Das Dopamin-System

Als Psychiater kann man nie genug über das Dopamin-System wissen. Es ist in mindestens sechs unabhängigen Bereichen in der Psychiatrie wichtig:

  1. Die neuen Abhängigen interessieren sich kaum noch für die guten alten Drogen wie Heroin oder LSD. Der Trend geht stark zu Amphetaminen, Methamphetamin und Kokain. Diese Substanzen erhöhen die Dopamin Konzentration im synaptischen Spalt. Also muss irgendwas dran sein, an diesem Dopamin.
  2. Es gibt eine Erkrankung, bei der eine zu hohe Dopamin-Konzentration eine Rolle spielt: Die Psychose. Aber im Gegensatz zum Kokain-Rausch ist sie nicht angenehm, obwohl beide Konstellationen, der Kokain-Rausch und die Psychose, scheinbar mit einer erhöhten Dopamin-Konzentration zu tun haben.
  3. Es gibt eine Erkrankung, bei der die Dopamin-Konzentration zu niedrig ist: Der Morbus Parkinson. Er führt zu ausgeprägten Bewegungsstörungen, aber auch zu Depressionen, Störungen der Konzentration, der Motivation und der Fähigkeit, Ziele zu verfolgen.
  4. Eine zweite Erkrankung, die möglicherweise mit einem funktionellen Dopaminmangel einher geht, ist das Krankheitsbild der Restless Legs. Die Beschwerden werden durch Dopamingabe typischerweise sofort durchgreifend gebessert, was dafür spricht, dass zumindest ein Teil der Ursache dieser Erkrankung ein funktioneller Dopaminmangel ist.
  5. Die Behandlung der Psychose erfolgt in der Regel mit Medikamenten, die hauptsächlich oder zumindest zu einem wesentlichen Teil die Verfügbarkeit von Dopamin im synaptischen Spalt reduzieren. Also wieder zu wenig Dopamin. Unerwünschte Wirkungen dieser Behandlungen können Anhedonie, Antriebsstörungen und Bewegungsstörungen wie beim M. Parkinson sein.
  6. Dopamin ist auch der im Hypothalamus freigesetzte prolactin inhibiting factor, das heißt, Medikamente, die Dopamin blockieren, führen zu einem Anstieg des Prolactins im Blut, was zur Galactorrhoe führen kann.

Sieht die Welt dopaminmäßig also so aus?

Dopaminmenge Klinische Erscheinung
Viel zu wenig Dopamin durch Krankheit M. Parkinson
Zu wenig Dopamin durch Neuroleptika Parkinsonoid / Akathisie
Etwas zu wenig Dopamin durch Krankheit Restless Legs
Normal Gesund
Zu viel Dopamin Psychose
Kokain: Exzessiv viel Dopamin Rush

Oder als Grafik:

© by Psychiatrietogo, licensed under creative commons 2.0
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Das ist natürlich zu stark vereinfacht. So wird die Bewegung hauptsächlich von den dopaminergen Neuronen in der substantia nigra gesteuert; Psychosen haben ihren Ursprung eher im mesolimbischen System und Kokain wirkt aus unerfindlichen Gründen sehr stark am Belohnungssystem, macht aber kaum Überbeweglichkeit, wie es eine zu hoch dosierte dopaminerge Parkinsonmedikation verursachen kann. Auch gibt es fünf verschiedene Dopaminrezeptoren (D1-D5), die sehr unterschiedliche Effekte vermitteln.

Wir fassen zusammen: Dopamin macht in der substantia nigra was mit Bewegung, im Hypothalamus was mit Prolactin und im mesolimbischen System was mit Psychose.

Aber wie sieht das jetzt genau mit Belohnung und Motivation aus? Wie funktioniert das mit dem Dopamin da? Das geht so:

Wenn Versuchstiere den Boden nach Nahrung absuchen, und plötzlich und unerwartet unter einer Abdeckung Nahrung finden, dann feuern 70% aller dopaminergen Neuronen. Boom.

Dopamin zeigt also an: Hier ist etwas besser als erwartet und in Zukunft sollte ich ähnliche Handlungen wiederholen.

So ähnlich klappt es auch beim Lernen: Wenn Versuchstiere jeweils zwei Bilder gleichzeitig gezeigt bekommen, und das Berühren eines der Bilder führt zu einer Belohnung (zum Beispiel einem Tropfen Zuckerlösung), und das andere Bild führt zu keiner Belohnung, sondern zur Unterbrechung des Programms, dann folgt in der Phase des Lernens auf die Belohnung eine Dopaminausschüttung. Auf das Auswählen des falschen Bildes mit ausbleibender Belohnung folgt eine verminderte Dopaminfreisetzung. Interessant ist, das nach einigen Durchgängen, wenn gelernt wurde: Das eine Bild bringt die Belohnung, das andere nicht, selbst nach dem Auswählen des richtigen Bildes keine Dopaminfreisetzung mehr folgt.

