Zur Unterscheidung von Pseudodemenz und Demenz

Unlängst hatte ich Facharztprüfung. Also eher sechs Facharztprüfungen. Na ja, als Prüfer halt. Aber dabei lernt man ja zum Glück auch als Prüfer immer wieder was Neues…

Mein Mitprüfer fragte eine der Kandidatinnen, wie man eine Pseudodemenz bei Depression von einer echten Demenz unterscheiden kann. Die Frage ist relevant, weil sich gerade ältere depressive Patienten oft fragen, ob die Merkfähigkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen und allgemein die kognitiven Störungen, die sie im Rahmen ihrer Depression gerade erleiden, vielleicht die ersten Symptome einer Demenz seien. Und das macht sie natürlich noch depressiver…

Die Kandidatin antwortete, dass Patienten mit einer echten Demenz ihre kognitiven Einschränkungen eher bagatellisieren („ach das war mir gerade entfallen, nicht so schlimm“), während Patienten mit einer Pseudodemenz bei Depression ihre kognitiven Einschränkungen eher katastrophisieren („Herr Doktor, heute habe ich mir schon wieder nicht merken können, wie meine neue Tablette heißt!“ „Sie meinen das Rivaroxaban?“ „Ja genau. Da hatte ich doch glatt schon wieder den Namen vergessen. Sehen sie, nun bekomme ich auch noch Alzheimer!“). Natürlich gibt es weitere Unterscheidungsmerkmale. Zunächst mal führt man die körperlichen Untersuchungen durch, die eine Demenz aufdecken, also z.B. eine cCT.

Es gibt auch klinische Hinweise. Die Pseudodemenz zeigt oft eine Diskrepanz zwischen den erkennbaren kognitiven Einschränkungen auf der einen Seite und einem noch guten tatsächlichen Zurechtkommen im Alltag; während bei der echten Demenz zwar ebenfalls kognitive Einschränkungen bestehen, diese aber auch klare Entsprechungen in einer deutlich reduzierten Alltagskompetenz finden. Auch gibt es testpsychologische Möglichkeiten, eine Differenzierung zwischen Pseudodemenz bei Depression und echter Demenz herauszufinden. Aber nachdem ich einmal gehört habe, zwischen den Polen

  • der Patient bagatellisiert und
  • der Patient katastrophisiert

seine kognitiven Defizite zu unterscheiden, erinnere ich mich praktisch an keinen Fall, bei dem ich damit nicht richtig gelegen hätte. Die sechs Kandidaten haben übrigens alle mit wirklich guten Leistungen bestanden, der Facharztnachschub in NRW läuft also…

Das Herz wird nicht dement

Vor Kurzem habe ich die Einweihung des St. Augustinus-Memory-Zentrums in Neuss besucht. Hier werden Seniorenwohnheim, Kurzzeitpflege, Ambulante Hilfen, Institutsambulanz, Beratung, Forschung und Lehre zusammengebracht.

Sehr schön finde ich die Idee, dass in diesem auf Demenzerkrankungen spezialisierten Seniorenwohnheim vieles getan wird, damit sich die Bewohner wohlfühlen und besser orientieren können. Die Zimmer werden nicht nach Stationen benannt, sondern nach Straßen. So wohnt man beispielsweise in der Pappelalle 5. Das ist das Zimmer 5 auf der Station Pappelallee. Pappelallee 5 ist doch eine ordentliche Adresse, oder?

Bei den Zimmern kann man zwischen drei Grundtypen wählen: Modern, Landhaus oder Rustikal. Da die unterschiedlichen Typen nicht nur unterschiedliche Möbel haben, sondern auch unterschiedliche Zimmertüren, kann man sich auch von außen gut orientieren. An den Zimmertür-Klingeln ist ein kleines Regal, in das man persönliche Dinge tun kann, auch das hilft bei der Orientierung. Selbst der Therapieplan sieht liebevoll gestaltet aus. Auf den Fluren gibt es „Kabinette“ mit unterschiedlichen Themen, die zum gemeinsamen Ausprobieren einladen. Wirklich alles sehr schön gemacht.

