Zweiter Tag des LVR-Symposiums Köln

Auch heute schreibe ich keine vollständige Zusammenfassung, sondern teile einige Schlaglichter, die ich besonders interessant fand:

Fr. Prof. Herpertz sprach über störungsspezifische Psychotherapieen

  • Sie wirbt für den stationären Rahmen für eine modulare Psychotherapie, bei den jedes Modul einen gemeinsamen Wirkfaktor der verschiedener Psychotherapieverfahren in den Focus nimmt, um Patienten mit verschiedenen Erkrankungen jeweils für sie passende Elemente anbieten zu können. So könnte ein Patient an einer Gruppe zur Unterstützung beim Problemlöseverhalten, einer Gruppe zur Verbesserung der Emotionsregulation und einer Gruppe zur Stärkung des Selbstwertgefühles teilnehmen. In der Einzelpsychotherapie können dann zusätzlich sehr patientenindividuelle Themen besprochen werden.
  • Sie schlägt auch vor, dass jede psychiatrische Oberärzt:in pro Woche 90 Minuten Supervision für die ihr/ihm zugeteilten Assistenz:ärztinnen und PiA´s anbietet. Nicht nur im Weiterbildungsangebot der DGPPN mit dem Thema Supervision für Oberärzte stelle man fest, dass hier ein großer Bedarf bestehe. Externe Ausbildungsinstitute seien zwar gut, aber sie habe an ihrer Klinik festgestellt, dass die Psychotherapeutische Kompetenz der Mitarbeiter:innen ihrer Klinik erheblich von einem Supervisionsprogramm vor Ort mit den eigenen Mitarbeiter:innen profitiert habe.

Prof. Linden sprach über Nebenwirkungen der Psychotherapie

  • Graduierte Konfrontation mit Reaktionsmanagement in der VT ist weit weniger unangenehm als „Flooding“ (Überflutung mit unangenehmen Affekten durch eine extreme Exposition). Sie ist aber gleich wirksam und daher zu bevorzugen. Dies ist ein Beispiel für nebenwirkungsgeleitete Entscheidungen über die Wahl eines Psychotherapieverfahrens.
  • Die Induktion von false memories ist eine typische mögliche Nebenwirkung gerade von imaginativen Psychotherapieverfahren. Diese können erhebliche psychologische und rechtliche Konsequenzen haben. In Amerika, zunehmend auch in Europa, habe es eine Vielzahl von erfolgreichen Klagen gegen Psychotherapeuten aufgrund der Induktion von false memories gegeben.
  • Die Diskussion von Nebenwirkungen der Psychotherapie gehöre in jede PT-Supervision.

Prof. Berger zur Evidenzbasierung der Psychotherapien

  • Problem Soulving Psychotherapy und CBASP sind für die Depressionsbehandlung am besten evidenzbasiert, werden aber nur sehr selten in der freien Wildbahn angewendet. Berger nennt einige Teile der aktuellen Diskussion die Not-State-Of-The-Art-Psychotherapien
  • Der Einfluß von publication bias und von finanziellen Interessen sind bei Psychotherapiestudien genau so ausgeprägt wie bei Medikamentenstudien.
  • Um einen Wirksamkeitsunterschied zwischen zwei Psychotherapieverfahren mit einer Effektstärke von 0,24 (das ist gerade klinisch relevant) aufzudecken, braucht jeder Therapiearm 550 Patienten. Das heißt, dass einzelne Studien mit einer Probandenanzahl von weniger als 1100 Probanden keine Aussagekraft haben können, ob eine Psychotherapieform der anderen überlegen ist. Diese Aussage kann erst in Metaanalysen sehr vieler Studien mit insgesamt mehr als 1100 Probanden getroffen werden. Diese zusammengefassten Studien müssten alle von guter Qualität sein, also als Kontrollgruppe keine Wartelistenbedingung haben, randomisiert sein und noch eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen. Ich sagˋ mal so: Es gibt in der Tat noch viel Forschungsbedarf.
  • Manchmal ist der Begriff Mißhandlung passender als der Begriff Traumatisierung.
  • Die biologische Psychiatrie hat bislang leider keinen Beitrag zu einer Unterscheidung innerhalb der Gruppe der Depressionen beigetragen.😒

Fr. Prof. Gouzoulis-Mayfrank sprach über aktuelle Herausforderungen in der psychiatrischen Versorgung

  • Das Ziel der möglichst weitgehenden gemeindenahen Versorgung steht in einem Spannungsverhältnis mit dem Ziel, spezialisierte somatische und psychotherapeutische Behandlungsformen anbieten zu können. Möglicherweise führt uns der Weg, wie in der Somatik, zu einem Nebeneinander von gemeindenaher Grundversorgung und spezialisierteren Angeboten in größeren Zentren. Es gäbe dann auch in der Psychiatrie Kliniken und Tageskliniken der Grund- und Regelversorgung, Spezialisierte Angebote und Maximalversorger.
  • Auf dem Weg zu weniger Zwangsmaßnahmen profitieren Stationen von einem vielseitigen Angebot. In einem Projekt der LVR-Klinik Köln auf einer allgemeinpsychiatrischen Akutstation hat es sich bewährt, die Stationsregeln kritisch zu überprüfen und zu liberalisieren, die freie Nutzung von Mobiltelefonen zu erlauben, einen Zugang zu einem geschützten Garten zu schaffen, das Personal in Deeskalation zu schulen und auch die Stationstür zeitweise zu öffnen.

