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Flugangst ist relativ weit verbreitet, und man muss sie nicht immer als Krankheit einordnen. Ich kann schon verstehen, wie Flugangst entstehen kann: Nach jedem Flugzeugabsturz wird ausführlich in den Medien darüber berichtet, und das menschliche Gehirn schätzt Risiken nicht anhand der objektiven Häufigkeit ein, sondern nach der Häufigkeit, mit der man damit konfrontiert wird. So denken viele Menschen völlig irrig, Flugzeugreisen währen unsicherer als Autofahrten, was aber nur an der unterschiedlichen Berichterstattung liegt. Die Tatsache, dass man die Kontrolle über das Geschehen abgeben muss, macht es auch nicht gerade einfacher, obwohl es objektiv betrachtet ja gerade sinnvoll ist, die Kontrolle über den großen Linienjet an einen Top-ausgebildeten Piloten abzugeben, statt selbst Hand ans Höhenruder zu legen, aber auch das ist für unser Gehirn kein Trost.
Was kann man also gegen Flugangst tun?
Alternativen wählen
Es gibt verschiedene Ansätze: Einer wäre, mit dem Schiff zu reisen. Oder mit der Bahn, dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß. Wenn das geht, kann es eine umweltfreundliche und vernünftige Alternative sein.
Kognitive Verhaltenstherapie
Für berufliche Vielflieger mit Flugangst gibt es ein gut sortiertes Angebot an kognitiven Verhaltenstherapien, die einem helfen, Flugangst zu lindern, zumeist sind diese Seminare in Form von Wochenendseminaren mit abschließendem Flug organisiert. Psychotherapeutisch sind das gestufte, aber rasch aufbauende Konfrontationsübungen mit üblicherweise sehr guter Wirksamkeit. Wer ernsthafte Flugangst hat und häufiger fliegen muss, sollte so ein Seminar belegen. Ich verlinke hier mal keines, aber jede Fluglinie hat da Informationen.
Medikamentöse Therapieoptionen
Für Gelegenheitsflieger ist ein Programm wie das oben beschriebene vielleicht praktisch nicht so gut durchführbar. Wenn es wirklich nur darum geht, den einen Flug alle drei Jahre nach Südafrika durchzustehen, gibt es sehr wohl einfacher organisierbare Alternativen:
- Neben dem Tomatensaft an Board kann man ja immer auch ein Piccolöchen Sekt ordern, und vielen reicht das schon, die Angst etwas zu lindern. Aus pharmakologischer Sicht wäre es zwar sinnvoller, den Alkohol 30 Minuten vor dem Start zu sich zu nehmen, aber gut. Ich will hier natürlich nicht raten, Alkohol gegen Angst einzusetzen, aber es wäre auch nicht ganz ehrlich, wenn man verschweigen würde, dass Alkohol in einer niedrigen Dosis eine gewisse milde Angstlinderung verursachen kann. Für richtige Flugangst wird das nicht reichen, aber erwähnen wollte ich diese Stufe schon.
- Gegen milde Ängste, insbesondere Prüfungsangst, werden gerne auch ß-Blocker eingesetzt. Sie reduzieren nicht wirklich die Angst, sondern eher den schnellen Herzschlag, der mit der Angst einher geht. Dadurch unterbrechen sie allerdings ein sich Aufschaukeln der Angst, und das kann hilfreich sein. Außerdem merken Dritte von außen die Angst des Betroffenen nicht so, weil er weniger errötet, die Stimme nicht zittert, und er insgesamt ruhiger wirkt. Die Domäne der ß-Blocker bleiben somit Prüfungsängste bei seltenen Prüfungen und Angst vor einem Vortrag vor vielen Leuten. Bei beiden Indikationen kann man mit wenigen Stunden Verhaltenstherapie eine ursächliche Behandlung durchführen, die ebenfalls sehr oft gut wirkt und spätestens dann, wenn sich diese Situationen häufen, zu bevorzugen sind. ß-Blocker werden bei Flugangst ebenfalls vereinzelt verschrieben. Bei milden Formen der Flugangst kann das reichen.
- Niedrigpotente Neuroleptika, wie Promethazin, machen müde und lindern ein wenig die Angst. Das nennt sich „Neuroleptanxiolyse“. Diese Medikamente haben kein Abhängigkeitspotenzial und sind auch bei wiederholter Gabe in niedriger Dosis eher unbedenklich. Wenn man damit den gewünschten Flug absolvieren kann, ist das gut. Es kann nicht schaden, vor dem Flug an einem ruhigen Tag einmal die geplante Dosis einzunehmen, um zu sehen, nach welcher Zeit die Medikation wirkt (oft nach ca. 45 Minuten) und was genau passiert (man wird hauptsächlich müde und manchmal etwas gelassener). Manche Menschen vertragen aber auch diese Medikamente nicht. Dann wäre es nicht ideal, wenn man das erst an Board eines Flugzeuges merkt. Die häufigsten Nebenwirkungen dürften eine gewisse Muskelsteifigkeit und Sitzunruhe sein.
