PsychCast 033 Lernen ist online

PC033 Glück auf dem Lehrplan: Lernen – analog, digital, phänomenal?
In unserer 33. Sendung vom 26. November 2016 plaudern wir über das Lernen. Wir erfahren dabei viel über die Gegenwart und Zukunft von Schule durch unserem Gast Egbert, der seit 15 Jahren Grundschullehrer in Niedersachen ist. Die Sendung wurde live ins Netz gestreamt – unter großer Beteiligung von Euch. Vielen Dank dafür!
Hier findest Du sie: http://psychcast.de/pc033-glueck-auf-dem-lehrplan-lernen-analog-digital-phaenomenal/

Lernen ist wie googeln nur krasser

Früher ging Lernen ja so: Ich kaufe mir ein Lehrbuch und lese es. War ein gutes Konzept. Das System hat so einige Implikationen:

  • Wissen hat einen Wert, für den ich bereit bin, zu bezahlen. Nämlich den Preis des Buches.
  • Wissenserwerb braucht Zeit. Das Lesen eines Lehrbuches braucht nun wirklich viel Zeit, und in dem Moment, in dem ich das Buch kaufe, treffe ich eine implizite Vereinbarung mit mir, mir diese Zeit zu nehmen.
  • Ich nehme mir ein Gebiet vor, nicht nur einen Ausschnitt. Ich kaufe mir kein Buch über die Anatomie der Hand, sondern ein komplettes Anatomiebuch. So lernt man einfach besser. Und nur so versteht man auch die Anatomie der Hand…

Heute geht Lernen ja anders: de.wikipedia.org. Wenn ich etwas wissen will, clicke ich es mir auf wikipedia oder auf google an und schaue mal, was ich so finde. Das Problem ist, dass die wikipedia so verdammt gut ist, dass meine Frage praktisch immer und in immer sehr guter Qualität beantwortet wird. Und dann bin ich fertig. Implikationen:

  • Wissen im Netz ist erst mal kostenlos. Das klappt im Falle der wikipedia dank der unzähligen Ehrenamtlichen Mitgestalter hervorragend. Aber für komplexere Lerninhalte klappt die Kostenlosigkeit natürlich nicht.
  • Ich brauche mir keine Zeit zum Lernen einzuplanen. Ich konsumiere einfach immer nur die Häppchen, auf die ich gerade Appetit habe. Ist angenehm.
  • Ich lerne immer nur einen Ausschnitt, ein Detail. Aber ich überblicke nicht mehr das gesamte Gebiet.

Wenn man aber nun sein ganzes Wissen nur aus zusammengestückelten Häppchen bezieht, besteht die Gefahr, dass man den Überblick verliert. Nichts gegen das Lesen von Blogposts :), einen kontinuierlichen Blick auf seine Twitter-Filterblase oder auf häufige Stippvisiten bei wikipedia.

Aber diese Lernhappen zeigen einem immer nur einzelne Mosaiksteine, nie das Bild.

Sie zeigen einem einzelne Kunstwerke, aber erklären nicht die Kunstgeschichte.

Sie zeigen einem einzelnen Medikamente, aber nie die Pharmakologie.

Sie zeigen einem einzelne Krankheiten, aber nicht die Medizin.

So wunderbar die Wikipedia ist, sie kann nie ein gutes Lehrbuch ersetzen. Sie enthält 1000 mal mehr Wissen als jedes noch so gute Lehrbuch zu einem bestimmten Thema, aber man kann sie halt nicht so lesen. Geführte, gefilterte, umfassende Darstellungen haben weiterhin ihre Berechtigung.

Ich interessiere mich nun schon seit langem für vollständigere Lehrinhalte im Netz, am liebsten als Videos. Der Urvater ist in meinen Augen das wirklich großartige iTunes U, das kostenlos exzellente Videos ausgewählter Vorlesungen von zahllosen Universitäten, darunter gerade auch der internationalen Spitzenuniversitäten zeigt.

Eine meiner Lieblingsvorlesungen ist immer noch der Open Yale Kurs „Psychology“ von Paul Bloom, den ich immer wieder empfehlen möchte. Ein Nachteil von iTunes U ist allerdings, dass die Mehrzahl der Kurse in Englisch sind.

