Deeskalationstraining

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Photo by Heather M. Edwards on Unsplash

Der 23-jährige Patient kommt vom Rettungsdienst gebracht erstmalig auf unsere Aufnahmestation. Im Einsatzprotokoll steht, er habe Amphetamine konsumiert und sei nun „fremdaggressiv und steuerungsunfähig“. Auf der Station angekommen ist er laut, läuft getrieben auf und ab und zeigt sich aversiv. Ein ruhiges Gespräch erscheint zunächst unmöglich, er besteht aber darauf, sofort raus zu dürfen. 

Diese Situation kann schnell gefährlich werden. Das psychiatrische Behandlungsteam muss die Gefährdung durch diesen Patienten einschätzen; wenn eine akute Gefahr für ihn oder andere besteht, kann eine kurzzeitige Zwangsunterbringung erforderlich sein. Wenn die eingeforderte sofortige Entlassung aber nicht möglich ist, ist bei einem amphetaminintoxizierten Patienten auch gewalttätiges Verhalten gegenüber Mitarbeitern vorstellbar. 

Eine ruhige, klare und zielorientierte Gesprächsführung kann hier helfen, eine körperliche Auseinandersetzung zu verhindern. Der Patient möchte sofort wissen, wie es jetzt weitergehen wird, und sein Gesprächspartner im Team kann ihm erklären, was als nächstes passiert. Wie könnte so ein Gespräch aussehen?

Patient: „Lass mich raus! Ich will nach Hause, lass mich sofort hier raus!”

Arzt: „Sie wollen jetzt hier raus, sie wollen nach Hause. Das kann ich verstehen.”

Patient: „Du verstehst gar nichts! Was willst Du überhaupt von mir? Lass mich hier jetzt raus!”

Arzt: „Mein Name ist Müller, ich bin der für Sie zuständige Stationsarzt. Ich bin im Moment in erster Linie dafür zuständig, dass hier alle in Sicherheit sind. Dass sie und alle anderen in Sicherheit sind.”

Patient: „Quatsch Sicherheit. Was redest du hier von Sicherheit? Ich will nach Hause! Lass mich jetzt endlich hier raus!”

Arzt: „Ich will mir erst mal ein Bild machen, was hier überhaupt los ist. Erklären sie mir, was los ist?”

Patient: „Das kann ich ihnen gerne erklären, aber dann will ich hier raus!”

Arzt: „Na gut, dann frage ich sie mal ganz direkt: Die Rettungsassistenten, die sie gebracht haben, haben berichtet, sie seien auf einer Party ziemlich ausgerastet. Stimmt das?”

Patient: „Quatsch! Ich habe mir bloß von den Idioten nicht sagen lassen, wie laut ich Party mache. Ich bin nicht ausgerastet!”

Arzt: „OK; ich habe jetzt die Aufgabe, zu prüfen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Ich will den Einsatzbericht lesen und sie kurz untersuchen. Danach besprechen wir, wie es weitergeht. Ist das OK für sie?”

Patient: „Ja klar, quatschen wir. Aber dann gehe ich!”

Arzt: „Je nach dem, wie ich die Situation einschätze, kann es auch sein, dass ich sie bitten muss, hier erst mal ihren Rausch auszuschlafen und morgen zu gehen. Aber lassen sie uns erst einmal reden. OK?”

Patient: „Reden können wir. Aber ich bin nicht gefährlich und ich will gleich nach Hause.”

Arzt:“ OK, es ist gut, dass wir jetzt erstmal reden und die Situation klären können. Kommen sie, wir setzen uns erst mal hier hin.”

Patient: „Von mir aus. Haben Sie was zu trinken? Ich habe tierischen Durst.”

Arzt: „Klar. Ich habe hier Mineralwasser. Bitte sehr…”

Um in einem Gespräch erst mal einen vernünftigen Kontakt herzustellen, ist es wichtig, dass der Patient erkennt, dass sein Gesprächspartner ihn wirklich verstehen will, dass der Gesprächspartner nicht nur seinen eigenen Text abspulen und seine eigenen Ziele verfolgen will. Gleichzeitig ist es erforderlich, unverrückbar bei der Wahrheit zu bleiben, und die ist nun mal auch, dass das Behandlungsteam für die Sicherheit verantwortlich ist und alles nicht so schnell geht, wie der Patient sich das wünscht. Das Gespräch oben ist natürlich etwas verkürzt, aber es könnte schon so ähnlich ablaufen… 

Brenzlige Situationen können sehr unterschiedlich sein, und die Herangehensweise ist es dementsprechend auch. Einem dementen Patienten, der glaubt, in einen Keller eingeschlossen zu sein, tritt man anders gegenüber als einem psychotischen Patienten, und dem anders als einem intoxizierten Patienten. 

Zum Glück kann man herausfordernde Situationen dieser Art ganz gut trainieren. Und genau das habe ich letzte Woche über zwei Tage lang gemacht. In unserem Krankenhaus ist ein solches Deeskalationstraining für alle Mitarbeiter, die Patientenkontakt haben, alle zwei Jahre verbindlich vorgeschrieben. Im Training, wir machen es nach ProDeMa, lernt man, wie man mit größtmöglicher Sicherheit für alle Beteiligten, also Mitarbeiter und Patienten, kritische Situationen deeskalieren kann. Nach einem Theorieteil zur Entstehung von gefährlichen Situationen lernt und übt man zuerst verbale Deeskalationsstrategien. In einem zweiten Teil lernt und übt man, sich zu befreien, wenn man etwa festgehalten wird. Und schließlich übt man auch, wie man einen Patienten, der immobilisiert werden muss, für alle Beteiligten sicher unter Kontrolle bringen kann. 

