Kann die Psychiatrie helfen, zu verstehen, was Breivik getan hat?


Heute habe ich einen sehr interessanten Vortrag von Prof. Malt gehört. Prof. Malt war einer der Gutachter, der Breivik begutachtet hat.

Er sagt, dass bei Breivik eine ganze Reihe von Umständen und Besonderheiten zusammen gekommen sind. Die Mutter von Breivik sei sehr sonderbar gewesen, vielleicht am ehesten wie eine Asperger-Autistin. Die Mutter-Kind-Interaktion mit Breivik sei bis zuletzt fatal abnorm gewesen. Breivik selbst zeige einige Symptome des Asperger-Autismus, darunter ein Mangel an Empathie, eine gute verbale Kompetenz bei mangelhafter Empathie, eine pathologische Fixierung auf wenige lebensfremde Aspekte des Lebens, ohne adäquate Verknüpfung mit dem restlichen Leben.

Dazu gekommen sei eine zunehmende Fanatisierung der Gedanken im Sinne eines ausländerfeindlichen Denkens. Gefolgt von einer realitätsentrückten Größenphantasie; so dachte Breivik wohl, er sei auserwählt, Fehler in der Gesellschaft durch eigene Entscheidungen über Leben oder Tod zu korrigieren. Diese Größenideen und das extreme Ausmaß der Entfernung von jeder irgendwie noch nachvollziehbaren Realitätsauffassung beurteilt auch Prof. Malt als „delusional“ also am ehesten wahnhaft. Dabei darf man gerade in Deutschland nicht vergessen, dass es eine Zeit gab, in der eine unfassbare Menge an Menschen eben so gedacht hat: „Wir müssen eine andere Rasse auslöschen, sonst löscht sie uns aus!“ Und diesen schrecklichen Teil unserer Geschichte interpretieren wir ja nicht entschuldigend als kollektiven Wahn, sondern als menschenverachtend böse, fanatisch und verwerflich, aber eben nicht als einfache Krankheit. 

Breivik habe dann auch noch Zeichen eines Gille-de-la-Tourette-Syndromes gezeigt, namentlich Phasen von aggressivem Impulssturm: „Rage“. 

Auch sehr ausgeprägte Elemente eines pathologischen Narzissmuss sind bei Breivik zwanglos zu diagnostizieren.

Er habe sich dann in diese Welt immer mehr zurück gezogen, habe ein Jahr lang nur vor seinem Computer gesessen. Dann habe er noch diesen Waffen-Fanatismus gehabt, habe Zugang zu Waffen gehabt und habe seinen Fanatismus über Jahre gepflegt und ausgebaut.

All dies reicht nicht, um eine so unglaubliche Tat wie das Massaker, das Breivik angerichtet hat, zu verstehen. Aber es gibt das Phänomen des Amok-Laufes offenbar schon seit Jahrtausenden. Die Häufigkeit sei dabei erstaunlich konstant.

Breivik habe dann zunächst diese Bombe gezündet. Er habe im Gerichtssaal berichtet, er habe im Radio gehört, dass acht Menschen dabei gestorben seien. Da habe er sich entschieden, auf die Insel zu gehen und weitere Menschen zu töten. Hätte die Bombe mehr als 10 Menschen getötet, wäre er nicht auf die Insel gegangen. 

Auch zwei Jahre nach dem Massaker zeige Breivik nicht einen Anflug von Reue. 

Kann die Psychiatrie nun helfen, solche unfassbaren Gewaltexzesse wie den von Breivik verübten zu verstehen? 

Die Antwort von Prof. Malt war: 

„Sie soll es versuchen.“  
„Aber es wird ihr wohl niemals gelingen, dieses Verhalten wirklich zu verstehen.“

Für mich hat der Vortrag gezeigt, dass psychiatrische Klassifikationssysteme dafür geschaffen sind, häufige Krankheiten zu kategorisieren. Sie sind aber nicht dafür geschaffen, Amokläufer zu beschreiben. Sie sind dafür auch völlig ungeeignet. Dass es keine Diagnose gibt, in die Breivik wirklich paßt, weder in die Schublade „Psychotisch“, noch in die Schublade „Narzisstischer und fanatischer Asperger“, noch in die Schublade „Gesund, aber böse“, ist für mich nicht überraschend. Man kann auch nicht mit dem Klassifikationssystem für Schmetterlinge das Aussterben der Dinosaurier verstehen. 

Unser ICD-10 Klassifikationssystem ist nicht dafür gemacht. Werfen wir ihm nicht vor, dass es im Falle von Breivik gänzlich unpassend ist.

11 Gedanken zu “Kann die Psychiatrie helfen, zu verstehen, was Breivik getan hat?

  1. fiirvogu 29. November 2013 / 10:56

    Ich weiss nicht, ob es überhaupt die Aufgabe der Psychiatrie ist, das Verständnis für solche Gewaltsexzesse zu wecken. Denn solche Taten werden in unserer Gesellschaft (bis auf wenige Ausnahmen) nie Verständnis finden. Das ist auch ok so. Ich sehe die Aufabe der Psychiatrie eher darin, solche Gewaltsexzesse nach Möglichkeit zu verhindern. Und sich dabei nicht nur auf das ICD-10-Klassifikationssystem zu stützen. Es wird immer Menschen mit psychischen Krankheiten geben, die nicht in dieses Raster passen und bei denen man ev. gerade wegen diesem starren Raster nicht erkennt, dass da ev. Gewaltpotenzial vorliegen kann.
    In meinen Augen wäre wichtig, das Thema „psychische Krankheiten“ gesellschaftsfähgi zu machen. Das Tabu zu brechen. So dass niemand mehr das Gefühl haben muss, ausgegrenzt, verachtet oder diskrimiert zu werden, weil er/sie psychisch Beeinträchtigt ist. Nur mit einer besseren Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema und mit einerer besseren Akzeptanz von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen kann erreicht werden, dass Ausbrüche jeglicher Art weniger werden können. Nur fürchte ich, dass in unserer Ego-Gesellschaft das Verständnis für „Andersartigkeit“ nicht viel Platz hat…

    • markohhh 29. November 2013 / 13:36

      Toller Kommentar. Natürlich werden solche Taten nie Verständnis finden. Aber unsere Gesellschaft neigt dazu, das irgendwer Schuldig sein muss – und dann gefälligst dafür gerade zu stehen hat.
      Und ein psychisch erkrankter Täter – das hätte ja schliesslich irgendwer gewusst haben müssen.
      Das der potentielle Breivik vielleicht doch nur ein Mollath war, wird dann gerne von den Medien und der gemeinen Bevölkerung vergessen.
      Traurige Tatsache ist nun einmal: Schlimme Sachen passieren. Und nicht immer gibt es einen Schuldigen, der das hätte verhindern können.

    • psychiatrietogo 29. November 2013 / 15:32

      NEIN!!!!
      Keiner will Verständnis für Breivik entwickeln. Die Frage ist, ob man begreifen kann, wie er zu seinen Taten kam. Um ähnliches zu verhindern und um ohn im Prozess korrekt zu beurteilen. Natürlich kein Verständnis im Sinne von:“Ach er hatte ja auch ne schwere Kindheit…“
      Beste Grüße aus Berlin!

    • Vinicius Masur 26. April 2020 / 17:04

      Schön formuliert! Ganz besonders das Ende. Ich hab mir auch in letzter Zeit folgende Gedanken gemacht:
      „Anstatt sich darüber aufzuregen, das Autisten angeblich völlig empathielos und egozentrisch sind, sollte sich die Gesellschaft mal selber kritisch anschauen. Ich meine, wie empathielos und egozentrisch ist denn ein sehr großer Teil der nicht autistischen Gesellschaft selbst, wenn sich in ihr jede einzelne Person nur um das persönliches Wohl sowie die eigene berufliche Leistung scheren soll und wichigen sozialen Problemen völlig ignorant gegenüber steht?“

      Nach allem was ich über autistische Menschen gelesen habe, weiß ich, dass die Betroffenen als gesellschaftliches Problem dargestellt wurden und die Gesellschaft hingegen als ideal! Hinzu kommt, dass es in Deutschland nicht sehr gut ankommt als Mann Fehler einzugestehen!

  2. flop 29. November 2013 / 17:14

    Hm, es ist nur wie in den meisten derartigen Verbrechensfällen das erste statement, psych.krank. Klar was sonst, sind ja alle gemeingefährlich. Traurige, ignorante Verallgemeinerung.
    Das aber die meisten Psychos hauptsächlich und nachdrücklich sich selbst schädigen, bleibt ungesagt.
    Und so leben Unverständnis und Diskriminierung weiter……

  3. Tired 29. November 2013 / 17:44

    Ich finde es auch besonders schlimm das bei jeder unverständlichen Tat gleich gesagt wird, der nahm Psychopharmaka, der war beim Psychologen und wenn es nichts offensichtliches zu berichten gibt dann wird angemerkt das geprüft wird ob derjenige psychisch krank ist.
    Alle Amokläufer, alle Massenmörder, alle Menschen die unvorstellbar grausame Taten begehen sind potenziell psychisch schwer geschädigt.

    Kann es nicht sein das einige solcher Menschen schon immer so waren, das ihre Persönlichkeit schon immer so ausgelegt war und es dann „vielleicht“ gar keine Erkrankung ist, sondern das sie einfach unsäglich böse und sich selbst in den Fokus stellende Menschen sind, Menschen die ihre monströse Seite ausleben anstatt sie beherrschen zu können..
    Sind sie wirklich krank und durch die Psychiatrie erklärbar?
    Die Psychiatrie denkt immer in Störungsschubladen und erforscht die anormalen Verhaltensweisen, so muss doch zwangsläufig eine Störung dabei herauskommen?

    Es erinnert mich ein wenig an die Meinung die früher über Menschen mit bestimmten sexuellen Orientierungen herrschte und sogar heute noch ihre Anhänger hat. Die sind krank, sie müssen sich entweder zusammenreißen oder zwangsbehandelt werden. Heute wissen die meisten das sie nicht krank sind und nicht behandelt werden können, da es keine Erkrankung gibt. Sie sind also gesund, nur anders als die Masse und das musste auch erst mal von den Psychiatrien akzeptiert werden, die tat das aber auch erst als sich die Gesellschaft in ihrem Denken veränderte.

    Kann ein Breivik nicht geistig vollkommen gesund sein und der Grund für seine Tat einfach in dem liegen was er sagt, was er denkt, was er fühlt, in der Genetik und nicht in irgendwelchen äußeren Einflüssen, denn dann müsste es viel mehr Amokläufer geben. Sicher gäbe es die auch wenn so ein Amoklauf keine Folgen hätte, meist den eigenen Tod, der Unterschied liegt bei manchen vielleicht einfach nur in der Selbstbeherrschung.
    Ist es nicht so das jeder der ein besonders grausames Verbrechen begeht von vielen nicht verstanden wird und genau aus diesem Unverständnis heraus all das auf das psychiatrische Forschungsgebiet verwiesen wird, was ich nicht verstehe ist gestört?
    Ich bin sicher so einen Amoklauf verstehen viel mehr Menschen als man denkt, sie sagen es natürlich nicht und üben sich in Selbstbeherrschung aus Angst vor den Folgen, für sich selber.

  4. Christina 1. Dezember 2013 / 19:57

    Inwiefern ist denn sein vermeintlicher Asperger-Autismus relevant?
    Das auch hier explizit erwähnt zu sehen irritiert mich.

  5. ingod 1. Dezember 2013 / 20:03

    Danke für den ausgewogenen Kommentar.
    Eine grundsätzliche Grenze des „Verstehens“ besteht ja schon zwischen zwei „gesunden“ Menschen die sich zudem lieben und vielleicht schon 30 Jahre verheiratet sind.
    Und es existiert sogar eine Grenze des „Verstehens“ in jedem Menschen selbst – wie alt er auch sei.
    Wieso also sollte ein Klassifikationssystem, welches allenfalls „Modellcharakter“ haben kann, geeignet sein, mehr Licht in’s „Dunkel“ monströser Täter und deren Taten bringen? Eine „Landkarte“ ist doch noch lange nicht die „Landschaft“ selbst.
    Unser „Nichtverstehen“ bleibt größer als unser „Verstehen“.

    Die Antwort von Prof. Malt empfinde ich realistisch und weise auf die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens durch die Psychiatrie: “Sie soll es versuchen.” “Aber es wird ihr wohl niemals gelingen, dieses Verhalten wirklich zu verstehen.”

    Interessanter ist für mich vielmehr die Frage: „Warum haben wir in unserer Gesellschaft überhaupt den Anspruch Amokläufer (od. Terroristen usw. möglichst vollständig) verstehen zu wollen?“ Glauben wir ernsthaft wir könnten dann, wenn uns dies gelingen würde, solche monströse Taten wirklich verhindern?

    Der Mensch hat in seinem Sicherheitsbedürfnis den Wunsch sich selbst und andere zu trivialisieren und dabei (grundsätzlich) zu übersehen, dass er „nicht sieht“. Dafür benötigen wir Sensibilität. Mehr noch als diese „Täterfixierung“. Hannah Arendt prägte als beobachtende Journalistin im Eichmannprozess 1963 den vieldiskutierten Begriff von der „furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert“ und erläutert diesen Begriff als schiere „Realitätsferne und Gedankenlosigkeit“.

