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Antwort: Das kommt drauf an.
Als ich vor zwanzig Jahren angefangen habe, in der Psychiatrie Nachtdienste zu machen, da gab es den Richtwert, dass man bei bis zu 2,5 ‰ noch in der Psychiatrischen Klinik aufgenommen werden durfte und bei höheren Werten auf eine internistische Intensivstation verwiesen werden sollte. Damals nahmen die Intensivstationen alkoholintoxizierte Patienten auch noch ganz gerne auf. Es ist nicht ganz leicht, zu sagen, wo dieser Richtwert von 2,5 ‰ herkam. Am ehesten gibt es eine Entsprechung im Strafrecht. Dort gibt es zwar keine festgeschriebenen Werte, es ist aber eine ungeschriebene Daumenregel, dass bei Angeklagten mit mehr als 2,5 ‰ zum Tatzeitpunkt im Zweifel alle Prozessbeteiligten erwarten, dass eine reduzierte Schuldfähigkeit zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Der Gutachter kann zwar auch argumentieren, es bestehe in diesem Fall eine erhaltene Schuldfähigkeit trotz mehr als 2,5 ‰, er muss das dann aber schon nachvollziehbar begründen. Aber mit der Aufnahme auf eine psychiatrische oder eine internistische Station hat das genauer betrachtet eigentlich nichts zu tun, oder?
Was spricht für eine Intensivstation?
Der Vorteil einer Intensivstation liegt darin, dass die Sicherheit wesentlich höher ist, sofort mitzubekommen, wenn etwas Gefährliches passiert und dann sofort reagieren zu können. Was könnte denn passieren?
- Der Patient könnte ein Delir entwickeln. Das passiert aber in der Regel erst am dritten bis vierten Tag ohne Alkohol. Das ist sicher kein Grund für eine Intensivstation.
- Der Patient könnte einen Krampfanfall bekommen. Das passiert allerdings erfahrungsgemäß erst bei weniger als einem Promille, zumeist erst bei Nüchternheit. Und den Krampfanfall bekommt man auch in der Psychiatrischen Klinik mit und kann damit auch problemlos umgehen. Schwierig wäre erst ein status epilepticus, aber den bekommt man auf jeden Fall mit, wenn man 15- minütige Überwachungsintervalle anordnet.
- Der Patient könnte somnolent bis komatös werden, aspirieren, also sein Erbrochenes einatmen und daran entweder ersticken oder zumindest eine Aspirationspneumonie entwickeln. Das ist eine reale Gefahr, die für eine kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen spricht.
- Der Patient könnte eine aus einer anderen begleitenden Erkrankung resultierende medizinische Symptomatik entwickeln, die durch die Alkoholintoxikation verdeckt wird, etwa eine Hypoglykämie oder eine Hypertone Krise. Diese Gefahr ist insbesondere dann gegeben, wenn über den Patienten keine ausreichenden Informationen vorliegen.
Welches Vorgehen ist aktuell üblich?
Inzwischen ist es üblich, die Entscheidung, auf welche Station ein alkoholintoxizierter Patient aufgenommen werden soll, vom klinischen Zustand des Patienten abhängig zu machen. Wenn ein junger, den Alkohol nicht gewohnter Patient mit 2 ‰ nicht mehr stand- und gangsicher ist, immer wieder einschläft, dann kaum erweckbar ist und das Vertrauen in dessen Schutzreflexe nachvollziehbar erschüttert ist, dann ist dieser Patient auf einer Station mit kontinuierlicher Überwachung wie einer Intermediate-Care-Station mit Monitorüberwachung oder einer Intensivstation sicher besser aufgehoben als auf einer geschützten psychiatrischen Station, auf der kein Monitor zur Verfügung steht und die Beobachtung nicht kontinuierlich erfolgt.
Wenn andererseits ein bekannter Patient mit 4 ‰ noch gang- und standsicher ist und er in der Vergangenheit schon wiederholt seien Rausch komplikationslos auch von solchen Ausgangswerten aus ausgeschlafen hat, kann man ihn sicher bedenkenlos in einer psychiatrischen Klinik aufnehmen und angemessene Überwachungsintervalle festlegen.
Es gibt irgendwann in den ganz hohen Bereichen, vielleicht ab 4 ‰, sicher ab 5 ‰ Werte, die dazu führen sollten, dass man den Patienten kontinuierlich überwacht, einfach weil die Vorhersagbarkeit der Vigilanz und die Verlässlichkeit der Schutzreflexe bei so hohen Intoxikationen stark abnimmt. Einen gang- und standsicheren, wachen Patienten mit 5 ‰ würde ich auf eine Intensivstation vermitteln, um sicherzustellen, dass er nicht plötzlich eintrübt, aspiriert und daran letztlich stirbt. Nach teilweiser Detoxikation, am nächsten Morgen, nach 12 Stunden, bei weniger als 1,5 ‰ oder was immer angemessen erscheint, kann dieser Patient dann zurück in die Psychiatrie übernommen werden.