Eine weitere interessante Plattform, die mich immer schon mal interessiert hat, ist Lynda.com. Hier werden hauptsächlich technische Themen in Videos dargestellt, aber auch eine Reihe anderer Gebiete. Man zahlt 25 $ pro Monat und hat dann Zugriff auf alle Videos. Wenn man eine Programmiersprache lernen will, den Umgang mit einer bestimmten Software lernen will oder etwas ähnliches, dann ist man hier wohl richtig. Gegenwärtig gibt es einen Gutscheincode, der einem eine Woche kostenlosen Zugang zu allen Kursen gibt. Einfach auf die Seite Lynda.com/macpowerusers gehen, dann ist eine Woche frei. Auch Lynda.com ist komplett auf Englisch.

Ich selbst habe in den letzten Monaten mehrfach die iPad-Ausgaben von screencastsonline.com gekauft (pro Ausgabe 5 €), die wirklich gute Lehrvideos zu Apple-Software und Technikthemen haben. Kann ich auch sehr empfehlen.

Und nun wurde ich angeschrieben, mir doch mal Lecturio.de anzuschauen. Mir wurde auf meinen Wunsch hin der Kurs Strafrecht zum Testen freigeschaltet, und ich habe mir einige Vorlesungen angesehen.

Lecturio.de hat einen Schwerpunkt auf Wirtschaft, Software Jura, Medizin; darüber hinaus gibt es aber auch andere Gebiete. Alle Vorträge sind auf Deutsch. Der Strafrechtskurs, von dem ich einige Stunden gesehen habe, ist wirklich sehr gut. Hier wird ein Repetitorium gezeigt, in dem Schritt für Schritt über 160 Stunden Videomaterial das gesamte Strafrecht dargestellt wird. Zielgruppe sind eindeutig Jurastudenten, die sich auf das erste Staatsexamen vorbereiten. Es gibt gleichartig ausführliche Kurse auch in der Medizin, und den kurzen kostenlosen Vorschauen nach sind die ebenfalls von sehr guter Qualität.

Das Preismodell von lecturio.de ist anders, hier zahlt man immer für ein Jahr lang eine Leihgebühr für einen Kurs oder ein Paket. Die Jahresgebühr kann man auch in monatlichen Raten zahlen. Und man kauft nicht eine „Flatrate“ für alle Kurse, sondern immer einzelne Kurse, und die für ein Jahr. Es gibt auch Pakete, wie zum Beispiel das Paket „Medizin Flatrate“ für 1000 € einmalig oder zu Raten von 12*100 € im Monat. Der enthält zum Beispiel 258 Vorträge mit einer Laufzeit von 217 Stunden zu Themen wie „Formale Genetik“, „Redox-Gleichgewichte“ oder „Anatomie: Gehirnentwicklung, Gliederung des Gehirns“… Wer sich auf Lecturio anmeldet bekommt jedenfalls einen Gutschein für einen Vortrag umsonst, praktisch zum Kennenlernen.

Ich glaube, wenn ich mich noch mal auf das dritte Staatsexamen vorbereiten müsste, fände ich so eine Vorlesungssammlung komplett auf Deutsch echt hilfreich. Ich habe zur Vorbereitung auf das dritte Staatsexamen sechs Monate lang jeden Tag in der Uni-Bibliothek gesessen und Fragen aus der Fragensammlung beantwortet. Wenn ich was nicht wußte, hab ich es nachgelesen. Ich glaube nicht, dass man die Zeit hat, noch mal alle Vorlesungen zu sehen. Aber am späten Nachmittag eine Vorlesung zu einem Thema, bei dem man ganz besonders wenige Punkte gemacht hat, anzusehen, das wäre schon cool gewesen…

Ich glaube, dass Wissen einen hohen Wert hat. Daher ist es auch angemessen, Zeit und Geld in den Erwerb von Wissen zu investieren. Je knapper die Zeit ist, desto wertvoller werden gut aufbereitete multimediale, leicht zugängliche Lehrformen.

Welche Erfahrungen hast Du mit bezahlten Online-Kursen? Nutzt Du welche? Hast Du schon mal für einen bezahlt? Würdest Du es wieder tun? Schreib Deine Empfehlungen in die Kommentare!

