THC-Entzugspsychose

Es gibt ein recht typisches psychiatrisches Krankheitsbild, das nicht jeder in der Psychiatrie Tätige gut kennt, daher möchte ich es hier mal vorstellen.

Fallbeispiel: Der 28 jährige Hr. K. kommt per RTW zur stationären Aufnahme. Er sei auf der Straße aufgefallen, weil er wild gestikuliert habe, mit Unsichbaren gesprochen habe, hilflos und getrieben gewirkt habe. In der Exploration berichtet er, dass er die Stimme des Schicksals höre, diese informiere ihn fortlaufend über aktuelle Geschehnisse der Weltpolitik, die er den anderen mitteilen wolle. Er müsse nicht mehr schlafen und nicht mehr essen, er sei in einem Geistzustand, der dies überflüssig mache. Er sei niemals zuvor in psychiatrischer Behandlung gewesen, die Stimme des Schicksals höre er erst seit einer Woche, zuvor sei etwas ähnliches nie in seinem Leben vorgekommen. Er habe bis vor vier Wochen über viele Jahre täglich etwa 5 Joints THC geraucht. Seine Freundin habe ihm jedoch davon abgeraten, daher sei er seit 4 Wochen komplett THC-abstinent. Andere Drogen konsumiere er nicht und habe er auch nie konsumiert.

Dieses Fallbeispiel ist typisch für eine THC-Entzugspsychose. Patienten, die jahrelang THC in höherer Dosierung konsumieren, und dies plötzlich absetzen, haben etwa 2-4 Wochen danach ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer fulminanten psychotischen Episode zu erkranken. Das verwundert auch nicht, da Cannabinoid-Rezeptoren in verschiedenen Regelkreisen aktiv sind, die im Mittelhirn das Gleichgewicht der Dopamin-Konzentration mit beeinflussen. Und wenn dies aus der Bahn kommt, kann nun mal eine psychotische Symptomatik resultieren.
Die Therapie der THC-Entzugssymptomatik unterscheidet sich nicht von der Therapie anderer psychotischer Zustände. Nach einigen Tagen mit einem Neuroleptikum geht sie zumeist deutlich zurück, nach wenigen Wochen Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus sind die Patienten zumeist wieder fit. Ich empfehle dann in der Regel, die Neurolepsie für etwa sechs Monate fortzusetzen. Schafft der Patient es, drogenabstinent zu bleiben, kann man hoffen, dass sechs Monate nach Ende der psychotischen Symptomatik das Neuroleptikum abgesetzt werden kann und keine psychotische Symptomatik zurück kommt.

Drogeninduzierte Psychosen sind ja allgemein bekannt. Kennt ihr auch Fälle von THC-Entzugspsychosen? Dann schreibt eure Erfahrungen in die Kommentare!

Das chinesische Vergütungsmodell kommt nach Sachsen…

Es heißt, dass ein Landarzt in China früher nur von seinen gesunden Patienten bezahlt worden sei. Die Dorfbewohner hätten sich an ihn wenden können, wenn sie wollten, dass er ihre Gesundheit schütze. Er habe sie beraten und unterstützt, gesund zu bleiben. Solange hätten seine Schützlinge ihm auch jeweils einen monatlichen Obolus zukommen lassen.
Wenn jemand krank geworden sei, habe er die Zahlungen pausiert; da der Arzt seinem Teil des Paktes, den Betroffenen gesund zu halten, nicht nachgekommen sei. Erst nach erfolgreicher Behandlung und Genesung habe der Patient dann wieder die monatlichen Zahlungen aufgenommen.

Das System erscheint mir sinnvoll. Das hat jetzt offenbar auch die AOK Sachsen erkannt und eine Kontaktunabhängige Jahrespauschale mit den sächsischen Hausärzten vereinbart. Für jeden eingeschriebenen Patienten bezahlt die AOK dort 120 € pro Jahr an den Hausarzt. Egal, wie oft der ihn sieht, untersucht oder behandelt.
Für besonders kranke Chroniker gibt es zwei gestaffelte Sonderpauschalen. Das ist zwar nicht ganz konsequent das alte chinesische Modell, aber es bietet dennoch viele Vorteile. So fällt der Zwang weg, jeden Patienten einmal pro Quartal einzubestellen, und es ist auch wieder problemloser möglich, am Quartalsende einen Termin zu bekommen. Darüber hinaus vereinfacht es die Abrechnung. Sächsische Hausärzte sind knapp, und sie stehen nicht im Verdacht, zu wenig zu leisten oder zu viel zu liquidieren.
Ich finde dieses Vergütungsmodell für Hausärzte sinnvoll und das Projekt sehr interessant.

Die Quelle im Ärzteblatt findet ihr hier.

Ig Nobelpreise 2015 verliehen!

Den Ig-Nobelpreis (englisch-/französischsprachiges Wortspiel: ignoble unwürdig, schmachvoll, schändlich) erwarte ich jedes Jahr mit fast so viel Spannung wie den normalen Nobelpreis. Erfreulicherweise berichtet die Zeit immer sehr gründlich darüber. Eine prima Zusammenfassung findet ihr in diesem Zeit Artikel.

