
Neulich lag ich nachts lange wach und grübelte über ein Problem, für das sich keine Lösung fand. Als ich das erste mal genervt auf die Uhr sah, zeigte sie 01:20. Na gut, dachte ich mir, über diese Sache muss ich halt mal in Ruhe nachdenken, und wenn ich jetzt Zeit dafür habe, dann eben jetzt. Aber bis 02:35 hatte ich eigentlich nichts Neues gedacht, und morgen wäre ja auch noch ein Tag. Also was macht der Psychiater, um Grübeln zu beenden?
Schreib es lieber auf!
Wenn du mich fragst: Das Standardmanöver bei hartnäckigem Grübeln lautet:
1.) Wechsel den Raum. Grübelst Du im Bett, geh nach spätestens einer halben Stunde aus dem Schlafzimmer raus und mach eine Kerze oder eine nicht zu helle Lampe an.
2.) Schreib alles auf. Schreib einen Tagebucheintrag auf deinem Computer, bring die Pros und Contras in eine Excel-Tabelle oder schreib alle deine Gedanken auf ein Blatt Papier. Wichtig ist, dass du alles aufschreibst, was dir durch den Kopf geht. Wirklich alles. Interessant ist, dass sich die Gedanken – auch wenn du schon zwei Stunden an ihnen herumgegrübelt hast – nach einer DIN-A4-Seite doch oft erschöpfen. Das ist eine wichtige Erfahrung. Denk noch mal nach: Gibt es nicht doch noch etwas, was du aufschreiben solltest. Nein? Dann kannst du dein Dokument speichern und den Computer herunterfahren, das Papier zusammenfalten und für morgen auf den Schreibtisch legen oder dein Tagebuch wieder zurück ins Regal stellen.
3.) Noch nicht müde? Fühlst du dich noch nicht müde, bringt es nichts, direkt wieder ins Bett zu gehen. Lies etwas, mach etwas, was ein mittleres Maß an Konzentration braucht und zur Not trinkst du einfach ein Glas Kölsch. Bis du merkst, dass du müde wirst.
3.) Jetzt Kerze auspusten und wieder zurück ins Bett. Wenn du spürst, dass du müde geworden bist, gehst du wieder zurück ins Bett. Du wirst in kürzester Zeit einschlafen.
Hilft dieses Manöver auch bei depressiv Kranken?
Oft kann man Interventionen, die bei Gesunden helfen, auf Kranke übertragen, und sie helfen den Kranken genau so gut. Der Unterschied zwischen einem Depressiven und einem Gesunden ist meiner Meinung nach nicht, dass der Depressive eine ganz andere Reaktionsweise zeigt, sondern vorwiegend, dass er bestimmte Symptome und Verhaltensweisen häufiger und intensiver zeigt. Quantifizieren wir mal das Grübeln: Nehmen wir uns einen ganz normalen Kalendermonat von 30 Tagen. In diesem Monat verbringt ein Gesunder vielleicht insgesamt 3 Stunden mit so einem typischen Grübeln. Im selben Monat verbringt ein Depressiver eher 60 Stunden mit Grübeln; 30 Stunden tagsüber (eine Stunde pro Tag an 30 Tagen) und 30 Stunden nachts (eine Stunde pro Nacht in 30 Nächten).
Ich glaube nun schon, dass die oben beschriebenen Schritte (Den Ort wechseln / Gedanken aufschreiben / sich müde machen / dann erst den alten Ort wieder aufsuchen) auch bei depressiven Patienten helfen, eine Episode des Grübelns zu beenden. Aber da Grübeln bei depressiven Patienten sehr viel häufiger ist, stellt sich natürlich die Frage, ob es einfache andere Interventionen gibt, die ein schnelles Ende des Grübelns bewirken.
Wie geht die Intervention des Gedankenstopps?
