Psychogene Polydipsie und Zönästhesien?

Der junge Patient Hr. A. leidet schon seit vielen Jahren unter einer Psychose mit verschiedenen Wahninhalten. Er ist mit Risperdal-Consta seit einigen Monaten recht stabil eingestellt. Doch in den letzten Wochen hat sich sein Verhalten dramatisch verändert. Er berichtete, dass er das Gefühl habe, sein Körper “brenne innerlich”, er trank daher in den letzten Wochen immer mehr Limonade, aß Wassereiß in großer Menge, um “den Brand zu lindern”. Er fühlte sich zunehmend schlecht und kraftlos. Schließlich wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert.

Wie lautete die Diagnose? Psychogene Polydipsie und Zönästhesien?

Natürlich nicht. Der bei Aufnahme gemessene Blutzucker betrug 612 mg/dl. Der Patient stand kurz vor dem hyperglykämischen Koma. Eine Einstellung auf Insulin brachte zügige Besserung. Er hatte schlicht und ergreifend die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus erlitten.

Zur Erinnerung: Beim Diabetes kann der Zucker nicht mehr richtig aus dem Blut in die Zellen aufgenommen werden. Sobald der Blutzucker auf über 180 mg/dl steigt, wird die Glucose mit dem Urin ausgeschieden, und zwar mit viel Flüssigkeit. Das typische Symptom des Diabetes ist daher, dass die Patienten bis zu 10 Litern Wasser oder noch typischer Limonade trinken. Das ist keine Polydipsie, das ist einfach Pathophysiologie.

Unklar ist, ob das Neuroleptikum Risperidon an der Verursachung des Diabetes beteiligt gewesen sein kann. Von Olanzapin ist so ein Zusammenhang bekannt, von Risperidon nicht.

Was wir von Tieren mit psychischen Erkrankungen lernen können

Kennen Sie eine Katze mit Zwangssymptomen? Eine depressiven Gorilla? Einen Hund mit PTSD?

Laurel Braitman erklärt in diesem TED-Talk, dass es psychische Erkrankungen bei Tieren wirklich gibt, wie man sie behandeln kann, und was wir daraus über psychische Erkrankungen bei Menschen und deren Therapie lernen können. Die Gemeinsamkeiten sind größer, als man so denkt. Ein sehr unterhaltsames Video!

 

Die Tresorübung im Wandel der Zeit…

Die Tresorübung ändert sich auch mit der Zeit. Die Tresorübung ist eine psychotherapeutische Technik, die man Patienten beibringt, die unter immer wiederkehrenden sehr unangenehmen Erinnerungen leiden. Man übt mit diesen Patienten ein, sich vorzustellen, dass sie die Erinnerungen auf ein Video-Band aufzeichnen, das Video dann in einen Tresor legen, und den Tresor verschließen. Bei Bedarf, zum Beispiel während einer psychotherapeutischen Sitzung, kann der Patient den Tresor öffnen und sich die Erinnerungen anschauen. Wenn der Patient aber Ruhe von den Erinnerungen haben will, stellt er sich vor, dass sich das Videoband im Tresor befindet. So war das immer.

Heute hat mir eine junge Patientin beschrieben, wie sie die Tresorübung gemacht hat: 

“Ich habe mir vorgestellt, dass ich die Erinnerungen auf eine DVD gebrannt habe und die DVD dann in einen Tresor gelegt habe. Danach kam ich zur Ruhe und konnte gut schlafen.”

Also ich schlage meinen Patienten in Zukunft vor, sie sollen sich vorstellen, die Erinnerungen als .mov file in einem verschachtelten Dropbox-Ordner zu speichern und mit einem Passwort zu sichern…  🙂

Der Zettelkasten 2.0 ist da!