Besonders beeindruckt hat mich allerdings etwas, was die Leitende Sozialarbeiterin der Einrichtung gesagt hat. Sie hat darüber gesprochen, dass bei dementen Patienten zwar die intellektuellen Fähigkeiten Schritt für Schritt verloren gehen. Aber die Gefühle bleiben genau so stark und genau so wichtig, wie bei Gesunden. Wenn ein dementer Patient Angst hat, dann ist diese Angst genau so furchtbar und bedarf genau so einer Zuwendung, wie wenn ein Gesunder solche Angst hat. Und wenn ein dementer Patient sich freut und mit einem anderen Menschen lacht, dann geht genau so die Sonne auf… Und das fasste sie in dem Satz zusammen:

Das Herz wird nicht dement

Wenn die Betreuer diese Haltung haben, kann man auch mit einer Demenz würdevoll wohnen.

Und wer fragt nach mir? Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz

Wenn der eigene Vater, die eigene Mutter an einer Demenz erkrankt, fragen sich viele Angehörige: Können wir die Versorgung zu Hause schaffen? Oder braucht es ein Altenheim, dass sich um den Kranken kümmert. Zu Beginn der Erkrankung kann man die notwendigen Hilfen vielleicht noch ganz gut in den eigenen Alltag integrieren. Mit fortschreitender Erkrankung werden die Belastungen für die pflegenden Angehörigenaber immer umfangreicher, bis irgendwann eine 24-Stunden-Betreuung notwendig ist, die einen schnell an die Grenze der psychischen Belastbarkeit bringen kann.
An der Universität Witten-Herdecke gibt es ein Dialog und-Transfer-Zentrum Demenz, dass jetzt ein kostenloses eBook zum Thema: „Und wer fragt nach mir? Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz“ herausgebracht hat.

Hier erklärt der Autor in einem Video, an wen sich das Buch richtet.

Demenz erklärt für Kinder

Voila_Capture 2014-03-31_08-10-41_nachm

Kindern psychiatrische Krankheiten zu erklären, ist immer etwas schwierig und erfordert altersentsprechende Bilder und Erklärungen. Für das Krankheitsbild der Demenz gibt es die Seite www.afi-kids.de. Sie bietet viele unterschiedliche Materialien, die man verwenden kann, um Kindern zu erklären, was Demenz bedeutet. So gibt es zum Beispiel Bastelanleitungen, mit denen man Neuronen basteln kann, Spiele, die man gemeinsam spielen kann und ähnliches.

Mir haben besonders gut die Türschilder zum ausdrucken gefallen. Da haben die Kinder Spaß, sie zu basteln und die demenzkranken Patienten haben eine Orientierungshilfe. So ist beiden geholfen.

Die Seite wird von der Alzheimer-Forschung Initiative e.v. betrieben.

Citalopram gegen Agitation bei Patienten mit Alzheimer Demenz

Es ist eine verbreitete Unsitte, agitierten dementen Patienten hochpotente Neuroleptika zu verordnen.  Natürlich kann es Ausnahmen geben. Wenn ein Patient im Rahmen seiner Demenz eine psychotische Symptomatik entwickelt, und diese Symptomatik ihn beunruhigt und verängstigt, dann ist die Verordnung eines Neuroleptikum selbstverständlich wirksam. Es ist jedoch häufig zu beobachten, dass Demenzpatienten, die sich im Altenheim oder auf einer Krankenhausstation unruhig verhalten, auch ohne jedes psychotische Symptom mit einem hochprozentigen Neuroleptikum behandelt werden. Dieses zeitigt üblicherweise keine großen Erfolge. Neuere Studien zeigen sogar, dass hierdurch die Sterblichkeit infolge kardiovaskulärer Ereignisse zunimmt. Eine aktuelle Studie (der vollständige Artikel ist dort als pdf frei zugänglich) im Journal of the American Medical Association hat nun die Frage untersucht, ob Citalopram einen beruhigenden Effekt auf die Agitation bei Alzheimer Demenz hat. Hier findet ihr ein Video, in dem der Autor der Studie die Ergebnisse in 5 Minuten für Euch zusammenfasst: 

