Warum es keine disziplinarischen Entlassungen und keine Entlassungen gegen ärztlichen Rat gibt

Disziplinarische Entlassung -> Entlassung auf ärztliche Veranlassung

In der psychiatrischen Welt hält sich hartnäckig der Begriff der „Disziplinarischen Entlassung“. Gemeint ist damit eine Entlassung, weil ein Patient gegen eine therapeutische Regel verstoßen hat. Typische Beispiele sind:

  • Einmaliger oder wiederholter Alkoholkonsum während einer Alkoholentzugsbehandlung
  • Körperliche Gewalt gegen Mitpatienten oder Personal
  • Einmalige oder wiederholte verbale Gewalt gegen Mitpatienten oder Personal

Diese Entlassungen sind natürlich auch völlig in Ordnung. Aber es sind keine disziplinarischen Entlassungen. Warum? Weil Disziplinierung keine Aufgabe der psychiatrischen Tätigkeit ist.

Patienten kommen in ein Krankenhaus, auch in ein psychiatrisches Krankenhaus, weil sie krank sind und die Behandlung dazu beitragen kann, dass sie wieder gesund werden. Sie kommen nicht in Behandlung, um diszipliniert zu werden. Eine psychiatrische Klinik ist ja kein pädagogisches Wohnheim für schwer erziehbare Kinder oder eine Resozialisierungsanstalt für entlassene Sträflinge auf Bewährung. Sondern einfach eine Klinik, also ein Ort für eine sinnvolle Behandlung.

Diese sinnvolle Behandlung kann natürlich nur stattfinden, wenn sich alle an bestimmte Regeln halten. Natürlich kann eine Alkoholentzugsbehandlung nicht sinnvoll durchgeführt werden, wenn ein Patient auf der Station Alkohol trinkt, vor allem, wenn das nach dem ersten Mal trotz Aufklärung und Gespräch wiederholt vorkommt.

Und natürlich muss sich eine Station auch keiner körperlichen oder erheblichen verbalen Gewalt eines Patienten aussetzen. In diesem Fall steht das Recht der Anderen auf körperliche und psychische Unversehrtheit höher als das Recht des Einen auf eine stationäre Behandlung.

Eine Entlassung aus diesem Grunde sollte man „Entlassung auf ärztliche Veranlassung“ nennen.

Man dokumentiert dann, welche Abwägung man getroffen hat. Also beispielsweise, dass das Recht eines verbal oder tätlich angegriffenen Mitpatienten auf eine ungestörte Behandlung höher wiegt, als das Recht des auf ärztliche Veranlassung entlassenen Patienten auf seine Behandlung. Oder, dass eine sinnvolle Krankenhausbehandlung mit dem Ziel einer Alkoholentzugsbehandlung nicht erreichbar ist, wenn der Patient wiederholt auf der Station Alkohol trinkt.

Und auch im Falle einer Entlassung auf ärztliche Veranlassung klärt man den Patienten natürlich über die möglichen Gefahren der Entlassung auf, beispielsweise über die Gefahr von Entzugskrampfanfällen und die damit verbundene Notwendigkeit, nicht Auto zu fahren. Und man lässt sich genau diese Aufklärung vom Patienten auch unterschreiben.

Entlassung gegen ärztlichen Rat -> Aufklärung über Gefahren bei vorzeitiger Entlassung auf Wunsch des Patienten

Auch der Begriff der Entlassung gegen ärztlichen Rat macht keinen großen Sinn. Dann könnte ich ja auch sagen, der Patient

  • raucht gegen ärztlichen Rat
  • macht keinen Sport gegen ärztlichen Rat
  • geht zu McDonalds gegen ärztlichen Rat

Das macht also keinen großen Unterschied. Das Entscheidende auch hier ist, dass man den Patienten, der sich “gegen ärztlichen Rat“ aus der Krankenhausbehandlung entlassen lassen will, über die damit verbundenen Gefahren aufklärt. Passiert nämlich nach der Entlassung etwas, dann prüft der Staatsanwalt nicht, ob der Arzt zur Entlassung geraten hat oder nicht. Der auf freiwilliger Rechtsgrundlage behandelte Patient kann sich entlassen lassen, wann immer er will, egal, was der Arzt rät. Aber der Arzt hat die Verpflichtung, über die Risiken der Entlassung aufzuklären. Und genau das muss er dokumentieren und sich auch vom Patienten unterschreiben lassen.

