Vortioxetin (Brintellix®)

07.07.2016: Nachtrag: Inzwischen ist entschieden worden, dass Vortioxetin zum am 15. August dieses Jahres in Deutschland aus dem Vertrieb genommen wird.

Vortioxetin (Brintellix®)

  • ist ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Darüber hinaus hat es an unterschiedlichen Serotonin-Rezeptor Subtypen agonistische oder antagonistische Wirkungen.
  • erscheint in der Wirkung klassischen SSRI ebenbürtig zu sein.
  • verursacht weniger Nebenwirkungen, insbesondere keine QTc-Zeit-Verlängerung, kaum Müdigkeit oder sexuelle Dysfunktionen.
  • steht im Ruf, besser wirksam gegen kognitive Störungen im Rahmen einer Depression zu sein.
  • scheint nicht so gut wirksam zu sein gegen Angststörungen.
  • kostet im Moment noch recht viel, da es patentgeschützt ist und eine Beurteilung vom G-BA noch aussteht.

Vortioxetin, in Deutschland unter dem Namen Brintellix® vertrieben, ist ein neuartiges, multimodal wirkendes Antidepressivum, das aufgrund einiger Besonderheiten möglicherweise einen Vorteil gegenüber Vergleichssubstanzen wie Citalopram bieten kann.
Die Wirksamkeit von Vortioxetin gegen Depressionen scheint der des Citalopram ebenbürtig zu sein.
Aber es verursacht scheinbar weniger Nebenwirkungen. Zum einen ist bislang keine Qtc-Zeit Verlängerung unter Vortioxetin bekannt. Dies erleichtert den Einsatz bei kardiologisch komorbide erkrankten Patienten und reduziert die Anzahl an Kontroll-EKG´s. Zum zweiten moduliert Vortioxetin über eine selektive Serotonin 5-HT3 und 5 HT7-Rezeptor-Blockade den Serotonin-Haushalt in einer besonderen Art und Weise. Man erhofft sich hiervon eine bessere Wirkung auf kognitive Störungen im Rahmen von Depressionen. [1]

Geschichte

Vortioxetin ist seit Dezember 2013 in Europa zugelassen. Seit dem ersten Quartal 2015 wird es in Deutschland vertrieben. Es ist noch nicht endgültig entschieden, zu welchem Preis das Medikament in Zukunft vertrieben werden kann. Gegenwärtig kostet eine N3 Packung des patentgeschützten Brintellix® mit 98 Tabletten zu 20 mg etwa 370 €.

Pharmakologie

Zunächst einmal ist Vortioxetin ein Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, wie Citalopram oder andere SSRI. Darüber hinaus hat es aber agonistische und antagonistische Wirkungen an unterschiedlichen Serotonin-Rezeptoren. Besonders stark sind sein Antagonismus am 5-HT3 Rezeptor und seine partialantagonistische Wirkung am 5-HT1B-Rezeptor. Es wirkt agonistisch am 5-HT1A Rezeptor. Darüber hinaus wirkt es antagonistisch am 5-HT7- und 5-HT1D-Rezeptoren. Die Herstellerfirma formuliert dies so: “Vortioxetin ist ein Serotoninmodulator und -stimulator”.
Vortioxetin wird über das CYP P450 System metabolisiert, hauptsächlich über die CYP2D6.

Klinischer Einsatz

Vortioxetin ist zugelassen zur Behandlung depressiver Erkrankungen. Da viele Antidepressiva auch bei Angststörungen gut wirksam sind, lag eine Überprüfung hier nahe. Allerdings zeigte sich Vortioxetin in dieser Indikation in 3 von 4 Studien nicht dem Placebo überlegen.

Dosierung

  • Patienten unter 65 Jahre: Mit 10 mg morgens anfangen, dann je nach klinischem Ansprechen die Dosis bei 10 mg belassen, auf 15–20 mg steigern oder auf 5 mg reduzieren.
  • Pat. über 65 Jahre: Mit 5 mg morgens anfangen, dann je nach klinischem Ansprechen die Dosis bei 5 mg belassen oder auf 10 mg steigern.

