Die Taten könnten nicht schrecklicher sein. Sie könnten nicht sinnloser sein. Und der Wunsch nach einer gerechten Strafe könnte nicht größer sein. Andreas Breivik hat mit seinen rechtsterroristischen Anschlägen sehr viel Leid verursacht. Seine krude Gedankenwelt stellt er im Internet dar, sein 1518 seitiges Manifest kann man zum Beispiel hier nachlesen. Ich habe es nicht zu wesentlichen Teilen gelesen, nur einen Eindruck von der kruden Gedankenwelt gewonnen, es ist nur mühsam lesbar.
Damit das Gericht nun ein gerechtes Urteil fällen kann, muss es beurteilen, ob Breivik gesund und schuldfähig ist, oder ob er krank und für seine Taten schuldunfähig ist. Rechtsphilosophisch könnte es kaum einen größeren Unterschied geben. In der Konsequenz allerdings wird der Unterschied weniger erheblich sein.
Im Fall „Schuldfähig“, wird er die norwegische Höchststrafe für Mord von 21 Jahren erhalten mit anschließender Sicherungsverwahrung. Also voraussichtlich bis an sein Lebensende in einem gut gesicherten Gefängnis bleiben.
Im Fall „Schuldunfähig“, kommt er in eine gut gesicherte forensische Klinik, wird alle paar Jahre begutachtet, und wird voraussichtlich ebenfalls zeitlebens nicht mehr herauskommen.
Und nun der Auftritt der Forensischen Psychiatrie. Im ersten Gutachten Ende November 2011 wurde er für psychotisch während der Tat, psychotisch bei der ausführlichen Untersuchung und in der Konsequenz für schuldunfähig erklärt. Die Öffentlichkeit war wenig begeistert. Im zweiten Gutachten, das der Öffentlichkeit am Dienstag vorgestellt wurde, wurde er als narzistisch diagnostiziert, aber nicht psychotisch. Also schuldfähig. Breivik selbst gefällt dieses Gutachten. Und viele empfinden es als angemessener.
Die Grenze zwischen fanatisch, aber schuldfähig auf der einen Seite und wahnhaft überzeugt, psychotisch und nicht schuldfähig auf der anderen Seite ist im Falle Breivik sicherlich schwer zu ziehen. Ich persönlich würde mich wohler fühlen, wenn die Einschätzung fanatisch und schuldfähig stimmen würde. Ich weiß es aber nicht, vielleicht ist er wirklich psychotisch, dann müßte er auch so beurteilt und behandelt werden.
Was aber unausweichlich kommen wird ist, dass das Ansehen der forensischen Psychiatrie einen Knick erhalten wird. In so einer extrem wichtigen Frage so komplett gegenteilige Gutachten zu erhalten macht nicht den Eindruck, dass die Urteilsbildung auf reproduzierbaren, untersucherunabhängigen Erkenntniswegen beruht und das sich die abschließende Einschätzung allein auf die gewonnenen Erkenntnisse stützt. Es zeigt vielmehr, dass es Fälle gibt, in denen abgewogen und normativ entschieden werden muss, ob eine bestimmte Gedankenwelt nun als krank oder lediglich fanatisch einzuordnen ist. Der Fall Breivik ist nun einmal leider so ein Fall. Und das Gericht hat die schwere Aufgabe, diese Entscheidung am Ende der Hauptverhandlung zu treffen.
In der öffentlichen Meinung wird mit einiger Wahrscheinlichkeit das Bild hängen bleiben, dass ein forensisches Gutachten ja viel sagen kann. Aber wenn es nicht erwünscht ist, kann man auch ein neues Gutachten anfordern, das dann das genaue Gegenteil schreibt. Im Fall Breivik ist es so gewesen.
Hoffentlich bleibt in der öffentlichen Meinung auch die Erkenntnis zurück, dass das Gericht eine Abwägung der unterschiedlichen Einschätzungen und Wertungen durchführt. Und das dieser normative Vorgang auch richtigerweise bei den Richterinnen und Richtern liegt, die das Urteil sprechen werden. Es wird eine schwierige Abwägung werden.