Deeskalationskurse sind gute Hilfen, um Zwangsmaßnahmen zu verhindern, oder, wenn sie doch stattfinden müssen, sicherer zu gestalten. Die Zeit für Trainings dieser Art ist sicher gut investiert, sowohl für Teams, die in der Psychiatrie arbeiten, als auch für Teams, die in Notaufnahmen arbeiten.

Habt ihr Erfahrungen mit solchen Situationen? Habt ihr schon mal ein Deeskalationstraining gemacht? Schreibt eure Erfahrungen in die Kommentare!

3 Gedanken zu “Deeskalationstraining

  1. wunschleben 16. Mai 2019 / 23:30

    Ich kenne vor allem das validieren aus dem Alltag mit Demenzerkrankten. Es ist schon unglaublich, wieviel diese Art der Kommunikation ausmacht und wie sehr es hilft. Dem an Demenz erkrankten Menschen, aber auch dem Personal, welches eine (meist) funktionierende Strategie hat, mit solchen oft schwierigen Situationen umzugehen.
    Wir haben bei uns auch extra einen Angehörigenabend, bei dem derartiges thematisiert wird, weil es oft, gerade bei Neuerlrankten, bzw. deren Angehörigen unbekannt ist und es doch für viele Situationen im Alltag einer betreuenden Person helfen kann, den erkrankten in seiner Gesamtheit zu erfassen. Auch wenn man sie nicht immer versteht, hilft Gegendruck u.ä. nicht.
    Wo ich mir solche von Dir beschriebenen Trainings wünschen würde, beim Umgang mit Alkoholisierten/Alkoholkranken, Intoxikation und auch bei Menschen, die eben gewisse Massnahmen nicht verstehen wollen, teils auch können. Es liegt aber auch an meiner eigenen Geschichte, dass ich das nicht kann und auch mit Training Schwierigkeiten hatte das umzusetzen. Daher arbeite ich auch nicht mehr kn der Pflege, sondern Pflegeabrechnung. Leider triggert es mich teils schon, nur schon zu lesen, wie schwierig es mit Menschen ist die ein solches Verhalten zeigen. Hut ab vor jedem meiner Kollegen die es können und auch und besonders vor denen, die ihre Grenzen kennen und Hilfe annehmen, wenn es im Job / Team mal nicht mehr geht. Da stellt uns unser Arbeitgeber zum Glück auch professionelle Hilfe in Form von externen Coachings zur Verfügung um für alle, inkl. des Bewohners, eine Lösung zu finden.

  2. Hermann 17. Mai 2019 / 18:06

    Hallo Jan,
    ja ein Interessantes Thema. Ich kann aus der Praxis nur bestätigen, dass sich professionelles deeskalierendes Verhalten sehr bewährt. Die beschriebene Haltung ist wichtig. Es ist eine Herausforderung die sich lohnt. Wir werden in unserer Klinik seit über 12 Jahren von KUGA Deeskalationsmanagement geschult. Die „alten“ Kollegen erzählen, dass es ein himmelsweiter Unterschied ist zwischen den „damaligen“ Versuchen vor KUGA und den jetzigen Deeskalationsstrategien. Wer im psychiatrischen Bereich arbeitet tut sich selbst was Gutes, indem er sich diesbezüglich schulen lässt. Egal auf welcher Hierarchieebene man ist.

  3. Kikki 5. Juni 2019 / 16:47

    Meine erster Kontakt in der Psychiatrie – geschlossene psychiatrische Intensivstation – innerhalb von 20 MInuten fixiert worden. Ich hatte starkes ADHS im Erwachsenenalter, war zum Zeitpunkt noch nicht medikamentös drauf eingestellt.
    Es fehlte dem Team noch an Infos wie sie mit solchen Menschen umgehen sollten. Okay – bei mir kann man bei “Kreativitätsschüben“ von aussen wahrlich nicht beurteilen was los ist.

    Durch diese Erfahrung wurde ich zunehmend misstraurischer was die Psychiatrie betraf.

    Dann wurde ich mal ein paar Jahre später nach ProDeMa “deeskaliert“. Wieder auf einer geschlossenen Station – in einer anderen Klinik!
    Das erste Mal hat jemand mich wirklich wahrgenommen. Hat gesehen, dass ich einen übelsten Bewegungsdrang habe. Hat meine Kreativität wahrgenommen.

    Bin dann mit 2 Pflegekräften raus in Garten, habe mich mit Kniebeugen/Situps/Liegestütze ausgetobt.
    Danach habe ich keine Bedarfsmedi mehr gebraucht.

    Meine negativen Erfahrungen von der Klinik haben sich dadurch relativiert und zum Positiven gebessert.
    Es hat bei mir für einen AHA-Moment gesorgt, dass ich für mich und mein Leben verantwortung übernehmen will. Und genügen Ressouren in mir besitze diesen Weg zu gehen.

    Hab den Kontrollverlust abgegeben. Und war schon seit ca. 5 Jahren nicht mehr auf einer geschlossenen Station. Hurra!

    Ich finde ProDeMa richtig gut. Bin froh, dass sowas immer mehr einzug in die Psychiatrie bekommt.

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