Tradition und Kultur bei uns Primaten

Kinder lernen durch Nachahmung. Aber orientieren Sie sich daran, was sie besonders oft sehen oder daran, was sie bei besonders vielen verschiedenen anderen Menschen beobachtet haben? Und wie machen das eigentlich die anderen Primaten?
Im ersten Teil einer Studie des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen haben Forscher untersucht, ob Kinder und Menschenaffen sich das am häufigsten demonstrierte Verhalten aneignen oder ob sie das von den meisten Individuen demonstrierte kopieren. Zweijährige Kinder, Schimpansen und Orang-Utans konnten dabei eine Belohnung von einer aus drei farbigen Teilabschnitten bestehenden Apparatur erhalten, wenn sie einen Ball – wie zuvor vier „Vorspieler“ – in einen Abschnitt einwarfen. Einer der Vorspieler wählte dafür dreimal denselben Teilabschnitt, die drei anderen wählten je einmal einen anderen Abschnitt. Anschließend durften die Beobachter selbst einen Ball in einen der drei Teilabschnitte werfen.
Das Ergebnis: Die meisten der Schimpansen und Kinder suchten den Teilabschnitt aus, den auch die Mehrheit gewählt hatte. Sie orientieren sich also daran, wie viele andere Individuen etwas machen.
Im zweiten Teil der Studie analysierten die Wissenschaftler, ob die Häufigkeit, mit der die Vorspieler einen Teilabschnitt auswählten, für die eigene Wahl ausschlaggebend war. Der Studienaufbau war ähnlich wie zuvor, mit einem Unterschied: Nur jeweils zwei Kinder, Schimpansen oder Orang-Utans demonstrierten die Aktion. Ein Vorspieler warf drei Bälle in einen der farbigen Teilabschnitte und erhielt dafür pro Ball eine Belohnung. Der zweite warf nur einen Ball in den anders farbigen Teilabschnitt und erhielt dafür eine Belohnung.
Das Ergebnis: Schimpansen und Orang-Utans wählten anschließend offenbar zufällig einen Teilabschnitt, während sich die meisten Kinder für den Teilabschnitt entschieden, in den mehr Bälle geworfen wurden.
Orang-Utans haben also den Schuss nicht gehört, sie werfen in irgendeinen Abschnitt, ohne Berücksichtigung ihrer gerade gemachten Beobachtungen. ->; Keine Weitergabe von Kultur. Eine mögliche Erklärung ist, dass Orang-Utans im Gegensatz zu Menschen- und Schimpansengruppen als Einzelgänger in losen Gruppengefügen zusammenleben. Soziales Lernen außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung spielt daher bei ihnen möglicherweise eine kleinere Rolle. Aber wer fühlt sich auch schon Orang-Utans verbunden…
Schimpansen orientieren sich interessanterweise im Zweifel nicht daran, was sie am häufigsten gesehen haben, sondern daran, was sie bei den meisten anderen Schimpansen beobachtet haben. ->; Kultur und Tradition, orientiert an der beobachteten Mehrheit der anderen Individuen.
Zweijährige Kleinkinder richten sich vorrangig nach der Anzahl der beobachteten Individuen, darüber hinaus bei Gleichstand auch nach der Häufigkeit, in der sie die Dinge beobachten. ->;Kultur und Tradition, ausgefeilt.
Conclusio für die Kindererziehung: Mehr verschiedene Bezugspersonen, die sich an der Erziehung beteiligen, führen zu einem noch kultivierteren Kind…

Kann mal einer die weblinks zum e-learning ordnen?

Was, alle weblinks zu medizinischen e-learning Angeboten gewissenhaft sammeln, ordnen und die Liste stets aktuell halten? Dafür müßte man wohl Bibliothekar mit einem Hang zum web sein. Und das schließt sich doch aus, oder? Bibliothekare lieben doch den Geruch von Büchern, diesen verstaubten Dingern, die schon im Moment des Druckes hoffnungslos veraltet sind, dazu schwer, teuer und insgesamt irgendwie stark retro rüberkommen.
Nein, durch einen Eintrag in meinem blog bin ich aufmerksam geworden auf ein Exemplar, dass genau das kann und macht: Corvus Corax heidelbergensis. Sie hat einen blog und sie hat die beiden großartigen Seiten:
Medizinische Podcasts und
Medizinische Videocast.
Wirklich exzellente Sammlung, unbedingt mal draufclicken. Und wenn Euch eine Seite, ein podcast oder ein Beitrag, den ihr zum Thema e-learnig gefunden habt, besonders gut gefällt: Schreibt es bei den Kommentaren zu den weblinks, so dass andere es auch finden können.
Vielen Dank Corvus
und nun viel Spaß bei stöbern…
P.S.: Mein erster Fund ist ein Audio-Podcast der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Rostock, in dem Mitschnitte herausragender Veranstaltungen der Klinik gesendet werden:

http://itunes.apple.com/de/podcast/gehlsheim-kpp/id387625579?ls=1

Die Effektstärke

Um zu verstehen, wie evidence based medicine (EBM) funktioniert, ist es erforderlich, die zu grunde liegenden Gedanken nachvollziehen zu können. Die Effektstärke istein zentrales Maß zur Beurteilung der Wirksamkeit von Interventionen und ich möchte sie hier erklären:
Beispiel: Es soll die Effektstärke von Frisörbesuchen festgestellt werden. Hierfür werden zwanzig Studenten zufällig einer von zwei Gruppen zugewiesen, Gruppe 1 geht zum Frisör, Gruppe 2 geht nicht zum Frisör. Nun muss man sich entscheiden, woran man die Wirksamkeit dieser Intervention messen möchte. Man kann zum Beispiel eine Beurteilung der Eleganz der Frisur auf einer Skala von 1-10 wählen. Man kann aber auch die Länge der Haare als Wirksamkeitsindikator wählen. Wir entscheiden uns hier jetzt einmal nach eher männlichen Effizienzvorstellungen für die Länge der Haare. Nun ist zu beobachten, dass die durchschnittliche Länge der Haare in Gruppe 1 und Gruppe 2 vor der Intervention bei durchschnittlich 10 cm lag mit einer Standardabweichung von 2 cm. Der Frisör schnitt in Gruppe 1 die Haare durchschnittlich 2 cm kürzer. Damit liegen sie nach der Intervention bei durchschnittlich 8 cm.

Die Effektstärke berechnet sich nun so: Effektstärke = Mittelwertdifferenz/Standardabweichung.

Also in unserem Beispiel (10 cm -8 cm)/2 cm=2cm / 2 cm = 1.

Eine Effektstärke von 1 bedeutet also, dass die Interventionsgruppe sich nach der Intvention um eine Standardabweichung von der Kontrollgruppe unterscheidet. Eine Effektstärke von 2 bedeutet einen Unterschied um 2 Standardabweichungen.

Wir lernen: Die Effektstärke bezieht sich auf einen in Zahlen meßbaren Endpunkt. Diesen muss man kennen, wenn man über die Effektstärke einer Intervention spricht.

Die Effektstärke sagt tatsächlich etwas über die Wirksamkeit einer Intervention aus. Das unterscheidet sie von der Signifikanz. Eine Studie wird bei ausreichend großer Fallzahl auch bei sehr geringer Wirkstärke signifikant. Beispiel: Die Friseurinnung möchte ein neues Verfahren zum Haareschneiden einführen, einen vollautomatischen, computergesteuerten Haarschneideroboter, der die Haare der Opfer um genau einen Millimeter kürzt. Jeder Schnitt kostet 100 €. Die Friseurinnung ist sehr reich, da sie viele der teuren Haarschneideroboter verkauft. Sie führt eine Studie mit 1000 Modellen durch. Natürlich ist das Ergebnis der Studie, dass das Verfahren einer Nichtbehandlung signifikant überlegen ist. Der Gruppenunterschied ist zwar klein (1 mm), aber nicht zufällig (Gruppe 1 hat nach der Intervention überzufällig Kürzere Haare). Aber die Effektstärke ist gering. Sie beträgt 0,1 cm / 2 cm = 0,05.

In der Medizin (und bei Frisören) gelten Effektstärken unter 0,5 als schwach, zwischen 0,5 und etwa 0,75 als moderat und über 0,75 als stark.

Die Effektstärke guter, wirksamer medikamentöser Behandlung in der Psychiatrie liegt oft um die 0,75, die von gut wirksamer Kognitiver Verhaltenstherapie auf umschriebene Endpunkte in etwa gleich hoch um die 0,75. Die höchste Effektstärke in der Psychiatrie erreicht man mit EKT Behandlungen wahnhafter Depressionen mit dem Endpunkt Hamilton Depression Scale mit 2-2,5.

Auffrischimpfung: Wer oder was war eigentlich die CATIE-Studie?