eMental Health

  • Moodgym Kostenloses Online Programm, um selbst mit Depressionen besser umgehen zu können. Bausteine: Gefühle, Gedanken, Stress, Beziehungen, Alternative Gedanken entwickeln, Arbeitsbuch. Ist gedacht als Zusätzlicher Therapiebaustein zur üblichen Offline-Therapie. In einer wissenschaftlichen Studie verbesserte es depressive Symptome bei leicht- und mittelgradig depressiven Patienten aus der Hausarztpraxis. Hier kann es als komplementäres Programm empfohlen werden. Auch in Kliniken könne es als komplementäres Angebot eingesetzt werden.
  • Selfapy Teilweise krankenkassenerstattungsfähiges psychologisches Online-Angebot.
  • deprexis Schon länger auf dem Markt, kostenpflichtig, auch als komplementäres Angebot konzipiert.
  • Freunde fürs Leben ist ein Verein, in dem sich Prominente, die einen nahestehenden Menschen durch Suizid verloren haben, über soziale Medien an die Öffentlichkeit wenden und Aufklärung betreiben.
  • Gatekeeping-Projekt: Auf Webseiten mit suizidtypischen Schlagworten wird Werbung für emailgestützte Krisenberatung geschaltet
  • jugendnotmail.de: Vertrauliche und kostenlose Beratung durch Fachkräfte.
  • neuhland.net Beratungsangebot einschließlich 1on1 Chat für Jugendliche und junge Erwachsene.
  • netstep Online Programm zur Psychotherapie mit menschlichen Psychotherapeuten. Ein Projekt des AJK Neuss.

Genetik:

  • „Wenn sie schon mal in einen Eineiigen Zwilling verliebt waren, dann wissen sie, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass sie auch in den anderen Eineiigen Zwilling verliebt sind.“

3 Gedanken zu “Zweiter Tag des LVR-Symposiums Köln

  1. Jochen 2. Februar 2019 / 09:10

    „Sie wirbt für den stationären Rahmen für eine modulare Psychotherapie, bei den jedes Modul einen gemeinsamen Wirkfaktor der verschiedener Psychotherapieverfahren in den Focus nimmt, um Patienten mit verschiedenen Erkrankungen jeweils für sie passende Elemente anbieten zu können.“

    Diese Empfehlung finde ich offen gestanden etwas verwunderlich, da die Psychotherapieforschung nicht in der Lage zu sein scheint, überhaupt irgendwelche SPEZIFISCHEN Wirkfaktoren auszumachen.

    Alle diskutierten „specific ingredients“ erklären zusammen nicht einmal 2% der Outcome-Varianz, was entweder bedeutet, dass sie über alle Psychotherapieformen gleichförmig verteilt, also – anders gesprochen – doch unspezifisch sind oder allgemein überhaupt keine Rolle spielen. Von daher sind alle (bekannten) Einflussfaktoren auf die Varianz der Outcomes ohnehin gemeinsam und diese Empfehlung trivial.

    https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fa0034332 (Table 1)

    „Problem Soulving Psychotherapy und CBASP sind für die Depressionsbehandlung am besten evidenzbasiert, werden aber nur sehr selten in der freien Wildbahn angewendet.“

    Die Evidenz für CBASP würde ich als eher schwach einschätzen. CBASP wirbt explizit damit, ein Verfahren gegen chronische Depression zu sein. Es gibt aber offenbar nur 6 Studien, davon nur 2 mit nennenswertem Stichprobenumfang, nämlich Keller et al. (2000) und Kocsis et al. (2009):
    https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/brb3.486

    Erstere testeten in einem dreiarmigen Design gegen Nefazodon (CBASP vs. Nefazodon vs. CBASP + Nefazodon), ein Nischen-Antidepressivum mit kurzer Marktverweildauer wegen Transaminasenanstiegs, mit dem wenig klinische Erfahrung und vor allem keine Evidenz zur Wirkung bei Chronizität, Dysthymie, „double depression“, Therapieresistenz oder ähnlichem vorliegt. Trotzdem ist kein signifikanter Unterschied zwischen CBASP und Nefazodon zu finden, allein die Kombination ist geringfügig besser:
    https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM200005183422001

    Letztere verglichen jeweils „fortgesetzte“ Pharmakotherapie und zusätzlich entweder CBASP, „brief supportive psychotherapy“ und „optimierte“ Pharmakotherapie. Im Gegensatz zu Keller et al. ist hier die Kombination von Pharmakotherapie und CBASP der alleinigen (flexiblen) Pharmakotherapie nicht überlegen. Zusätzlich liefert die „brief supportive psychotherapy“ keine schlechteren Ergebnisse als die theoretisch viel komplexere und daher aufwendigere CBASP:
    https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/fullarticle/210393

  2. Mona 4. Februar 2019 / 19:37

    Der „Evidenzbasierung der Psychotherapien“-Vortrag kommt mir sehr interessant vor.

    Für den Podcast könnte doch das Thema false memories spannend sein. Ich glaub so allgemein, was das ist, kam es schonmal vor, oder? Aber so ganz praktisch, wie Therapeuten und Patienten damit umgehen sollten oder wie man drauf aufmerksam wird usw., stelle ich mir interessant vor.

  3. grmblfx 5. Februar 2019 / 17:04

    Hallo Jan,

    danke für die interessanten Infos! Du schreibst, „Berger nennt einige Teile der aktuellen Diskussion die Not-State-Of-The-Art-Psychotherapien“

    Kannst Du Dich erinnern, welches nach Berger diese Therapien sind bzw. worauf er sich damit bezieht?

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