Das entsprechende Formular sollte man daher nicht „Entlassung gegen ärztlichen Rat“ nennen, sondern treffender: „Aufklärung über Risiken bei vorzeitiger Entlassung auf Wunsch des Patienten“.

Wie seht ihr das?

Findet ihr, dass das Haarspalterei ist? Oder findet ihr, dass es sich lohnt, sich zu geistiger Disziplin zu zwingen. Weil eine disziplinierte Wortwahl einen disziplinierten Geist fördert? Schreibt eure Meinung und gerne auch die Praxis in eurer Klinik in die Kommentare!

19 Gedanken zu “Warum es keine disziplinarischen Entlassungen und keine Entlassungen gegen ärztlichen Rat gibt

  1. Peter Teuschel 23. August 2015 / 10:23

    Das gefällt mir sehr gut, weil es überholte und ungenaue Begrifflichkeiten durch sinnvolle und am Kern der Sache orientierte ersetzt. In der Praxis gibt es ja weder das eine noch das andere. Trennt man sich von ärztlicher Seite aus von einem Patienten, dann meist, weil das Vertrauensverhältnis gestört ist und keine weitere Behandlung zulässt.

  2. Libra 24. August 2015 / 18:28

    Ich empfinde das genau so. Gerade Gesetzestexte dürfen schließlich keinen Platz für Interpretation lassen.
    Abgesehen davon denke ich, dass es nicht gilt, einen Patienten zu erziehen, sondern zu behandeln.

  3. Cand.med. 25. August 2015 / 21:13

    Ich habe mich an der Formulierung „gegen ärztlichen Rat“ bei meinen zwei vorzeitlichen Entlassungen nicht gestört. Denn indem ich mich in Behandlung begebe, möchte ich ja vom Behandler genau das : Rat und Beistand.
    Und wenn ich dann plötzlich mitten in der Behandlung gehe, dann ist das aus Sicht des Arztes alles andere als ratsam. Mehr sagt die Phrase ja auch nicht aus.

  4. Benedita 27. August 2015 / 21:19

    Das sind zwei Seiten einer Medaille, die sich meinem Erachten nach in dem Beitrag vermischen.

    Die saube und undeutbare Formulierung zur Absicherung vor rechtlichen Folgen ist unerlässlich für beide Seiten.

    Worum es wirklich geht, scheint mir, wie setzt man so das konsequent und gerecht im Klinikalltag um.
    Man kann nicht alle Patienten über eine „Paragraphen“ scheren und schon gar nicht die schwarzen Schafe.

    Wenn mich mein paranoider Bettnachbar verbal fortwährend in meine Persönlichkeitsrechten einschränkt und sogar mit den Tod bedroht, kann er sich unter Garantie nicht auf eine „Entlassung auf Ihren ärztlichen Wunsch“ verlassen. Abgesehen davon, dass sein persönlicher Wunsch auf keine Rolle spielt.

    Ganz im Gegenteil.

    So schlecht wie mir es dann kumulativ als Angstpatient gehen wird, wäre mir Ihr ärtzlicher Wunsch oder Rat völlig egal und auch jede andere Formulierung. Lieber verzichte ich auf eine Behandlung, wenn ich mich noch nicht mal dort sicher fühlen kann.