Ganz präzise kann man sagen, dass die ausgeschüttete Dopaminmenge mit dem Maß an Nicht-Erwarteter-Belohnung korreliert. Wenn ich Wasser finde, wo ich bislang keins vermutet hatte, dann schütte ich Dopamin aus. Wenn ich die richtige Lösung eines bislang ungelösten Problems finde, dann schütte ich Dopamin aus. Wenn ich merke: Immer hinter den gelben Türen ist die Süßigkeit, dann schütte ich Dopamin aus.

Dopaminerge Drogen

Drogen wie Kokain, Amphetamine oder Methamphetamin erhöhen die Konzentration von Dopamin im synaptischen Spalt. Das führt natürlich dazu, dass der Körper sich denkt: Super; hier läuft etwas besser als erwartet, dieses Verhalten wiederhole ich bei Gelegenheit. Macht also abhängig. Und mit etwas Pech psychotisch. Und vielleicht das Schlimmste: Es verdirbt einen für normale Glücksmomente.

Folgendes Experiment: Sie messen bei einer Maus im Labor die Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt im Belohnungssystem. Sie normieren den gemessenen Wert in Ruhe auf 100. Dann lassen sie ein hübsches Mäuseweibchen in den Käfig. Wenn sich die beiden gut verstehen, messen Sie noch mal die Dopamin-Konzentration, und zwar beim Orgasmus des glücklichen Mäuserichs. Der gemessene Wert beträgt für eine kurze Zeit 200.
Am nächsten Tag geben Sie dem Mäuserich einmalig Methamphetamin. Was schätzen Sie, wie hoch der Wert jetzt steigt? Die Antwort ist: Etwa 1250.
(Quelle: Hier findet sich eine sehr schöne kurze Video-Vorlesung zu diesem Thema. Bitte flash zulassen und schauen!)

Man könnte nun sagen: Na gut, dann ist Meth ja auch schön. Aber das Problem ist, dass sich das Belohnungssystem dauerhaft verändert; es wird unempfindlicher gegenüber Dopamin. Bereits nach der einmaligen Gabe des in der Wirkung verwandten Kokains kehrt der Ruhebereich des Dopaminsystems dauerhaft nicht mehr auf 100 zurück, sondern auf einen höheren Wert. Natürlich ohne begleitendes Glücksgefühl. Das Problem dabei ist, dass ein normales angenehmes Ereignis jetzt nicht mehr so viel ausrichten kann. Erst Kokain verändert den Wert wieder spürbar. Und nun ist die Maus wirklich abhängig. Und sie vernachlässigt alles andere. Das ist wahrscheinlich das Hauptproblem am Kokain…

Also: Einfach kein Kokain, Amphetamin oder Methamphetamin nehmen. Hält dauerhaft glücklicher…

Einen sehr guten, frei zugänglichen Übersichtsartikel aus der Zeitschrift „Neuron“ zur Wirkung von Dopamin auf das Belohnungssystem findet ihr hier: Übersichtsartikel zu Dopamin.

Die akute Amphetaminintoxikation und wie sich die Sache dann in der Notaufnahme darstellt…

copyright by Malde, Quelle: http://de.eva.wikia.com/wiki/Benutzer:Malde

Dieses Fallbeispiel ist fiktiv, aber typisch.

Die Notaufnahme des nahe gelegenen Allgemeinkrankenhauses ruft an und berichtet, ein junger Mann sei eben zu ihnen gekommen, wohl betrunken aber irgendwie sehr komisch. Er habe ohne erkennbaren Grund in einer Kneipe einem anderen Kneipengast gesagt, er solle ihm aus dem Weg gehen. Kurz darauf habe er ihn geschlagen. Der Rettungsdienst habe beide ins Krankenhaus gebracht. Der eine habe eine Platzwunde, der andere sei komisch. Er rede sehr schnell, sei misstrauisch und glaube, irgend etwas sei hier wohl im Gange. Ob man ihn mal in der Psychiatrie vorstellen könne? Kann man natürlich. Soll man auch.

