Das neue PsychKG NRW

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Wer in NRW in der Psychiatrie tätig ist, verfolgt sicher mit größtem Interesse die Reform des Psych KG´ NRW. Dieses regelt, unter welchen Umständen und nach welchen Modalitäten Zwangsunterbringungen bei akuter Eigen- und/oder Fremdgefährdung durchgeführt werden. Die Ausgestaltung dieses Gesetzes hat erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung der genannten Patientengruppe und auf die Behandlungsrealität auf den geschützten psychiatrischen Stationen in NRW. Nach einer langen, mehrstufigen Diskussion unter Einbezug aller betroffenen Interessenvertreter, namentlich der Vertreter der Psychiatrie-Erfahrenen, der Angehörigenvertreter und auch der psychiatrischen Fachgesellschaften legt das Gesundheitsministerium NRW (MGEPA) nun folgenden Vorschlag für die Neuformulierung des PsychKG´s NRW vor:

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-12068.pdf

Wer sich wirklich für das Thema interessiert, sollte jetzt die Lektüre dieses blogposts pausieren und zunächst einmal in Ruhe den neuen Gesetzestext sowie die im gleichen PDF zu findenden erläuternden Kommentare sorgfältig lesen.

Einige wesentliche Neuerungen

Das neue Psych KG NRW stärkt die Selbstbestimmung und den Schutz der Betroffenen und formuliert sehr viel konkreter und auch restriktiver, wann Zwangsmaßnahmen möglich sind und wer diese unter welchen Umständen wie beantragen, genehmigen und durchführen darf. Eine wesentliche Änderung dabei ist, dass eine Zwangsmedikation in der Regel nun dem Richtervorbehalt unterliegt; das ist aktuell nicht so. Es gibt einige weitere Änderungen, auf die ich noch eingehen will. Weiterhin ist es aber auch mit dem reformierten Psych KG NRW möglich, bei Lebensgefahr oder erheblicher Gefahren für die Gesundheit der untergebrachten Person oder Dritter im Rahmen der Unterbringung, eine Zwangsbehandlung durchzuführen. Allerdings ist das Verfahren anders geregelt. Hier habe ich einige wesentliche Eckpunkte des neuen Gesetzes aufgeschrieben:

  • Das neue Psych KG NRW soll ab dem 1.1.2017 gelten.
  • Die Zwangsmedikation wird im Normalfall dem Richtervorbehalt unterliegen. Nach dem neuen Psych KG muss im Regelfall zunächst das Einverständnis des zuständigen Gerichtes eingeholt werden. Das bedeutet, der Arzt begründet mit einem Ärztlichen Attest, warum die Zwangsmedikation im Rahmen der gesetzlichen Regelungen erforderlich und geboten ist. Der Richter entscheidet, und erst dann ist die Zwangsmedikation möglich.1
  • Vor einer Zwangsmedikation muss im Regelfall ein Überzeugungsversuch und eine Information erfolgen. Der Patient muss im Regelfall Zeit haben, einen Rechtsbeistand zu konsultieren.
  • Wenn die Situation es nicht zulässt, zunächst den Richter zu erreichen, beispielsweise bei Lebensgefahr im Rahmen eines Delirs oder bei gefährlicher Gewalt, ist es ausnahmsweise auch möglich, die akut erforderliche Behandlung sofort durchzuführen, und danach das Gericht zu informieren.
  • Fixierungen, die länger als 24 Stunden dauern oder solche, die mutmaßlich öfter erforderlich sind, stehen nun ebenfalls unter Richtervorbehalt.
  • Das professionelle „Festhalten“ wird als alternative Zwangsmaßnahme zur Fixierung explizit geregelt.
  • Offene Formen der Unterbringung, also die Behandlung per Psych KG auf einer offenen Station, ist nun explizit erlaubt und soll sogar bevorzugt zum Einsatz kommen, wo dies möglich ist.
  • Das Recht, sein Handy mit Internetzugang weiter zu nutzen (aber natürlich keine Fotos oder Videos von anderen Patienten zu machen oder zu posten) wird nun explizit festgeschrieben.

Warum musste das Psych KG NRW eigentlich reformiert werden?

Das PsychKG ist im Unterschied zum Betreuungsgesetz und zum Strafgesetz Ländersache, daher gibt es in jedem Bundesland ein eigenes PsychKG. Dem Wesen nach ähneln sich die länderspezifischen Psych KG´s zwar, es gibt aber auch relevante Unterschiede. In den letzten Jahren wurden die Psych KG Gesetze der meisten Länder überarbeitet. Dies ging zu einem großen Teil von der Einschätzung aus, dass andernfalls etwas ähnliches wie damals mit dem Betreuungsgesetz passieren könnte: Der Bundesgerichtshof könnte eine Konkretisierung bestimmter Gesetzesteile fordern, und bis zur Konkretisierung das Gesetz beschränken. Im Fall des PsychKG´s Sachsen hatte das Bundesverfassungsgericht 2013 genau das gemacht: Siehe Artikel hier. Um dem zuvor zu kommen, wurden die PsychKG´s überarbeitet, konkretisiert und die Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen sehr viel spezifischer und restriktiver beschrieben. In Nordrheinwestfalen gilt aktuell dieses PsychKG: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=10000000000000000086.

