Phasenprophylaktika stabilisieren nicht die Stimmung innerhalb eines Tages

Was können Phasenprophylaktika?

Phasenprophylaktika wie Lithium, Carbamazepin, Valproat und andere verhindern und lindern in einem Zeitfenster von mehreren Jahren depressive, manische und submanische Phasen. Das ist es, was man von ihnen erwarten kann. In meinem Buch habe ich dies so dargestellt:

2020 03 24 Überarbeitung Dreher 2020 04 16 10 57 15

Was können Phasenprophylaktika nicht?

Phasenprophylaktika wie Lithium, Carbamazepin, Valproat und andere können nicht die Stimmung im Verlaufe eines Tages oder einer Woche stabilisieren. Dies erhoffen sich zwar ebenso viele Behandler:innen wie Patient:innen, das funktioniert aber leider nicht. Daher ist der Begriff „Stimmungsstabilisierer“ auch irreführend. Ich bin ja sonst ein großer Freund der einfachen Sprache, aber in diesem Fall ist Stimmungsstabilisierer schlechter als das richtige und präzise Phasenprophylaktika. Also soll man das letztere Wort verwenden. 

Wollte ich nur noch mal gesagt haben.

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Die Grafik ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Was Phasenprophylaktika können…

Phasenprophylaktika (mood stabilizer) sind geeignet, die Anzahl und Schwere depressiver und manischer Episoden bei Patienten mit bipolaren Erkrankungen zu reduzieren. Das bedeutet, dass sie die Stimmungskurve über einen Zeitraum von einem Jahr oder länger betrachtet stabilisieren. Stellen Sie sich einen Patienten vor, der unbehandelt beispielsweise in einem 10 Jahreszeitraum 10 manische und 20 depressive Episoden gehabt hätte. In den Manien wäre er sehr ausgeprägt manisch, gäbe sehr viel Geld aus, schadete sich selbst. In den depressiven Episoden wäre er tief depressiv, teilweise suizidal, bräuchte längere Krankenhausaufenthalte. Von der Behandlung mit einem Phasenprophylaktikum verspräche man sich dann, dass er im 10 Jahreszeitraum beispielsweise statt 10 nur noch 3 manische und statt 20 nur noch 12 depressive Episoden hätte. Und die manischen Episoden wären vielleicht nur noch Hypomanien, die depressiven Episoden weniger schwer und vielleicht ambulant behandelbar. Suizidalität bestünde möglicherweise sehr viel seltener.
Das ist, was ein wirksames Phasenprophylaktikum wirklich ausrichten kann. Dabei sehe ich die Wirkstärke der einzelnen Phasenprophylaktika unterschiedlich. Meiner Einschätzung nach ist Lithium am wirksamsten (aber manchmal auch mit besonders ausgeprägten Nebenwirkungen verbunden), dann kommt Valproat, dann Carbamazepin und schließlich – in meinen Augen deutlich weniger wirksam – die Gruppe der anderen Antiepileptika wie Lamotrigen oder Keppra.
Sehr häufig stelle ich fest, dass Patienten und Behandler sich von einem mood stabilizer auch erhoffen, dass die Stimmung sich über eine Beobachtungszeit von einem Tag oder einer Woche stabilisiert. Aber genau das beobachte ich leider nicht wirklich. Manchmal können Phasenprophylaktika vielleicht tatsächlich etwas die Impulsivität dämpfen, aber gegen labile Stimmung wirken sie meiner Erfahrung nach eigentlich nicht.

Wie seht ihr das? Welche Erfahrung habt ihr mit mood stabilizern gemacht? Machen sie aus einem stimmungslabilen Menschen einen stimmungsstabilen Menschen, auch betrachtet für einen Tag oder eine Woche? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare!