Introspection Illusion oder Selbsterforschungsillusion

Ich liebe es, zu sehen, dass ein Gedanke, den ich selber insgeheim schon öfters hatte, dem ich aber nicht ganz über den Weg traute, schon seit Jahrzehnten in der Psychologie ein alter Hut ist, einen Namen hat und allseits akzeptiert ist. So ist es mir zuletzt auch mit der Selbsterforschungsillusion ergangen. Unter Introspection Illusion versteht die Wissenschaft den für uns Menschen typischen Denkfehler, der eigenen Erforschung des emotionalen Innenlebens zu viel Glaubwürdigkeit einzuräumen. Wir legen großen Wert auf unsere Gefühle und denken, dass diese unsere Situation und unser Verhalten gut erklären und daher auch eine fundierte Grundlage für unsere Entscheidungen darstellen. Dabei sind die eigenen Gefühle tatsächlich oft schlecht zu erfassen, schwanken im Laufe weniger Stunden stark und sind somit tatsächlich oft eine denkbar schlechte Grundlage für wichtige Entscheidungen. Aber das wollen wir nicht wahrhaben. Wir denken, wenn unser hochverehrtes „Bauchgefühl“ sagt, wir sollten diesen Gebrauchtwagen kaufen, dann zählt das mehr als der Kilometerstand der Kiste. Und es wäre ja auch toll, wenn unsere Intuition so verlässlich wäre, dass man die ganzen mühselig zu erfassenden Fakten nicht mehr braucht. Aber das ist oft eine Illusion. Wenn ich wirklich entscheiden möchte, welchen Beruf ich ergreifen sollte, sollte ich mich nicht nur auf meine selbst beobachteten Gefühle stützen, sondern eben auch auf vernünftige Überlegungen, Beobachtungen und langfristig tragfähige Argumente.

Ich zum Beispiel finde Notfallmedizin wirklich toll. Aber ist das ein Grund, gleich Notfallmediziner zu werden? Natürlich nicht. Wenn ich bedenke, welche Arbeitszeiten Notfallmediziner haben, wie geschickt ich beim notfallmäßigen Legen einer Thoraxdrainage abschneide und wie die Arbeitsbedingungen insgesamt sind, dann gibt es da auch so einige ganz reale Gegenargumente.

Gerade, um langfristige Ziele zu erreichen, ist es oft notwendig, kontraintuitiv vorzugehen.

Wenn ich abends auf dem Sofa sitze, fühlt es sich gerade eben nicht danach an, nochmal joggen zu gehen. Wenn ich diesem Gefühl folgen würde, könnte ich kein irgendwie erfolgreiches Ausdauer-Training machen. Viel hilfreicher ist es da, sich einen Trainingsplan aufzustellen, und den durchzuziehen, auch wenn mir gerade nicht danach ist.

Ein zweites Element der Selbsterforschungsillusion ist, dass wir den Gefühlen der Anderen zu wenig Gewicht geben, auch wenn wir deren Gefühle oft verlässlicher einschätzen können als unsere eigenen. Die Selbsterforschungsillusion kann dazu führen, dass ich als sicher wahr empfundene, aber tatsächlich falsche Annahmen darüber habe, warum ich etwas tue. Dies führt auch zu falschen Annahmen darüber, wie sich eine Entscheidung auf mein zukünftiges Empfinden auswirkt. Ich denke, es ist angemessen, die eigenen Gefühle achtsam wahrzunehmen, ernst zu nehmen und sich darüber bewusst zu werden. Aber man darf seine Gefühle auch nicht mit einer magischen Bedeutung belegen, die sie nicht haben. Für viele Entscheidungen sind sie nicht das Maß aller Dinge, auch wenn wir uns das manchmal wünschen. Die gute alte Pro-/Contra-Liste für eine Entscheidung, angefüllt mit tatsächlichen Vor- und Nachteilen, ist oft die bessere Entscheidungsgrundlage. Das ist ein bisschen gegen den Mainstream, aber ich denke, es ist dennoch wahr. Die Idee dazu habe ich übrigens bei der Lektüre des Buches „Die Kunst des guten Lebens: 52 überraschende Wege zum Glück“ von Ralf Dobelli gefunden. Ein prima Buch.

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