Psychopharmakologisches Fallbeispiel: Umstellung von Clozapin auf ein anderes Medikament

Anamnese

Der 32 jährige Herr Schmitz leidet seit mehr als 10 Jahren an einer chronischen Schizophrenie mit zunehmendem Residuum. Auch in guten Zeiten hört er manchmal bedrohliche Stimmen und wähnt, verfolgt zu werden. Frühere Behandlungsversuche mit Risperidon, Haloperidol und Amisulprid hatten wenig Verbesserung gebracht. Seit zwei Jahren nimmt er nun Clozapin ein, aktuell in einer Dosis von 400 mg pro Tag, worunter der Blutspiegel im therapeutischen Bereich liegt. Unter dieser Medikation ist er recht stabil, hört nur noch sehr selten Stimmen, oft tagelang gar nicht und spricht kaum über Wahnsymptome. Er ist seit einigen Monaten in einer betreuten Werkstatt tätig und kommt hier recht gut zurecht.

Aktuelles Problem

Bei Herrn Schmitz ist es seit drei Tagen zu einer akuten Entzündung der Ohrspeicheldrüse (Parotitis) gekommen, dies kann eine Nebenwirkung von Clozapin sein. Die Entzündung ist sehr schmerzhaft und Herr Schmitz lehnt es ab, weiterhin Clozapin zu nehmen. Er ist aber einverstanden, auf ein anderes Antipsychotikum umgestellt zu werden. Welches würdest Du ihm empfehlen?

Was würdest Du geben?

Halt an dieser Stelle einmal inne und überleg dir: Welches Antipsychotikum würdest Du ihm empfehlen? Warum hast Du Dich genau für diesen Vorschlag entschieden?

Gibt es bei dieser Wahl eine rationale Antwort?

Clozapin wurde aufgrund einer möglichen Nebenwirkung aufgegeben, nicht aufgrund mangelnder Wirksamkeit. Daher sollten wir als nächstes dasjenige Antipsychotikum aussuchen, dass Clozapin in Bezug auf sein Rezeptorbindungsprofil am ähnlichsten ist, hoffentlich, ohne die spezielle Nebenwirkung einer Parotitis zu verursachen.

Welches andere Antipsychotikum hat ein ähnliches Rezeptorbindungsprofil wie Clozapin?

Schauen wir und die Rezeptorbindungsprofile der wichtigsten Antipsychotika daher einmal genauer an: Warum Clozapin auch bei sonst therapieresistenten Patienten manchmal besonders gut wirkt, ist letztlich nicht geklärt. Man vermutet, dass die relativ starke D3 und D4-Blockade bei relativ schwacher D2-Blockade eine Rolle spielen kann. Die antiserotonerge 5HT2A-Blockade könnte über eine hieraus resultierende erhöhte Dopaminausschüttung in bestimmten Hirnarealen für die gering bis gar nicht vorhandenen EPMS-Symptome verantwortlich sein. Man kann nun lange grübeln, welches andere Antipsychotikum dem Clozapin am ehesten ähnelt. Ich würde in Übereinstimmung mit vielen Psychopharmakologen sagen, dass Olanzapin ebenfalls eine relativ ausgeprägte D3/D4-Blockade macht, allerdings auch eine stärkere D2-Blockade. Wie Clozapin blockiert es den 5HT2A-Rezeptor, und es hat ebenfalls eine recht ausgeprägte sedierende Eigenschaft, vermittelt über die Histamin- und Muskarin-Rezeptorblockaden.

Wie ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch Olanzapin eine Parotitis verursacht?

Die Vergrößerung der Ohrspeicheldrüse wird in der Fachinfo von Clozapin als „Sehr seltene“ (\<1/10.000) Nebenwirkung genannt. Kennt man den Mechanismus, der zur Parotitis führen kann? Man geht davon aus, dass der erhöhte Speichelfluß unter Clozapin auf eine reduzierte Schluckfähigkeit zurück zu führen ist; die durch die Blockade des Acetylcholin-M1-Rezeptors verursachte Mundtrockenheit wiegt diese Schluckstörung nicht auf. Wie dies aber die seltene Nebenwirkung einer Parotitis begünstigt, ist nicht klar. Wie sieht’s bei Olanzapin mit Parotitiden aus? In der Fachinfo von Olanzapin erscheint diese Nebenwirkung nicht. Man darf also hoffen, dass es unter Olanzapin nicht zu einer Parotitis kommt.