Der Mensch lernt durch Wiederholung. Das gilt auch für den Erwachsenen. Die über alle Kontinente und alle Zeiten gültige unzweifelhaft beste Methode, Fakten oder kleine Informationseinheiten zu lernen, ist der gute alte Zettelkasten. Und das geht ja bekanntlich so:
  • Man nehme einen Schuhkarton und unterteile ihn mit Trennblättern in fünf gleich große Fächer.
  • Man nehme Karteikarten. Auf diese schreibe man auf die eine Seite einen Begriff oder eine Frage und auf die Rückseite die Erklärung beziehungsweise Antwort.
  • Man stelle neue Karten ins erste Fach. 
  • Man gehe jeden Tag alle Karten durch. Kennt man die Antwort, stellt man die Karte ein Fach weiter nach hinten. Kennt man sie nicht, stellt man die Karte ein Fach weiter nach vor. Ist sie schon im ersten Fach, bleibt sie dort.
  • Karten im fünften Fach hat man also fünf mal hintereinander richtig gehabt, die kann man archivieren. (oder wegwerfen).
  • So kann man alles lernen. 
Als leidenschaftlicher Vertreter eines papierlosen Lebens suche ich schon länger nach einem digitalen Zettelkasten, der genau diese Mechanik mit fünf Fächern und entsprechenden Wiederholungen simuliert. Natürlich müssen sich die Karten über iPhone, iPad und Computer synchronisieren, so dass man an der Bushaltestelle mal einfach sein Telefon zücken und ein paar Wiederholungen machen kann. Dabei soll die App natürlich noch gut aussehen und am Besten auch die Möglichkeit bieten, bei Quizlet oder so Karten anderer zu laden. 
Praktisch alle Apps, die ich gefunden habe, syncen oder haben die 5-Fächer-Mechanik. Das geht natürlich gar nicht.
Ich habe nur eine App beziehungsweise Plattform gefunden, die im Wesentlichen alle Kriterien erfüllt, nämlich die von Brainscape. Hier kann man am Mac oder PC auf der Website oder auf dem iOS Gerät eigene Karten in beliebig vielen Kategorien erstellen, die sich auf alle Geräte synchronisieren. Man kann einige englischsprachige Kartensätze kaufen, manche sind auch kostenlos. „The Brain“ und „Mac Shortcuts“ finde ich gut.
Die Mechanik ist so, dass man, nachdem man die richtige Antwort gegeben hat, einstufen kann, wie sicher man die Antwort wußte, und zwar auf einer Skala von 1-5. Je niedriger diese Einstufung ausfällt, desto häufiger präsentiert die App einem die gleiche Karte wieder. 
Ich verwende die Einstufungen wie früher die Fächer: Wenn ich eine Karte kenne, gehe ich jedes mal um einen Schritt höher. Wenn eine Karte mir total klar ist, lege ich sie gleich ins Fach 5.
Mir gefällt die App gut, für selbst erstellte Karten ist sie kostenlos und ich bin jetzt länger bei ihr geblieben.
Wie lernt ihr? Habt ihr eine andere App gefunden, die gut funktioniert? Tipps in den Kommentaren sind sehr willkommen!

Frank Findeiß: Psychoterrorpie

Ein Kollege von mir hat in einer Buchhandlung das folgende Gedicht zur Psychotherapie gefunden.
Hoffentlich machen wir es besser… 🙂

Frank Findeiß: Psychoterrorpie

Sektiererisch impfst Du
Klischee- Parolen
Ins Nervenkostüm
Aus Samt und Seide
Red mir ins Gewissen
Schalt mich aus
Mein schwindender Wille
Fügt sich dem Takt
Aus bohrenden Fragen
Fragenden Blicken
Und verdeckten Notizen
Geheimnisvoll
Mit salbenden Worten
Hakst Du mich ab
Vom Katalog
Der Diagnosen
Dem Spiel Deiner Mine
Von kruder Distanz
Ausgeliefert
Durch kaltes Kalkül
Sitz ich seelenbalsamiert
Auf ungelösten Sorgen
Endlich regt sich Widerstand
Doch die Stunde ist um

P.S.:

Das Gedicht „Psychoterrorpie“ hat übrigens 2012 den Jurypreis des Hildesheimer Lyrikwettbewerbs gewonnen.

Das Autorenprofil von Frank Findeiß auf nrw-literatur-im-netz.de findet ihr hier, sein Autorenprofil im Acheron-Verlag findet ihr hier.

Crystal Aufklärungsseite Sachsen neu am Netz

Sachen hat ein ernsthaftes Crystal-Problem, und wenn ihr mich fragt, dauert es nicht mehr lange, bis Crystal auf breiter Front auch die westlichen Bundesländer erreicht hat. In den Metropolen ist es schon verfügbar, aber offenbar noch nicht so häufig anzutreffen.

