Würde ich noch einmal Psychiater werden wollen?

Camli (Name für die NSA geändert) hat mir gemailt, dass Sie sich überlegt, sich nach dem Abschluss eines Medizinstudiums auf Psychiatrie zu spezialisieren. Sie hat mich gefragt, ob ich noch mal Psychiatrie machen würde, wenn ich mich heute erneut entscheiden könnte (ich könnte ja auch noch mal wechseln…). Meine Antwort darauf ist einfach. Ich denke, man soll seinen Beruf nach folgendem Kriterium auswählen:

“Wenn es Dich fasziniert, musst Du es machen!”

Psychiatrie und Psychotherapie haben mich schon immer fasziniert und faszinieren mich auch heute noch. Also richtig gewählt. Ich würde es wieder wählen.

Ich finde schon das Medizin-Studium sehr faszinierend. Man lernt wirklich viel über die Natur, den Menschen und erlernt sogar die Geheimnisse der Heilkunde. Also das war für mich schon mal ein no-brainer: Das wollte ich alles wissen.

Nach Abschluss des Studiums fand ich es erst mal gar nicht so einfach, mich für ein bestimmtes Fach zu entscheiden. Internistische Intensivmedizin, Notfallmedizin, Kinderheilkunde und Psychiatrie fand ich allesamt sehr interessant.

Das Besondere an der Psychiatrie und Psychotherapie ist für mich, dass es wirklich immer um den ganzen Menschen mit all seinen Geefühlen, Gedanken und seiner sozialen Umwelt geht. In anderen Bereichen der Medizin behandelt man natürlich auch immer den ganzen Menschen, der Fokus des Faches richtet sich dann aber doch viel schneller als in der Psychiatrie auf das Röntgenbild, die Laborwerte, die spezielle Anatomie des Handgelenkes oder was auch immer. Das ist in der Psychiatrie nicht so. Und es gibt wirklich jeden Tag irgend etwas Interessantes, Spannendes, ja wieder Faszinierendes zu erleben.
In der Psychiatrie ist man in der priveligierten und außergewöhnlichen Situation, oft Menschen in Ausnahmesituationen kennen zu lernen und die Aufgabe zu haben, zu versuchen, ihnen zu helfen. Dadurch lernt man wirklich immer wieder etwas über die Menschen.
Ich habe mich noch an keinem Tag während meiner Arbeit gelangweilt. Ich habe noch an keinem Tag bereut, Psychiatrie als Fach gewählt zu haben.

Insofern, liebe Camli: Wenn Dich Psychiatrie und Psychotherapie fasziniert, dann:

Go for it!

Das wirkliche Problem der Patienten mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung

Das Problem für einige Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung und einige Menschen mit einer klassischen Zwangserkrankung ist ja weniger, dass die Kranken so lange diesen lästigen und manchmal etwas bizarren Zwängen nachgehen.

Das Problem ist vielmehr, dass einige Betroffene Probleme haben, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden; dass manche Probleme haben, die Prioritäten richtig zu setzen.

Dann gehen sie ihren Zwängen nach und lassen die wichtigen Dinge unerledigt, die wesentlichen Dinge ungelebt. Diese Versäumnisse sind das größte Problem der Krankheit.

Nicht die Zwangshandlungen sind manchmal das Schlimmste. Das Wichtige und Wesentliche Dinge nicht hinkriegen ist oftmals das Schlimmste.

P.S. Aus den Kommentaren habe ich gelernt, das für viele Betroffene die Kombination aus Angst und Zwangshandlungen sehr wohl das Belastendste ist. Prioritäten zu setzen und diesen Prioritäten folgen zu können ist nicht für jeden Zwangskranken ein Problem, es gehört auch nicht zu den diagnostischen Kriterien der Zwangskrankheit der ICD-10.

Dies könnte manchmal eher ein Problem von Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sein.
Stimmt! Vielen Dank für diese Korrekturen!

Frohe Weihnachten!

Nur noch mal zur Erinnerung: Weihnachten ist keine Doppelstunde in Familientherapie. Zweck der Veranstaltung ist es, den anderen eine Freude zu machen. Also bitte: Wenig Vorwürfe, keine Vergangenheitsbewältigung, sondern Braten speisen, Orangen schälen und nett zueinander sein. Ich wollt´s nur noch mal gesagt haben… Ich wünsche Euch eine schöne Zeit, feiert fröhlich und genießt die freien Tage, Euer Psychiatrietogo

Was passiert eigentlich, wenn ich als Zeuge einer Ladung zu Gericht nicht folge?