Kurz darauf betritt ein 24 jähriger Mann das Untersuchungszimmer. Er ist modisch gekleidet, wirkt nicht betrunken, aber gehetzt, fahrig, unruhig. Er ist erkennbar angespannt und fährt den Untersucher zur Begrüßung erst mal scharf an:

„Glaubt bloß nicht, ihr könnt mich hier verarschen! Ich weiß, dass ihr´s auf mich abgesehen habt, aber ich hab´ nix getan. Ich geh´jetzt weiter feiern!“

Da kann man schon mal einen Verdacht schöpfen. Der Alkoholtest ergibt 0,3 Promille. Das ist nicht genug, um eine Veränderung des psychischen Befundes zu erklären. Auf die Nachfrage, was ihn in´s Krankenhaus führt, gibt er an:

„Die haben mich hier ins Krankenhaus gebracht, weil ich denen nicht angepasst genug bin. Ich lebe halt meine Gefühle aus. Das könnt ihr Spießer halt nicht verstehen! Ich bin jetzt schon zwei Stunden hier auf kalten Fluren und in langweiligen Blechkisten unterwegs, ich habe mir den Abend auch schöner vorgestellt.“

OK, es gibt also keine Hinweise darauf, dass der Patient zeitlich, örtlich oder zur Situation nicht richtig orientiert ist. Störungen der Merkfähigkeit bestehen ebenfalls nicht.

„So und nun erklär ich Euch Schnarchnasen mal, was hier geht! Ich habe ´ne Firma, die macht so Internetsachen, da könnt´ ich Euch alle einstellen, mach ich aber nicht, weil ihr mir einfach zu langsam seid. Ich hab´ die letzte Nacht durchgearbeitet und durchgefeiert! Ich zieh jetzt mein Ding durch, dann werdet ihr schon alle sehen, was abgeht. Und wenn sich hier irgendwer mir in den Weg stellt, dann gibt´s echt Ärger. Ich mach das jetzt, klar?

Es zeigt sich ein erhöhter Rededrang. Die Sätze kommen schneller als beim normalen Gespräch, die Inhalte springen in rascher Folge von einem Punkt zum nächsten, wobei stets nachvollziehbar bleibt, welche Überlegung nun an welche Vorüberlegung anknüpft. Der Gedankengang ist also etwas beschleunigt und beginnend ideenflüchtig. Die Stimmung ist leicht gehoben, das Selbstbild unrealistisch überhöht. Es besteht ein reduziertes Schlafbedürfnis.

„Wollen Sie mir was anhängen? Stecken Sie mit der Polizei unter einer Decke? Wollen Sie mich provozieren?“

Der Patient zeigt sich misstrauisch und vermutet Geheimnisse und Bedrohungen, wo keine sind. Auf Nachfragen werden Wahrnehmungsstörungen wie Stimmenhören, Verfolgungsgefühle oder Beeinträchtigungsgedanken verneint. Nachdem er vor Kurzem ohne nachvollziehbaren Grund jemanden geschlagen hatte, bestehen Hinweise auf eine reduzierte Steuerungsfähigkeit. Auf weiteres Nachfragen berichtet er zu seinem Konsum:

„Ja OK, ich habe gestern Abend und heute zusammen vielleicht 2-3 Gramm Amphetamine gesnieft. Mach ich nur, wenn ich feiere. Alkohol interessiert mich nicht.“

Amphetamine: Akute Intoxikation

Dies ist ein typisches Bild für einen akuten Amphetaminrausch, so wie er sich in der Notaufnahme präsentiert. Beschleunigter, etwas ideenflüchtiger formaler Gedankengang, feindlich-misstrauische Gereiztheit, keine Halluzinationen. Und oft in Schlägereien oder Stress verwickelt gewesen. In Kombination mit Alkohol wird´s nicht besser.

Diesem Patienten würde ich empfehlen, einen Tag stationär zu bleiben. Ich würde ihm 10 mg Diazepam anbieten. Wenn er stärkere Wahrnehmungsstörungen berichtet hätte, hätte ich ihm einmalig ein niedrig dosiertes Neuroleptikum empfohlen, zum Beispiel 200 mg Amisulprid. Am nächsten Tag wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ganz normal. Ich würde ihn dann darüber aufklären, dass Amphetamine psychosenahe Denkstörungen auslösen können und das es nächstes Mal auch schlimmer kommen kann. Auch über die Gefahr einer Amphetamin-induzierten Psychose würde ich ihn aufklären, denn die ist nicht nach einem Tag vorbei und solche Amphetamin-induzierten Psychosen sind wirklich keine seltene Folge des Amphetamin-Gebrauchs. Sie sind inzwischen ein recht häufiges Krankheitsbild geworden. Oft zeigen sich echte psychotische Symptome wie Stimmenhören, Verfolgungsgefühle und erhebliche Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit, die viele Wochen bis Monate andauern können.

Bei diesem Patienten wäre vielleicht schon am nächsten Tag wieder alles abgeklungen, er würde wahrscheinlich gehen wollen und auch wieder völlig normal sein. Dann wird er natürlich entlassen.