Wenn man psychotherapeutische Lehrbücher konsultiert, dann findet man als eine besonders weit verbreitete Intervention gegen Grübeln den sogenannten „Gedankenstopp“. Die Wikipedia beschreibt diese Intervention hier. Nach einer ausführlichen Aufklärung über die Intervention läuft es so, dass der Patient seine grübelnden Gedanken berichtet, und der Therapeut dann laut „Stopp!“ ruft. Die hierdurch bewirkte Schreckreaktion entferne den Patienten schon etwas vom grüblerischen Gedanken. Im weiteren Verlauf kann dann auch der Patient selbst beim Auftreten von grüblerischen Gedankenschleifen mit der Faust auf den Tisch hauen und laut „Stopp“ rufen. Es gibt Patienten, denen das gut hilft, aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich kenne nicht so viele Depressive, die auf diese Intervention schwören.
Was empfehle ich depressiven Patienten gegen Grübeln?
Ich empfehle tatsächlich im ersten Schritt die Maßnahmen, die auch bei gesunden Patienten gegen Grübeln helfen. Gut, das Glas Kölsch empfehle ich nicht, sondern lieber 25 mg Promethazin, aber das ist in etwa gleich sedierend. Diese Intervention wirkt meiner Erfahrung nach auch bei depressiv Kranken, die oft und hartnäckig grübeln, ganz gut. Die „Gedankenstopp“-Intervention empfehle ich nur selten.
Was empfehlt ihr gegen Grübeln?
Was hilft euch gegen Grübeln? Was empfehlt ihr euren Patienten? Schreibt eure Empfehlungen in die Kommentare!
Das Problem beim Grübeln ist, dass man zu sehr auf Details fixiert ist und nicht das große Ganze sehen kann und zu einer wirklichen Bewertung des Problems kommt die einen (vorübergehend) damit abschließen lässt. Eine interessante Grundlage hierzu ist die PSI-Theorie von Julius Kuhl die hier – http://bit.ly/2fihs1m – vergleichsweise kurz beschrieben ist. Er geht auch kurz aufs Grübeln im Speziellen ein, aber prinzipiell sollte einem durch das Verstehen der verschiedenen Erkenntniss-Systmee klarwerden was Grübeln eigentlich ist.
Spannendes Thema! 🙂
Mir hilft gegen Grübeln etwas, was ich auch bei Zwangsgedanken versuche: Ich versuche dann, diese endlosen Grübelgedanken quasi auf der Metaebene zu betrachten und mich dadurch innerlich von ihnen zu distanzieren, sodass sie an Macht verlieren. Z.B. wenn ich im Rahmen einer depressiven Episode mal wieder ewig vor mich hingrübeln will, wie unzureichend als Mensch ich bin und was ich angeblich alles falsch mache, sage ich mir innerlich:“Okay, das ist jetzt eine Grübelei im Rahmen deiner Depression. So negativ denkst du nicht wirklich über dich, das ist nur ein Symptom. Hör besser auf damit, sonst geht’s dir nachher nur noch schlechter.“
Oder halt bei Zwangsgedanken:“Das ist nur ein Zwangsgedanken gerade, mehr nicht. Er sagt nichts über dich aus und entspricht nicht der Wirklichkeit. Lass ihn am besten an dir vorüberziehen und beachte ihn nicht weiter.“
Manchmal arbeite ich dabei auch mit inneren Bildern, indem ich mir die lästigen Gedanken z.B. als Blätter vorstelle, die vom Fluss wegegetragen werden. Wenn’s allzu arg wird, dann hilft auch mal eine Promethazin.
Ich habe mir angewöhnt, abends Hörbücher zu hören. Das blendet die normalen Grübelgedanken aus, die am Ende eines anstrengenden Tages durch meinen Kopf jagen. Wenn trotz Hörbuch die Gedanken immer wieder zu einem bestimmten Thema abdriften, dann steh ich auf, blogge darüber und leg mich wieder hin. Meist bin ich dann nach 10 Minuten weg.