Nebenwirkungen

Wie praktisch alle SSRI verursacht Vortioxetin als häufigste Nebenwirkung Übelkeit und andere gastrointestinale Symptome.
Bemerkenswerter ist allerdings, welche Nebenwirkungen Vortioxetin nicht macht: Es verursacht zumeist keine Gewichtszunahme, in einer Dosis bis 15 mg keine sexuellen Dysfunktionen und es ist nicht für eine Verlängerung der QTc-Zeit bekannt.

Mein persönliches Fazit

Vortioxetin scheint bezogen auf die Wirksamkeit mit anderen SSRI wie Citalopram gleichauf zu liegen. Allerdings hat es – zumindest dem bisherigen Kenntnistand nach – deutlich weniger Nebenwirkungen. Praktisch spielt es eine große Rolle, dass es offenbar nicht zu einer QTc- Zeit-Verlängerung führt. Auch soll es in Dosierungen bis 15 mg / Tag keine relevante seuelle Dysfunktion verursachen.
Inwieweit es besser gegen die kognitiven Störungen bei Depressionen hilft, kann ich selbst noch nicht einschätzen.
Gegen Angststörungen scheint es schlechter zu wirken als Venlafaxin oder Citalopram.

Eure Erfahrungen ?

Welche Erfahrungen habt ihr mit Brintellix® gemacht? Schreibt eure Berichte in die Kommentare!

Weiterführende Weblinks

http://www.kompendium-news.de/2014/03/vortioxetin-eu-zulassung-als-neues-antidepressivum/
https://de.wikipedia.org/wiki/Vortioxetin

Literatur:

[1] Müller, W. (2015). Antidepressiva und kognitive Dysfunktion: die Rolle von Vortioxetin. Psychopharmakotherapie, (4), 177–186.

 

Introvertierte versus extravertierte Menschen

Ich selbst breche ja immer gerne eine Lanze für die Introvertierten. Sie kommen in unserer etwas effektheischerischen Medienlandschaft nicht so gut weg wie die Extravertierten (die übrigens wirklich nicht Extrovertierten heißen sondern wirklich Extravertierten…). Den Extravertierten gehört halt immer die Bühne, und über sie wird mehr berichtet.

Dabei machen die Introvertierten genau so gute Arbeit, sind mindestens genau so zuverlässig und meist genau so produktiv wie die Extravertierten.

Nun denkt man ja immer, dass der Unterschied zwischen beiden darin liegt, dass die Extravertierten gerne die Bühne suchen, um dann, wenn sie produktiv sind, eben im Rampenlicht produktiv zu sein. Und die Introvertierten gehen in ihr stilles Kämmerlein, um dort ihre Arbeit an vielen komplizierten Excel-Tabellen zu verrichten, und diese dann lautlos ihrem Chef zu mailen. So kann man den Unterschied operationalisieren.

Ich habe aber unlängst gelesen, dass man die beiden Typen mindestens ebenso gut, wenn nicht besser, daran unterscheiden kann, wie sie sich regenerieren.

Die Extravertierten regenerieren sich eben gerne unter Menschen, in Geselligkeit und in sozialer Action.

Die Introvertierten regenerieren sich gerne allein, vielleicht mit einem Buch oder einer Beschäftigung mit einer Sache, aber eben allein.

Seit ich das gelesen habe (ich habe leider vergessen, wo ich es gelesen habe), denke ich oft daran, und finde, dass diese Unterscheidung viel mehr Sinn macht und meist besser zutrifft, als die Frage, wie einer hauptsächlich arbeitet. Denn auch introvertierte Menschen müssen oft was in Gruppen machen, und extravertierte haben auch einen Schreibtisch.

