Wirkstärke von Antidepressiva und Psychotherapie nach Indikation

Liebe Followerpower!

Ich erstelle gerade eine Fortbildung, in der ich die Wirkstärke der Antidepressiva bei unterschiedlichen Indikationen einordnen möchte. Zur vereinfachten Verdeutlichung habe ich diese bildhübschen Grafiken entworfen. Die Datenquelle hierfür ist meine persönliche subjektive Einschätzung.

Nun meine Fragen an euch: Gibt es da eine vernünftige, zitierbare Studie, die belastbare Zahlen auf dieser Betrachtungsebene hergibt? Oder wenn nein: Stimmt ihr meiner Einschätzung zu oder würdet ihr die Wirksamkeit der beiden Interventionen bei einer der Indikationen oder bei allen anders einschätzen?

Das Bild ist creative commons, ihr dürft es gerne frei verteilen und mal nachfragen, wer das wie sieht!

Schreibt mir eure Meinung sehr gerne in die Kommentare!

15 Gedanken zu “Wirkstärke von Antidepressiva und Psychotherapie nach Indikation

  1. Avatar von Peter Teuschel Peter Teuschel 17. Juni 2023 / 11:15

    Hallo Jan!

    Ich glaube irgendwo in den S3-Richtlinien Depression gelesen zu haben, dass Antidepressiva bei mittelgradiger Depression in ca 30% der Fälle „wirken“ (und in ca 50% Nebenwirkungen erzeugen). Bei der schweren Depression ist nach meiner Erfahrung PT deutlich weniger wirksam und bei schweren (!) Angststörungen in meiner Erfahrung erstaunlicherweise noch weniger. Bei leichten Angstsörungen ist PT super, bei schweren hilft oft nur Pregabalin.
    Vielleicht ist das aus Sicht des Niedergelassenen einfach anders als in der Klinik.

    Liebe Grüße
    Peter

  2. Avatar von JK JK 17. Juni 2023 / 19:39

    Ich sehe das genau so. Meine Erfahrung ist, dass bei einer Angsstörung die SSRI deutlich schneller wirken als PT, ganz abgesehen von der Verfügbarkeit.
    Vielen Dank für diesen so wertvollen Content!!!

  3. Avatar von Klaus Klaus 17. Juni 2023 / 22:07

    Schwierig. „Depression“ ist leider syndromal definiert und nicht ätiologisch. Antidepressivum ist nicht gleich Antidepressivum und Psychotherapie nicht gleich Psychotherapie.
    Wichtig ist und bleibt der Fachmann, der aufgrund eigener Erfahrung das richtige Antidepressivum raussucht oder halt auch das richtige Psychotherapieverfahren.
    Nach meiner Erfahrung wirken Antidepressiva gut, um akut Linderung zu bringen, und Psychotherapie hilft zur Konsolidierung und Rezidivprophylaxe.

  4. Avatar von Klaus Klaus 17. Juni 2023 / 22:34

    Es ist für mich generell ein Problem, dass viele psychischen Krankheitsbilder über Symptomchecklisten und Fragebögen diagnostiziert werden und wenig zur Ätiologie bekannt ist. „Depression“ ist mit Sicherheit kein einheitliches Krankheitsbild. Daher ist die Entscheidung für oder gegen ein Therapieverfahren nur nach dem Schweregrad nach meiner Einschätzung unangemessen vereinfachend.

  5. Avatar von showerintheocean showerintheocean 18. Juni 2023 / 09:05

    Die Grafik ist eine sehr gute Idee, da die allgemeinen Wirkstärken für Psychotherapie oder Pharmakotherapie sonst immer nur pauschal für die einzelnen Störungen untersucht sind (Schweregrad nicht oft berücksichtigt). Aus meiner Erfahrung müsste man allerdings auch bei den Zwangsstörungen den Schweregrad berücksichtigen und insbesondere zwischen Zwangsgedanken (die meiner Erfahrung nach nicht gut auf Medikamente ansprechen) und Zwangshandlungen unterscheiden. Ich würde der Psychotherapie bei Zwangsstörungen aus meiner Sicht auch definitiv mehr Gewicht beimessen als den SSRI.

  6. Avatar von Daniel Daniel 22. Juni 2023 / 08:01

    Ich glaube nicht, dass die Datenlage das irgendwo hergibt.

    Laut Kirsch-Metaanalyse gibt es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Schwere der Depression und Wirkstärke der Antidepressiva, der vermeintlich bessere Effekt kommt dadurch zustande, dass der Placebo-Effekt abnimmt (was für sehr viele Medikamente und auch Psychotherapie gilt). Zitat. “ it seems clear that the increased difference is due to a decrease in improvement in placebo groups, rather than an increase in drug groups.“ Diese Grafik aus der Studie zeigt das sehr anschaulich:

    https://journals.plos.org/plosmedicine/article/figure?id=10.1371/journal.pmed.0050045.g003

    Grundsätzlich ist (wie Du ja weißt) sehr fraglich, ob Antidepressiva überhaupt einen klinisch signifikanten Effekt bei Depressionen haben, also nicht nur einen statistischen, siehe z.B. diese Folie mit den Daten aus der Kirsch- und Jakobsen-Metananalyse:

    Auch in der großen Cipriani-Metaanalyse, die ja als „Beweis“ gefeiert wurde, dass Antidepressiva eben doch besser sind, zeigte sich im HAMD eine Besserung unter Placebo um 14, unter Antidepressiva um 16 Punkte.
    Laut Definition gilt eine Verbesserung von 0-3 als “keine Verbesserung”, erst ab > 7 Punkten eine “klinische Verbesserung”.