    Der Maßstab liegt hier nicht bei der sozialen Kompetenz des Patienten, sondern der Einschätzung des Arztes. Oft sind es Fehleinschätzungen der Not, Sprachlosigkeit und Ausdruck der Hilflosigkeit des „ansprechbaren“ Patienten, die zur Entlassung auf ärztlichen Wunsch erfolgen. Egal ob man das dann Fehlverhalten, Therapiepause oder -abbruch nennt. Die Behandlung ist gescheitert und das kann für beide Seiten nicht befriedigend sein. Zumindest sollte es so sein.

    Alkohol und Drogen lasse ich außen vor, das ist unbestreitbar richtig und konsequent.

    Sicherlich geht es nicht um Erziehung des Patienten.
    Deeskalierende Benachelterung und Minimierung von Stresssituationen für alle Seiten wird wohl weniger weder zum ärtlichen Wunsch noch zum Patientenwunsch auf Entlassung vor geglückter Behandlung führen.

    Ein wichtiger Gedanke, wohl möglich auch Haarspalterei – nur nicht auf Langfristigeit und Nachhaltigkeit angelegt.

    Der Arzt ist damit rechtlich abgesichert – aber auch moralisch? Cui bono?

    Wichtiger wäre doch, wenn man ausreichend Zeit hätte, mit dem Patienten zu reden. Wir soll Inklusion im Alltag umgesetzt werden, wenn das schon in der Psychiatrie nicht immer möglich ist.?

  5. Benedita 27. August 2015 / 21:24

    P.S.
    Jetzt habe ich auch verstanden, warum das Psychiatrie to go heißt ;-)))

  6. Benedita 29. August 2015 / 18:46

    was hälst Du eigentlich davon
    den ganzen Gehirnschmalz
    mit dem Du hier und auf anderen Blogs
    wie man gut kann verfolgen kann
    meinst jederman beglücken zu müssen
    mal in einem dicken Wälzer anstatt hier zusammenzufassen

    dann verdienst Du soviel Geld
    dass Du Dir einen Anwalt leisten
    das ZfP verklagen und
    Dir Freunde einladen kannst
    die Dir den lieben langen Tag und in Nacht zuhören

    dann brauchst Du auch keine Gerüchte mehr über Dich zu erfinden, die sowieso niemanden interessieren, sonst würde Dir hier irgendjemand ernsthaft antworten

    und im Übrigen Jan ist in mich verliebt, kannst Dir Deine Bemühungen also sparen

  7. S. K. 9. September 2015 / 22:33

    finde „Entlassung gegen ärztlichen Rat“ als Formulierung treffend. Der Hinweis, dass die Aufklärung über mögliche Folgen dokumentiert werden muss und auch, ob der/die Pat. das versteht und anderes (Suizidalität, Intox…) ist natürlich richtig.
    „disziplinarische Entlassung“ wird hier zu Recht hinterfragt – würde mir wünschen, dass da bessere Ausdrucksweisen gefunden werden könnten – schließlich sehe auch ich die Aufgabe der Psychiatrie immer dann überschritten, wenn es um Disziplinierung bzw. Pädagogik geht – und solche Formulierungen wirken auf BehandlerInnen wie PatientInnen.

  8. Carolin Sengebusch 13. September 2015 / 23:09

    Es ist immer erfreulich, wenn starre Begriffe hinterfragt werden und somit auch die Routinen, die dahinter arbeiten in ihrer Wirkung überprüft werden und man so beginnt, seine eigene Handlungsweise zu reflektieren.
    Spricht man von disziplinarischer Entlassung, ist man in einer übergeordneten, strafenden Position, die Massnahme der Entlassung wird nicht als mögliche Notwendigkeit, sondern als Handlung in einem Machtgefälle gesehen. Weil es sich aber beim Verhältnis Patient – Therapeutenteam nicht um ein Machtverhältnis handeln darf, ist es absolut sinnvoll, über solche Begrifflichkeiten nachzudenken.
    Das schreibe ich aus Sicht einer in der Psychiatrie Beschäftigten.
    Auch die „Entlassung gegen ärztlichen Rat“ kann umformuliert eine Stimmung verstärken, die Patienten und Behandler auf gleiche Augenhöhe bringt.

