Neues Video: PSSD: Post SSRI Sexual Dysfunction

Das Video findest Du hier.

In diesem Video spreche ich mit Sandra, der Vorsitzenden der PSSD Hilfe Deutschland e. V. über PSSD. Was ist das eigentlich? Woher kommt das? Wie stelle ich PSSD fest? Gibt es Behandlungsmöglichkeiten? Gibt es Hilfe? Die Webseite der PSSD Hilfe Deutschland e. V findet ihr hier: www.pssd-hilfe.de.

Alles, was Du über Escitalopram und Citalopram wissen möchtest

Diesen Text habe ich auch als Video aufgezeichnet, das findest du hier.

Ich habe das Kapitel für die nächste Auflage des Buches (die aber nicht vor 2023 kommen wird) überarbeitet, besser lesbar gemacht und übersichtlicher gestaltet. Wie es gute alte Tradition ist, veröffentliche ich hier den Textentwurf (dieser Text steht daher ausnahmsweise unter Copyright). Ich bitte Euch, mir Rückmeldung zum Text zu geben, auf Fehler oder Unvollständigkeiten hinzuweisen und mir zu sagen, wie ich es verständlicher beschreiben könnte.

Ansonsten: viel Spaß mit diesem Kapitel zu Escitalopram / Citalopram!

3.6.2 Escitalopram und Citalopram

  • Citalopram ist seit den 90er-Jahren auf dem Markt. Sein wirksamer Bestandteil ist das Escitalopram, das inzwischen zunehmend häufiger eingesetzt wird.
  • beide sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).
  • werden eingesetzt gegen Angsterkrankungen, Depressionen und Zwangserkrankungen.
  • sind zumeist gut verträglich.
  • Allerdings müssen bei beiden regelmäßig EKG-Kontrollen durchgeführt werden, weil beide die QTc-Zeit verlängern können.
  • 10 mg Escitalopram entsprechen in ihrer Wirkung zumindest 20 mg Citalopram, aus bestimmten Gründen vielleicht sogar 30 bis 40 mg Citalopram.
  • Escitalopram ist genauso wirksam und im Zweifel nebenwirkungsärmer, daher gibt es keinen triftigen Grund mehr, Citalopram zu verordnen.

Seit den 90er-Jahren ist Citalopram eines der am häufigsten verschriebenen Psychopharmaka. Das liegt unter anderem daran, dass Depressionen und Angststörungen sehr häufig sind, und dass Citalopram meist gut verträglich und wirkstark ist. Mit Escitalopram steht nun auch das wirksame Enantiomer des Citaloprams zur Verfügung, das möglicherweise sogar weniger Nebenwirkungen hat. Deswegen ist es für viele Psychiater das Antidepressivum der ersten Wahl geworden, vor Citalopram.

In diesem Kapitel beschreibe ich beide Substanzen zusammen, und weise auf Unterschiede hin, wenn sie von Bedeutung sind. Das betrifft insbesondere die Dosierung: 10 mg Escitalopram entsprechen 20 – 40 mg Citalopram. Auch die Nebenwirkungen können sich unterscheiden: Citalopram gilt als etwas nebenwirkungsreicher, weil auch das nicht wirksame R-Enantiomer Nebenwirkungen verursachen kann.

Pharmakologie

Was sind Enantiomere?