Was haltet ihr von dieser Art der Unterscheidung? Introvertierte bitte in den Kommentar schreiben, Extravertierte bitte auf Twitter antworten… 🙂

Buchempfehlung: Fettlogik überwinden

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Gerade gelesen: Fettlogik überwinden, von der Psychotherapeutin Dr. Nadja Hermann.

Das Buch räumt auf mit allen möglichen Fehlannahmen über das Abnehmen, was den Weg frei macht, (etwas verspätet in diesem Jahr) an die Bikini-Figur zu kommen.

Meine Lieblings Irrtümer:

  • Der Körper geht bei jeder Diät erst mal in einen „Hungermodus“. Tut er nicht. Nach einigen Tagen reduziert er den Grundumsatz um etwa 50 kcal pro Tag, aber das ist echt zu vernachlässigen.
  • Nur durch Sport nimmt man ab“. Nö. Durch weniger Essen als Verbrauchen nimmt man ab. Sport ist zwar gut für die Fitness, kann man aber komplett unabhängig vom Abnehmen betrachten. Die Autorin berichtet, sie habe mit 150 Kg angefangen, und im ersten halben Jahr nur 500 kcal pro Tag gegessen, und keinen Sport gemacht. Sie hat prima abgenommen. Danach hat sie mit Sport weiter gemacht… Merke: Das Six-Pack macht man in der Küche, nicht im Fitness-Studio.
  • Man muss wenigsten 1XXX kcal pro Tag essen, sonst yyyy“. Nein, muss man nicht. Man muss ein paar Proteine und ein paar Nährstoffe essen. Aber das ist kein Problem. Schon gar nicht oberhalb von 500 kcal pro Tag mit ein zwei ordentlichen Zutaten.
  • „Obst hilft beim Abnehmen“. Na ja, so wie 120 kcal für eine Banane und 80 kcal für einen Apfel halt helfen. Genau so viel wie ein Cornetto Nuss mit 200 kcal.
  • Heute hab ich eh schon gesündigt, da kommt es auf den Schoko-Pudding auch nicht mehr an“ ist genau so logisch wie: „Heute habe ich meinen Dispo eh schon mit den beiden Paar Schuhen ruiniert, da kommt es auf den Flachbild-Fernseher auch nicht mehr an. Kauf ich den auch noch.“
  • Ich fange morgen mit der Diät an, wenn ich alle Schokokekse vernichtet habe. Dann sind die Ausgangsbedingungen besser…“. …

Wer mehr über die Irrationalität unserer typischen Denkmuster lesen möchte und wem das Konzept des Abnehmens durch konsequentes Kalorien-Zählens nicht zuwider läuft, kauft das eBook hier:

http://www.amazon.de/dp/B00X01CRY8

Doxylamin

In diesem Blogpost möchte ich mal wieder eine Alternative zu den Benzodiazepin-Schlafmitteln vorstellen: Das gute alte Doxylamin, wie man es zu Beispiel in Hoggar Night oder WICK MediNait findet…

Doxylamin

  • ist ein Antihistaminikum mit zusätzlichen anticholiergen Eigenschaften
  • ist ein häufig zu findender Wirkstoff rezeptfreier Schlafmittel
  • macht nicht abhängig
  • kann mit anderen Sedativa, insbesondere aber mit MAO-Hemmern, problematische Wechselwirkungen verursachen

Pharmakologie

Doxylamin ist ein Histamin H1-Antagonist. Durch Hemmung der Entzündungsmediator-Funktion des Histamins wirkt Doxylamin als Antiallergikum. Im Zentralnervensystem wirkt Doxylamin darüber hinaus sedierend und brechreizhemmend. Es hat auch ausgeprägte anticholinerge Wirkungen.

Klinischer Einsatz

Doxylamin wird wie viele Antihistaminika sowohl als Schlafmittel als auch als Antiallergikum eingesetzt. Darüber hinaus wird Doxylamin als Medikament gegen Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt, da es keine Hinweise auf eine teratogene Wirkung gibt.

