Fundstücke meines heutigen DGPPN-Kongress-Tages


Der DGPPN-Kongress bietet so eine Vielzahl an interessanten Vorträgen, dass man ihn am ehesten als ein Buffet ansehen kann, an dem man sich je nach Appetit bedient. Man könnte ja versucht sein, von allen interessanten Angeboten zu kosten, aber das ist einfach nicht möglich.
Ich selbst habe mich heute überwiegend am Psychopharmakologie-Tisch bedient, und gebe hier einige Punkte wider, die ich mitgenommen habe:

Das Absetzsyndrom von Antidepressiva ist nun anerkannt

Betroffene wußten es schon lange, wir Psychiater ahnten es seit etwa 5-10 Jahren: Es gibt bei vielen Patienten, die Antidepressiva absetzen, ein Absetzsyndrom. Heute gab es gleich mehrere Symposien zu dem Thema, und man kann wohl sagen, dass die Möglichkeit eines Absetzsyndroms nun allgemein anerkannt ist. Mir gefällt folgendes Akronym gut, das die häufigsten Symptome zusammenfasst:
Akutes-Antidepressiva-Absetz-Syndrom: FINISH
Flu-like symptoms (Grippe-ähnliche Symptome)
Insomnia (Schlafstörungen, intensive (Alp-) Träume)
Nausea (Übelkeit, Erbrechen)
Imbalance (Gleichgewichtsstörungen, Schwindel)
Sensory disturbances („Stromschläge“, Dysästhesien)
Hyperarousal (Ängstlichkeit, Agitation, Reizbarkeit)

Falsche Patienten in Zulassungsstudien

Zulassungsstudien neuer Medikamente werden oft in wirtschaftlich schwächeren Ländern durchgeführt, oft in Indien. Dort werden die Firmen, die die Studien machen, bezahlt nach der Anzahl eingeschlossener Probanden. Die Probanden selbst erhalten Geld, wenn sie an den Studien teilnehmen. Es wäre jetzt nicht so verwunderlich, wenn der eine oder andere Proband angibt, depressiv zu sein, um in eine gut bezahlte Medikamentenstudie eingeschlossen zu werden, auch wenn er es nicht ist. Auch hört man von Probanden, die zwei oder drei Prüfsubstanzen aus unterschiedlichen Studien im Blut haben. Ein weiterer potenzieller systematischer Fehler, über den ich bislang nicht nachgedacht hatte.

Schematherapie ist einfach gut

Fr. Prof. Brakemeier hat erneut ein Symposium organisiert, in der eine konkrete Therapiesituation, dieses Jahr war das ein akut suizidaler Patient, von vier verschiedenen Therapeuten mit unterschiedlichen Therapierichtungen jeweils 15 Minuten im Rollenspiel behandelt wurde. Zuvor wurde eine kurze Erklärung gegeben, wie diese Therapierichtung (Schematherapie, DBT, CBASP, Mentalisierungsbasierte Psychotherapie) diese Situation angeht, dann das Rollenspiel. So gewinnt man einen ziemlich guten Eindruck, wie die jeweilige Therapierichtung so tickt. Gehe ich nächstes Jahr wieder hin!

Zum Unterschied der Begriffe „Suchtkrankheit“ und „Abhängigkeitserkrankung“

Um ehrlich zu sein, habe ich mir über diesen Unterschied bislang praktisch keine Gedanken gemacht. Ich habe aber nun gehört, dass das Wort „Suchterkrankung“ viel stärker mit negativen Assoziationen wie „Charakterschwäche“ und „eigener Schuld“ verbunden wird, während der Begriff der „Abhängigkeitserkrankung“ den körperlichen und medizinischen Aspekt in den Vordergrund stellt und viel mehr damit verknüpft ist, dass die Ausgeglichenheit des Betroffenen aufgrund seiner aktuellen biologischen Situation von der in der Rede stehenden Substanz abhängig ist. Es sei ein langer und harter Kampf gewesen, vom Begriff der „Suchtkrankheiten“ weg zu kommen, hin zum Begriff der „Abhängigkeitserkrankungen“. Ich kann das gut nachvollziehen und werde in Zukunft bewußter mit diesen beiden Begriffen umgehen und den zweiteren bevorzugen.