Citalopram besteht aus zwei Enantiomeren. Enantiomere verhalten sich wie die linke Hand zur rechten Hand. Wenn man seine linke Hand auf die rechte Hand legt, sieht man, dass diese nicht deckungsgleich sind. Der Daumen der linken Hand liegt über dem kleinen Finger der rechten Hand und der kleine Finger der linken Hand liegt über dem Daumen der rechten Hand. Die beiden Hände sind spiegelbildlich. Genau so kommen die meisten Moleküle in der Natur vor. Häufig hat nur eine der beiden Molekülvarianten eine chemische Wirkung. Stellen Sie sich einen Rezeptor diesbezüglich wie einen Handschuh vor. In einen linken Handschuh passt auch nur eine linke Hand. Genauso verhält es sich mit den beiden Molekülen, die im Citalopram enthalten sind. Citalopram ist eine Mischung aus gleichen Teilen S-Citalopram und R-Citalopram. Das wirksame Enantiomer ist das S-Citalopram, kurz genannt Escitalopram. Nur dieses entfaltet die gewünschten Wirkungen. In 20 mg Citalopram sind 10 mg S-Citalopram (= Escitalopram) und 10 mg des wirkungslosen R-Citalopram enthalten. Daher entsprechen 10 mg Escitalopram zumindest 20 mg Citalopram. Da das nicht-wirksame R-Enantiomer des Citaloprams aber vielleicht Wirkungen des L-Enantiomers blockiert, sehen viele die Äquivalenzdosis sogar höher, so könnten 10 mg Escitalopram auch 30 – 40 mg Citalopram entsprechen. Und da das nicht-wirksame R-Enantiomer des Citaloprams im Verdacht steht, sehr wohl zu den Nebenwirkungen beizutragen, gilt Citalopram als nebenwirkungsreicher als Escitalopram.

Pharmakodynamik

Escitalopram und Citalopram sind reine selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Sie haben praktisch keine Wirkung auf den Noradrenalin-Stoffwechsel und auf andere Rezeptoren. Daher verursachen sie typischerweise keine Müdigkeit oder Gewichtszunahme.

Pharmakokinetik

Beide Substanzen werden in der Leber hauptsächlich vom Cytochrom P450-2C19 in weitere wirksame Metabolite umgewandelt, die dann über die Niere ausgeschieden werden. Die Halbwertszeit von Escitalopram liegt bei ca. 30 Stunden, die des Citaloprams bei ca. 36 Stunden. Beide haben wirksame Metabolite mit teilweise deutlich längeren Halbwertzeiten.

Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln

In Kombination mit anderen serotonergen Substanzen wie MAO-Hemmern, Opioiden u. a. kann ein Serotonin-Syndrom (siehe Kapitel 3.7.1) auftreten. Ansonsten sind Wechselwirkungen selten.

Klinischer Einsatz

Depressionen

Bei leichtgradigen depressiven Episoden, die nicht im Rahmen einer rezidivierenden Depression auftreten, sondern eher als psychoreaktiv eingestuft werden, ist die Therapie der ersten Wahl die Psychotherapie. In dieser Indikation überwiegen die möglichen Nachteile einer Pharmakotherapie oft den realistischerweise erwartbaren Nutzen, und die Leitlinienempfehlung sowie der Stand der Wissenschaft unterstützen ein zurückhaltendes Vorgehen in diesen Fällen.

Bei mittelgradigen und schweren depressiven Episoden empfiehlt sich in der Regel eine Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie.

In dieser Indikation beobachtet man oft nach ca. 2 Wochen eine Verbesserung des Antriebs, in dieser Phase können andererseits in einigen Fällen vermehrt Suizidgedanken auftreten. Nach vier bis sechs Wochen tritt oft auch die Verbesserung der Stimmungslage ein, der Antrieb normalisiert sich und gegebenenfalls begleitend vorhandene Angstsymptome klingen ab.

Nach einmaliger depressiver Episode sollte man spätestens sechs Monate nach Ende der Episode eine Dosisreduktion und das Absetzen erwägen. In diesen Fällen gibt es in den letzten Jahren einen Trend zu eher zu langen Erhaltungstherapien.

Bei rezidivierenden Depressionen können Erhaltungstherapien von mehreren Monaten und wenigen Jahren sinnvoll sein, in schweren Fällen auch Dauerbehandlungen.

Angsterkrankungen

Bei Angsterkrankungen ist die Therapie der ersten Wahl die Psychotherapie. Viele Patienten erleben hierdurch eine ausreichende Besserung der Symptomatik. Noch stärkere Effekte lassen sich erzielen, wenn man Psychotherapie und ein antidepressives Medikament kombiniert.

