Substitution ist bei Opiatabhängigen unzweifelhaft sinnvoll
Langjährig heroinabhängige Patienten werden schon seit Jahrzehnten mit dem Opioid Methadon substituiert, und es ist völlig unstrittig, dass dies einen wirklich großen Nutzen hat. Prostitution, Beschaffungskriminalität und Infektionskrankheiten durch geteilte infizierte Nadeln gehen drastisch zurück, das Gesundheitsniveau steigt auf allen Achsen deutlich an. Methadon löst im Vergleich zu Heroin deutlich weniger das Gefühl des Rausches oder „High“-seins aus. Das liegt unter anderem daran, dass es aufgrund der oralen Gabe langsamer an die Opiatrezeptoren anflutet und mit 24-36 Stunden eine recht lange Halbwertszeit hat. Das macht die einmal tägliche Gabe im Rahmen der Substitution möglich.
Ein Nikotinpflaster ist auch eine Substitution…
Hier wird das Nikotin als medizinisches Produkt über eine länger wirksame Applikation gegeben. Das Prinzip ist das gleiche: Entzugsbeschwerden werden vermindert und das Substitut schädigt aufgrund seiner seiner kontrollierten Gabe, seiner langwirksamen Verfügbarkeit und insbesondere aufgrund der Abwesenheit des Tabakrauches weniger als die eigentliche Droge, die gute alte Kippe.
Pharmakologisch gäbe es auch für Amphetaminabhängige ein entsprechendes Substitut
Auch die Amphetamin- oder Kokainabhängigkeit sind schwere Krankheiten, die mit erheblichen Gesundheitsschädigungen verbunden sind. Auch soziale Probleme durch Prostitution und Beschaffungskriminalität treten häufig auf. Daher stellt sich ganz berechtigt die Frage, ob auch bei dieser Sucht ein Substitut zur Verfügung steht, das langjährig Abhängigen, die anders nicht abstinent werden können, hilft.
Aus pharmakologischer Sicht bietet sich hier Methylphenidat an…
Methylphenidat, besser bekannt unter einem seiner Handelsnamen: Ritalin®, das zur Behandlung des ADHS eingesetzt wird, eignet sich aus pharmakologischer Sicht gut als Substitut:
- Es ist ein Amphetamin, dass damit die zu substituierende Wirkung komplett abdeckt.
- Es löst im Vergleich zu anderen Amphetaminen viel weniger ein „High“-Gefühl aus.
- Es ist als Retard-Präparat erhältlich, so dass eine einmal-tägliche Gabe möglich ist.
Aber in der Praxis spricht viel dagegen:
Die Abhängigkeit von Amphetaminen unterscheidet sich stark von der Abhängigkeit von Opiaten. Ein wesentlicher Punkt ist, dass Opiatabhängige schon wenige Stunden nach der letzten Dosis starke Entzugsbeschwerden bekommen, die den nächsten Schuss subjektiv stark erzwingen. Das Substitut, dass die Entzugsbeschwerden praktisch komplett aufhebt, durchbricht an dieser Stelle den Teufelskreislauf. Amphetaminabhängige entwickeln typischerweise keine akuten Entzugsbeschwerden. Sie haben zwar Craiving nach der Wirkung, aber eben keinen Entzug, insbesondere keinen körperlichen. Daher ändert sich durch ein Substitut nicht so viel, weil es den Teufelskreis nicht durch Aufheben der Entzugsbeschwerden durchbricht. Und die gewünschte Wirkung tritt durch Methylphenidat auch nicht im gewünschten Ausmaß ein. Auch Methylphenidat kann mißbraucht werden und kann als Suchtstoff verwendet werden. Rektale und nach Filterung intravenöse Applikationen bringen den Berichten von Konsumenten nach sehr wohl ein High-Gefühl. Daher müsste eine Substitution genau so wie bei Methadon mit einer täglichen Vergabe beim Arzt und einer Einnahme unter Aufsicht erfolgen.