Ein frühzeitig aufgenommener Kampf gegen Crystal ist bundesweit sinnvoll, denn dieses Teufelszeug führt seine Konsumenten meist ungebremst in den Abgrund.

Die Seite Crystal.Sachsen ist neu am Netz und informiert sachlich über Wirkungen, Nebenwirkungen, Therapieoptionen und auch den Kampf des Landes Sachsen gegen Crystal.

Ich wünsche Sachsen, dass die anderen Bundesländer und der Bund es in diesem Kampf jetzt unterstützen. Im eigenen Interesse.

Nun hat es geklappt: Psychiatrie to go läuft jetzt auf www.psychiatrietogo.de

Voila_Capture 2014-08-08_07-10-08_nachmSo: Beim dritten Versuch hat es nun geklappt: Der Blog ist jetzt durchgehend unter der Domain www.psychiatrietogo.de zu erreichen und die Unterseiten heißen jetzt auch so. Gefällt mir gut.

Geschafft habe ich das nach mehreren Versuchen, indem ich meinen uralten Vertrag bei Strato mal gekündigt habe, und meine (beiden) domains auf www.hover.com transferiert habe. Hover macht nur Domainmanagement. Kein webspace, keine komischen Knebelverträge; einfach Domains verwalten. Das aber einfach, gut und preiswert. Und der technische Service ist erprobtermassen schnell, nett und effizient. Kann ich empfehlen!

Hilft ein DNA Test, das richtige Antidepressivum zu finden?

Antidepressive Medikamente an die eigene DNA angepasst

Die Suche nach dem richtigen Antidepressivum kann manchmal etwas dauern. Zu Beginn einer depressiven Episode beginnt man mit einem Antidepressivum und beobachtet den Erfolg über mehrere Wochen. Manchmal treten ausgeprägte Nebenwirkungen auf, dann muss man die Dosis reduzieren oder das Präparat wechseln. Nach einigen Wochen erwartet man einen Therapieerfolg. Tritt dieser nicht ein, wechselt man ebenfalls das Antidepressivum. Manchmal dauert es mehrere Wochen, bis man das richtige Medikament in der richtigen Dosis gefunden hat.
Da liest sich die Versprechung von Stada sehr interessant:

Neuer DNA-Test STADA Diagnostik Antidepressiva erleichtert Therapiefindung bei der medikamentösen Behandlung der Depression

Was steckt dahinter? Die Cytochrome p450:

Antidepressiva werden in der Regel von p450-Cytochromen verstoffwechselt. Das sind Enzyme, die die Medikamente abbauen und so die Elimination vorbereiten. Es gibt eine ganze Reihe von Untertypen der Cytochrom p450 Enzyme, zum Beispiel CYP1A1, CYP2A6, CYP2D6 und viele weitere. Viele Menschen produzieren alle wichtigen Untertypen der CYP-Gruppe in normaler Menge und mit normaler Stoffwechselaktivität. Es gibt aber auch einen relevanten Anteil von Menschen, die von bestimmten Varianten der Cytochrome entweder zu viel oder zu wenig produzieren. Und dann gibt es auch Varianten der jeweiligen Untertypen, die weniger oder stärker stoffwechselaktiv sind.

Was bedeuten Varianten der CYP p450 Gruppe praktisch?

Slow metabolizer

Nehmen wir an, in meinem Genom sind die Varianten CYP2C19 und CYP3A4 nur ganz schwach angelegt. Sagen wir, ich produziere CYP2C19 gar nicht und von CYP3A4 nur eine ganz schwach stoffwechselaktive Variante. Das heißt dann, ich bin ein slow metabolizer.
Nehmen wir nun an, ich entwickele eine depressive Episode und mein Arzt verschreibt mir Citalopram, und zwar in einer Dosis von 40 mg.
Citalopram wird von den Enzymen CYP2C19, CYP3A4 und CYP2D6 abgebaut. Da ich zwei dieser drei Enzyme nur in einer nicht oder kaum wirksamen Form hätte, würde bei mir der Citalopram-Blutspiegel sehr schnell sehr hoch ansteigen. Ich hätte dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeprägte Nebenwirkungen vom Citalopram. Wenn andere nur etwas unter Übelkeit durch Citalopram zu leiden hätten, hätte ich darunter wahrscheinlich stark zu leiden. Auch die Gefahr von EKG-Veränderungen wäre dann für mich deutlich erhöht.
Ohne DNA-Test kann ich das erst merken, wenn die Nebenwirkungen auftreten. Ich könnte dann eine Bestimmung des Blutspiegels von Citalopram durchführen, und so einen Hinweis erhalten. Ein DNA-Test hätte schon vor Beginn der Behandlung gezeigt, dass Citalopram für mich sicher ungeeignet ist.

