Depotneuroleptika

Das Kapitel „Depotneuroleptika“ in meinem Buch benötigte mal wieder eine Aktualisierung, da es mit TREVICTA® und OKEDI® zwei neue Depots auf dem Markt gibt, die ich noch nicht aufgeführt hatte. Ich habe es auch etwas vereinfacht. Wie es hier auf dem Blog guter Brauch ist, stelle ich das Kapitel hier zur Diskussion, mit der Bitte, Fehler, Fehlendes und Verbesserungsvorschläge in die Kommentare zu schreiben. Da der Text später im Buch erscheinen soll, steht er unter Copyright.

Einige der typischen Neuroleptika wie Haloperidol, Flupentixol oder Fluphenazin stehen schon seit Jahrzehnten auch als Depotpräparat zur Verfügung. Diese Darreichungsform galt lange Zeit für eine recht große Patientengruppe als besonders sicher und angemessen. Mit dem Aufkommen der Atypika änderte sich das Verhältnis aus Nutzen und Nachteilen, weil die Typika auch in der Depotform nebenwirkungsreicher sind als die Atypika. Mit Risperidon kam ein erstes Atypikum in Depotform auf den Markt, inzwischen stehen auch Olanzapin und Aripiprazol als Depot zur Verfügung. Paliperidon ist als monatlich oder als 3-monatlich zu gebendes Depot erhältlich. Risperidon steht in einer Formulierung zur Verfügung, die ohne Auftitrierung direkt nach der ersten Depotgabe den endgültigen Blutspiegel aufbaut.

Zum Einsatz eines Depotpräparates gibt es immer wieder unterschiedliche Einschätzungen. Wenn ein psychiatrischer Patient, der eine neuroleptische Medikation benötigt, diese immer wieder nach einer gewissen Zeit gegen ärztlichem Rat absetzt, kommt regelmäßig der Ruf nach einem Depotpräparat auf. Man muss jedoch bedenken, dass ein Patient, der sein Neuroleptikum nicht mehr nehmen möchte, es auch als Depot nicht nehmen wird. Depots haben große Vorteile, wenn jemand zwar alle 2–4 Wochen einen Arzt aufsucht, aber zwischenzeitlich eine Tabletteneinnahme nicht hinbekommt, etwa weil er obdachlos ist und das Depot für ihn praktischer ist. Sie sind auch vorteilhaft, wenn ein Patient die Medikation zwar möchte, aber die Tabletteneinnahme ihm zu lästig oder zu kompliziert ist oder er sie häufig vergisst.

Man muss auf der anderen Seite beachten, dass es bei nicht steril applizierten Depotinjektionen zu einem Spritzenabszess kommen kann, der die Gesundheit erheblich gefährden kann und manchmal zu einer großen Narbe führt. Das passiert mit Tabletten nicht. Das Risiko eines Spritzenabszesses muss einem klaren Vorteil der Depotmedikation gegenübergestellt werden.

Wenn ein Patient ein Neuroleptikum nicht nehmen möchte und es keine gesetzliche Grundlage wie eine Bewährungsauflage gibt, dann kann er auch eine Depotmedikation jederzeit absetzen. Immerhin – man sieht es frühzeitig.

Umstellung einer oralen Gabe auf ein Depot

Bevor man ein Neuroleptikum als Depot gibt, muss man sicherstellen, dass dessen Wirkstoff auch vertragen wird. Es wäre fatal, wenn man eine Substanz als Depot verabreicht, und diese dann starke EPMS, starke Akathisie oder eine andere Nebenwirkung verursacht, denn diese Nebenwirkung würde ja wochenlang bestehen bleiben. Daher muss der Wirkstoff zuerst immer in kurzwirksamer Form, also in der Regel als Tablette gegeben werden. Bei guter Verträglichkeit kann dann auf ein Depot umgestellt werden.

Allerdings führt die erste Gabe bei den meisten Depotpräparaten eben gerade noch nicht zu einem ausreichenden Blutspiegel. Nur Risperidon ISM (OKEDI®) hat eine Pharmakodynamik, die direkt nach der ersten Gabe ausreichende Blutspiegel erzeugt. Bei den anderen Präparaten gibt man eine loading-dose wie bei Xeplion® oder gibt über zwei bis drei Depotintervalle parallel den gleichen Wirkstoff noch in Tablettenform dazu.

Dann stellt sich die Frage nach der Umrechnung einer bisherigen oralen Dosis in eine Depotdosis. Es gibt keine einfache Formel, um die oral gegebene Dosis eines Neuroleptikums in eine Depotdosis umzurechnen. Zur Orientierung habe ich aus den Fachinformationen und teilweise aus meiner klinischen Erfahrung in Tabelle 4.3. vergleichbare orale Dosierungen und Depot-Dosierungen aufgeführt. Im Einzelfall können andere Dosierungen erforderlich sein. Der Tabelle ist auch zu entnehmen, in welchen Dosierungen das jeweilige Depot vorliegt und in welchen Intervallen es zu geben ist.