Citalopram und Escitalopram sind zugelassen zur Behandlung generalisierter Angsterkrankungen, der Panikstörung und bei der Posttraumatischen Belastungsstörung.

Escitalopram ist darüber hinaus auch zugelassen zur Behandlung der sozialen Phobie.

Bei Angsterkrankungen setzt man üblicherweise eher höhere Dosierungen ein. In dieser Indikation sind SSRI oft verlässlicher wirksam als in der Behandlung von Depressionen.

In der Therapie von Angst und Panik ist besonders viel Geduld erforderlich. Panikanfälle hören oft schon nach zwei bis vier Wochen auf; bis eine deutliche Abnahme der Ängste eintritt, können aber erfahrungsgemäß vier bis zwölf Wochen vergehen.

Wenn die Symptomatik abgeklungen ist, sollte man einige Monate bis zu zwei Jahren warten, bevor man die Medikation langsam reduziert und schließlich absetzt.

Zwangserkrankungen

Für die Behandlung der Zwangserkrankung ist nicht das Citalopram, wohl aber das Escitalopram zugelassen. In dieser Indikation wählt man am ehesten die höchste Escitalopramdosis, die vertragen wird, bei unter 65-Jährigen also 20 mg. Die Kombination mit Psychotherapie ist immer sinnvoll, der Behandlungserfolg kann sich langsam über mehrere Wochen und Monate aufbauen. Die Behandlung sollte bei schwereren Erkrankungen auf mehrere Jahre angelegt sein.

Dosierung Escitalopram

  • Unter 65 Jahre: max. 20 mg Escitalopram/Tag
  • Über 65 Jahre: max. 10 mg Escitalopram/Tag
  • Patienten mit Leberfunktionsstörungen: max. 10 mg Escitalopram/Tag
  • Therapeutischer Referenzbereich: 15 – 80 ng/ml

Dosierung Citalopram

  • Unter 65 Jahre: max. 40 mg Citalopram/Tag
  • Über 65 Jahre: max. 20 mg Citalopram/Tag
  • Patienten mit Leberfunktionsstörungen: max. 20 mg Citalopram/Tag
  • Therapeutischer Referenzbereich: 50 – 110 ng/ml

Nebenwirkungen

Übelkeit

Escitalopram und Citalopram können wie alle SSRI zu Übelkeit und anderen gastrointestinalen Beschwerden führen. Auch können Unruhezustände mit Symptomen wie Nervosität, Zittern und Unrast auftreten. Oft gehen diese Nebenwirkungen nach einigen Tagen der Behandlung wieder weg. Etwa 10 bis 30 % der Patienten sind zumindest in der Eindosierungsphase von Übelkeit betroffen.

In diesem Fall sollte zunächst einige Tage abgewartet werden. Geht die Übelkeit nicht von selbst weg, sollte die Dosis reduziert werden. Bleibt die Übelkeit bestehen, ist der Wechsel auf ein anderes Präparat der nächste Schritt.

QTc-Zeit-Verlängerung

Sowohl Citalopram als auch Escitalopram können zu einer dosisabhängigen QTc-Zeit-Verlängerung führen. Diese begünstigt das Auftreten einer bestimmten Herzrhythmusstörung, der Torsade-de-point Tachykardie, die tödlich enden kann. Daher sind regelmäßige EKG-Kontrollen erforderlich. Für beide Substanzen gibt es einen Rote-Hand-Brief, der auf die Gefahr einer dosisabhängigen QTc-Zeit-Verlängerung hinweist, die maximalen Dosierungen beschränkt und Kombinationen mit anderen die QTc-Zeit verlängernden Medikamenten untersagt. Ein vorbestehendes Long-QT-Syndrom ist eine Kontraindikation.

Wie bei allen Medikamenten, deren Einnahme das QTc-Intervall verlängern kann, sollte bei Gabe von Citalopram der Elektrolytstatus regelmäßig kontrolliert und ggf. normalisiert werden. Die Patienten sollten darauf hingewiesen werden, bei „Herzstolpern“, Luftnot oder Ähnlichem einen Arzt aufzusuchen.