Das Ergebnis ist, dass Citalopram bei diesen Patienten tatsächlich die Agitation reduzieren kann, dafür aber spürbare negative Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit hat. Darüber hinaus ist eine in der Gerontopsychiatrie besonders relevante Nebenwirkung des Citaloprams, eine mögliche Verlängerung der Qtc-Zeit, zu berücksichtigen. In der zitierten Studie wurden 30 mg Citalopram gegeben, inzwischen liegt die Empfehlung für ältere Patienten bei maximal 20 mg Citalopram pro Tag.

Meine Einschätzung:

Sicher ist, dass man nach der aktuellen Erkenntnislage nicht mehr 30 mg, sondern 10 oder 20 mg Citalopram versuchen sollte. Die Ergebnisse der Studie zeigen schon eine deutliche Reduktion der Agitation, und Citalopram in einer Dosis von 10-20 mg pro Tag ist allemal sicherer als ein Neuroleptikum. Aber die mit Citalopram behandelten Patienten zeigten auch einen um 1,05 Punkte niedrigeren Wert im MiniMental State Test. 1 Punkt hier ist viel. Die Behandlung der Agitation bei dementen Patienten stellt immer wieder eine Herausforderung dar. Sinnvoll ist es, zunächst alle nicht-medikamentösen Maßnahmen einzusetzen:

  • Spaziergänge
  • Bewegungstherapie
  • Ausgang im Garten
  • Architektur mit “Rundgängen” auf gerontopsychiatrischen Stationen

Im zweiten Schritt kann ein sedierendes niederpotentes gut verträgliches Neuroleptikum versucht werden.

Wie geht Ihr vor?

Welche weiteren Behandlungsmethoden gegen die Agitation bei dementen, nicht-psychotischen Patienten kennt Ihr? Hat jemand Erfahrung mit Citalopram in dieser Indikation? Setzt jemand 10-20 mg Citalopram ein?

Tanzen erweckt die Erinnerungen zum Leben


Ich weiß ja nicht genau, wie gut welche medizinische Maßnahme gegen das Fortschreiten der Demenz wirkt. Aber ich bin überzeugt, dass Tanzen hilft, um schöne Erinnerungen wieder zu aktivieren. „Wir tanzen wieder“ richtet sich an Menschen mit und ohne Demenz. Es ist ein Programm, das Veranstaltungen in örtlichen Tanzschulen koordiniert. 

Es ist einfach in jeder Situation gut, das Leben mit allen Sinnen zu genießen und einfach mal unbeschwert fröhlich zu sein. Ob man jetzt krank, dement oder was weiß ich nicht alles ist. 

Krankheit ist das einzige, was man ruhig mal vergessen sollte.

Die Homepage zu dem Programm „Wir tanzen wieder“ findet ihr hier. Hier steht, wo in Deutschland Tanzschulen zu finden sind, die sich an an diesem Programm beteiligen.

Rivastigmin (z.B. Exelon®)

Rivastigmin

  • ist ein Antidementivum aus der Klasse der Acetylcholinesterase-Hemmer
  • wurde als Exelon® patentiert und eingeführt
  • ist zugelassen zur Behandlung des M. Alzheimer und zur Behandlung von Demenzen im Rahmen einer Parkinson-Erkrankung

Dosierung

Rivastigmin stand lange Zeit ausschließlich in Kapselform zur Verfügung. Inzwischen gibt es auch ein Pflaster, das den Wirkstoff durch die Haut abgibt. Das Pflaster gilt als gleich wirksam aber besser verträglich.

