Plan like a pilot

Ich habe schon lange darüber nachgedacht, wie ich den folgenden Gedanken für den blog richtig formuliere. Es geht um die Frage, ob man eine psychiatrische Therapie oder eine Psychotherapie einfach mal so starten soll, sich an der aktuellen Lage orientieren soll und mal schauen soll, was so kommt, oder ob man sich eines oder mehrere Ziele vornehmen soll und dann die Therapie an der Erreichung dieser Ziele ausrichtet. Und dann habe ich in dem schon mal empfohlenen Podcast “[Beyond the to-do-list][1]” in [dieser][2] Folge den Gedanken gehört, dass Piloten anders planen als die meisten von uns. Darin erzählt Interviewgast Hugh Culver, der ein Unternehmen für Abenteuerreisen in Alaska betreibt, dass er einmal einen seiner Piloten gefragt hat, wie ihm der Job in Alaska gefalle. Er habe erwartet, dass der Pilot so etwas antworte wie: “Immer so schöne Sonnenuntergänge hier, aber sehr kalt” oder etwas in der Art. Statt dessen habe ihm der Pilot geantwortet: “Um ehrlich zu sein, ich bin 50% der Zeit vom Kurs ab.” Im folgenden Gespräch sei Culver erst so richtig klar geworden, dass Piloten ihre Handlungen immer 100-prozentig am Ziel ausrichten: Dem Flughafen, auf dem sie landen werden. Piloten fliegen nicht zum Sightseeing (und selbst wenn sie das tun, fliegen sie von einem vorher festgelegten Ziel zum nächsten). Piloten fliegen einfach zu einem bestimmten Flughafen. Der Weg dorthin kann aufgrund von unerwarteten Wetterfronten, technischen Problemen und allerlei Widrigkeiten immer mal wieder einer Änderung bedürfen. Aber das Ziel bleibt gleich und dient nach jeder Veränderung wieder zur neuen Ausrichtung. Bei manchen psychiatrischen Therapien und Psychotherapien habe ich das Gefühl, der Therapeut lässt sich ganz gerne einfach so dahintreiben, wie in einem Heißluftballon. Er fragt zu Beginn jeder Stunde einfach den Patienten, wie es ihm geht, und reagiert dann darauf. So kann man viele Monate verbringen, ohne auch nur ein einziges Ziel zu formulieren, darauf zu zu steuern oder gar, es zu erreichen. Aber es ist auch irgendwie entspannender, chilliger, so vorzugehen. Leider entspricht das nicht dem vorgesehenen Zweck einer von der Kasse bezahlten Therapie. Bei Psychotherapien hat man die Zeit und wenn der Patient aufmerksam ist auch die Notwendigkeit, darüber zu sprechen, ob man sich bestimmte, benennbare Ziele vornimmt. Das ist ein wesentlicher Teil der Therapie: Klarheit darüber entwickeln, was man eigentlich will. Und dann im zweiten Schritt darüber nachdenken, wie man da hin kommt. Und dann bestimmte zielführende Instrumente anwenden, um da hin zu kommen. Einfach mal “Biografiearbeit”, “Arbeit mit dem inneren Kind”, “emphatische Gefühlsvalidierung nach Rogers” oder etwas anderes zu machen, nur, weil der Therapeut das immer macht, und irgendwie dabei schon was ganz Wichtiges rauskommen wird, bedeutet eben, sich in den Heißluft-Ballon zu setzen. Klar, das kann auch schön sein, und da kann man auch mal an einem schönen Ort landen. Aber es ist schon etwas anderes, als wenn man zu einem bestimmten Ziel fliegt. In der stationären psychiatrischen Therapie gibt es diese Gefahr auch. Man nimmt den Patienten einfach mal “zur Krisenintervention” auf, mit dem Therapieziel der “Stabilisierung”. Dann geht´s ab in den Heißluftballon. Ergo, Sport, Depressionsgruppe, wird schon irgendwie helfen. Guten Flug. Als Pilot kennt man sehr präzise seinen Zielflughafen. Sonst stirbt man nämlich möglicherweise. Und für die Therapie ist es meiner Meinung nach eben auch erforderlich, sich von Anfang an klar zu machen: Wo will der Patient eigentlich hin? Und dann kann man auswählen, was dafür erforderlich ist. Gespräche mit der Familie, Arbeitstherapie, um zu sehen, ob der aktuelle Arbeitsplatz wieder möglich ist, Betreutes Wohnen erwägen, was auch immer dient, das Ziel zu erreichen. Also: Fragt Euch bei den nächsten Therapien mal, ob ihr Ballon fahrt oder fliegt. Fliegen hat nämlich eine Richtung. Den Zielflughafen, auf dem ihr landen wollt. [1]: http://beyondthetodolist.com/ [2]: http://beyondthetodolist.com/time-hughculver-on-overcoming-procrastination-dealing-with-interruptions-and-planning-like-a-pilot-bttdl067/

Erscheinen PsychKG-Unterbringungen eigentlich im Polizeilichen Führungszeugnis?