Gefahr der Begünstigung einer manischen Episode bei bipolar Erkrankten

Die entscheidende pharmakologische Behandlung bei bipolaren Erkrankungen ist die Phasenprophylaxe. In manischen Phasen wird diese höher dosiert und mit einem Antipsychotikum kombiniert.

Auf der anderen Seite sollte man nicht jede depressive Episode im Rahmen einer bipolaren Erkrankung auch mit Antidepressiva behandeln. Dies birgt eine ernsthafte Gefahr, den Umschlag in eine Manie zu begünstigen und hilft bei dieser Patientengruppe oft viel weniger gegen die depressive Symptomatik, als dies bei unipolaren Depressionen der Fall ist1.

Sexuelle Funktionsstörungen

SSRI und SNRI können die Empfindlichkeit der Schleimhäute der Klitoris und des Penis für sexuelle Reize reduzieren. Dies kann zu einem verzögertem Orgasmus führen. Tatsächlich wird das SNRI Duloxetin gegen vorzeitigen Orgasmus verschrieben.

Diese sexuellen Nebenwirkungen können möglicherweise lange Zeit nach dem Absetzen der SSRI/SNRI bestehen bleiben; dies wird PSSD (Post-SSRI Sexual Dysfunction) genannt. (Siehe Kapitel 3.7.4)

Citalopram / Escitalopram in Schwangerschaft und Stillzeit

Beide Substanzen sollen in der Schwangerschaft nur nach gründlicher Abwägung von Risiken und möglichem Nutzen gegeben werden. Eine dänische Studie aus dem Jahr 20172 hatte Hinweise darauf gegeben, dass die Einnahme von SSRI in der Schwangerschaft das Risiko von psychiatrischen Erkrankungen bei den Kindern erhöhen könnte. Wenn Citalopram/Escitalopram abdosiert werden soll, dann sollte dies auch in der Schwangerschaft schrittweise erfolgen.

Beide Substanzen gehen in die Muttermilch über, daher wird vom Stillen mit Muttermilch abgeraten.

Absetzsymptome

Wie bei allen SSRI kann es nach dem Absetzen des Medikaments – insbesondere nach plötzlichem Absetzen – zu unangenehmen Absetzerscheinungen (siehe Kapitel 3.7.3) kommen.

Sonstige Nebenwirkungen

Weitere unerwünschte Wirkungen wie Mundtrockenheit, Magen-Darm-Beschwerden, Nervosität, Kopfschmerzen, Zittern, Herzklopfen, vermehrtes Schwitzen, Akkommodationsstörungen der Augen oder Kraftlosigkeit treten manchmal zu Beginn der Behandlung auf, legen sich aber meist nach wenigen Tagen.

Sinnvolle Kontrolluntersuchungen

Mein persönliches Fazit

Escitalopram ist ebenso wie Citalopram ein gut und sicher wirksames Antidepressivum. Bei beiden Medikamenten sind regelmäßige EKG-Kontrollen notwendig. Seit es keinen relevanten Preisunterschied zwischen den beiden Präparaten mehr gibt, bevorzuge ich Escitalopram. In der Behandlung von Ängsten, Depressionen und Zwangserkrankungen zeigt es eine gute und verlässliche Wirkung bei meist guter Verträglichkeit. Dabei halte ich das Ende der Pharmakotherapie im Blick, zu lange Behandlungen von symptomfreien Patienten nach einmaliger depressiver Episode halte ich nicht für richtig.

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

  1. DGBS e.V. und DGPPN e.V.: S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Seite 181 ff.https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-019.html
  2. Liu X, Agerbo E, Ingstrup KG, Musliner K, Meltzer-Brody S, Bergink V et al. Antidepressant use during pregnancy and psychiatric disorders in offspring: Danish nationwide register based cohort study. BMJ. 2017; j3668. DOI: 10.1136/bmj.j3668. http://dx.doi.org/10.1136/bmj.j3668

PSSD: Können von SSRI verursachte sexuelle Funktionsstörungen nach dem Absetzen bestehen bleiben?