Für eine Intensivstation sprechen also folgende Punkte:
- Erhebliche Vigilanzminderung
- Unzuverlässige Schutzreflexe
- Unbekannter Patient mit hoher Intoxikation
- Potenziell gefährliche Begleiterkrankungen
- Sehr hohe Alkoholintoxikation mit Werten über 4 bis 5 ‰
- Nicht ausgeschlossene Mischintoxikation (z.B. mit trizyklischen Antidepressiva…)
Euer Vorgehen?
Ich weiß, „Kommt drauf an“ ist nicht die einfachste, aber in diesem Fall wohl die richtige Antwort.
Wie handhabt ihr das bei euch? Gibt es feste Promillewerte, habt ihr in eurem Krankenhaus operationalisiert, wonach entschieden wird, wer auf welche Station aufgenommen wird? Schreibt euer Vorgehen gerne hier in die Kommentare!
Hallo liebe Kolleginnen und Kollegen.
„Kommt drauf an“ Ist bei uns die einfachste aber selten die richtige Antwort.
Ich als ehemals über 25 Jahre auf der Intensivstation arbeitender Krankenpfleger kann sagen das es für die Entscheidung einen Alkoholisierten Menschen auf der INT auf zu nehmen kein richtig und kein falsch gibt. Die in diesem Beitrag genannten Punkte für die Überwachung auf einer INT sind wohl ganz klar.
Aufnehmen, Anamnese mit allem was dazu gehört, Monitoring und bald möglichst wieder entlassen.
Für auf einer INT arbeitende Kollegen eher sehr „ungeliebt“.
Es ist halt viel zu tun (eher administrativ) und am Ende sieht man den selben Menschen in ein paar Tagen wieder in der gleichen Situation.
Dennoch habe ich immer gedacht und denke auch noch heute das eine INT der richtige Raum für Alkohol Intoxikierte Patienten ist und zwar egal welchen Promille Gehalt sie bieten.
Ich kenne bisher keine INT auf dem diese Patienten operationalisiert werden, wo es ein festen und vor allem auch sensiblen Umgang damit gibt.
Meiner Meinung nach fehlt das komplett!
Nun bin ich seit einigen Jahren auf einer geschützt/geschlossenen Psych Abteilung tätig.
Wichtig ist das diese Haus aus nur aus einer Internistischen und Psychiatrischen Abteilung besteht.
Größenverhätniss ungefähr gleich. Incl. einer Internistischen INT mit 6 Betten.
Es befindet sich in einer Großstadt.
Ergo zieht es gerade in den Abend- und Nachtstunden die Alkoholisierten Menschen gerade zu an.
Die Entscheidung ob der Patient auf der INT oder auf der geschlossenen Psych. Abteilung aufgenommen wird hängt meißt davon ab welcher Arzt bzw. welches Pflegepersonal gerade Dienst hat und ob der Patient schon bekannt ist.
Welches Personal auf der INT gerade Dienst hat ist davon von besonderer Bedeutung.
Ich möchte dies nun mal so stehen lassen und bin gespannt ob es dazu noch Fragen oder Kommentare gibt denen ich mich gerne stelle und ich wäre froh über Eintragungen bei denen es klar definierter geregelt ist.
Hi Olaf! Vielen Dank für Deinen Bericht! Eigentlich wäre euer Haus ja ideal dafür geeignet, dass sich die beiden Teams von der geschlossenen und der Intensivstation mal zusammensetzen und ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen beschliessen…
Danke für den Artikel!
Wir verfolgen an unserer Abteilung weitestgehend das selbe Vorgehen, wie von dir beschrieben und entscheiden in erster Linie nach dem klinischen Bild des Patienten. Leider kenne ich auch das von Olaf beschriebene Procedere nur zu gut; va was die internistische Aufnahmebereitschaft betrifft ist diese sehr stark vom diensthabenden Arzt abhängig, ungeachtet des klinischen Bildes. Leider trifft dies jedoch gelegentlich auch auf andere Situationen (wie zb Medikamentenintoxikation) zu.
Auch gibt es an unserer psychiatrischen Abteilung den einen oder anderen Kollegen, der gerne jeden substanzbeeinträchtigten Patienten zur Überwachung schieben würde.
Letztlich denke ich, dass die Entscheidung immer gemeinsam mit den diensthabenden Pflegepersonen gefällt werden sollte, da diese die intensive Betreuung übernehmen, auch wenn ich als Ärztin die Verantwortung trage.