Wie Benperidol Geister vertreiben kann

Benperidol war das erste Psychopharmakon, dessen Wirkung ich selbst bewusst beobachtet und kennengelernt habe. Im zweiten klinischen Semester machte ich meine erste Famulatur. Ich überlegte einige Zeit, in welchem Bereich ich meine erste Famulatur machen sollte. Am skeptischsten war ich gegenüber der Psychiatrie. Ich hatte nun schon einiges darüber gehört, wußte aber nicht, ob Psychiatrie wirklich funktioniert. Also wählte ich dieses Fachgebiet für meine erste Famulatur aus. Ich wollte wissen, ob Psychiatrie wirklich helfen kann, ob sie wirklich nutzt. Ich wurde auf einer geschlossenen Aufnahmestation eingesetzt.

An meinem ersten Tag lernte ich eine Patientin kennen, die einige Jahre jünger war als ich. Sie berichtete mir, dass sie immer wieder Geister höre und dass sie spüre, dass Geister um sie herum seien. Sie hatte große Angst und bat um Hilfe.

Die Patientin litt an einer Psychose. Die Stationsärztin beauftragte mich, ihr jeden Tag morgens und nachmittags 4 mg Benperidol, besser bekannt unter dem Handelsnamen Glianimon®, intravenös zu injizieren. Bereits nach der ersten Spritze, dem Anfang der Behandlung, konnte ich eine Veränderung beobachten. Hatte sie zuvor noch etwas durcheinander und beschleunigt gesprochen, war der Gedankengang nun besser geordnet. Sie glaubte immer noch an die Geister, war aber ruhiger und sprach nicht mehr so durcheinander. Sie hatte weniger Angst. Ich verabreichte ihr jeden Morgen und jeden Abend eine Spritze und beobachtete von Tag zu Tag die Fortschritte. In den ersten zwei Wochen nahm sie weiterhin Geister wahr, hörte deren Stimmen und spürte ihre Präsenz. Doch dann zweifelte sie langsam an den Geistern und sagte mir, sie wisse doch eigentlich, dass es keine Geister gebe. Aber die Stimmen schienen ihr echt, sie könne sich diese Stimmen nicht anders erklären, schließlich sehe sie überhaupt niemanden, wenn sie die Stimmen höre, es könnten doch also nur Geister sein. Ich sprach viel mit ihr darüber, was die Stimmen sagten, konnte aber keinen nachvollziehbaren Sinn darin ausmachen. Unsere Erklärungen, es handele sich um Sinnestäuschungen im Rahmen einer Erkrankung, hörte sie sich mit großer Skepsis an.

Die Behandlung mit Benperidol wurde fortgeführt. Nach drei Wochen berichtete sie erstmalig, dass sie nun keine Stimmen mehr höre. Sie nehme keine Präsenzen von unerklärlichen Wesen mehr wahr. Sie war ihre Ängste los und wirkte wieder ganz normal, allerdings etwas erschöpft und müde. In der vierten Woche meiner Famulatur wurde das Glianimon auf ein verträglicheres Medikament umgestellt.

Benperidol hatte die Geister vertrieben. Und ich war  überzeugt, dass Psychiatrie funktioniert. Die Neuroleptika helfen Menschen mit einer Psychose, die Halluzinationen zu verlieren und wieder klar und angstfrei zu denken. Hochpotente Neuroleptika wie Benperidol wirken sehr stark gegen Halluzinationen und Wahn.

Die Kehrseite dieser Wirkstoffgruppe sind allerdings oft Nebenwirkungen im Sinne von Extrapyramidal Motorischen Symptomen (->EPMS) wie Steifigkeit der Gelenke, Schluckstörungen oder einer Verarmung der Mimik. Auch Anhedonie und Antriebsstörungen treten häufig auf.

Aus diesem Grunde sind klassische hochpotente Neuroleptika wie Benperidol und Haloperidol heute im Regelfall nicht mehr die Medikamente der ersten Wahl. In der Mehrzahl der Fälle beginnt man heute eine neuroleptische Behandlung mit einem atypischen Neuroleptikum. Es gibt jedoch Situationen, in denen die Wahl eines klassischen Neuroleptikums auch heute noch erforderlich ist. Ein Grund ist, dass es noch kein Atypikum gibt, das man intravenös injizieren kann. Es gibt Atypika, deren sofort wirksame Darreichungsform man intramuskulär geben kann (Olanzapin, Ziprasidon und Aripiprazol), aber das ist nicht immer der beste Weg. Auch ist es so, dass klassische Neuroleptika sehr schnell, sehr verlässlich und sehr stark wirken. Das begründet in einigen Fällen den Einsatz eines typischen Neuroleptikums zu Beginn der Behandlung. Es gibt auch Patienten, die ihre psychotischen Symptome unter atypischen Neuroleptika nicht verlieren, denen ein Typikum aber gut hilft und wenig Nebenwirkungen verursacht. Diese Patientengruppe profitiert ebenfalls von einer solchen Substanz.

Die Mehrzahl der Patienten wird allerdings am ehesten davon profitieren, von Anfang an mit einem Atypikum behandelt zu werden und während der gesamten Dauer der Behandlung und der gesamten Dauer der Rezidivprophylaxe dabei zu bleiben.

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Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.