  9. Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:14

    „Weil es sich aber beim Verhältnis Patient – Therapeutenteam nicht um ein Machtverhältnis handeln darf“

    Das ist aber in der Psychiatrie so. Allein die Möglichkeit zur Beantragung von Zwangsmaßnahmen bei Gericht (geht meistens durch) bewirkt ein Machtgefälle.

    Wenn der Arzt einem die Verlegung auf die Halbgeschlossene oder Geschlossene vorschlägt, ist da natürlich im Hinterkopf des Patienten, wie reagiert der Arzt, wenn ich nein sage?

    Natürlich kann da auch der Arzt nichts dafür, das liegt an der Gesetzgebung.
    Dieser „Vorschlag“ der Verlegung auf eine andere Station ist nur dann wirklich lediglich ein Vorschlag, wenn der Arzt ausdrücklich dazu sagt, dass er keinerlei Zwangsmaßnahmen einleiten wird, wenn der Patient nein dazu sagt.

    Schlägt der Arzt es nur vor und sagt weiter nichts über den Fall dass der Patient ableht, ist es in dem gegebenen Rahmen bereits eine Drohung.

    Dazu braucht der Arzt nicht explizit eine Zwangseinweisung androhen. Der Vorschlag alleine ohne eine solche ausgesprochene Drohung ist bereits eine Bedrohung, weil ja beide Seiten über die Möglichkeit von Zwangseinweisung wissen.
    Es ist nur dann keine Drohung, wenn der Arzt zusichert, dass er KEINE Maßnahmen gegen den Willen des Patienten einleiten wird, im Fall der Ablehung des Patienten.

    .

    Oder andere Situation:Es liegt eines Morgens plötzlich eine höhere Dosis Neuroleptikum im Dispenser. Oder der Arzt plädiert in der Visite für Dosiserhöhung.

    Wenn der Patient das nicht will, fragt er sich, wie reagiert der Arzt, wenn ich nein dazu sage? Macht es das wahrscheinlicher, dass er eine Zwangsbetreuung beantragt, wenn ich die Dosiserhöhung verweigere?

    Auch diese Situation ist in dem gegebenen Rahmen nur dann keine Drohung, wenn der Arzt von sich aus dazu sagt, dass KEINE Maßnahmen gegen seinen Willen folgen werden im Fall einer Ablehnung.

    .

    Ganz abgesehen davon, dass ich es sowieso unmöglich finde, ohne Absprache mit dem Patienten einfach so mal was in den Dispenser legen zu lassen oder eine höhere Dosis in den Dispenser legen zu lassen oder auch eine niedrigere Dosis. Es sollte IMMER Rücksprache gehalten werden.

    „Was haben Sie denn gegen das Seroquel, Sie sind doch viel RUHIGER geworden, seitdem Sie es nehmen“.

    Hallo? Ich hatte der Ärztin keinen Auftrag erteilt mir was zu verschreiben, dass ich ruhiger werde. Wenn sie mir gesagt hätte, dass sie mir das mit diesem Ziel verschreibt, hätte ich es nicht angerührt.

    Bei meinem ambulanten Arzt ist solche Rücksprache selbstverständlich. Aber bei vielen anderen Ärzten (habe da in Selbsthilfegruppen schon so einiges erzählt bekommen) anscheinend nicht.

    Und anscheinend hat die Ärztin „ruhig“ gleichgesetzt mit „ruhig und zufrieden“.

    Ich war aber deswegen ruhiger, weil ich wegen dem Seroquel keine Einfälle mehr hatte und unter Freudlosigkeit gelitten habe.

    Das war sehr unangenehm und frustrierend.

    Übrigens sind nicht Leute am ruhigsten, wenn sie gesund sind, sondern eher wenn sie eine leichte Depression haben.

    • Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:18

      Das habe ich gelernt – ob man freiwillig in der Psychiatrie ist, weiß man erst, wenn man gegen ärztlichen Rat die Klinik verlassen will. Wenn man dann gelassen wird, war man tatsächlich freiwillig da.

      • Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:28

        Ich habe mich im September 2008 selber aus einer Psychiatrie entlassen.

        Wie ich das in einer anderen Psychiatrie im März 2009 wiederholen wollte, hat mir die oben erwähnte Ärztin eine Zwangseinweisung angedroht.

        Ich wollte, dass sie das Seroquel absetzt, sie hat aber darauf bestanden und wollte noch nicht mal die Dosis reduzieren. Irgendwann habe ich dann gesagt, wir werden uns über meine Behandlung nicht einig, geben Sie mir den Zettel, wo ich unterschreibe, dass ich die Klinik auf eigenen Wunsch verlasse.

        Sie hat gesagt, den Zettel kriegen Sie von mir nicht, von mir kriegen Sie höchstens eine ZWANGSEINWEISUNG.

        Ich habe sie gefragt, wie sie denn das begründen will ?

        Sie hat gesagt, mit Fremdgefährdung.

        „Wie bitte ?!?“

        Ja, ich würde schnell laut werden und als nächstes würde ich ihr eine reinhauen.

        Erstens ist es eine bodenlose Unverschämtheit, mir sowas zu unterstellen, und zweitens,
        wenn sich kräftig verbal streiten ein Zwangseinweisungsgrund wäre, dann müsste diese Ärztin gleich mit zwangseingewiesen werden, wir haben uns gestritten, und haben beide immer lauter und immer schneller geredet, das war alles.

        Ich habe dann eine Krankenschwester gefragt, ob ich einen anderen Arzt bekommen könnte, die hat dann gesagt, die geht in einer Woche sowieso in die Neurologie und Sie bekommen einen anderen Arzt.

        Der nächste Arzt hat das Seroquel abgesetzt. Die Ärztin vorher hatte gesagt, ich solle mindestens die nächsten 2 Jahre Seroquel oder ein anderes Neuroleptikum nehmen.

        Das habe ich aber nicht gemacht. Die Personen, denen ich schon kräftig eine reingehauen habe, lassen sich schon gar nicht mehr zählen ;-)))))

        Fremdgefährdende Person nimmt ihre Neuroleptika nicht, man sollte bei mir immer Sicherheitsabstand halten 😉

  10. Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:56

    Natürlich ist Psychiatrie Disziplinierung. Ziemlich oft wirkt Klinikaufenthalt nicht deshalb verhaltensändernd, weil eine psychische Problematik behoben oder gelindert würde, sondern einfach deshalb, weil Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung als Freiheitsstrafe und Körperstrafe wirken und abschrecken. Die Psychiatrie fungiert auf diese Weise als parallele Strafjustiz.

    Während es in der Stafjustiz keine Körperstrafe gibt und die Bedingungen, wie man nach Absitzen der Strafe wieder aus dem Knast rauskommt, viel klarer sind. Während der Haft keine weiteren Straftaten begehen, und dann hat man ab einem bestimmten Datum wieder Recht auf Freiheit.

    Klar, ein 6-Wochen-Beschluss ist ein 6-Wochen-Beschluss. Aber wenn man in der psychiatrischen Haft niemand was getan oder angedroht hat,
    aber der Arzt der Meinung ist, man sei immer noch psychotisch…. es ist nicht so klar. Und die Begründung Eigen- oder Fremdgefährdung ist oft genug ziemlich hanebüchen. Da gibt es Gerichtsurteile, wo es heißt, aufgrund drohender Obdachlosigkeit drohe eine Eigengefährdung.

    Aber wo es richtig deutlich wird: Warum verweigern viele Patienten ihre Medikamente nicht einfach offiziell, sondern spucken sie aus?