    So grausam und unberechenbar Mensch zwischen Verfolgungswahn und Größenwahn auch immer werden kann, so ist er paradoxerweise zugleich mehrheitlich fähig, gerade wegen solchen Irrsinns, dem Wahnsinn zu entsagen um auf sich Selbst und aufeinander zu achten und achtsamer umzugehen – auch ohne Garantie – und im Bewusstsein, dass Mensch grundsätzlich „unverstehbar“ und damit zu allem „Bösen“ (grundsätzlich) fähig bleibt.

  6. Susanne 2. Dezember 2013 / 02:41

    Der ICD-10 F00-F99 ist nicht nur Breivik ungeeignet, sondern für jeden. Denn die hier beschriebene Konstellation, dass jemand diverse Diagnosen und Verdachtsdiagnosen kommt bei vielen Leuten vor, die niemals Amok laufen.

    könnte noch dieses vorhanden sein… und jenes….

    Jede Menge Leute haben zwei ICD-10-Diagnosen, oft noch versehen mit irgendeinem Zusatz („atypisch“, „agitiert“), außerdem fünf Verdachtsdiagnosen

    ICD-10 ist konzeptionell falsch.
    Es gibt bestimmte Phänomene. Z.B. niedergedrückte Stimmung, Durcheinandersein, Wahn, Halluzinationen, etc. Sie können einzeln auftreten, aber auch zusammen. Dass bestimmte Phänomene häufig zusammen auftreten, liegt daran, dass das eine Phänomen das andere begünstigt. Aber nicht daran, dass da eine Krankheit zugrundeliegen würde, die sich in mehreren Symptomen äußert.

    Z.B. fallen wahnhafte Leute gerne auf ihre Halluzinationen rein. Leute, die nicht zum Wahn neigen, erkennen ihre Erscheinungen als privaten Trip und das Ganze kriegt dann den Label „Pseudohalluzination“.
    Halluzinationen können andererseits die Entstehung von Wahnideen begünstigen, besonders dann wenn sie nicht so leicht überprüfbar sind.
    Aber es gibt das eine ohne das andere. Z.B. Leute die Stimmen hören aber nicht wahnhaft sind. Und natürlich wahnanfällige Leute ohne Halluzinationen

    Emotionales Aufgewühltsein verursacht gerne Durcheinander. Damit wären sowohl die „schizophrenen formalen Denkstörungen“ als auch das vergesslich-planlose Umherwandeln bei der „agitierten Depression“ erklärt.

    Ein gutes Buch dazu:
    Richard P. Bentall: Madness Explained. Psychosis and Human Nature

    Seltsamerweise kommt bei Kriegsverbrechern oder Mitgliedern der chinesischen Armee, die Demonstranten mit dem Panzer niederwalzen, niemand auf die Idee, sich eingehende psychiatrische Gedanken zu machen. Nur Einzelgänger-Mörder werden da untersucht

  7. Yezrel 3. Januar 2014 / 23:37

    Ich denke schon, dass Breivik psychisch krank ist und seine Persönlichkeit aufgeschlüsselt werden könnte. Es würde eben nur viel Zeit brauchen und Breiviks Aufgeschlossenheit, Einblick in seine Persönlichkeit und Denkweise zu geben. Nur würde es nichts ändern. Ich denke, dafür ist er psychisch zu sehr krank. Doch finde ich schon, dass er behandelt werden sollte. Genug Zeit hat er ja. Die fehlende Empathie würde ich nicht auf Asperger schließen, da Asperger-Autisten in der Regel eher in sich gekehrt sind und keine Ambitionen zur Selbstdarstellung haben, ganz im Gegenteil. Die fehlende Empathie weist eher auf den stark ausgeprägten Narzissmus hin. LG Yezrel

  8. Benedita 30. August 2015 / 00:00

    Krankheit ist definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.

    Ist doch eindeutig definiert – hat er sich beeinträchtigt gefühlt, unter seinen Symptomen gelitten, hat einer Einsicht und Reue gezeigt? Nein! Er leidet nur unter den anderen. Kann ja alles noch kommen, wenn er die Zeit absitzt, dann kann man ihn doch immer noch „behandeln“

    Zum Glück ist er nicht Politiker geworden.

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