Mein persönliches Fazit

Die Überarbeitung des Psych KG´s NRW wurde von allen beteiligten Seiten mit großen Hoffnungen, Erwartungen und auch Befürchtungen begleitet. Einige Betroffenenvertreter hatten argumentiert, man solle Zwangsbehandlungen unter allen Umständen ausschließen. So ist es nicht gekommen, und um ehrlich zu sein, das wäre dem Wesen des Psych KG´s als Gesetz zum Umgang mit Krankheiten meiner Meinung nach auch nicht gerecht geworden. Denn gefährliche Krankheiten müssen auch behandelt werden dürfen.
Beim Richtervorbehalt der Zwangsmedikation wird entscheidend werden, wie gut und schnell erreichbar die Richter sein werden.
Die erhöhten Ansprüche an eine schlüssige Begründung, dass die ergriffene Zwangsmaßnahme nicht durch ein anderes, milderes Mittel hätte ersetzt werden können, verhältnismäßig ist und auch der Richtervorbehalt im Regelfall entsprechen den Anforderungen, die der BGH und das Verfassungsgericht in den letzten Jahren gestellt haben.

Ich finde die Neuformulierung gut, angemessen und auch praktikabel.

Wie denkt ihr darüber? Kommentare, Anmerkungen und Diskussionsbeiträge gerne hier in die Kommentare!

 

  1. Ein Richtervorbehalt bezüglich einer Zwangsmedikation gilt aktuell schon beim Betreuungsrecht. Beim BtG ist zuvor sogar ein ärztliches Gutachten von einem unbeteiligten Arzt zu erstellen, in dem genau genannte Fragen beantwortet werden müssen. Dann entscheidet der Richter, ob eine Zwangsmedikation nach BtG erlaubt ist. Erst danach kann sie erfolgen. ↩︎

Die Psych-KG Besuchskommission

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LWL Klinik Herten

Rechtliche Grundlagen der Behandlung im Psychiatrischen Krankenhaus

Die weit überwiegende Mehrzahl der Patienten in einem Psychiatrischen Krankenhaus, ich würde mal sagen mehr als 90 % der Patienten, befindet sich auf freiwilliger Rechtsgrundlage in Behandlung dort, wie in jedem anderen Krankenhaus auch.
Aber natürlich gibt es auch Behandlungen auf der Rechtsgrundlage des Betreuungsgesetzes und des Psych-KGs.

Das Psychiatrische Krankengesetz, kurz „Psych-KG“

Das Psych-KG regelt Zwangsunterbringungen im Psychiatrischen Krankenhaus bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung, wenn der Betroffene in einem Zustand ist, dass er die Notwendigkeit der Behandlung nicht erkennt, aber eine konkrete, akute und erhebliche Gefahr von ihm ausgeht. Ein typisches Beispiel wäre ein Patient mit einer akuten Psychose, der sich verfolgt fühlt, und versucht, sich mit einem Stock gegen unbeteiligte Passanten zu wehren, die er krankheitsbedingt fälschlich für eine Bedrohung hält. Dieser Patient würde sich nicht freiwillig behandeln lassen, da er sich nicht für krank hielte. Eine Behandlung ist aber erforderlich und geboten. In so einem Fall kann ein Arzt zunächst über das Ordnungsamt ein Psych-KG beantragen. Nach Zustimmung des Ordnungsamtes wird das zuständige Amtsgericht informiert und innerhalb von 24 Stunden (so ist es zumindest in NRW geregelt, in anderen Bundesländern gelten im Detail etwas andere Regeln) kommt ein Richter zur Anhörung ins Krankenhaus, um darüber zu entscheiden, ob eine Behandlung auf der Rechtsgrundlage des Psych-KGs erforderlich und notwendig ist.

Die Psych-KG Besuchskommission

Was viele nicht wissen ist, dass jedes Krankenhaus, das Behandlungen auf der Rechtsgrundlage des Psych-KGs durchführt, von der zuständigen Bezirksregierung überwacht wird. Dazu gehört, dass die Bezirksregierung einmal im Jahr eine persönliche Begehung des Krankenhauses mit der Psych-KG Besuchskommission durchführt. Diese Kommission ist eine Abordnung, die einmal im Jahr einen unangekündigten Besuch bei jeder entsprechenden Klinik macht, und überprüft, ob das Psych-KG Gesetz korrekt angewendet wird, wie die Unterbringungsbedingungen sind und welchen Eindruck die Klinik insgesamt macht.