In der Kategorie „Diagnostische Medizin“ wurde der Preis für diese Arbeit im Britisch Medical Journal vergeben. In dieser Studie wurde eine neue Diagnostik des entzündeten Blinddarms vorgestellt: Je stärkere Schmerzen ein Patient auf dem Weg zum Krankenhaus hat, wenn er mit dem Auto schnell über einen „schlafenden Polizisten“, einen „speed bump“ fährt, desto eher handelt es sich um einen entzündeten Blinddarm. In einem englischen Krankenhaus wurden Patienten mit Unterbauchschmerzen befragt, wie stark ihre Schmerzen beim Überfahren der speed bumps waren. Im weiteren Verlauf wurde die normale Diagnostik durchgeführt, bei einigen wurde der Blinddarm entfernt und histopathologisch untersucht. So konnte im Nachhinein ermittelt werden, dass die Angabe starker Schmerzen beim Überfahren der speed bumps eine Sensitivität von sagenhaften 97 % und eine Spezifität von 30 % für eine akute Blinddarmentzündung hat. Die Diagnostik sei treffender als bisher verwendete Befragungstechnik nach Ort, Wandern und Qualität der Schmerzen. Es wird vorgeschlagen, die Frage nach Schmerzen beim Überfahren von speed bumps in die telefonische Abklärung einer Anfrage an den Rettungsdienst aufzunehmen. Ich freue mich schon auf nach Höhe, Breite und Hubbelwinkel standardisierte schlafende Polizisten vor Notaufnahmen…

Also ich erkenne beim Ig Nobelpreis fast nie, was an diesen Erkenntnissen irgendwie weniger ersthaft sein soll, als an den mit mehr Ernsthaftigkeit anerkannten Studien. Auch die Erkenntnisse, dass alle Säugetiere von mehr als 3 Kg Gewicht ihre Blase in durchschnittlich 21 Sekunden entleeren, finde ich absolut wissenswert… 🙂

Gründen wir die PsychCast Partei?

Im PsychCast-Gesundheitspolitik-Talk für den Psych-Bereich sprechen wir über unsere jeweils TOP-3-Herausforderungen für unsere Fachgebiete und stellen unsere Lösungsvorschläge bzw. Forderungen an die Politik vor. Naturgemäß spricht Jan Dreher mehr für die Wege der Psychiatrie und Psychotherapie und Alexander für die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Wie gewohnt gibt es eine große gemeinsame Schnittmenge. Hier ein paar Links zur Sendung: Psychotherapierichtlinie, Pressemitteilung des BDPM (“Alexanders” Berufsverband) zum Direktstudium Psychotherapie, Kurzbericht über die Rolle der Ärzte in der Akutversorgung psychisch Kranker, psychiatrische Versorgung von Flüchtlingen, Mental Case App., Artikel: “Für eine Psychotherapie ist das Hirn nicht gemacht“.

Die aktuelle Folge „PC012 Gesundheitspolitik – unsere Forderungen für die Psychosomatische Medizin & Psychiatrie“ findet ihr hier.

TED Talk des Tages

…  oder warum Drogen alleine so wenig süchtig machen wie die Kriminalisierung der Süchtigen eine drogenfreie Welt schafft…

you live you learn. Was am besten dann geht, wenn man inspirierende Quellen für neue Gedanken hat. Leute, die einem Ideen vorstellen, die das eigene Weltbild verändern können. Erweitern. In Frage stellen. Ich will ja nicht pathetisch werden, aber wenn Du solche Ideen suchst, dann wirst Du bei www.ted.com leicht fündig. Zwar sind die meisten in englischer Sprache, aber wen das nicht stört, der ist bei TED gut versorgt.

Zuletzt habe ich „Everything you think you know about addiction is wrong“ gesehen. Wie denkst Du über:

  • Heroin macht nach wiederholtem Konsum praktisch immer süchtig.
  • Kokain, frei verfügbar gemacht, wird ausgiebig konsumiert.
  • Ein erfolgreicher Kampf gegen die Drogen-Mafia führt über die Kriminalisierung des Konsums.

Drei mal „JA!“? Dann guck dir mal hier.

P.S.: Du pendelst? TED-Talks gibt es auch als Podcast aufgearbeitet; sehr sehr empfehlenswert: Die TED Radio Hour.

PC011 Genetik vs. Biographie oder wie wir wurden, wer wir sind und wenn ja, wieviele?

Nach der Sommerpause geht´s heute mit einer neuen Folge des PsychCasts weiter.

Wir sprechen darüber, wie wir zu dem Menschen geworden sein könnten, der wir sind. Auch reden wir über Halluzinationen und Pseudohalluzinationen (Hörerinnenfrage), die Kunst, sich über Kleidung zu beeinflussen, Skepsis gegenüber des Positiven Denkens, den SozioPod und die Hörerbeteiligung beim Liveauftritt, den Klappentext des Buches “Biographische Anamnese unter tiefenpsychologischem Aspekt” von Annemarie Dührssen.

Laden könnt ihr die neue PsychCast Folge hier.