    Dieses Ergebnis ist mehrfach reproduziert, wie diese Netzwerk-Metanalyse von Munkholm gezeigt hat: https://bmjopen.bmj.com/content/9/6/e024886

    In seinem seiner letzten Papers
    (https://www.bmj.com/content/378/bmj-2021-067606) hat Kirsch eine Einzelfallanalyse gemacht und kommt zum Schluss, dass vermutlich 15% der Patienten tatsächlich einen substanziellen Effekt durch Antidepressiva haben, bisher allerdings niemand vorhersagen kann, welche 15% das sind.
    Das entspräche in etwa einer NNT von 8-9, d.h. 8-9 Patienten werden u.U.
    erheblichen Nebenwirkungen ausgesetzt, ohne davon zu profitieren.

    Zu Angst- und Zwangsstörungen: Das sind die beiden Störungen, bei denen psychotherapeutisch mit der Expositionstherapie die am besten belegten Methoden/Techniken zur Verfügung stehen, nach meiner Erfahrung wirkt hier Psychotherapie deutlich besser als Psychoharmaka.

    Interessenkonflikt: Ich arbeite als Oberarzt in einer Psychosomatischen Klinik, d.h. mein Alltagsgeschäft ist Psychotherapie. Nach meinem Eindruck setzen wir mittlerweile sogar etwas häufiger Medikamente ab (aufgrund von fehlendem Effekt und/oder Nebenwirkungen) als neue an, mit Ausnahme von Medikamenten zur Schlafverbesserung.

    • Avatar von Dr. Jan Dreher Dr. Jan Dreher 22. Juni 2023 / 08:15

      Vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich sehe, dass Du die Wirkstärke der Antidepressiva in der Grafik eher halb so stark bewerten oder in bestimmten Gruppen auch noch geringer werten würdest und ich stimme Dir zu, dass in dieser Richtung die Wahrheit jedenfalls eher liegt als in einer zu hohen Bewertung der Wirkstärke der Medikamente.
      Die Grafik habe ich mit der Intention erstellt, zu zeigen, dass die Medikamente der Psychotherapie eigentlich nie überlegen sind, schon gar nicht bei leichten und mittelgradigen Depressionen. Bei schweren Angststörungen und schweren Zwangsstörungen habe ich in der Behandlung schon oft den Eindruck, die Wirkung der Medikamente sei gut, aber auch hier ist es sinnvoll, die Wirksamkeit bei den schwer Kranken anders einzusortieren als die bei den leicht Kranken.
      Vielen Dank für Deinen Kommentar!

  7. Avatar von Jason Jason 22. Juni 2023 / 18:19

    Ich arbeite als Oberarzt einer allgemeinpsychiatrischen Station. Nach meiner Erfahrung trifft bei der Depression mit Sicherheit das „Vulnerabilitäts-Stress-Modell“ zu. Ein Vulnerabilitäts- Faktor von vielen ist der genetisch determinierte „Grundcharakter“ eines Menschen.
    Und genau dort habe ich das Gefühl, dass Antidepressiva bei manchen Menschen helfen können. Vielleicht hat das mit einem genetischen Polymorphismus am Serotonin-Rezeptor zu tun oder so.
    Das wird man durch reguläre Studien aber kaum rauskriegen.

    • Avatar von xAver y. Z. xAver y. Z. 23. Juni 2023 / 07:34

      Ich arbeite als Oberarzt einer allgemeinpsychiatrischen Station.

      Gestatten, OberPostel mein Name, ebenfalls OberArzt, ich empfehle das Produkt Y von der Firma X. Meine Kollegin ist aber weitaus erfolgreicher als ich bei der Zielgruppe, denn sie kann im Gegensatz zu mir als Mann morgens vor der Arbeit einen extrakurzen Minirock rauskramen.

      • Avatar von Hand Hand 23. Juni 2023 / 10:54

        Niemand hindert sie daran, sich auch einen Minirock anzuziehen. Sie sollten sich allerdings vorher die Beine rasieren.

      • Avatar von Arnold Y. Arnold Y. 23. Juni 2023 / 14:22

        Eigentlich verwunderlich, dass es so wenige (oder gar überhaupt keine?) „Pornos“ mit Handlung Pharmareferentin in der Arztpraxis/“Oberarztbüro“ gibt. Wäre ein plausibles Drehbuch!

  8. Avatar von Arnold Y. Arnold Y. 23. Juni 2023 / 15:37

    Wäre ein plausibles Drehbuch!

    Allerdings mit dem logischen Bruch, dass kein Geld den Besitzer wechseln würde und zusätzlich Sachen/“Geschenke“ zum (zuvor) „Gelockten“ gehen würden. Also doch eher weniger. 😉

  9. Avatar von Abrakadabra Abrakadabra 25. Juni 2023 / 18:09

    Die Vermessung der menschlichen Psyche. L’homme machine andersherum, nicht als wissenschaftliche Herangehensweise (engl. „approach“), sondern der Mensch als Objekt einer Art – Chemotherapie? Traurig!

  10. Avatar von 024680 024680 25. Juni 2023 / 18:48

    Anwendungen der Antidepressiva umfassen auch die/eine postschizophrene Depression. Möglicherweise nimmt man mal phasen-/übergangsweise AD’s ein, wie auch von Prof. Dr. Gründer in seinen zwei neuen Videos beschrieben. Warum soll man sich das Leben unnötig schwer machen? Wenn es nicht passt, dann lässt man es eben bleiben – nichts dabei.

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