Mein Vorschlag: Umstellung auf Olanzapin

Daher würde ich in dieser Situation am ehesten vorschlagen, Clozapin auf Olanzapin umzustellen. Es hat eine relativ große Ähnlichkeit zu Clozapin, verursacht aber laut Fachinfo keine Parotitiden.

Clozapin-Absetzsyndrom

Wenn man Clozapin nach längerer Gabe, wie im hier beschriebenen Fall, absetzt, kann es zu einem schweren Clozapin-Absetzsyndrom kommen. Dies kann sich als Absetzpsychose, Delir oder Unruhezustand zeigen. Ursächlich hierfür ist am ehesten der plötzliche Wegfall der anticholinergen Komponente. Daher sollte man ein anderes anticholinerg wirksames Medikament wie beispielsweise Promethazin übergangsweise geben. Die sofortige Eindosierung eines bezüglich des Rezeptorbindungsprofils ähnlichen Medikamentes kann der Absetzpsychose entgegenwirken.

Was hättest Du getan?

Schreib Dein Vorgehen in die Kommentare!

6 Gedanken zu “Psychopharmakologisches Fallbeispiel: Umstellung von Clozapin auf ein anderes Medikament

  1. Daniel 3. Dezember 2018 / 08:52

    Hallo Jan,
    ich hätte auch für Olanzapin plädiert, aus den von Dir genannten Gründen.
    Wie genau würdest Du umstellen? Wenn der Pat. das Clozapin nicht mehr nehmen will, kann man ja nicht ausschleichen/eindosieren. Also Dosisäquivalent auf einmal umstellen? Das wären dann Olanzapin 20 mg? Und in der Umstellungsphase Promatheazin sicherheitshalber dazugeben?

    Danke für die alltagspraktischen Tipps!

    P.S.: Bei dem Rezeptorbindungsprofil von Clozapin hat sich ein Fehler eingeschlichen, da gibt es zweimal „H1“. Das obere müsste „M1“ sein.

  2. Dr. Jan Dreher 3. Dezember 2018 / 13:19

    Hallo Daniel,
    vielen Dank für deinen Hinweis! Du hast genau recht: In den Graphiken für Clozapin muss es oben M1 statt zum zweiten mal H1 heißen. Hier in diesem post habe ich es jetzt korrigiert, im Buch muss ich es für die nächste Auflage korrigieren. Danke!
    Tatsächlich würde ich Olanzapin ziemlich rasch eindosieren, so 10 mg am ersten Tag ohne Clozapin und dann alle zwei Tage um 5 mg steigern, um dann auf 20 mg zu kommen, wenn das das Ziel ist. Und Promethazin würde ich in den ersten Tagen fest anordnen, in der Größenordnung von 4*25 mg.
    Vielen Dank noch mal und beste Grüße,
    Dein Jan

    • grmblfx 3. Dezember 2018 / 15:25

      Hallo Jan,

      danke für die rasche Antwort! An die „Überbrückung“ mit Promethazin hätte ich nicht gedacht, werde in Zukunft wirklich genauer auf die Rezeptorbindungsprofile schauen. Ich habe ja noch die erste Ausgabe Deines Buches, wo diese noch nicht abgebildet waren, aber ich habe mir die Abbildungen von hier lokal gespeichert, so dass ich sie immer verfügbar habe.
      Viele Grüße
      Daniel

  3. Mike 3. Dezember 2018 / 13:40

    Hallo Jan,
    aus meiner Sicht steht nicht immer eine medizinisch abschätzbare Indikation oder Wirkung im Vordergrund, nicht umsonst gibt es den „Off-Label-Use“, weshalb ich es ohne Rücksicht auf die geometrische Strukturformel der Präparate mit Neurocil (Levomepromazin) versuchen würde.