Es stellt sich immer wieder die Frage, ob Zwangsunterbringungen im Psychiatrischen Krankenhaus nach PsychKG zu einem Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis führen.

Die Antwort ist: PsychKG Unterbringungen erscheinen nicht im Führungszeugnis.

Bei meiner Recherche habe ich aber nun endlich verstanden, warum sich dies Gerücht so hartnäckig hält.

Es gibt vier Arten von Führungszeugnissen:

  1. Das Privatführungszeugnis: Das ist das Führungszeugnis, das Privatpersonen beantragen und zum Beispiel ihrem Arbeitgeber bei der Einstellung vorlegen. Hier werden Straftaten einer bestimmten Schwere eingetragen.
  2. Das Behördenführungszeugnis: Dies dient zur Vorlage vor Behörden, hier werden zusätzlich zu den strafgerichtlichen Entscheidungen auch Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, zum Beispiel der Widerruf einer Gewerbeerlaubnis, eingetragen.
  3. Das Erweiterte Führungszeugnis: Dies brauchen Personen, die im Kinder- oder Jugendbereich tätig werden wollen, zum Beispiel in Schulen oder Sportvereien.
  4. Das Europäische Führungszeugnis: Wird in Deutschland lebenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedsstaates der EU erteilt und gibt auch Auskunft darüber, ob diese Person im EU-Staat ihrer Herkunft vorbestraft ist.
    (Quelle: Bundesjustizamt)

Die Sorge:

Es gibt eine weit verbreitete Sorge, dass Psych KG-Unterbringungen im Behördenführungszeugnis erscheinen, und damit einer Verbeamtung im Wege stehen. Diese Sorge haben also vor allem Lehrer, Mitarbeiter im Rettungsdienst, der Feuerwehr und der Polizei, die mal durch welche verfahrene Situation auch immer per PsychKG untergebracht worden sind. Das kann ja schon passieren, wenn man mal betrunken mit 2 Promille randaliert hat und für eine freiwillige Entgiftung nicht zustimmungsfähig war.

In umgangssprachlichen Zusammenfassungen, wie in dieser Erklärung des Bundesjustizministeriums, heißt es, dass in einem Behördenführungszeugnis auch „gerichtlich angeordnete Unterbringungen in einer psychiatrischen Anstalt“ aufgeführt werden können. Das ist sicher die Quelle der Verunsicherung.

Was genau erscheint tatsächlich im Führungszeugnis?

Es gilt auch hier mal wieder: „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung…“. Der Inhalt des Führungszeugnisses ist natürlich genau festgelegt, und zwar im §32 Bundeszentralregistergesetz (BZRG).

Hier wird unter Punkt 3 Abs. 1 explizit aufgeführt, dass “Verurteilungen, durch die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist” ins behördliche Führungszeugnis kommen.

Und das sind eben nicht PsychKG Unterbringen, sondern nur Unterbringungen in Forensischen psychiatrischen Kliniken nach §63 oder §64 StGB.

Entwarnung

PsychKG Unterbringen werden hier gerade nicht aufgeführt. Sie erscheinen also weder im normalen Führungszeugnis, noch im Behördlichen Führungszeugnis, noch im Erweiterten Führungszeugnis.

Gut so.

Werbung für Psychopharmaka in den USA

Mein Gott bin ich froh, dass in Deutschland Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel verboten ist. In Amerika ist Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel erlaubt, somit auch für Psychopharmaka.
In meiner Twitter-Timeline schaue ich mir gerade von @psychiatrypics alte und neue Werbung an. Es war dort offenbar schon immer üblich, völlig unkritisch Psychopharmaka, oft auch Neuroleptika, als Wundermittel gegen alle Formen von Unruhe oder Lebensproblemen darzustellen. Bei den alten Werbungen wirkt das lächerlich, bei den neuen beängstigend.
Und @HansBangen hat gerade diesen link getwittert:

http://youtu.be/D9ocn5v0r4A. Laufe in den USA gerade auf allen Sendern im Fernsehen. Die Sprecherin spult die Nebenwirkungen einer neuen Pille ab, kontrastiert wird das von glücklichen Bildern glücklicher Menschen.

Wäre fast schon lustig, wenn es nicht in jeder Hinsicht völlig daneben wäre…

Zeitleisten erstellen mit Easy Timeline

In der Psychiatrie ist es oft entscheidend, sich ein klares Bild vom zeitlichen Ablauf einer Erkrankung und deren Behandlung zu machen. Oft braucht man einen Überblick, wie sich die Erkrankung über die gesamte Lebenszeit dargestellt hat, und wann welche Therapie eingesetzt wurde.

Und dann kommen oft noch weitere Faktoren dazu:

  • Wo und wie wohnte der Patient?
  • War er in einer Partnerschaft?
  • Gab es einen relevanten Drogenkonsum?
  • Wie sah es beruflich aus?