International gibt es auch Versuche mit Methylphenidat bei Kokain- oder Amphetaminabhängigen
Ich habe berichtet bekommen, dass genau diese Substitutionsbehandlung in den Niederlanden schon angewendet werde, das sei auch gar nicht so selten. Wie diese Übersichtsarbeit darlegt, gibt es international Erfahrungen und auch einige wenige kontrollierte Studien zur Frage der Methylphenidat-Substitution. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Ergebnisse inkonsistent sind und unter dem Strich keinen erkennbaren Nutzen ausweisen.
Neue Deutsche Leitlinie zu Methamphetamin-bezogenen Störungen
Es gibt seit kurzem eine neue deutsche Leitlinie zu Methamphetamin-bezogenen Störungen, die ihr hier findet. Im Ärzteblatt dieser Woche berichten Fr. Prof. Gouzoulis-Mayfrank et al. hierüber, der Artikel fasst das wichtigste zusammen und ist sehr lesenswert. Er ist kostenlos im Vollzugriff hier zu finden. In dieser Leitlinie geht es speziell um Methamphetamin, also „Meth“ oder „Crystal-Meth“, aber die Einschätzung zur Substitution ist sicher auch auf andere Amphetamine und auch Kokain übertragbar. Dort heißt es:
Die Experten halten Substitutionsversuche mit Psychostimulanzien, obwohl sie pharmakologisch plausibel sind, für nicht hinreichend belegt, beispielsweise retardiertes D-Amphetamin oder retardiertes Methylphenidat. Die wenigen RCT wiesen erhebliche Mängel auf, die Effekte waren nicht konsistent und bezogen sich meist auf sekundäre Endpunkte. Solche Behandlungsversuche sollen nur im Rahmen hochwertiger klinischer Studien (eher im stationären Setting) erfolgen.
Mein persönliches Fazit
Pharmakologisch klingt es wirklich plausibel. Aus klinischer Sicht ist aber für mich unmittelbar klar, dass eine Substitutionsbehandlung mit Methylphenidat für kokain-, amphetamin- oder methamphetaminabhängige Patienten keine sinnvolle Option ist. Da es bei der Amphetaminabhängigkeit kaum Entzugsbeschwerden gibt, durchbricht das Substitut den Teufelskreis aus Entzugsbeschwerden und erneutem Drogenkonsum nicht. Zugleich ist das Missbrauchspotential hoch. Es verbleiben psychotherapeutische Maßnahmen und eine sehr intensive Anbindung an das Suchthilfesystem, die beide eine gute und belegte Wirkung haben. Man kann eben nicht immer Feuer mit Feuer bekämpfen….
Doch, es geht, schaut wie in Zürich mit Heroin Abgabe täglich. Die müssen es täglich bei der Abgabe rauchen oder irgendwie einnehmen und so könnte man Süchtige auch täglich mit Ritalin behandeln. Einfach vor Ort einnehmen und etwas warten, dass sie es nicht raus würgen.
Mehr als einer der Kokain nahm hat ADHS und hat sich damit selber behandelt.
Auf das mit Heroin Abgabe für lange Süchtige bin ich stolz auf die Schweiz!
Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren,wie sie die Behandlung von ADHS bei Patienten mit Amphetamin/Kokainmißbrauch bzw -abhängigkeit in der Vorgeschichte mit Ritalin/Medikinet etc. einschätzen. MfG S.Stockee
Das Problem in der Erwachsenenpsychiatrie in Deutschland ist doch ganz offensichtlich:
Es wird immer noch viel zu wenig nach ADS/ADHS geschaut. Nicht nur Patienten mit Drogenkonsum, Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder Delinquenz gehören dazu. Es empfiehlt sich meiner Meinung bei allen Patienten, mit atypischer Depression, atypischen Zwängen, Ängsten, Essstörungen sowie bei Patienten, die in kein passendes Schema passen wollen, genau nach ADHS, vor allem aber nach ADS (der Träumervariante) zu schauen. Leider wird die Diagnose dann trotzdem immer noch zu selten korrekt diagnostiziert. Dazu ein passendes Video von Charles Parker: https://youtu.be/Wsj219F9M2Qt
Aber zurück zum Thema: natürlich gibt es Studien die belegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Suchterkrankung bei korrekt medikamentöser Einstellung eines Patienten mit ADHS gesenkt werden kann. Und die wichtigsten Medikamente bei der ADHS-Behandlung sind nunmal Stimulanzien, wie eben Methylphenidat und das vermutlich noch wesentlich effektivere Amphetamin. Das mit der Compliance sowie der Umgang von Schwerabhängigen mit Medikamenten ist ja leider oft ein schwieriges Kapitel – bei gesicherter Ads/Adhs Diagnose empfehle ich dann jedoch zumindest die Gabe von Atomoxetin.