Fast metabolizer

Ich könnte auch Genvarianten haben, die dazu führen, dass ich besonders schnell arbeitende Varianten der Enzyme CYP2C19, CYP3A4 und CYP2D6 habe. Das heißt dann fast metabolizer, rapid metabolizer oder ultra-rapid metabolizer.
Wenn ich nun Citalopram verschrieben bekäme, würde mein Körper das Citalopram so schnell abbauen, dass keine Wirkung mehr entstehen könnte.
Ohne DNA-Test würde ich erst einmal einen sehr langen Therapieversuch mit Citalopram machen, das ich gut vertragen würde (mein Citalopram Blutspiegel wäre ja ganz niedrig), aber so nach 4–6 Wochen würde ich das Präparat vielleicht wechseln, weil es nicht gewirkt hätte.
Mit DNA-Test würde ich, wenn ich wüsste, dass ich ein fast-metabolizer für Citalopram bin, entweder eine höhere Dosis nehmen oder gleich ein anderes Präparat einnehmen, das ich normal verstoffwechsele.

Kosten

Der Apotheken-Listenpreis des DNA Tests beträgt 395 €, im Internet finden sich aber Angebote am 216 €.

Fazit

Man liest viel von der personalisierten Medizin der Zukunft. Ich denke, dass es in wenigen Jahren gängige Praxis sein wird, Patienten, die mit einer schweren Depression oder schweren Psychose im Krankenhaus aufgenommen werden, auf ihre Metabolisierungseigenschaften hin zu untersuchen. Das ist schließlich eine Untersuchung, die man nur einmal im Leben machen muss. Und sie kann helfen, Nebenwirkungen oder lange Therapiephasen mit unzureichender Wirkung eines Präparates zu vermeiden. Im Moment ist das noch nicht üblich.
Im stationären Rahmen ist es gegenwärtig üblicher, bei starken Nebenwirkungen oder zu schwacher Wirkung den Blutspiegel des Medikamentes zu bestimmen. Eine Untersuchung des Metabolisierungstyps ist während einer stationären Behandlung möglich, wird aber selten durchgeführt.
Patienten in ambulanter Behandlung können sich das Testkit allerdings selbst in der Apotheke kaufen und ihren Arzt bitten, die Untersuchung für sie durchzuführen. Der Arzt erhält dann die Ergebnisse zugeschickt.

Weitere Quellen

Hier das Werbevideo von Stada:

Seelenklempnerei

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Ich freue mich immer über neue interessante Blogs, und die Ideen, die sie in mein Leben bringen.

Frisch für Euren Feed-Reader neu entdeckt: Seelenklemnerei!

Hier schreibt ein ärztlicher Psychotherapeut / Psychosomatischer Oberarzt über allerlei Psychische Sachen, vor allem Imagination, also „Innere Bilder“, Positive Psychologie und Lösungsorientierte Verfahren.

Mir gefällt besonders gut der post: Wie man sich in 7 Minuten grossartig fühlen kann. Darin kommt ein Video vor, das aus zwei Teilen zu je 8 Minuten besteht. Es heißt „Validation“ und erklärt völlig ohne Psycho-Irgendwas, was eigentlich wichtig ist im Leben, in der Psychotherapie und überhaupt. Ich bin eigentlich kein großer Youtube-Verlinker, aber diesen Film habe ich wirklich sehr genossen. Wenn ihr eine Viertelstunde Zeit habt, guckt ihn Euch an!

Teil 1: 

Teil 2: 

Und hier findet ihr den RSS-Feed von Seelenklemptnerei: Beitragsfeed (RSS). Der Autor betreibt noch einen zweiten blog, nämlich adhsspektrum

Viel Spaß mit den blogs!