Therapeutisches Drug Monitoring

Photo by Tim Marshall on Unsplash

Sowohl als Arzt als auch als Patient hat man zunächst einmal im Kopf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Dosis eines Medikamentes und dessen Wirkungen und Nebenwirkungen gibt, und das ist ja auch richtig. Man kennt das vom Alkohol: Wenn ich ein Glas Wein trinke, entspannt mich das, wenn ich fünf Gläser Wein trinke, wird die Zunge schwer und der Gang unsicher.
Was aber viel besser mit Wirkungen und Nebenwirkungen zusammenhängt als die Dosis, ist der Blutspiegel, auch das kennt man vom Alkohol. Der schwere Bayer braucht mehr Gläser Bier, um auf einen Blutspiegel von 0,8 Promille zu kommen, die leichte Hamburgerin braucht weniger. Wenn man die beiden nach drei Maß Bier untersucht, findet man sehr unterschiedliche Nebenwirkungen. Wenn man aber beide bei 0,8 Promille untersucht (dafür muss der schwere Bayer mehr Bier trinken als die Hamburgerin), sind die Nebenwirkungen vergleichbarer. Gut, es gibt auch noch den Gewöhnungseffekt, den lasse ich hier mal außen vor. Die Wirkungen und Nebenwirkungen des Alkohols lassen sich also besser mit dessen Blutspiegel ins Verhältnis setzen als mit der Menge der getrunkenen Gläser. Deswegen gibt es in der Straßenverkehrsordnung auch keine Begrenzung der getrunkenen Menge, sondern Grenzen des erreichten Blutspiegels.
Auch bei Medikamenten und Psychopharmaka ist es so, dass eine bestimmte Dosis bei unterschiedlichen Menschen zu sehr unterschiedlichen Blutspiegeln führen kann, und dieser Effekt ist weit ausgeprägter, als wir es vom Alkohol kennen. Es ist sehr wohl möglich, dass ein Patient bei der Standarddosis eines Medikamentes nur die Hälfte des üblichen Blutspiegels aufbaut, und die erwünschte Medikamentenwirkung ausbleibt, und ein anderer Patient bei der gleichen Dosis das Doppelte des normalen Wirkspiegels aufbaut, und dieser unter starken Nebenwirkungen leidet. Daher ist es auch in der Psychopharmakologie sinnvoll, in bestimmten Situationen den Blutspiegel zu messen.

In welchen Situationen sollte ich den Medikamentenspiegel bestimmen?

Es gibt vier klassische Situationen, in denen ich den Medikamentenspiegel messen sollte:
– Wenn ich wissen möchte, ob der Patient sein Medikament überhaupt einnimmt, also mit der Frage, ob der Medikamentenspiegel Null ist.
– Wenn die erwartete Wirkung ausbleibt, also mit der Frage, ob der Medikamentenspiegel zu niedrig ist.
– Wenn ungewöhnlich starke Nebenwirkungen auftreten, also mit der Frage, ob der Medikamentenspiegel zu hoch ist.
– Bei Medikamenten mit einem engen therapeutischen Fenster, wie zum Beispiel Lithium, also mit der Frage, ob ich die richtige Dosis verordne und einen sicheren Spiegel erreiche.

Zu welchem Zeitpunkt messe ich den Medikamentenspiegel?

In der Regel messe ich den Talspiegel im steady-state.
Der Talspiegel ist der niedrigste Spiegel der Schwankung über den Tag.
Den steady-state erreicht ein Medikament ungefähr nach fünf Halbwertszeiten.
Nehmen wir als Beispiel eine Medikation mit Citalopram 10 mg morgens um 08:00. Citalopram hat eine Halbwertszeit von knapp 2 Tagen. Wenn ich also am Montag, den 1. Januar mit dieser Dosis anfange, und der Patient im Folgenden jeden Tag morgens eine Tablette Citalopram 10 mg einnimmt, dann erreicht er nach etwa 10 Tagen den steady-state. Ein geeigneter Tag für die Messung wäre also Donnerstag der 10. Januar. Der Talspiegel wird am Morgen vor der geplanten Tabletteneinnahme erreicht, im Abstand von 23 Stunden und 55 Minuten zur letzten Tablette. Ich nehme also am Donnerstag, den 10. Januar um 07:55 vor der Tabletteneinnahme den Blutspiegel ab.
Es gibt Ausnahmen.
So ist es üblich, den Lithium-Spiegel morgens vor der Morgenmedikation zu bestimmen, auch wenn die Hauptdosis des Lithiums abends verabreicht wird; die Referenzbereiche sind auf diese häufige Praxis ausgerichtet. Auch gibt es Medikamente mit einer so kurzen Halbwertszeit, dass der Talspiegel sehr niedrig ist, wie Agomelatin oder ADHS-Therapeutika. Bei diesen Medikamenten misst man den Maximalspiegel eine Stunde nach der Einnahme; diese Bestimmungen werden in der Praxis aber selten durchgeführt.