Wenn man als Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung geladen wird, dann muss man dort auch erscheinen. Ausnahmen gibt es nur, wenn man eine schwere Krankheit hat, die man nachweisen kann, und die verhindert, dass man zu Gericht kommt, oder wenn man z.B. weit weg im Urlaub ist. Aber dann muss man das vorher dem Gericht mitteilen. Und das Gericht muss diese Ausnahme akzeptieren.

Was gar nicht geht, ist einfach nicht zu kommen. Dann stellt das Gericht nämlich fest, dass man zwar ordnungsgemäß geladen wurde, aber nicht gekommen ist. Und verhängt oftmals ein Ordnungsgeld in Höhe von 100 bis 250 Euro. Zuzüglich der dem Gericht durch die Zeitverzögerung entstandenen Kosten. Und manchmal entscheidet es, den Zeugen beim nächsten Verhandlungstag einfach polizeilich vorführen zu lassen. Dann klingelt morgens so gegen 6:00 ein Polizeibeamter an der Haustür des Zeugen und nimmt ihn mit ins Polizeigewahrsam. Von dort aus geht es dann so gegen 9:00 oder später ins Gericht. Dann ist der Zeuge da.

Wenn er nun keinen plausiblen Grund angeben kann, warum er beim letzten Mal nicht erschienen ist, dann wird das Ordnungsgeld fällig und auch eingetrieben.

Neulich habe ich mal eine Erklärung gehört, in der der Zeuge den Polizeibeamten, der ihn vorgeführt hat, „Busfahrer“ genannt hat. Das wirkt dann als Entschuldigung insgesamt nicht so überzeugend…

Es lebe die EU: Studienregister für Pharmastudien endlich eingeführt!

Europa

Da heißt es immer, die EU sei ein teurer Paragrafengenerator, der außer dem Euro und dem Glühbirnenverbot wenig Gutes geschaffen hat. Und dann gibt es sogar Leute, die das mit den Glühbirnen nicht verstanden haben und diesen alten Stromfressern hinterhertrauern… :-).

Jetzt hat die EU aber etwas wirklich extrem sinnvolles endlich verabschiedet. Sie zwingt Pharmafirmen, klinische Studien in ein Register einzutragen, bevor die Studie startet. Und nach Abschluss der Studie muss eine Zusammenfassung der Ergebnisse eingetragen werden, die für jedermann zugänglich ist.

Das löst ein riesengroßes Problem: Bislang war es  so, dass es einen großen publication bias gerade bei Pharmastudien am Menschen gegeben hat. Wenn eine Substanz für eine bestimmte Indikation ins Gespräch kommt, dann wurden beispielsweise 10 Studien zu dieser Substanz in dieser Indikation durchgeführt. 8 Studien haben vielleicht ergeben, dass die Substanz nichts bringt. 2 Studien haben ergeben, dass sie ganz ganz wenig, aber immerhin etwas bringt. Die Leiter der ersten acht Studien, in denen keine Wirksamkeit gefunden wurde, haben sich vielleicht gedacht: „Ach, damit komme ich eh nicht groß raus, ich veröffentliche das erst gar nicht. Man würde mir eh´nur vorwerfen, ich hätte zu wenig Probanden eingeschlossen.“ Von den beiden Studien, die eine geringe Wirksamkeit zeigen, wäre vielleicht eine wirklich zur Publikation angenommen worden, die andere wäre vielleicht irgendwo versandet. Dann wäre das später nachvollziehbare Ergebnis: „Es gibt eine Studie zu Substanz X in der Indikation Y, und die zeigt eine Wirksamkeit.“ Das ist der publication bias.

Dem publication bias kann man nur auf eine Art begegnen: Man muss verpflichtend festlegen, dass jede Pharmastudie vor der Durchführung öffentlich registriert, dokumentiert und abschließend in ihrem Ergebnis beschrieben wird. Genau das hat die EU nun endlich entschieden, für Pharmastudien am Menschen, die  innerhalb und außerhalb Europas durchgeführt werden.

Das ist wirklich ein großer Schritt, der die Sicherheit der Patienten schützt und die Qualität der Forschung am Menschen deutlich erhöht. Manchmal bin ich stolz, ein Europäer zu sein.

Quelle: Zeit-Artikel hier

Schredderst Du Deine handschriftlichen Notizen, nachdem Du ein Gutachten diktiert hast?

