum der vierbändige „Möller/Laux/Kapfhammer“ für schlappe 450 Euronen mit über 3000 Seiten Umfang. Für die konkrete Prüfungsvorbereitung finde ich persönlich ja das „Facharztwissen Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie“ von Schneider (Springer) zwar prima gemacht und toll „on point“ und präzise geschrieben. Aus meiner Sicht ist das aber mit seiner sehr komprimierten Darstellung (und den vielen Tabellen) eher ein „Büffelbuch“ für jemanden, der den Stoff wiederholen will und eigentlich nicht direkt mit dem „Berger“ vergleichbar. Kurzum: Aus meiner Sicht gibt es aktuell eigentlich keine Alternative zum „Berger“, wenn man ein ausführliches deutschsprachiges Lehrbuch der Psychiatrie sucht. Und das finde ich nicht nur positiv, zumal mich persönlich am „Berger“ einiges nervt, unter anderen, dass viele Textpassagen und Kapitel in die Online-Version ausgegliedert wurden und das auch noch als ach so moderner Vorteil verkauft wird, oder dass ich auf Anhieb so viele Druckfehler finde (bis hin zu Tabellen, aus denen im Vergleich zu Vorauflagen die Hälfte plötzlich fehlt), dass ich mich frage, wer so ein Buch für immerhin € 168,- eigentlich Korrektur liest.