Dosierung

  • 25–50 mg zur Nacht

Nebenwirkungen

Doxylamin kann zusammen mit anderen Sedativa einen überadditiven Effekt haben. Die Kombination mit MAO-Hemmern ist kontraindiziert. Es kann zu anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Akkomodationsstörungen kommen.

Mein persönliches Fazit

In der ambulanten Verschreibungspraxis und im stationären Alltag wird auf die Klage „Schlafstörung“ oft reflexartig eine Z-Substanz oder ein Benzodiazepin verordnet. Dabei ist ein Therapieversuch mit einer nicht Sucht-erzeugenden Substanz in vielen Fällen erfolgreich. Ich verordne es bei Einschlafstörungen in Kombination mit einer Aufklärung über gute Schlafhygiene.

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Literatursuche und Verwaltung mit der Mac-App „Papers“

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Ich hatte im Jahr 2012 hier schon mal etwas über Literatursuche geschrieben, und auch da schon auf die Mac-App Papers hingewiesen.

In der Zwischenzeit ist viel Wasser den Rhein herunter geflossen, aber die Vorteile einer solchen App bleiben bestehen. Papers (www.papersapp.com/mac/) gibt es inzwischen in der Version 3, und ich finde es wirklich sehr sehr durchdacht und hilfreich. Das Prinzip geht so: Zunächst legst Du unter deinen bevorzugten Suchmaschinen diejenigen an, die in deinem Fachgebiet eine Rolle spielen. In der Medizin reichen eigentlich PubMed und Google Scholar. Dann gibst Du im Suchfeld ein, wonach du suchst. Die relevanten Artikel werden angezeigt. Die kannst Du nun speichern (Papiers lädt alle Metadaten) und mit eigenen tags oder Kommentaren versehen sowie Kollektionen zuweisen. Wenn das PDF zum Artikel kostenfrei zu laden ist, macht Papiers das und speichert es gleich mit. Du kannst auch eigene PDF´s der Papers-Datenbank hinzufügen. Wenn Du den Artikel irgendwo zitieren möchtest, gibt dir Papiers natürlich die korrekte Benennung in einer der Standardformatierungen deiner Wahl aus. Jeder, der sich über die Medline auf dem Laufenden halten möchte und hin und wieder was recherchiert, profitiert sicher von diesem Programm. Gibts übrigens auch für iOS, und die Datenbank synchronisiert sich per Dropbox mit der Mac-App. Die Mac-App könnt ihr zwei Wochen lang kostenlos testen, danach kostet das Programm 90 € pro Lizenz, die man für drei Installationen auf eigenen Rechnern verwenden kann.

P.S.: Danke übrigens Iris H. für Deinen Kommentar zu Absetzerscheinungen unter SSRI, den Artikel finde ich sehr sehr interessant. Welchen Artikel fragt ihr? Hier ist die Referenz:
Fava, G. A., Gatti, A., Belaise, C., Guidi, J., & Offidani, E. (2015). Withdrawal Symptoms after Selective Serotonin Reuptake Inhibitor Discontinuation: A Systematic Review. Psychotherapy and Psychosomatics, 84(2), 72–81. http://doi.org/10.1159/000370338

PsychCast 010: Angst-Killer ist online!

In der 10. Folge sprechen wir über Eure Fragen zu Angsterkrankungen, Quetiapin, Neuroleptika, die Bus-ÜbungCouch Comic (wie eine Psychotherapie funktioniert), die Schilderung von Angstsymptomen beim Arzt, Angstniveaus nach Altersklassen, nach Kulturen, Rentenbegehren, Ermittlung von Angstursachen, Vermeidungsverhalten, das “Angstsystem”, die Agoraphobie, Versuchungssituationen, Angehörige von Angsterkrankten und ihre Möglichkeiten zu helfen, Wohlstand und Angst, Konfliktfähigkeit, irrationale Ängste, die Top-3-Angstkiller, vieles mehr und die PsychCast-SOMMERPAUSE.

Die Episode findet ihr hier.