- Benzodiazepine wie Lorazepam wirken relativ stark und verläßlich gegen Flugangst. Gerade Lorazepam hat mit einer Halbwertszeit von ca. 8 Stunden und einer klinischen Wirkdauer von ca. 4 Stunden ein gutes Profil für kürzere bis mittellange Flüge. Häufig reicht eine Dosis von 0,5-1 mg Lorazepam; dies kann aber nur der behandelnde Arzt im Einzelfall besprechen und festlegen. Benzodiazepine werden in aller Regel gut vertragen. Die Wirkung ist oft so gut, dass man wirklich folgendes im Auge halten muss: Patienten mit einer echten Angststörung sollten Ängste am besten nie mit einem Benzodiazepin behandeln, weil die Wirkung so gut ist, dass sich eine Benzodiazepinabhängigkeit schneller entwickeln kann, als man „Keine N2-Packung verschreiben“ sagen kann. Aber wenn die Anwendung tatsächlich auf den einen Hin- und Rückflug alle drei Jahre beschränkt bleibt, ist das eine wirksame Möglichkeit. Auch hier sollte man die Tablette etwa 45 Minuten vor dem Boarding einnehmen, so lange dauert es in der Regel, bis die Wirkung eintritt. Und dann sollte man auf Alkohol verzichten und sich lieber einen Tomatensaft servieren lassen, sonst wird man wirklich übermäßig müde…
Das ist ein journalistischer Überblick, keine Behandlung im Einzelfall
Dieser Text will lediglich darstellen, welche medikamentösen Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, Flugangst zu begegnen, wenn man nur selten fliegt. Ich möchte, um Missverständnissen vorzubeugen, noch mal Folgendes hervorheben:
- Es gibt gut wirksame und recht kurze Psychotherapien gegen Flugangst. Wer unter Flugangst leidet und häufiger fliegen muss, sollte diese Möglichkeit wählen.
- Weder Alkohol noch Benzodiazepine sind für den häufigeren Einsatz geeignete Mittel gegen Ängste. Aber wenn es um vereinzelte Situationen geht, helfen sie natürlich und werden auch verschrieben.
- Ein geeignetes Medikament auszuwählen und eine geeignete Dosis zu bestimmen, erfordert eine ärztliche Untersuchung und Behandlung, das geht nicht mit einem Text im Internet. Der Arzt, der eines der hier angesprochenen Medikamente verschreibt, wird eine individuelle Auswahl und eine individuelle Dosis vorschlagen.
Was immer Sie auch machen, und wenn es nur das Hören von beruhigender Musik ist, ich wünsche Ihnen auf jeden Fall einen guten Flug!
Beachtenswert sind außerdem noch vier Dinge:
a) Alkohol hat einen diuretischen (harntreibenden) Effekt, der bei anfälligen Personen durch häufige Besuche der Bordtoilette zusätzlichen Stress verursachen kann. Die Orthostase-Reaktion beim Aufstehen erhöht Blutdruck und Herzfrequenz und wirkt so dem leicht sedativen Effekt des Alkohols entgegen.
b) Neuroleptika sollten unbedingt vor dem Flug erprobt werden, um sicherzustellen, dass keine Akathisie (Sitzunruhe) auftritt. Diese Nebenwirkung ist für niederpotente Neuroleptika zwar eher untypisch, kann aber in Einzelfällen durchaus vorkommen. Akathisie wird schon unter „Bodenbedingungen“ als sehr belastend erlebt, ist aber während des Fluges mit der Unmöglichkeit, den Bewegungsimpulsen nachzugehen, wahrscheinlich noch einmal ein besonderes Kaliber.
c) Bei Benzodiazepinen besteht die Gefahr eines „Hangovers“, wenn die Wirkdauer die Flugzeit übersteigt. Die Resultate sind Aufmerksamkeitsschwächen bis hin zur Desorientierung, was insbesondere bei Reisen ohne Begleitung und/oder bei bislang unbekannten Reisezielen problematisch sein kann.
d) Vor dem Flug sollte man sich über das Arzneimittel- und Drogenrecht am Reisezielort informieren, um sicherzustellen ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen (Ärztliche Bescheinigung in englischer Sprache?) man bestimmte Medikamente einführen darf. Besondere Vorsicht ist hier bei Substanzen mit Sucht- oder Missbrauchspotenzial (Benzodiazepine!) geboten. (Vordruck: http://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/Betaeubungsmittel/Reisen/reise_andere_formular.pdf?__blob=publicationFile&v=2)