Der Besuchskommission gehören folgende Personen an:

  • Ein Beamter der Bezirksregierung als Vorsitzender
  • Ein juristischer Sachverständiger (oft ein Richter oder ein Jurist der Bezirksregierung)
  • Ein psychiatrischer Sachverständiger (ein Facharzt für Psychiatrie, oft ein erfahrener Oberarzt oder Chefarzt einer anderen psychiatrischen Klinik)
  • Ein Vertreter der Angehörigen (als Abgesandter eines Verbandes der Angehörigen psychisch Kranker) und
  • Ein Vertreter der Psychiatrie-Erfahrenen (als Abgesandter eines Verbandes Psychiatrie-Erfahrener)
  • Häufig ist auch ein Vertreter des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadt anwesend.

Ablauf der Überprüfung

Die Besuchskommission kommt einmal im Jahr unangekündigt in die Klinik. Da sie keinen Termin hat, kann die Zusammensetzung der Vertreter der Klinikseite etwas variieren. In der Regel wird die Klinik versuchen, folgende Personen zusammenzutrommeln:

  • Den Chefarzt der Klinik
  • Den Pflegedienstleiter
  • Den Geschäftsführer
  • Oft den Oberarzt, der die geschlossene allgemeinpsychiatrische Station betreut

Wenn sich alle zusammengefunden haben, verläuft der Besuch folgendermaßen:

  1. Zunächst spricht die Kommission ausführlich mit den Vertretern der Klinik, um sich zu erkundigen, wie Behandlungen auf der Rechtsgrundlage des Psych-KGs in dieser Klinik durchgeführt werden. Es wird besprochen, wie viele Behandlungen im letzten Jahr per Psych-KG durchgeführt worden sind, welche Diagnosen vorkamen, wie die Geschlechtsverteilung war, auf welchen Stationen die Behandlungen durchgeführt worden sind und ähnliches. Es wird nach besonderen Vorkommnissen im letzten Jahr gefragt und wenn im letzten Jahr Beschwerden an die Bezirksregierung herangetragen worden sind, werden diese besprochen. Die Kommission macht sich auch ein Bild von der Klinik insgesamt, etwa von neuen Bauvorhaben, Renovierungsplanungen, Erweiterungen der Klinik und ähnlichem.
  2. Dann wird das Krankenhaus besichtigt. Die Besuchskommission schaut sich insbesondere die geschützten Stationen, die Patientengärten der geschützten Stationen, die Bäder und Aufenthaltsräume an.
  3. Und schließlich wird mindestens ein per Psych-KG untergebrachter Patient befragt, wie er seine Behandlung wahrnimmt. Bei dieser Befragung sind nur der Patient und die Mitglieder der Besuchskommission anwesend, keine Vertreter der Klinik. Der Patient wird erst mal orientierend zu den allgemeinen Umständen seiner Behandlung befragt, wie die Bahandlung bislang verlief und wie er sich behandelt fühlt. Dabei werden auch Fragen besprochen, wie etwa, wie oft er Ausgang im Freien hat, ob er sein Handy behalten darf, wie oft er Besuch bekommt und ähnliches. Dann wird sehr genau die Dokumentation der Behandlung dieses Patienten in Augenschein genommen, etwa, ob täglich nachvollziehbar dokumentiert wurde, warum die Unterbringung per Psych-KG noch erforderlich war.
  4. Abschließend gibt es ein gemeinsames Gespräch der Kommission mit den Vertretern der Klinik, in der die Klinik eine explizite Rückmeldung und Beurteilung erhält. Wenn etwas nicht gut war, wird dies hier explizit besprochen und eine Verbesserung wird eingefordert.
  5. Einige Wochen nach dem Besuch erhalten alle Beteiligten den schriftlichen Besuchsbericht, der sehr detailliert nach einem festen Protokoll alle Punkte sowie eine ausführliche Gesamtbeurteilung wiedergibt.

Und man lernt auch als Mitglied der Besuchskommission immer etwas dazu…

Unlängst habe ich die LWL-Klinik in Herten als Psychiatrischer Sachverständiger einer Besuchskommission besucht. Ich darf hier gerne verraten, dass die Klinik sehr angemessen, reflektiert und in vielen Teilen sehr fortschrittlich mit allen Aspekten der Behandlungen im Rahmen des Psych-KGs umgeht. Besonders beeindruckt hat mich, dass die LWL-Klinik Herten auf der geschlossenen allgemeinpsychiatrischen Station folgendes Vorgehen etabliert hat: Jeden Tag prüft der Oberarzt, ob es wirklich erforderlich ist, die Stationstüre geschlossen zu halten. Wenn es keinen Patienten gibt, der gegenwärtig diese Sicherungsmaßnahme erforderlich macht, dann wird ein großes Schild an die Türe gehängt, auf dem steht, dass die Flurtüre nun tagsüber geöffnet ist, dass man sich vor Verlassen der Station bitte beim Pflegepersonal melden soll, und dann wird die Tür einfach aufgeschlossen. Im letzten Jahr sei das an ca. 30 Tagen möglich gewesen. Seit dies so gehandhabt werde, habe sich die Atmosphäre auf der Station sichtbar entspannt. Ausgezeichnete und vorbildliche Idee!