Wenn ich als psychiatrischer Gutachter einen Probanden für ein Gutachten exploriere, mache ich mir während der Exploration handschriftliche Notizen. Nachdem ich mit der Exploration fertig bin, diktiere ich das Gutachten, korrigiere es und schicke es ab. Die handschriftlichen Notizen brauche ich dann nicht mehr. Was mache ich dann mit den handschriftlichen Notizen? Letzte Woche war ich Sachverständiger in einem Strafverfahren am Landgericht. Das Verfahren hat eine weitreichende Bedeutung. An einem der späteren Verhandlungstage fragte mich der Verteidiger, ob ich der Kammer und somit der Verteidigung meine handschriftlichen Notizen beziehungsweise Untersuchungsunterlagen zur Verfügung stellen könnte. Es gebe nämlich ein Urteil, dass unterstütze, dass man gegen einen Gutachter, der diese nicht zur Verfügung stellt, einen Befangenheitsantrag stellen kann. Die Verteidigung hätte ohne diese Unterlagen keine Möglichkeit, sich von einem gründlichen und methodisch richtigen Vorgehen des Gutachters zu überzeugen. Die Zivilprozessordnung verpflichtet den Sachverständigen zu folgendem: § 407a ZPO: “Weitere Pflichten des Sachverständigen”  führt unter Punkt 4 auf:

(4) Der Sachverständige hat auf Verlangen des Gerichts die Akten und sonstige für die Begutachtung beigezogenen Unterlagen sowie Untersuchungsergebnisse unverzüglich herauszugeben oder mitzuteilen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so ordnet das Gericht die Herausgabe an.

Ob mit “Untersuchungsergebnisse” auch die Notizen, die der Sachverständige bei der Exploration macht, gemeint sind, ist mir nicht ganz klar. Dieses Urteil verneint das. Notizen sind nicht das gleiche wie Laborergebnisse oder testpsychologische Untersuchungsergebnisse. Kennt jemand ein Urteil, in dem die Nicht-Herausgabe der Explorationsnotizen des Sachverständigen eine Befangenheit begründet hat? Man muss wissen, dass durch einen Befangenheitantrag das ganze Verfahren platzen kann. Dann müsste der gesamte Prozess neu begonnen werden. Es müsste ein neuer Gutachter bestellt werden, der müsste ein neues Gutachten schreiben. Alle Zeugen müssten neu angehört werden. Ein riesiger Aufwand. Es ist selbstverständlich richtig, dass eine tatsächliche Befangenheit des Sachverständigen, also eine parteiische Voreingenommenheit, zu einer begründeten Ablehnung dieses Sachverständigen führt, und dies ist ein wertvolles Rechtsinstrument. Ich hatte meine handschriftlichen Unterlagen nach der Exploration gescannt und konnte sie der Kammer zur Verfügung stellen. Der Prozess konnte ungestört weiter laufen.

Die Moral von der Geschichte ist also:

Wenn Du Gutachter in einem Gerichtsverfahren bist, musst Du die handschriftlichen Notizen, die Du während der Exploration anfertigst, sowie mögliche Unterlagen neuropsychologischer Testungen und ähnliches, aufbewahren. Andernfalls könnte das gesamte Verfahren platzen. Also erst scannen und speichern, dann schreddern. Oder einfach abheften…

Tanzen erweckt die Erinnerungen zum Leben


Ich weiß ja nicht genau, wie gut welche medizinische Maßnahme gegen das Fortschreiten der Demenz wirkt. Aber ich bin überzeugt, dass Tanzen hilft, um schöne Erinnerungen wieder zu aktivieren. „Wir tanzen wieder“ richtet sich an Menschen mit und ohne Demenz. Es ist ein Programm, das Veranstaltungen in örtlichen Tanzschulen koordiniert. 

Es ist einfach in jeder Situation gut, das Leben mit allen Sinnen zu genießen und einfach mal unbeschwert fröhlich zu sein. Ob man jetzt krank, dement oder was weiß ich nicht alles ist. 

Krankheit ist das einzige, was man ruhig mal vergessen sollte.

Die Homepage zu dem Programm „Wir tanzen wieder“ findet ihr hier. Hier steht, wo in Deutschland Tanzschulen zu finden sind, die sich an an diesem Programm beteiligen.

Stimmen im Kopf, ein Mensch stirbt…. und die Ärztin ist schuld

Danke Medizynicus, für diesen interessanten link und den post.