    Bezüglich Freiheitseinschränkungen wird von der Seite der psychiatrischen Professionellen behauptet, dies sei Gefahrenabwehr und nicht Strafe. Aber Gefahrenabwehrmaßnahmen dürfen nur mit Verhalten begründet werden und nicht damit, ob dieses Verhalten mit oder ohne Psychopharmaka auftritt.

    Tja, wenn das wirklich so wäre, könnte man die Tabletten auch offiziell verweigern. Aber die Psychiatrie sanktioniert direkt Tablettenverweigerung.

    • Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:57

      Ich gebe hier mal ein Telefonat von mir mit der Stationsärztin wieder.

      Geschlossene Station ohne Garten, 10 Minuten personal-begleiteten Ausgang am Tag, das war bei einer Bekannten von mir 4 Wochen lang der Fall.

      Als Begründung dafür wurde angeführt, es seien erst Zugeständnisse möglich, wenn sie Psychopharmaka nehme. Mit irgendeiner sonstigen Gefahr wurde es nicht begründet, sogar die Ärzte haben gesagt, dass sie zwar wahnhaft und daher psychiatrisch behandlungsbedürftig, aber harmlos ist. Es war einfach Strafe für Ungehorsam gegenüber ärztlichen Verschreibungen.

      Mein Dialog am Telefon mit der Ärztin:
      Ich: “Warum hat sie denn so wenig Ausgang? Sie tut sich doch nichts”
      Die Ärztin: “Sie tut sich jeden Tag was, indem sie keine Medikamente nimmt”
      Ich: “Was hat das mit dem Rausgehen zu tun?”
      Ärztin: “Wenn sie mehr Ausgang bekäme, dann kommt er ja auf die Idee, dass es ja so OK ist, keine Medikamente zu nehmen.”
      Ich: “Ist das also Freiheitsstrafe für Medikamentenverweigerung?”
      Ärztin (beleidigte Stimme): “Das ist Bestandteil eines Therapiekonzepts. Wo Sie mir ständig reinreden wollen!”

      Also, genau hingucken, wenn in der Psychiatrie von “Therapie”, “Therapieplan” oder “Therapiekonzept” geredet wird, es kann so etwas gemeint sein, Zuckerbrot und Peitsche, Belohnen oder Drohen & Strafen.

      Freiheitsbeschränkende Maßnahmen in der Psychiatrie dürfen nur mit Gefahrenabwehr begründet werden, also mit befürchtetem Verhalten während des Ausgangs wie zum Beispiel Gefahr der Suizidalität oder in der Kälte umherirren, mit dem Straßenverkehr nicht zurechtkommen oder befürchtete Gewalttätigkeit gegenüber anderen und ähnliches.

      Sie ist aber vor seiner Zwangseinweisung trotz bestehender Psychose in seinem Wohnheim frei ein und aus gegangen, er ist in die Stadt gegangen, und ihm ist nichts passiert und es gab auch keinen Grund, sich entsprechende Sorgen zu machen.

      Es war schlicht Erzwingungshaft, was diese niedersächsische Psychiatrie da praktiziert hat.

      • Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 20:57

        Der Grund für die Zwangseinweisung war, dass sie Stimmen hört und das aber nicht kapiert und sich einbildet, von ihrer Umgebung beleidigt zu werden. Sie hat im Wohnheim ständig verbal sinnlos Streit angefangen, hat den anderen ihre angeblichen Beleidigungen vorgeworfen. Sie ist aber nie handgreiflich geworden und hat das auch nicht angedroht. Irgendwann hat die Betreuerin sie zwangseinweisen lassen.