Und vieles mehr. Und das alles soll man sich so visualisieren, dass man einen vernünftigen Überblick hat. Man soll also wissen, wann die erste Krankheitsepisode war, welche Therapie dann eingesetzt wurde, wie lange es unter dieser Therapie stabil lief, wann es unter welcher Therapie und welchen Rahmenbedingungen wieder zu einem Rückfall gekommen ist, wie oft diese Rückfälle sich wiederholt haben und so weiter.

Kann man alles auf einem DIN A4 Blatt machen, und sollte das auch viel öfter tun. Aber für Fallvorstellungen und Präsentationen empfehle ich das Mac Programm Easy Timeline. Im Video stelle ich es vor:

http://youtu.be/KX7q7011rYs

Einen sehr guten 30 minütigen Screencast von Screencastsonline, der Easy Timeline erklärt, findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=swGA8xvkYcU

 

Nein, ich bin nicht „busy“

von NicP for Tauchreisen Nautilus One (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
Wenn man im beruflichen Kontext jemanden fragt “Wie geht´s?”, antwortet er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: “Ach, schrecklich viel zu tun, aber sonst ganz gut!” Es gibt keine Alternative. Niemand sagt, dass er eben gerade genug zu tun hat, um alles entspannt hinzukriegen. Das sagt einfach keiner. Immer hat man gerade ganz viel um die Ohren und gar keine Zeit. Ich frage mich, wie man so irgend etwas vernünftig hinkriegen will. Man braucht doch Zeit, um Dinge ordentlich zu machen. Dieser gesellschaftliche Konsens, dass alle immer schrecklich “busy” (englisch für „geschäftig, beschäftigt“) sind, geht mir gehörig auf die Nerven.

Also, ich habe nicht zu viel zu tun. Ich kann meiner Arbeit ganz gut gerecht werden, ohne dass es zu viel ist. Ich kann mich in Ruhe auch den Dingen widmen, die etwas mehr Zeit brauchen. Ich bin nicht gestreßt und ich habe genug Zeit zur Regeneration.

So, dass mußte auch mal gesagt werden.

Videopost: Was bedeutet eigentlich der „Einwilligungsvorbehalt“ bei Betreuungen

Ich habe hier spaßeshalber mal einen Videopost gemacht:

Was bedeutet eigentlich der „Einwilligungsvorbehalt“ bei gesetzlichen Betreuungen?

Aber guckt selber: http://youtu.be/fg31ur8gh0I

Interesse an mehr Video-Posts? Dann mailt eure Fragen an Psychiatrietogo2012@gmail.com!

Gründung einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Borderline Patienten in Köln

Der Verein “Grenzgänger” kümmert sich – nun auch in Köln – um die Belange und die Unterstützung von Angehörigen von Borderline-Patienten, und plant für die Zukunft noch einiges mehr.

Eine erste konkrete Maßnahme ist die Gründung einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Borderline-Patienten in Köln, die für Eltern, Partner, Geschwister und alle anderen Angehörigen von Borderline-Patienten offen ist.

Das Gründungstreffen findet am 22.04.2014 um 18.30 Uhr, in den Räumen der Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln, Marsilstein 4-6, 50676 Köln, statt. Ein regelmäßiger Termin für weitere Treffen wird dann von den Teilnehmern gemeinsam bestimmt.

Interessierte melden sich bitte beim Organisator, Hrn. Kai Kreutzfeld per mail (info@hp-kreutzfeldt.de) oder telefonisch unter: 0221 – 971 37 356 bzw. 0178 – 411 34 84 an.

Wörter, die es nur in der Medizin gibt

Es ist ja gut und richtig, dass jedes Fachgebiet seine eigene Fachsprache hat. Eskimos brauchen einfach 50 verschiedene Begriffe für Schnee, um nicht zu verhungern und theoretische Physiker können auch nicht alle Phänomene mit einem Wortschatz von 500 Worten beschreiben.

Aber dann gibt es auch so gewisse eingeschliffene Skurillitäten, die sich in verschiedenen Fachgebieten herausbilden. Wenn nämlich Dinge des Alltages, für die es ganz normale und richtige Worte gibt, auf lustig-verschrobene Art umschrieben werden, ohne dass hierdurch irgend etwas klarer wird. Neben der allgemeinen deutschen Tendenz zur Substanzivierung gibt es hier eine erkennbare Lust am Abstrakten. Nach wenigen Tagen Sammeln habe ich folgendes Destillat erstellt:

Der in domo gut bekannte Hr. X ist in unserer Ambulanz notfällig vorstellig geworden. Er stellte sich zur geplanten Krisenintervention vor. Er sicherte Absprachefähigkeit zu. Durch die stationäre Aufnahme zeigte er sich deutlich entlastet. Er nahm am multimodalen Therapieprogramm teil und profitierte vom stationären Setting. Nach erfolgter Krisenintervention wurde er an unsere Institutsambulanz angebunden und zurück in die Häuslichkeit entlassen.

Ich glaube, es wird deutlich, welche sprachlichen Gewächse ich meine. Welche Lieblingswörter kennt ihr, die kein notwendiger Fachbegriff, sondern eine Verschwurbelung des Umgangssprachlichen sind?