Kapseln:

  • In den ersten zwei Wochen gibt man zwei mal 1,5 mg, je morgens und abends.
  • Bei guter Verträglichkeit steigert man in der dritten und vierten Woche auf zwei mal 3 mg.
  • Alle zwei Wochen kann man jeweils um 2 mal 1,5 mg steigern.
  • Die wirksame Zieldosis liegt zwischen 6 und 12 mg/täglich.

Wenn die Behandlung länger als einige Tage unterbrochen wurde, ist der Wiederbeginn mit täglich 2 mal 1,5 mg und anschließender Dosistitration notwendig.

Pflaster:

  • Im ersten Monat verschreibt man die Pflaster zu 4,6 mg/24 Stunden.
  • Bei guter Verträglichkeit kann man ab dem zweiten Monat die Pflaster zu 9,5 mg/24 Stunden verschreiben.
  • Dabei bleibt man dann.

Nebenwirkungen

Wie bei allen Acetylcholinesterase-Hemmern kann, insbesondere zu Beginn der Behandlung und bei Dosissteigerungen, Übelkeit auftreten.
Die Pflasterapplikation zeigt im Vergleich zur oralen Applikation von Rivastigmin eine geringere Häufigkeit von gastrointestinalen Nebenwirkungen.

Link

Einen Artikel über die Wirkprinzipien der Antidementiva findest Du hier.

 

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Dementiaville: Die Trueman Show für Alzheimer Patienten?

In der Schweiz, in Wiedlisbach in der Nähe von Bern, soll eine neue Pflegeeinrichtung des Betreibers dahlia für 150 Alzheimer Kranke entstehen. Das Konzept sieht vor, Architektur und Erscheinungsbild des kleinen Dorfes an die 50’er Jahre anzulehnen, so dass sich die Alzheimer Kranken, deren Langzeitgedächtnis oft noch sehr lange erhalten bleibt, geborgen und sicher fühlen, weil sie die Umgebung als vertraut wahrnehmen. Darüber hinaus sollen auch die Betreuerinnen und Betreuer nicht in weiße Kasacks gehüllt sein, sondern das Outfit von Gärtnern, Friseuren, Einkaufsladen-Angestellten etc. haben, um den Eindruck, selbständig zu leben, aufrecht zu erhalten.

Das Projekt hat in der Pressemeinung den Namen Dementiaville bekommen, es wird dafür kritisiert, zu planen, die Kranken zu täuschen, gerade Kranke, die ohnehin Schwierigkeiten haben, sich in der Welt zurecht zu finden. Die Sache wird als Trueman Story für Hilflose diskutiert.

In der Nähe von Amsterdamm gibt es eine Pflegeeinrichtung, die ein ähnliches Konzept mit viel Augenmaß betreibt: Hogewey. Auch hier finden Betroffene eine Umgebung, in der sie sich schnell vertraut fühlen und in der sie sich sicher und soweit wie möglich selbstbestimmt bewegen können. Ich habe hier eine 5 minütige deutsprachige Reportage gefunden, die sich zu sehen lohnt, um sich ein Urteil zu bilden. Das video findet Ihr hier.

Meine Meinung dazu? Die Idee, eine vertraute, sichere Umgebung zu schaffen, in der sich der Alzheimer Kranke wohl fühlt und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten frei bewegen und selbstständig verhalten kann, ist sehr sehr gut. Ich persönlich bin der Meinung, dass man dabei niemals eine falsche Illusion aufbauen sollte und das man das auch gar nicht muss. Es ist nicht nötig, wirklich zu täuschen. Ein Namensschild, das der Betreuer trägt, nimmt keine Sicherheit, es gibt sogar Sicherheit. Mit Augenmaß konzipiert, ist so eine Einrichtung sehr angemessen. Hätte ich einen Demenzkranken Angehörigen und lebte ich in Amsterdam, Hogewey würde ich ihn anvertrauen.