Gibt es eine Daumenregel für die Korrektur eines zu niedrigen oder zu hohen Spiegels?

Also das ist jetzt sehr vereinfacht, aber bei vielen Psychopharmaka gibt es einen halbwegs linearen Zusammenhang zwischen Dosis und Blutspiegel. Das heißt, wenn der Blutspiegel nur halb so hoch ist, wie ich anstrebe, dann erwarte ich, dass ich die Dosis in etwa verdoppeln muss, um mein Ziel zu erreichen. Das mache ich natürlich dennoch in kleinen Schritten unter zwischenzeitlicher Spiegelkontrolle. Bei Lithium funktioniert diese Daumenregel oft ganz gut. Wenn ein Spiegel andererseits doppelt so hoch ist, wie ich es anstrebe, dann lege ich zwei Halbwertszeiten Pause ein und taste mich danach erst mal an die Hälfte der früheren Dosis heran, wieder unter zwischenzeitlichen Spiegelkontrollen.
Diese Daumenregel gilt wirklich nicht für alle Medikamente, und sie gilt auch nur, wenn ich nur ein Medikament in Monotherapie gebe. Sobald ich mehrere Medikamente kombiniere, die eine pharmakokinetische Wechselwirkung miteinander eingehen, gilt diese Daumenregel gerade eben nicht mehr. Wenn ich zum Beispiel ein Medikament gebe, das den Abbau eines anderen Medikamentes bremst, kann eine Dosissteigerung diesen Medikamentes um 10 % leicht zu einer Blutspiegelsteigerung von 50 % führen…

Wie lauten die Empfehlungen der Experten zum Therapeutischen Drug Monitoring

Es gibt seit langem eine Arbeitsgruppe, die Konsensus-Leitlinien für das Therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie herausgibt. Aktuell koordiniert der Deutsche Psychopharmakologe Prof. Hiemke diese Gruppe. Im Update 2017 wird sehr ausführlich der aktuelle Stand sowie das Best-Practise-Vorgehen zur Bestimmung und Interpretation der wichtigsten Neuropsychopharmaka dargestellt. Das englischsprachige paper von Hiemke et al. findet sich kostenlos als PDF hier[1]. In der Zeitschrift Psychopharmakologie gibt es eine sehr gute deutsche Übersetzung und Zusammenfassung, allerdings setzt der Zugang zum Volltext ein Abonnement der Zeitschrift voraus[2].

Die Therapeutischen Referenzbereiche der wichtigsten Medikamente

Ich habe in diesem Kapitel die Therapeutischen Referenzbereiche nur der Medikamente zusammen gestellt, die ich in meinem Buch Psychopharmakotherapie griffbereit behandele, diese sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:

Antidepressiva

Medikament Therapeutischer Referenzbereich Halbwertszeit Anmerkung
Citalopram 50–110 ng/ml 38–48 h  
Escitalopram 15–80 ng/ml 27–32 h  
Sertralin 10–150 ng/ml 22–36 h  
Venlafaxin+O-Desmethylvenlafaxin 100–400 ng/ml 14–18 h, 10–17 h (Retardformulierung)  
Duloxetin 30–120 ng/ml 9–19 h  
Milnacipran 100–150 ng/ml 20–40 h Eine 80%-ige Besetzung der 5HT und NA-Transporter wird erst bei Konzentrationen ab 200 ng/ml erzielt.
Mirtazapin 30–80 ng/ml 20–40 h  
Agomelatin 7–300 ng/ml 1–2 h Wegen der kurzen HWZ wird hier der Maximalspiegel bestimmt
Amitriptylin+Nortriptylin 80–200 ng/ml 10–28 h, 18–44 h  
Moclobemid 300–1000 ng/ml 2–7 h  