CATIE Studie

Wir machen uns ein Bild von der Wirksamkeit psychiatrischer Medikamente über verschiedene Quellen. Großen Einfluss hat sicher die Verordnungspraxis im eigenen sozialen Umfeld, einen sicherlich viel zu großen Einfluss haben die Marketingabteilungen der Pharmafirmen mit ihren interessengeleiteten Studien, Fortbildungen, Werbebotschaften; dagegen haben sicherlich einen viel zu kleinen Einfluss Metaanalysen und gut angelegte unabhängige Vergleichsstudien. Es ist wichtig, sich solche nicht interessengeleiteten Informationsquellen aktiv zu suchen, die wichtigsten und großen zu kennen und auf dem Hintergrund dieses Wissens die interessengeleitete Informationsflut selbst kritisch zu bewerten.

Eine davon ist sicherlich die CATIE Studie, die 2005 im New England Journal of Medcine veröffentlicht wurde (LIEBERMAN, J.A. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 1209-23)

Methode:

Die CATIE Studie war eine große, mit öffentlichen Geldern geförderte US-amerikanische randomisierte kontrollierte Doppelblindstudie über 18 Monate. Sie verglich in einem realitätsnahen Design die vier „atypischen“ Neuroleptika Olanzapin (ZYPREXA; 7,5 mg bis 30 mg/Tag), Quetiapin (SEROQUEL; 200 mg bis 800 mg), Risperidon (1,5 mg bis 6 mg) und Ziprasidon (ZELDOX; 40 mg bis 160 mg) mit dem guten alten klassischen Neuroleptikum Perphenazin (DECENTAN, 8 mg bis 32 mg). 1.432 18- bis 65-jährige Patienten mit chronischer Schizophrenie nahmen teil. Die Einschlusskriterien waren weit gefasst: Auch Patienten mit Suchtproblemen, psychischer oder somatischer Begleiterkrankung wurden aufgenommen. An Komorbiditäten wurden nur schwere kognitive Einschränkungen wie geistige Retardierung oder Demenz sowie schwerwiegende, nicht stabile somatische Erkrankungen ausgeschlossen. Ausgeschlossen waren außerdem Patienten mit schizoaffektiver Erkrankung, Therapieresistenz oder schweren unerwünschten Effekten unter der Studienmedikation in der Vorgeschichte. 212 Patienten mit vorbestehender Spätdyskinesie wurden nur den „atypischen“ Mitteln zugeteilt und in Vergleichen mit Perphenazin nicht mit ausgewertet. Perphenazin war unter anderem wegen seiner vergleichsweise geringen Häufigkeit extrapyramidal-motorischer Störwirkungen ausgewählt worden.

Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum Absetzen der Studienmedikation. Therapieabbruch ist ein häufiges Problem in der Behandlung der Schizophrenie. Der im Unterschied zu den üblichen Skalen wenig interpretationsanfällige Endpunkt erfasst sowohl mangelnde Effektivität als auch schlechte Verträglichkeit. Die Gründe für das Absetzen wurden als sekundäre Endpunkte geprüft. Das Design erlaubte eine individuelle Dosisanpassung innerhalb weiter Bereiche. Die eingenommenen Tagesdosierungen, durchschnittlich 20 mg Olanzapin, 21 mg Perphenazin, 543 mg Quetiapin, 4 mg Risperidon und 113 mg Ziprasidon, stimmten nach Angaben der Studienautoren im Wesentlichen mit den in den USA üblichen überein. Die Höchstdosis von Risperidon lag mit 6 mg niedrig, während Olanzapin eher hoch dosiert war.

Ergebnisse:

Das Resultat war für alle Neuroleptika ernüchternd: Die meisten Patienten beendeten die für 18 Monate geplante Einnahme vorzeitig; unter Olanzapin waren es 64%, unter Risperidon 74%, unter Perphenazin 75%, unter Ziprasidon 79% und unter Quetiapin 82%. Olanzapin wurde deutlich länger eingenommen als Quetiapin (Hazard Ratio [HR] 0,63; p < 0,001), Risperidon (HR 0,75; p = 0,002), Ziprasidon (HR 0,76; p = 0,028) oder Perphenazin (HR 0,78; p = 0,021). Nach Adjustierung wegen multiplen Testens war der Unterschied zur Ziprasidon- und Perphenazingruppe jedoch nicht mehr signifikant. Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon unterschieden sich gar nicht von Perphenazin. Die Zeit bis zum Absetzen wegen mangelnder Wirksamkeit war unter Olanzapin ebenfalls deutlich länger als unter allen anderen Prüfpräparaten, die sich untereinander nicht unterscheiden.