Zur übermäßigen Psychiatrisierung des Lebens

Bist du länger als zwei Wochen traurig, wirst du für depressiv erklärt, hast du keine Lust mehr auf deinen Job, gilst du als burn-outer, kann dein kleiner Sohn sich im Mathe-Unterricht nicht 90 Minuten ruhig auf dem Stuhl halten, hat er ein ADHS. Es gibt eine fatale Tendenz, ganz normale Befindlichkeitsstörungen als psychiatrische Krankheiten zu klassifizieren. Psychiater und Psychotherapeuten können dazu neigen, weil es ihr Geschäftsmodell unterstützt, Pharmafirmen können Diagnoseausdehnungen unterstützen, um ihren Absatzmarkt auszudehnen und auch Patienten können den Wunsch haben, eine möglicherweise falsche Sicherheit, Erklärung und Entlastung durch eine psychiatrische Diagnose zu bekommen.
Die Gefahren dieser zu weit gefassten Diagnosen liegen darin, dass Betroffene unnötigerweise eine Selbstidentität als psychisch krank annehmen und möglicherweise naheliegende Verbesserungen des eigenen Lebens nicht anpacken, weil sie ja psychisch krank seien.
Heute habe ich einen interessanten Punkt zur möglichen Überdiagnose des ADHS-Syndroms gehört: „Der Geburtsmonatseffekt“: Innerhalb einer Schulklasse sind ja Kinder mit einem Lebensalter in einer Spanne von 12 Monaten zusammengefasst. Nun sei es so, dass die jüngsten Kinder einer Klasse um 30 % häufiger die Diagnose ADHS erhielten als die ältesten Kinder (Abstract der Studie hier). Es erscheint offensichtlich, dass hier die natürliche Aktivität eines jüngeren Kindes innerhalb des Vergleichsrahmens der Klasse als stärker auffällig beurteilt wird, obwohl es einfach jünger ist und es daher nur normal und gesund ist, dass es aktiver ist.

Grönemeyer hat krankheitsbedingt abgesagt

Was immerhin dazu führte, dass ich etwas früher den Cubus verließ. Berlin ist auch ganz schön…

Generation PSY

Die DGPPN hatte immer schon ein Referat „Junge Psychiater“. Da die aber nun wirklich jung und modern sind, klang die Bezeichnung „Referat“ schon mal ganz falsch.

Wer sind die jungen Psychiater in der DGPPN denn wirklich? Das wenig hilfreiche Label „Generation Y“ führt da auf jeden Fall nicht weiter.

Daher haben die Protagonisten sich den Namen „Generation PSY“ ausgewählt. Ich habe gestern zwei Vertreter der Generation PSY der DGPPN persönlich kennengelernt und ich bin wirklich vom Engagement der beiden für die Entwicklung der Psychiatrie, für die DGPPN und insbesondere auch für deren Nachwuchsprogramme beeindruckt. Auf der Webseite www.generation-psy.de könnt ihr die verschiedenen Aktivitäten nachlesen. Ich habe mich gleich mal für das Mentorenprogramm angemeldet.

Wenn Du Dich für eine Zukunft als Psychiater interessierst, egal ob Du Schüler, Student oder Arzt bist, schau unbedingt mal auf der Seite www.generation-psy.de vorbei!

Neue DGPPN Leitlinien Zwang, Alkohol- und Tabakabhängigkeit

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Die DGPPN hat drei neue Leitlinien vorgestellt.

Alle verfügbaren Leitlinien der DGPPN nach Krankheitsbildern geordnet findet ihr hier.