 

Man hört in letzter Zeit zunehmend von möglichen sexuellen Funktionsstörungen, die von SSRI verursacht werden und die auch lange Zeit nach dem Absetzen der SSRI noch bestehen bleiben. Diese nennt man PSSD (Post-SSRI Sexual Dysfunction).

Sexuelle Funktionsstörungen, insbesondere ein verzögerter Orgasmus, sind während der Einnahme von SSRI nicht selten und diese Nebenwirkung ist auch gut bekannt. Die Frage ist nun, ob diese Nebenwirkung auch nach dem Absetzen des Medikamentes fortbestehen kann.

Was könnte die neurobiochemische Ursache der PSSD sein?

Es gibt schon lange Hinweise darauf, dass SSRI die Empfindlichkeit des Penis und der Klitoris für sexuelle Reize reduzieren können. Dies könnte möglicherweise eine Erklärung für die nicht selten berichtete Nebenwirkung eines verzögerten Orgasmus unter SSRI sein. In der Behandlung des Vorzeitigen Samenergusses wird tatsächlich das SSRI Dapoxetin erfolgreich eingesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass einige Patienten auch nach Absetzen der Antidepressiva über längere Zeit sexuelle Funktionsstörungen erleben, insbesondere scheint es Patienten zu geben, die eine nach dem Absetzen des Medikamentes länger bestehende reduzierte sexuelle Erregbarkeit, reduzierte Empfindlichkeit des Penis / der Klitoris oder eine gestörte Orgasmusfähigkeit berichten.

Besteht diese Symptomatik nach Absetzen der SSRI über längere Zeit fort, heißt das PSSD (Post-SSRI Sexual Dysfunction).

Es ist noch unklar, wie häufig PSSD tatsächlich ist, aber in der öffentlichen Diskussion ist das Thema bereits angekommen und auch die Absetzerscheinungen wurden in der Fachwelt zuerst unterschätzt. Es ist also sinnvoll, diese mögliche Nebenwirkung aufmerksam im Auge zu behalten. Habt Ihr selbst oder über eure Patienten konkrete Erfahrungen mit PSSD? Schreibt darüber gerne in den Kommentaren!

 

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Sertralin

Sertralin (z.B. Zoloft®) ist schon seit 1997 auf dem deutschen Markt erhältlich und gehört damit inzwischen zu den Youngtimern der Antidepressiva. Mit der Markteinführung von Citalopram geriet es zunächst etwas ins Hintertreffen, da letzteres das noch etwas reinere pharmakologische Profil hat. Seitdem Citalopram allerdings für seine Verlängerung der QTc-Zeit bekannt geworden ist, gehört Sertralin für viele Psychiater und Allgemeinärzte wieder zu den häufig verordneten SSRI.

Pharmakologie

Sertralin ist ein typischer Vertreter der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Darüber hinaus bewirkt es eine schwache Dopamin-Wiederaufnahmehemmung, was zu einem milde erhöhten Maß an Unruhe führen kann. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 24 Stunden. Sertralin wird über die Niere ausgeschieden.

Klinischer Einsatz

Sertralin wird wie alle SSRI zur Behandlung von Depressionen, Angsterkrankungen und Zwangserkrankungen eingesetzt.

Dosierung

50-200 mg pro Tag, morgens verabreicht.

Nebenwirkungen

Sertralin verursacht die für SSRI typischen Nebenwirkungen wie Übelkeit, verzögerten Orgasmus oder Unruhe. Es ist aber weder für eine Gewichtszunahme noch für eine QTc-Zeit Verlängerung bekannt, daher gilt es insgesamt als gut verträgliches SSRI

Mein persönliches Fazit

Sertralin ähnelt als SSRI dem Citalopram pharmakologisch, hat aber zusätzlich eine schwach dopaminerge Wirkung, was im Positiven eine Antriebssteigerung und im negativen eine gewisse Unruhe verursachen kann. Da unter Sertralin keine Verlängerung der QTc-Zeit bekannt ist, kann es insbesondere für kardiologisch vorerkrankte Patienten eine sinnvolle Alternative zu Citalopram sein. Ich selbst kontrolliere aber auch unter Sertralin das EKG regelmäßig.