Antipsychotika

Medikament Therapeutischer Referenzbereich Halbwertszeit Anmerkung
Haloperidol 1–10 ng/ml 12–36 h  
Risperidon+9-Hydroxyrisperidon 20–60 ng/ml 2—4 h, 17–23 h Ab 40 ng/ml erhöhte Nebenwirkungsrate
Olanzapin 20–80 ng/ml 30–60 h  
Aripiprazol 100–350 ng/ml 60–80 h  
Amisulprid 100–320 ng/ml 12–20 h  
Quetiapin, N-Desalkylquetiapin 100–500 ng/ml, 100–250 ng/ml 6–11 h, 10–13 h Nach abendlicher Retardgabe sind die morgendlichen Spiegel doppelt so hoch wie die abendlichen Talspiegel
Ziprasidon 50–200 ng/ml 4–8 h Ausreichende Blutspiegel nur bei Einnahme mit einer Mahlzeit.
Sertindol 50–100 ng/ml 55–90 h  
Clozapin 350–600 ng/ml 12–16 h  

Phasenprophylaktika

Medikament Therapeutischer Referenzbereich Halbwertszeit Anmerkung
Lithium Rezidivprophylaxe: 0,5–0,7 ng/ml, Therapie der akuten Manie: 0,7–1,2 ng/ml 14–30 h  
Valproainsäure 50–100 µg/ml 11–17 h In der Behandlung der akuten Manie bis zu 120 µg/ml
Carbamazepin 4–10 µg/ml 10–20 h Der aktive Metabolit Carbamazepin–10,11-epoxid vermittelt ebenfalls Wirkungen und Nebenwirkungen
Lamotrigin 1–6 µg/ml 14–104 h Pharmakokinetische Wechselwirkungen mit Carbamazepin und Valproat

Anxiolytika

Medikament Therapeutischer Referenzbereich Halbwertszeit Anmerkung
Diazepam + Metabolite 100–2500 ng/ml 4–103 h  
Lorazepam 30–100 ng/ml 12–16 h  

Ersatzstoffe

Medikament Therapeutischer Referenzbereich Halbwertszeit Anmerkung
Methadon 400–600 ng/ml 24–48 h Für Nicht-opiatgewöhnte Patienten gelten deutlich niedrigere Spiegel.

Wie verwendest Du TDM?

Schreib Deine Erfahrungen in die Kommentare, ich bin gespannt!

 

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.


  1. Hiemke, C., Bergemann, N., Clement, H. W., Conca, A., Deckert, J., Domschke, K., et al. (2018). Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017. Pharmacopsychiatry, 51(1–02), 9–62. http://doi.org/10.1055/s–0043–116492  ↩
  2. Hefner, G., Laux, G., Baumann, P., Bergemann, N., 2018. (n.d.). Konsensus-Leitlinien für therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie: Update 2017. Psychopharmakotherapie 2018;25:92–140.  ↩

12 Gedanken zu “Therapeutisches Drug Monitoring

  1. takan 19. Juli 2018 / 22:11

    Guten Abend,

    ich habe eine Verständnissfrage aus Eigeninteresse.
    Wieso ist der Referenzbereich von Aripiprazol so variabel?
    laut der Grafik img.medscapestatic.com/slide/migrated/editorial/cmecircle/2005/4217/images/slide008.gif
    reicht doch 100ng/ml aus um 80% der Rezeptoren zu blockieren. Laut Aderhold reichen doch 50-70% für ein therapeutisches Fenster aus.
    Hat dies etwas zu tun mit der partialantagonistischen Wirkung?
    Also bildlich, pi mal daumen, die doppelte Dosis braucht?
    Wäre es nicht sinnvoller zwei Dosen/D zu nehmen um den Peak zu verringern?
    Mich hat das Zeug ziemlich müde und unkonzentriert gemacht wenn der Peak kam. Da musste ich gähnen und konnte längeren Gesprächen nicht mehr ganz so folgen wie normal.