Die Juristen sagen ja: „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung„. Mediziner könnten nach reiflicher Überlegung zur Feststellung kommen: „Ein Blick in die Leitlinie erleichtert die Therapiefindung“. Aber Mediziner sind da sehr unterschiedlich. Manche geben kein Tablette Aspirin, ohne die zutreffende Seite der Leitlinie „Kopfschmerzen“ zitieren zu können, andere haben noch nie eine Leitlinie aus der Nähe gesehen.

Zu welcher Gruppe gehört ihr? Findet ihr die DGPPN-Leitlinien praxisnah genug formuliert? Geben sie euch hilfreiche Hinweise und Entscheidungshilfen?

Einige Mitbringsel vom DGPPN-Kongress in Berlin

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Ich kehre gerade vom DGPPN Kongress 2014 zurück. Der Kongress fand jetzt erstmalig nicht im ICC, sondern im neu gebauten CityCube statt, was eine wesentliche Verbesserung darstellt, da das ICC einfach zu klein war. Der Kongress ist in den letzten Jahren immer weiter gewachsen und aktuell kommen wohl so etwa 9.000–10.000 Teilnehmer, da hat man im ICC schon oft auf dem Boden sitzen müssen; im CityCube habe ich nur selten auf dem Boden gesessen…
Ich kann jetzt hier nicht alles Interessante zusammen fassen, was ich gelernt und erfahren habe, aber ich zähle mal ungeordnet einige neue Impulse auf, die ich bemerkenswert fand:

  • Am Interessantesten sind ja oft die Gespräche am Rand. So habe ich mich mit einem Kollegen aus Holland unterhalten, der berichtete, dass dort die Entgiftung von GHB mit einer Kombination aus medizinischem GHB, Benzodiazepinen und Neuroleptika durchgeführt wird. In Deutschland wird medizinisches GHB manchmal für bestimmte Narkosen, vor allem bei Kaiserschnitten und anderen i.v.-Kurznarkosen bei kleinen chirurgischen Eingriffen verwendet. Für die Entzugsbehandlung ist es aber nicht erlaubt. Daher stellt sich eine GHB-Entzugsbehandlung bei uns oft als sehr schweres psychotisches, oft delirant anmutendes Krankheitsbild dar. Medizinisches GHB als Behandlungsoption wäre auch hier sehr willkommen…
  • In der Psychopharmakologie hat sich viel verändert, seit der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) vor der Festlegung eines Preises für ein neues Medikament den “Zusatznutzen gegenüber einer Zweckmäßigen Vergleichstherapie” beurteilt. Es ist ja so: Wenn eine Pharmafirma eine neue Substanz erforscht und entwickelt, dann muss sie zunächst die Zulassung in Deutschland und zumeist in Europa beantragen. In Deutschland geht das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dies wägt Nutzen und Risiko eines neuen Medikamentes ab. Stehen Nutzen und Risiko in einem guten Verhältnis, lässt das BfArM das Medikament in Deutschland zu. Es steht dann auch erst mal 10 Jahre unter Patentschutz. Früher hieß das, dass das Pharmaunternehmen jetzt 10 Jahre lang einen sehr hohen Preis nehmen konnte, und viel Geld in dieser Zeit verdient hat. Heute ist das nicht mehr automatisch so. Heute prüft der GBA, ob das Mittel einen deutlichen Zusatznutzen gegenüber der meist sehr preiswerten Standardtherapie hat. Nur dann akzeptiert der GBA einen höheren Preis als den für die Standardtherapie. Und nur dann müssen die Kassen den höheren Preis zahlen. Ist das Medikament zwar neu, zugelassen, patentiert, aber laut GBA ohne großen Zusatznutzen gegenüber den bisherigen Medikamenten, wird der GBA einen Preis festlegen, wie bei den bisherigen Medikamenten. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Gemeinschaft der Versicherten nicht für Pseudo-Neuerungen überteuerte Preise zahlen muss. Es hat aber den Nachteil, dass es in Deutschland sehr viel schwieriger geworden ist, eine Bereicherung des therapeutischen Arsenals herauszubringen. Nicht jeder Patient profitiert gleichermaßen von der Standardtherapie. Manche brauchen einfach ein anderes Präparat, aber das zu erforschen ist für die Pharmaunternehmer aus wirtschaftlicher Sicht sehr viel riskanter geworden.
  • Die Psychotherapieforschung ist erfreulich lebendig und aktiv.
  • In der Suchttherapie gibt es einige interessante Ansätze, die zur Grundlage haben, dass Sucht eine jahrelange Krankheit ist. Also nicht: Zwei Wochen Entzug, dann nichts mehr, sondern: Entzug, dann monatelange Begleitung und bei Krisen rasche Intervention.
  • Und es gab noch zahllose weitere interessante Ideen, die ich hier nicht alle aufzählen kann…

