Es gibt ja die unterschiedlichsten Arten der klinikinternen Fortbildung:
- Vorträge im Frontalunterrichtstil
- Workshops mit Interaktion
- Bed-side-teaching
- Praktische Übungen (z.B. das Megacodetraining, bei dem Reanimationen an Puppen trainiert werden)
Und alle diese Fortbildungsarten haben ihre Vorzüge und Berechtigungen.
Ich selbst finde das Format der Fallvorstellung besonders interessant und lehrreich.
Eine typische Fallvorstellung dauert ca. 30 Minuten. Der Arzt oder Psychologe, der die Fallvorstellung macht, sucht einen passenden Patienten aus. Der muss nicht unbedingt dadurch auffallen, dass er eine Krankheit hat, die nur alle 17 Jahre mal vorkommt. Es ist viel lehrreicher, einen Patienten mit einer häufig vorkommenden Krankheit auszuwählen, und an diesem Beispiel die Therapie zu erklären. Selbstverständlich fragt man den Patienten in Ruhe, ob er bereit wäre, zum Zwecke der Fortbildung an einer Fallvorstellung teilzunehmen.
Die Fallvorstellung läuft dann in drei Abschnitten von je etwa 10 Minuten Dauer ab:
1) Der Patient kommt selbst in die Runde der Fortbildungsteilnehmer. Derjenige, der die Fortbildung hält, exploriert den Patienten, so dass sich alle einen allgemeinen Eindruck vom Patienten und insbesondere von seinen Symptomen und Beschwerden machen können. Im Anschluss an die kurze Exploration können die anderen Teilnehmer einige Fragen an den Patienten stellen. Sollte der Patient nur kurz im Krankenhaus sein, kann es sinnvoll sein, die Exploration auf Video aufzunehmen. Vielen Patienten ist dies auch lieber, als vor der ganzen Ärzteschaft sprechen zu müssen.
2) Danach ergänzt der Arzt, der die Fallvorstellung macht, notwendige Befunde. So kann er noch einmal die Anamnese zusammenfassen, einige wichtige Untersuchungsbefunde ergänzen, vielleicht einen cMRT Befund zeigen oder ähnliches. Er stellt dann auch die Diagnose im Falle dieses Patienten dar und berichtet, wie die Therapie aussieht und warum man sich in diesem speziellen Fall für genau diese Therapie entschieden hat.
3) Und schließlich sagt der Arzt etwas zum angesprochenen Krankheitsbild allgemein. Er gibt Informationen über Häufigkeit, Ursachen und diagnostische Einteilungen der Krankheit und berichtet über die typische Therapie, nach Möglichkeit anhand von Leitlinien in Kurzfassung. Danach ist noch einmal Raum für Fragen.
Diese Art der Fortbildung kommt der Art, wie ich lerne, sehr entgegen.
- Zum einen ist es viel leichter, sich etwas zu merken, wenn man es in Bezug auf einen tatsächlichen Patienten, den man kennengelernt hat, hört. Mir prägt sich das immer viel besser ein, als wenn ich es lediglich abstrakt höre.
- Zum zweiten ermöglicht es in Zweifelsfällen die Diskussion mit den anderen Teilnehmern der Fallvorstellung, was oft sehr hilfreich sein kann, sowohl in Bezug auf die Diagnostik als auch auf die Therapie des Patienten.
- Zum dritten stellt es die Verbindung zwischen der konkret im eigenen Krankenhaus durchgeführten Therapie und den Leitlinien beziehungsweise den allgemeinen Therapieempfehlungen dar.
- Fallvorstellungen sind praktisch immer spannend und lehrreich. Sollte man viel öfter machen…
Ist aus dieser Sicht wirklich verständlich, dass so etwas sinnvoll und lehrreich sein kann- trotzdem: Ich habe Respekt vor jedem Patienten, der da „mitmacht“, denn ich glaube nicht, dass ich so etwas tun würde. Ich käme mir da irgendwie vor wie auf dem „Präsentierteller“.
Aus Sicht des medizinischen Fachpersonals mit Sicherheit eine wichtige und anschauliche „Lehrmethode“. Als Patient nicht ganz so doll, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Vor ein paar Jahren hatte ich das Vergnügen von meiner damaligen Schmerztherapeutin aufgrund der Diagnose Fibromyalgie zu so einer Fallvorstellung eingeladen zu werden. Mir war damals schon klar, dass das nur der Fall war weil Fibro zwar nicht selten, aber schwer zu diagnostizieren und irgendwie noch „exotisch“ war. Als Schmerzpatient nimmt man natürlich alle Hilfe an die man kriegen kann, also bin ich da hin – man weiss ja nie obs nicht nützlich ist 😉 Vor einem Raum voller Mediziner, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten zu sitzen und befragt zu werden ist schon nicht wirklich meine Lieblingsbeschäftigung aber auch kein Drama. Allerdings zielten ungefähr 90% der Fragen auf meine psychische Verfassung ab oder begannen mit „Sie haben doch sicher auch..“ oder „dann kennen Sie ja bestimmt..“ und das hinterließ bei mir doch ein etwas schales „na haben wir da etwa schon vorgefasste Meinungen“-Gefühl. Auch meinem Mann der mich begleitete (er ist examinierter Krankenpfleger mit Psychiatrie-Erfahrung) drängte sich dieser Verdacht damals auf.
Ich bin noch immer der Meinung, dass die Methode der Fallvorstellung nützlich ist, jedoch nur dann wenn die anwesenden Mediziner zuhören und nicht nur Fragen stellen, die ihrer vorgefassten Meinung entsprechen.
Ein manisch depressiver Klient hat mir mal davon berichtet. Er hat sich vor einigen Jahren dazu bereit erklärt und berichtet noch heute begeistert davon. Bei ihm hatte das ein Gefühl von „Ich leiste einen Beitrag zur Wissenschaft“ hinterlassen. Allerdings räumte er ein, dass er sich damals in einer manischen Phase befand, sonst hätte er es sich nicht zugetraut.
Ein Tipp, den ich jedem angehenden Therapeuten geben kann, wäre, mit Patienten in Psychologie- und Psychotherapie-Foren zu schreiben, sich aber dabei nicht als Fachperson zu outen, sondern gleich seine eigenen Problemfelder, die es ganz gewiss gibt, abzuarbeiten. Man lernt viel Insiderwissen der Patienten, wie sie sich fühlen in der Therapie, auch die Symptomatik wird lebenswirklich, nicht nur aus dem Fachbuch. Auch der Austausch mit Angehörigen kann hilfreich sein, um die Problemfelder der jeweiligen Diagnosen im Lebensumfeld präsenter vor Augen geführt zu erhalten, da die Patienten oft eine geschönte Sicht abgeben. LG Yezrel