Die Hörbuchmethode wirkt ganz besonders gut mit Büchern, die ich bereits in- und auswendig kenne, wie bspw. Harry Potter, kontraproduktiv sind spannende Geschichten wie die Millennium-Trilogie 😉
Wenn ich bemerke, dass ich zu viel um die ein und selben Gedanken kreise, versuche ich mich innerlich zu stoppen. In dem Augenblick kann ich an der Situation, die gerade in meinem Kopf herumspukt wahrscheinlich eh nichts ändern – wieso also gerade DANN darüber nachdenken? Ich spreche dann zu mir selbst „du musst nicht JETZT darüber nachdenken“. Klappt manchmal gut, manchmal gar nicht 😉
Mir hilft Meditation. Entweder zünde ich mir eine Kerze an, setze mich auf mein Meditationskissen, stelle meine Meditations-Wecker-App auf 20 Minuten und konzentriere mich auf meinen Atem. Das bewirkt auch, was Nelia beschreibt, dass man Distanz zu den eigenen Gedanken bekommt. Es gibt außerdem auf YouTube zahlreiche geführte Meditationen und Hypnosen unterschiedlicher Qualität. Einige davon finde ich sehr hilfreich und höre sie mir abends im Bett an. Man muss allerdings eine Weile suchen, bis man das passende gefunden hat. Einige der Videos arbeiten mit ganz gruseligen Hall-Effekten oder die Sprecher haben unangenehme Stimmen. Das ist dann eher abschreckend … positiv betrachtet lenkt das aber bestimmt auch vom Grübeln ab. 😉
Mein extremgrübelndes Kind lasse ich erst um 22 Uhr ins Bett. Dann ist es so müde, dass es sofort einschläft – anderenfalls steigert es sich in Ängste und vor 1 Uhr ist nix mit Schlafen. Dann habe ich ein zwar dauermüdes, aber einigermaßen entgrübeltes Kind.
Ich selbst höre nette podcasts und schlafe dabei ein.
Gut, dass das mit dem „Stopp“ durch den Therapeuten und der Schreckreaktion mal kritisiert wird.
Ich halte nämlich nichts davon, dass mir jemand anderes sagt, was undwie und wie lange ich denken soll. Auch Therapeuten sind davon nicht ausgenommen.
Wenn schon diese Methode, dann von Anfang an ausschließlich durch den Patienten selbst.
Man muss sich klar machen, dass man im Kreis denkt. Das mit dem Aufschreiben kann dabei helfen, das halte ich für eine gute Methode.
Meine Therapeutin und ich streiten sich auch regelmäßig um diese ganze Grübel – Sache.
Sie ist eine Verfechterin des Gedankenstopps und findet Aufschreiben überhaupt nicht gut. Sie sagt, dass man sich noch mehr darin verstrickt, wenn man sich damit auseinander setzt und dass das gerade wenn es nicht so gute Gedanken sind, (und das ist beim Grübeln ja meistens so) eher kontraproduktiv ist.
Für mich geht es dabei gar nicht so sehr darum, auf dem Blatt so lange zu argumentieren, bis mir die Argumente ausgehen. Es geht eher darum, diese Gedankenschleifen aufzuschreiben und sie damit irgendwo „abgelegt“ zu haben. Es ist für den Moment erst mal alles gesagt und dann kann ich innerlich auch ein bisschen davon los lassen. Ich weiß, dass ich mich – wenn es nötig werden sollte – am nächsten Tag wieder damit beschäftigen kann und dass ich bis dahin auch nicht vergessen haben kann um was es geht, da ich es aufgeschrieben habe.
Das geht mittlerweile schon so weit, dass ich ein Notizbuch und einen Stift auf meinem Nachtschrank liegen habe. Dann muss ich nicht jedes Mal aufstehen und mich wieder an den Schreibtisch setzen.
Meine Therapeutin ist auch eine Verfechterin des „Grübelstuhls“.
Ich soll mir einen Stuhl nehmen, den in eine Ecke stellen, in der er immer stehen bleibt und mich am Tag eine halbe Stunde darauf setzen und nur in der Zeit grübeln.
Manchmal komme ich mir ja wirklich wie eine extrem non – compliante Patientin vor, weil ich alle Maßnahmen von ihr irgendwie nicht umsetze, aber damit kann ich auch so überhaupt nichts anfangen. Mal abgesehen davon, dass in meiner Studentenbude kaum noch eine Ecke übrig ist, die man zustellen könnte, grübelt mein Hirn auch nicht auf Kommando. Das grübelt, wenn ihm danach ist und der Versuch das zu ignorieren geht meistens auch nicht lange gut.