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Suizidalität und Antidepressiva oder Wie man das Kind mit dem Bade ausschütten kann…

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Prof. Gründer hat in seinem wie immer extrem lesenswerten mind-and-brain-blog in diesem post einen Artikel verlinkt, den er im Nervenarzt geschrieben hat und den man dort direkt als PDF im Volltext kostenlos laden kann. Der Artikel beschreibt in sehr differenzierter und nachvollziehbarer Weise, wie die Diskussion über eine Zunahme suizidaler Gedanken sich in den letzten 15 Jahren entwickelt hat und was aktuell der evidenzbasierte Stand der Dinge ist.

Klinisch gilt es als typisch, dass Patienten in den ersten Wochen einer antidepressiven Medikation unter einer Zunahme von Unruhe und Getriebenheit leiden können. Diese Getriebenheit trifft auf eine Zeit, in der die depressiven Symptome wie reduzierte Lebensfreude, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung noch voll ausgeprägt sein können. In dieser Zeit ist daher ganz besonders genau zu prüfen, ob suizidale Gedanken zunehmen und eine konkrete Gefährdung entsteht.

Die diesbezüglichen Studien haben eine besonders hohe Gefahr für Jugendliche gefunden; über die Jahre hinweg gab es unterschiedliche Warnungen für unterschiedliche Altersgruppen.

Viele Kritiker der Psychopharmakotherapie haben diese Diskussion dann zum Ausgangspunkt genommen, die SSRI für die Behandlung von Depressionen ganz zu verteufeln. Das ist zwar irgendwie verständlich, damit schüttet man aber das Kind mit dem Bade aus.

Meine persönliche Einschätzung:

Ich persönlich habe keinen Zweifel daran, dass durch die Behandlung schwerer Depressionen mit einem SSRI die der Krankheit innewohnende Gefahr eines vollendeten Suizids wesentlich reduziert werden kann. Diese Reduktion ist meiner Einschätzung nach wesentlich größer als die Gefahr, die durch die Verstärkung suizidaler Gedanken durch die Medikation ausgehen könnte. Eine engmaschige Einschätzung der Suizidalität ist daher mit und ohne Psychopharmakotherapie äußerst wichtig.

Wer sich nicht auf die persönlichen Einschätzungen Einzelner verlassen möchte, findet im von Prof. Gründer verlinkten Artikel eine sehr genaue Darstellung der aktuellen Evidenz, deren Lektüre ich jedem an diesem Thema Interessierten sehr ans Herz legen möchte.

Spermien zeigen unter SSRI erhöhte Rate an DNA-Fragmentierungen

SSRI und Fruchtbarkeit

SSRI haben bekanntermaßen Auswirkungen auf die Sexualität; bei Männern führen SSRI nicht selten zu einem verzögerten Orgasmus. Nun ist im Fachmagazin „Fertility and Sterility“ eine Studie erschienen (abstract hier), die bei 35 gesunden Männern die Spermienqualität unter Therapie mit SSRI untersucht hat. Das Ergebnis ist, dass bei 30,3 % der behandelten Probanden DNA-Fragmentierungen, also Brüche in der DNA der Spermien, festgestellt worden sind, verglichen mit 13,8 % vor Beginn der Therapie. Dazu kam, dass 35 % der behandelten Männer über erektile Dysfunktion klagten und 47 % die bekannten Orgasmusstörungen beschrieben. Alle diese Nebenwirkungen verschwanden nach Absetzen der SSRI wieder. Da DNA-Fragmentierungen die Fruchtbarkeit reduzieren können, sollten Männer mit Kinderwunsch über diese Nebenwirkung von SSRI aufgeklärt werden.

Quelle: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54357/Spermien-Krise-unter-Antidepressiva