Ich selbst denke, dass das Urteil richtig ist. Es ist milde, und das ist angemessen, da die Ärztin ohne böse Absicht gehandelt hat.
Aber es macht auch deutlich, dass sie in dieser Situation nicht die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen. Alleine zu fragen, ob ein Patient freiwillig in Behandlung ist, reicht für die Entscheidung, ob er wieder gehen darf, eben gerade nicht aus. Sie hätte sich ein genaueres Bild machen müssen. Daher war es aus meiner Sicht richtig, sie zu verurteilen.
Die Konsequenz aus diesem Urteil für uns Psychiater darf nun aber nicht sein, dass wir restriktiver mit Freiheitsentziehungen umgehen. Die Konsequenz kann nur sein, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst machen und entsprechend sorgfältig handeln.
Nicht mehr und nicht weniger.

Obdachlos zu sein ist auch ein Ausbildungsberuf

Jetzt, wo es so kalt ist, trennt sich auf der Platte die Spreu vom Weizen. Im Sommer schaffen es ja noch eine ganze Reihe von Leuten, ohne festen Wohnsitz zu sein, und man kann auch mal eine Nacht unter der Brücke schlafen, auch wenn man überhaupt keine Erfahrung in dem Metier hat. Im Winter geht das nicht mehr. Um nun noch wirklich auf der Straße überleben zu können, muss man einiges wissen, können und haben. Zunächst mal braucht man sehr viele Schichten Kleidung. Ohne einen mindestens sechsschichtigen Zwiebelschalenpelz geht gar nichts. Dann braucht man einen wirklich ordentlichen Schlafsack; nicht so einen leichten hübschen, sondern einen richtig warmen. Und man braucht nach Möglichkeit ein Versteck für sein Hab und Gut, damit kein anderer Obdachloser einem den Schlafsack klaut, wenn man “Platte macht”, also seine Tageseinnahmen erbettelt. Menschen, die sich mit all dem nicht wirklich auskennen, und zum Beispiel im Rahmen einer akuten Psychose, einer Manie oder ähnlichem plötzlich nicht mehr in ihre Wohnung können, erfrieren bei dieser Kälte. Sie wissen einfach nicht, wie man sich schützt. Die meisten Städte haben Notschlafstellen, die nachts vor der Kälte schützen. In Köln gibt es ein gut organisiertes Programm zur Hilfe bei Obdachlosigkeit.

  • Die Fachstelle Wohnen bietet die vorübergehende Unterbringung in Mehrbettzimmern in Obdachlosenhotels an. Hierfür muss man allerdings montags, dienstags oder donnerstags morgens persönlich vorsprechen.
  • Zusätzlich gibt es mehrere Notschlafstellen. Die größte ist in der Annostraße im Johanneshaus. Bedürftige werden dort abends ab 21:00 aufgenommen. Es gibt etwas zu essen und ein Bett für die Nacht. Am nächsten Morgen muss man die Notschlafstelle wieder verlassen.
  • Im Winter erweitert die Annostraße ihr Angebot. Die Aufnahme ist dann abends schon um 18:00 geöffnet. Zusätzlich zu den normalen Schlafplätzen in 4-6 Bett Zimmern wird eine große Halle geöffnet, in der bis zu 50 weitere Menschen übernachten können.
  • Es gibt in der Annostraße auch einen Wohnbereich und ein Resozialisierungsangebot, wenn man das wünscht.

Als Krankenhausarzt im Nachtdienst nimmt man in dieser Zeit Obdachlose niederschwellig auf. Wenn sich jemand betrunken im Krankenhaus vorstellt, und zu normalen Zeiten eigentlich ein Bett in der Notschlafstelle ausreichend wäre, es aber nicht sicher ist, dass er die nächste Notschlafstelle erreicht, ohne auf dem Weg einzuschlafen und zu erfrieren, nimmt man ihn zumindest für eine Nacht auf. Am nächsten Morgen kann man dann helfen, eine geeignete Unterkunft zu organisieren. Wenn Sie das nächste mal einen Obdachlosen sehen, spenden Sie ihm ruhig etwas Geld. Er hat es schwer genug.

Update: Psychopharmakologie to go Auflage 4

Psychopharmakologie to go für’s iPad ist ab heute in der vierten Auflage verfügbar! Layout und Design sind komplett neu gestaltet, alles sieht moderner und frischer aus, es liest sich gleich viel schöner. An vielen Stellen habe ich Korrekturen eingebaut, vieles umformuliert und einige Abschnitte neu eingefügt.

Das Update ist im iBookstore natürlich umsonst; wer schon ein Exemplar besitzt, clickt einfach unter „Gekaufte Artikel“ auf update, dann lädt es.

Update: Im Moment ist es nicht verfügbar. Aber ich kann versprechen, dass es bald in einer deutlich verbesserten Form zurück kommt… Also etwas Geduld…