  4. Mario Koller 4. Dezember 2018 / 13:20

    HIER sind nur die Medikamente schuld.Miese Psychartrie und ihre menschenunwürdigen Pharmafirmen.Neuroleptika sind der größte Arzneimittelskandal des 20.Jahrhunderts seit dem Conterganskandal.

  5. Jochen 9. Dezember 2018 / 12:26

    Bei allem Respekt, ich halte das im Beitrag geschilderte Vorgehen für unverantwortlich.

    Zunächst: Therapieresistante Positivsymptomatik und kein Ansprechen auf zwei reine DRD2- und einen kombinierten DRD2/5-HT2a-Antagonisten und es braucht 8 Jahre (!!), damit man auf die Idee kommt, einen Versuch mit Clozapin zu unternehmen!?

    Die Umstellung auf Olanzapin bei vorheriger Non-Response auf Risperidon, Haloperidol und Amisulprid hat den gleichen Evidenzgrad wie Homöopathie, Akupunktur und Chiropraktik, nämlich gar keinen. Strukturchemische und pharmakodynamische Ähnlichkeit hin oder her, das einzige Neuroleptikum mit reproduzierbar belegter Wirksamkeit bei Scheitern von mindestens zweien solcher in der Vergangenheit ist Clozapin. Punkt.

    Für eine Umstellung von Clozapin, das ja für therapieresistente Verläufe reserviert ist, auf andere Neuroleptika gibt es – das traue ich mich so pauschal zu behaupten – nie einen Grund. Das gilt erst recht für Patienten, bei denen selbst unter Clozapin residuelle Positivsymptomatik persistiert (Nicht über Wahnsymptome zu sprechen, bedeutet nicht keine zu haben: Unbedingt genauer explorieren!). Wenn Clozapin nicht vertragen wird, rechtfertigt das nicht die alibihafte Verschreibung einer im konkreten Fall höchstwahrscheinlich unwirksamen Scheinalternative.

    Meine Vorgehensweise: Ich würde dem Patienten auf eine nicht-defätistische Weise und in verständlicher Sprache behutsam vermitteln, dass bei vorherigem Nicht-Ansprechen auf mehrere Substanzen trotz ädaquatem Drug Monitoring kein wissenschaftlich belastbarer Wirksamkeitsnachweis von Nicht-Clozapin-Neuroleptika existiert.

    Er hat also die Wahl, entweder Clozapin weiterhin zu nehmen und dabei eventuell gelegentliche Parotitiden zu tolerieren, die dann natürlich durch die somatische Medizin angemessen behandelt gehören, inklusive Schmerztherapie und eventueller Antibiose. Außerdem Klärung vermeidbarer, ätiologischer Faktoren (Komedikation durch Diuretika/etc., Trinkverhalten, Rauchen, etc.).

    Oder aber er setzt unter intensiver, psychotherapeutischer Betreuung Clozapin äußerst kleinschrittig (max. -25 mg/Woche) ab, insbesondere wenn selbst dessen Wirkung eher unzureichend zu sein scheint. Die Behandlung verschiebt sich dann von symptomatischer Therapie auf Coping-Maßnahmen: Anleitung zum „Aushalten“ bedrohlicher Stimmen und zur selbstständigen Überprüfung von Verfolgungsideation, psychosoziale Einbindung und Notfallmaßnahmen.

    Während des Absetzens und min. eines halbes Jahr danach sollte insbesondere die Positivsymptomatik regelmäßig durch psychometrische Tests (und nicht durch bloßen „Augenschein“) erfasst werden um festzustellen, ob es sich bei dem konkreten Patienten eventuell sogar um einen Clozapin-Non-Responder handelt.

    Unabhängig von diesem Verfahren würde ich wegen der persistenten Positivsymptomatik einen grundlegenen Check auf somatische Komorbiditäten anleiern, die eventuell den Krankheitsverlauf verkomplizieren könnten.

    Interessant auch: Wie sieht es mit Kognition und Negativsymptomatik aus? Gibt es in der Vorgeschichte Substanzmissbrauch? Wie ist der allgemeine Krankheitsverlauf (eher episodisch-remittierend oder eher progredient)?

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