Ich fand den Kongress mal wieder sehr lehrreich und lohnend. Allerdings komme ich wie jedes Jahr zur Erkenntnis, dass es Ende November sehr kalt ist in Berlin. Ich schlage daher vor, dass der Kongress in Zukunft im September in Barcelona abgehalten wird. Der Rest des Konzeptes kann so bleiben…

PEPP Optionsphase verlängert

Die DGPPN teilt in ihrem newsletter folgendes mit:

In die Debatte um das neue PAUSCHALIERENDE ENTGELTSYSTEM PSYCHIATRIE UND PSYCHOSOMATIK (PEPP) ist Bewegung gekommen: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat in der letzten Woche in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses angekündigt, die budgetneutrale Optionsphase bis 2017 zu verlängern. Bisher war vorgesehen, dass alle psychiatrischen psychosomatischen Kliniken PEPP ab 2015 verpflichtend einführen. Der massive Widerstand, den die DGPPN gemeinsam mit Fach-, Angehörigen- und Betroffenenverbänden seit Monaten übt, ist endlich in der Politik angekommen. Für die nächsten Wochen und Monate wird es aber wesentlich sein, die Organe der Selbstverwaltung und die verantwortlichen Politiker aus Gesundheitsausschuss und Bundesministerium für Gesundheit weiterhin davon zu überzeugen, das Kalkulationsverfahren zu modifizieren und eine sachgerechte Weiterentwicklung zu garantieren.

Das ist wirklich ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass die Verantwortlichen in der Politik sehen, dass es einen fundamentalen Verbesserungsbedarf gibt. Sonst müsste die Optionsphase nicht verlängert werden. Die degressive Bezahlung (die erste Behandlungswoche gibt viel Geld, jede weitere Woche schrittweise immer weniger), die nicht angemessen berücksichtigte Unterscheidung zwischen Kliniken mit Sektorversorgungsauftrag und solchen ohne Sektorversorgungsauftrag und viele weitere Punkte werden nun offenbar neu verhandelt.

Und es gibt auch einige optimistische Stimmen, die sagen: „Wenn das Projekt PEPP erst mal verschoben ist, dann kommt es in der geplanten Form überhaupt nicht mehr.“ Das wäre erfreulich. Eine angemessene Entlohnung stationärer psychiatrischer Behandlungen ist mit wesentlich weniger Bürokratie und mit Anreizsystemen, die für die Patienten hilfreicher sind, problemlos möglich.

Der Patverfüe Kinotrailer hat einen neuen Abspann…

Ich hatte hier bereits einmal über den spot zur Patverfue berichtet.

Die Aktion Mensch hat sich inzwischen in diesem Brief vom Spot distanziert. Im Abspannt erscheint das Logo der Aktion Mensch nun nicht mehr.

Siehe auch:

http://www.zwangspsychiatrie.de/2012/04/warum-der-patverfue-spot-einen-neuen-abspann-erhalten-hat/