        Nachdem sie sich auch von der Drohung des Oberarztes, falls sie bei ihrer Patientenverfügung bleibe, werde er die Verlegung in ein geschlossenes Wohnheim beantragen, nicht zum Konsum von Neuroleptika hat bringen lassen, haben die Ärzte darauf hin gewirkt, dass das Gericht ihre Patientenverfügung kippt und sie wurde zwangsbehandelt. Endergebnis: Sie hört immer noch Stimmen und bildet sich Mobbing ein und wirft den anderen ihre angeblichen Beleidigungen vor. Die anderen im Wohnheim ignorieren das aber mittlerweile einfach, Problem gelöst.

        Aber wenn man jetzt denken würde, eine nutzloses Medikament würde wieder abgesetzt, Irrtum. Da werden irgendwelche anderen angeblichen Vorteile rausgekramt und es damit gerechtfertigt.
        Arzt: „War vorher unruhig und umtriebig, ist jetzt ruhiger geworden.“ Aha, so kann man die Nebenwirkung Antriebslosigkeit auch umdefinieren.
        Arztbrief: „Die affektive Labilität ist geringer geworden.“
        Sie leidet wegen dem Neuroleptikum unter dauerdeprimierter Stimmung. Vorher hatte sie tatsächlich stark schwankende Stimmung, aber ich weiß nicht, wie man dauerdeprimierte Stimmung als Besserung ansehen kann, da ist schwankende Stimmung vorzuziehen. Auch hier positive Umdefinierung von sehr belastenden und die Lebensqualität enorm beeinträchtigenden Nebenwirkungen.

  11. Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 21:00

    Stellt der Kontakt zu psychiatrischen Professionellen und psychiatrischen Einrichtungen und Institutionen ein Risiko für Zwangsmaßnahmen dar?

    Ich meine, nicht tolerierbares Verhalten hat auch sonstwo Zwangsmaßnahmen zur Folge, z.B. polizeiliche Zwangsmaßnahmen oder anderes.

    Wenn die Schwelle für Zwangsmaßnahmen innerhalb psychiatrischer Institutionen oder bei psychiatrischen Professionellen genauso hoch liegen würde und auch die Verhältnismäßigkeit bezüglich Dauer und Intensität von Zwangsmaßnahmen in einem ähnlichen Rahmen liegen würden wie in nichtpsychiatrischer Umgebung auch,
    dann gäbe es keinen Grund, aus Angst vor Zwangsmaßnahmen den Kontakt mit der Psychiatrie zu meiden.
    Denn in dem Fall hätte man innerhalb und außerhalb der Psychiatrie und bei Ab- oder Anwesenheit von psychiatrischen Professionellen ja ein ähnliches Risiko für Zwangsmaßnahmen.

    Meinem Eindruck nach sind aber die Zwangsmaßnahmen der Psychiatrie intensiver und länger andauernd und die Schwelle für Zwangsmaßnahmen wird niedriger und auch anders gesetzt.

  12. Susanne_Meyer 11. Oktober 2016 / 21:15

    Um zum ursprünglichen Thema oben zurückzukommen, ich fände die Formulierung „Klinik verlassen gegen ärztlichen Rat“ gut so.

    Ich habe das ja mal so gemacht, da stand auf dem Zettel wo ich unterschrieben habe „Ich verlasse die Klinik auf eigenen Wunsch.“

    Im Arztbrief hieß es dann, dass ich die Klinik gegen ärztichen Rat verlassen habe. Da habe ich nichts dagegen, gegen diese Bezeichnung.

    .

    Was das erstere betrifft, das würde ich einfach „Rausschmiss“ nennen. Man müsste halt ein synonymes Wort finden.

  13. Jemand, der Spuren hinterlässt 6. Juni 2017 / 20:08

    Wenn man nur den Begriff durch einen anderen ersetzt, wird damit nicht der Gerechtigkeit genüge getan. Ein „Rauswurf“ ist unter keinen Umständen gerechtfertigt, wenn keine strafbare Handlung im Sinne des deutschen Gesetzen vorliegt. Das Bezeichnete bekommt seine Qualität nicht durch die Bezeichnung, die Bezeichnung ergibt sich höchstens aus der Qualität der Sache.

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