MfG
Hallo, ich weiß nicht, ob das hier noch jmd.liest, aber ich könnte gerade austicken (ja ja, typisch), nachdem ich das gelesen habe. Haben die/der Verfasser eigentlich PERSÖNLICH die Erfahrung mit der Abhängigkeit? Es wirkt sich bestimmt bei jedem anders aus, aber ein kontrollierter Versuch ist es Wert!
Ich bin 39, ADHS, diverse Süchte – vorwiegend Alkohol und Amphetamin (Koks ist auf Dauer zu teuer, wirkt aber fokussierend, wie ich finde). Habe auch Methylphenidat in retardierter Form verschrieben bekommen, dann abgesetzt, kein großes Problem.
Längere Zeit danach bin ich ich erst bei Amphetaminen hängen geblieben – habe dann selbst einen Entzug versucht – 14 Tage – keine oder kaum Entzugserscheinungen!!??? AM ARSCH!!! Und ich war noch nicht lange oder mit viel dabei!
Bin dann „inoffiziell“ an – leider nur 6 – Medikinet retard gekommen – kein Amphetamin war gut möglich, wenig Alk, weniger Zigaretten. Für mich wäre das über eine längere Zeit mit anschließendem Ausschleichen eine Methode, von dem Scheiß Amphe loszukommen – ist bestimmt auch etwas gesünder! Da kann man auch exakt dosieren.
Leider verschreibt mir das keiner mehr (solte wohl nicht die Wahrheit sagen)! Natürlich sollte das dann kontrolliert werden und nicht über längeren Zeitraum beides konsumiert werden – ist ja kontraproduktiv und da habe ich größtes Verständnis, dass dies kein Arzt verantworten will und kann. Aber einen Versuch über ca. 4 Wochen halte ich für sehr sinnvoll! Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Absetzen von MPH tausend Mal einfacher als von Amphis!
Klar, dass auch an der Psyche gearbeitet werden muss – aber um erstmal davon loszukommen – definitiv!
Beste Grüße
Kat
Ich habe im rahmen der Behandlung von amfetaminabhängigen Patienten mit ADHS-Diagnose sehr gute Erfahrungen gemacht. Bei Doseriung von umgerechnet 100 bis maximal 250mg amfetamin gelingt vor allem mittelfristig eine adekvate Einstellung der ADHS-symptomen und Behandlung der Abhängigkeit; Häufig reichen schon dosen zwischen umgerechnet 100-150mg amfetamin. Depotpräparate sind dabei eindeutig vorzuziehen, kombinationen sind jedoch häufig Sinnvoll und tragen zum Behandlungserfolg bei. Diese Art der Behandlung hat meiner Meinung nach auch bei zunächst fortgefuehrter Anwendung von „illegalem amfetamin“ deutlichen nutzen der sich in erhöhter Alltagsfunktionalität wiederspiegelt.
Arbeite im europäischen Ausland und wäre an einer weiteren Diskussion sehr interessiert.
Beste Gruesse.
Hallo
Ich war viele Jahre süchtig nach Kokain und habe dann 2012 Ritalin von meinem Arzt und Psychologen verschrieben bekommen. Wir haben das Jahr 2021 das bedeutet seit gut 10 Jahren nehme ich jetzt Ritalin an stelle von Kokain.
Da ich das Ritalin gleich Monatsweise mitbekommen habe von meinem Arzt gab es tage wo ich mehr und tage wo ich weniger konsumierte von dem Ritalin.
Inzwischen bin ich auf einer zu hohen Tagesdosis. Ich darf hier garnicht schreiben wie hoch meine Dosis ist.
Jedenfalls bin ich seit geraumer zeit motiviert einen weg zu finden um ab zu bauen oder suche nach antworten was wäre wen ich von heute auf morgen einfach das Ritalin Absätze?
Ich bin für jede hilfreiche Antwort dankbar
Gruss C.