Auch in den als weitere sekundäre Endpunkte geprüften Skalen zur Positiv- und Negativsymptomatik (PANSS) und zum allgemeinen klinischen Eindruck (CGI) schnitt Olanzapin am besten ab, gefolgt von Perphenazin.

Die Zeit bis zum Absetzen wegen nicht tolerabler Störwirkungen unterschied sich zwischen den Gruppen nicht. Die Rate der Patienten, die die Einnahme aus diesem Grund abbrachen, war aber unter Olanzapin mit 18% versus 10% bis 15% unter den anderen Mitteln numerisch am höchsten. Extrapyramidal-motorische Störungen kamen in der Perphenazingruppe nicht häufiger vor als in den anderen Gruppen. Perphenazin wurde allerdings am häufigsten wegen nicht tolerabler EPS abgesetzt (8% vs. 2% bis 4%). Der Prolaktinspiegel stieg nur unter Risperidon mit durchschnittlich 13,8 ng/dl deutlich an. Unter allen anderen Mitteln nahm er dagegen ab, am stärksten unter Quetiapin. Wesentliche Unterschiede im Hinblick auf Verlängerung des QT-Intervalls im EKG fanden sich nicht. Patienten in der Olanzapingruppe nahmen am meisten an Gewicht zu, pro Monat um durchschnittlich 1 kg im Vergleich mit 0,2 kg unter Risperidon, 0,3 kg unter Quetiapin und geringfügigen Gewichtsabnahmen unter Perphenazin und Ziprasidon. Bei 30% der Olanzapinanwender stieg das Gewicht im Studienverlauf um mehr als 7%, in den anderen Gruppen bei 7% bis 16%. Auch Cholesterin (mittlerer Anstieg um 9 mg/dl), Triglyzeride (um 41 mg/dl) und Blutzucker gemessen am glykosylierten Hämoglobin (um 0,4%) nahmen unter Olanzapin am deutlichsten zu. Die Abbruchrate wegen Gewichtszunahme oder metabolischer Störungen war mit 9% (versus 1% bis 4% in den Vergleichsgruppen) unter Olanzapin am höchsten.

Zusammenfassung:

Die CATIE-Studie, ein praxisnah angelegter, firmenunabhängiger 18-monatiger Vergleich der so genannten atypischen Neuroleptika Olanzapin (ZYPREXA), Quetiapin (SEROQUEL), Risperidon (RISPERDAL) und Ziprasidon (ZELDOX) mit dem klassischen Phenothiazin Perphenazin (DECENTAN u.a.) bei chronischer Schizophrenie dokumentierte mithin eine ernüchternde Bilanz für alle Antipsychotika: Mindestens zwei Drittel der Patienten setzten die Therapie vorzeitig ab.

 Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon hatten keinen Wirkvorteil gegenüber Perphenazin.

 Olanzapin scheint – innerhalb der insgesamt engen Wirksamkeitsgrenzen – in der verwendeten relativ hohen Dosierung etwas effektiver gewesen zu sein als die anderen Mittel.

 Hinsichtlich der Gesamtverträglichkeit gab es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Neuroleptika. Die Abbruchrate wegen nicht tolerabler Störwirkungen war jedoch unter Olanzapin am höchsten.

 Extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) kamen unter den geprüften Neuroleptika ähnlich häufig vor. Perphenazin wurde allerdings am häufigsten wegen nicht tolerabler EPS abgesetzt.

 Der Prolaktinspiegel stieg nur unter Risperidon.

 Das relativ hoch dosierte Olanzapin ging mit der stärksten Gewichtszunahme und der stärksten prognostisch bedenklichen Veränderung metabolischer Parameter wie Blutzuckeranstieg einher.

Diese Zusammenfassung habe ich unter Verwendung eines Artikels aus dem Arznei-Telgramm aus dem Jahre 2005 erstellt. Das Arznei-Telegramm ist unabhängig von Pharmafirmen und als sachliche Informationsquelle mit nachvollziehbaren und zugleich dezidierten Kommentaren (die als solche erkenntlich gemacht sind) sehr zu empfehlen. Für Nicht-Abonenten sind alle Artikel, die älter als zwei Jahre sind, über die Volltextsuche zugänglich.