Dosis in Worten Dosis in Tablettenform Depotdosis
Haloperidol (z.B. Haldol®)
niedrig 2-0-2 mg 40 mg alle 4 Wochen
mittel 4-0-4 mg 80 mg alle 4 Wochen
hoch 6-0-6 mg 120 mg alle 4 Wochen
Flupentixol (z.B. Fluanxol®)
niedrig 4-0-0 mg 20 mg alle 2 Wochen
mittel 10-0-0 mg 50 mg alle 2 Wochen
hoch 10-10-0 mg 100 mg alle 2 Wochen
Fluphenazin (z.B. Lyogen®)
niedrig 2-0-3 mg 25 mg alle 2 Wochen
mittel 5-0-5 mg 50 mg alle 2 Wochen
hoch 10-0-10 mg 100 mg alle 2 Wochen
Risperidon mit 2-wöchiger Gabe (z.B. Risperdal Consta®)
niedrig 0-0-2,5 mg 25 mg alle 2 Wochen
mittel 0-0-4 mg 37,5 mg alle 2 Wochen
hoch 0-0-5 mg 50 mg alle 2 Wochen
Paliperidon mit 4-wöchiger Gabe (Xeplion®)
Xeplion-Einstellung auf jede Dosis immer so beginnen: Tag 1: 150 mg deltoidal, Tag 8: 100 mg deltoidal, danach:
niedrig 3–0–0 mg 50 mg alle 4 Wochen
mittel 6-0-0 mg 75 mg alle 4 Wochen
hoch 6-0-3 mg 100 mg alle 4 Wochen
Paliperidon mit 12-wöchiger Gabe (z.B. TREVICTA®)
Nach viermonatiger Gabe von Xeplion® soll auf die 3,5 fache Dosis TREVICTA® umgestellt werden.
niedrig 50 mg Xeplion® alle vier Wochen 175 mg TREVICTA® mg alle 12 Wochen
mittel 75 mg Xeplion® alle vier Wochen 263 mg TREVICTA® mg alle 12 Wochen
hoch 100 mg Xeplion® alle vier Wochen 350 mg TREVICTA® mg alle 12 Wochen
sehr hoch 150 mg Xeplion® alle vier Wochen 525 mg TREVICTA® mg alle 12 Wochen
Risperidon ISM (z.B. OKEDI®)
OKEDI® kann gegeben werden, wenn sichergestellt ist, dass Risperidon vertragen wird. Es baut den Wirkstoffspiegel direkt mit der ersten Depot-Gabe auf.
niedrig 3-0-0 mg 75 mg alle 4 Wochen
mittel 4-0-0 mg 100 mg alle 4 Wochen
Aripiprazol (z.B. Abilify Maintena®)
mittel 15-0-0 mg 300 mg alle 4 Wochen
hoch 20-0-0 mg 400 mg alle 4 Wochen
Olanzapin (z.B. ZypAdhera®)
niedrig 0-0-10 mg 210 mg alle 2 Wochen oder 405 mg alle 4 Wochen für 8 Wochen. Danach 150 mg alle 2 Wochen oder 300 mg alle 4 Wochen.
mittel 0-0-15 mg 300 mg alle 2 Wochen für 8 Wochen. Danach 210 mg alle 2 Wochen oder 405 mg alle 4 Wochen.
hoch 0-0-20 mg 300 mg alle 2 Wochen.
Tabelle 4.3 Depot-Neuroleptika

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Sterbende Mythen Teil 7924: „Eine Depot Medikation erhöht die Compliance!“

Wenn ein psychiatrischer Patient, der eine neuroleptische Medikation braucht, diese immer wieder nach einer gewissen (zu kurzen) Zeit entgegen ärztlichen Rat absetzt, rufen Angehörige und semiprofessionelle Helfer in unermüdlicher Gleichförmigkeit: „Sie müssen ihn auf ein Depot einstellen. Dann ist sichergestellt, dass er es auch nimmt.“ Stimmt. Und zwar genau einmal, und dann wirkt es genau zwei (bis max. vier) Wochen. Und dann kann er es wieder nehmen, oder eben nicht. Einwurf Semiprofessionalität: „Jaaaah, aber dann kriegen Sie und wir und alle Welt das wenigstens mit! Ha!“

Stimmt auch. Und dann? Dann wissen alle, dass er seine Neurolepsie nicht mehr nimmt. Hätte man ihn auch fragen können. Aber gut, so weiß man es, weil er nicht in die Praxis kommt. Und nun? Es gibt praktisch kaum eine Möglichkeit, jemanden dazu zu zwingen, sich ein Depot spritzen zu lassen. Man kann einen Betreuungsbeschluß beantragen, in dem steht, dass die Nichtabholung des Depots zu einer Unterbringung im Krankenhaus führen soll, und dass dort dann das Depot gegeben werden soll. Habe ich schon einige Male gemacht. Und hatte dann alle zwei Wochen die Situation, mit Hilfe der Betreuungsstelle, der Feuerwehr und Zwang die Einweisung ins Krankenhaus zu organisieren. Ohne sehr triftigen Grund macht man das nicht all zu lange…

Wenn ein Patient eine Neurolepsie nicht nehmen möchte, und es keine gesetzliche Grundlage gibt, ihn zu zwingen, wie am ehesten eine Bewährungsauflage, dann kann er auch eine Depotmedikation jederzeit absetzen. OK, man sieht es frühzeitig.

Depots haben große Vorteile, wenn jemand zwar alle zwei oder vier Wochen einen Arzt aufsucht, aber zwischenzeitlich eine Tabletteneinnahme nicht hinbekäme, etwa weil er obdachlos ist, und das Depot bevorzugt, oder weil er die Medikation zwar will, aber die Tabletteneinnahmeihm zu lästig oder kompliziert ist oder er sie wirklich häufiger mal vergißt, er die Neurolepsie also will, aber unzuverläßig oder unregelmäßig einnimmt. Dann hilft das Depot. Aber nicht, wenn jemand keine Neurolepsie will. Das das Depot dann die Compliance erhöht, ist ein Mythos. Gut verträgliche Tabletten gehen dann sogar mit einer höheren Compliance einher als ein weniger gut verträgliches Depot. Das ist die Erfahrung.