Hedonophobie
Einleitung und Historie
Beim Kaffeeklatsch im erweiterten Freundeskreis musste ich eine neue Krankheit entdecken: Die Hedonophobie. Meine Rechtschreibkorrektur kennt sie noch nicht, google kennt lediglich einige wenige Fundorte; im großen und ganzen ist dies Krankheitsbild unbekannt.
Dabei kenne allein ich schon eine ganze Reihe von Menschen, die eine mehr oder minder ausgeprägte Form davon haben.
Der Name leitet sich von (hedon = Freude, Spaß) und (Phobie = Angst vor) ab, also ist die Hedonophobie die Angst davor, lustvolle Dinge zu tun.
Symptomatik
Der Hedonophobiker meidet zunächst einmal alles genussvolle Essen. Er bevorzugt es, Kalorien zu zählen, Fettanteile zu reduzieren und ab der zweiten Brötchenhälfte über das gesunde Maß nachzudenken. Ein mehrgängiges Essen ist eben so suspekt wie ein Glas Rotwein oder gar das ganz sündige Dessert, letzteres dürfen auch die eigenen Kinder nicht essen; man will ja keine Fettsucht schüren.
Ein tatenloser Abend im Bett ist ebenso gefürchtet; besser man besucht das Fitness-Studio, dann kann man schon mal auf Ablass von der Sünde des Essens hoffen.
Auch einfach mal ins Kino gehen oder sich mit Freunden in der Kneipe treffen ist suspekt. Man könnte ja was an der Entwicklung der eigenen Projekte machen, das wäre in jedem Falle mal sinnvoller.
Die Tage erscheinen dem zunehmend spaßbefreiten Hedonophobiker anstrengend, da der rigide Kurs durch die selbstgewählten Verpflichtungen keine Zeit mehr für Spaß und Freude lässt.
Epidemiologie
Die Hedonophobie beginnt in der Regel nicht vor dem 33 Lebensjahr und betrifft eher Menschen, die Zeit haben, über den Sinn ihres Lebens lange nachzudenken. Sehr schwere Fälle sind bei AkademikerInnen im vierten Lebensjahrzehnt und bei introvertierten Mönchen bekannt. Das Krankheitsbild lässt oft ab dem fünften Lebensjahrzehnt nach, ohne ganz zu verschwinden.
Therapie
Eine ursächliche Therapie ist nicht bekannt. Frühere Versuche von Psychotherapeuten mit sogenannten „Genussgruppen“, in denen notorisch Klangschalen geschlagen wurden und an altem Vanillepulver gerochen werden musste, waren ohne nachweisbaren Effekt.
Als Verhaltenstherapeut empfehle ich ein Vorgehen im Sinne der systematischen Desensibilisierung. Zum Frühstück erst mal mit einem weißen Brötchen statt dem Schwarzmehlpuk starten, im Verlaufe des Tages shoppen gehen, ohne etwas zu brauchen, sich am Wetter freuen und dann am Nachmittag mal laut lachen. Zum Abend ein Glas Wein.
Ganz Mutige dürfen danach laut zu ihrem Partner sagen: Ich habe das Leben heute genossen. Der Tag war schön. Und dann einfach weiter fernsehen.