    • psychiatrietogo 19. Juli 2018 / 22:17

      Ja, 80 % D2-Blockade sind eigentlich optimal, und nach dem von Dir verlinkten Bild reichen dafür 10 mg Aripiprazol, die zu einem Spiegel von 100 ng/ml führen. An diesem Bild steht allerdings Cmax, was für einen Maximalspiegel sprechen würde. Hast Du die vollständige Publikation, aus der dieses Bild ist? Dann könnte ich versuchen, zu verstehen, ob hier für eine Bindungsstudie ein anders gemeinter Blutspiegel verwendet wurde.
      Aber zu den weiten Bereichen der Therapeutischen Jeder Mensch ist eben doch anders und der eine braucht einen etwas höheren Spiegel, der andere einen etwas niedrigeren. es gibt nicht einen optimalen Wert für alle…

      • takan 25. Juli 2018 / 19:52

        die grafik ist auch diesem portal.
        https://www.medscape.org/viewarticle/506680
        leider ist es keine studie sondern ein interview.
        das einzige was ich aus der grafik herausfischen konnte ist
        yokoi neuropsychopharm 27:248-259 2002
        leider weiß ich nicht wo ich die studie finden kann, obwohl ich ein student bin/war. 😦

  2. anonymos1987 25. Juli 2018 / 19:19

    Nehme das Quetiapin retard morgens und abends was mir lieber ist als einmal täglich. Mann muss bei der Einnahme beachten, dass man eine stunde lang danach nichts isst, weil sonst die Retardwirkung beeinflusst werden kann.

  3. Susan 2. August 2018 / 17:07

    Hm. Wir haben das bisher fast gar nicht gemacht… (Jugendakutstation). Schon gar nicht so detailliert zeitlich durchdacht. Das ist vielleicht peinlich! Damit werde ich ab sofort meine ärztlichen Kollegen in Dauerschleife nerven.

  4. anonymos1987 3. August 2018 / 17:54

    Man muss nur mal die Beipackzettel durchlesen, da steht das alles drin.

  5. Christina 30. November 2018 / 16:48

    liegt man knapp unter dem therapeutischen Spiegel (Citalopram – Wert 41..; empfohlen zwischen 50 – 110). Hat man dann gar keine Wirkung oder eine leichte Wirkung?
    bzw. überwiegen da die Nebenwirkungen mehr als die Wirkung oder kann man das so plausibel nicht sagen?
    Ich nehme schon 40mg Citalopram u. laut meiner Psychiaterin kann man pro Tag nicht höher gehen, auch wenn der Medikamentenspiegel etwas anderes sagt- stimmt das?

    • Christina 30. November 2018 / 16:59

      ach ja, nehme es für schlimme Panikstörung…

  6. Gunther 3. Juli 2021 / 00:42

    Meine Frage geht in die ähnliche Rchtung wie die von Christina:
    Ich habe gegen meine Depression 30mg/d Duloxitin verordnet bekommen. Bei der Reha wurde ein Duloxitin-Spiegel von 14 ng/dl gemessen. Dies wurde zwar als zu niedrig angemerkt, aber es gab keine Konsequenzen.
    Was soll das jetzt heißen? Ist die Dosis zu gering? Wirkt das jetzt überhaupt nicht? -Wie ist das Verhältnis zu Nebenwirkungen?
    Mein Psychater hat den Wirkstoffspiegel noch nie gemessen, -auch nicht, als ich früher noch Citalopram bekommen habe.

  7. Ramo 1. März 2022 / 08:45

    Hallo!
    Meine Frage zielt in die gleiche Richtung. Mein Blutspiegel wurde gemessen und liegt nur bei 1/3 des unteren therapeutischen Referenzbereichs. Da es mir (wieder) gut geht, gibt es keinen Grund, die Dosis zu erhöhen.
    Ich zweifle jetzt, ob es überhaupt eine relevante Wirkung durch das Medikament gibt (Escitalopram). Zu Beginn der Medikation hatte ich def. eine stabilisierende Wirkung. Kann sich das im Verlauf der Einnahme verändern? (10 Monate)
    Seit einigen Tagen schleiche ich die Einnahme aus, da ich es sinnfrei finde, ein Medikament zu nehmen, das mein Körper nahezu komplett verstoffwechselt. Oder kann es sein, dass eine geringere Wirkstoffmenge bereits gut wirkt? Oder anders – wie aussagekräftig ist der Blutspiegel in Hinblick auf die Wirkweise im Hirnstoffwechsel? Es könnte ja genausogut sein, dass alle anderen therapeutischen Maßnahmen im Verlauf des letzten Jahres zur gesundheitlichen Verbesserung beigetragen haben und weniger medikamentös beinflusst waren, oder? Danke für eine kurze Rückmeldung =-) der Eintrag ist ja schon etwas älter.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..