Alles, was Du über Risperidon wissen möchtest …

Ich habe das Kapitel für die nächste Auflage meines Buches (die aber nicht vor 2023 kommen wird) überarbeitet, besser lesbar gemacht und übersichtlicher gestaltet. Wie es gute alte Tradition ist, veröffentliche ich hier den Textentwurf (dieser Text steht daher ausnahmsweise unter Copyright). Ich bitte euch, mir Rückmeldung zum Text zu geben, auf Fehler oder Unvollständigkeiten hinzuweisen und mir zu sagen, wie ich es verständlicher beschreiben könnte.

Ich habe dieses Kapitel auch als Video eingesprochen, das findest Du hier.

Ansonsten: viel Spaß mit diesem Kapitel zu Risperidon!

5.3.1 Risperidon

Risperidon

  • ist ein atypisches Antipsychotikum
  • ist meist stark und sicher wirksam
  • ist in Dosierungen bis 3 mg pro Tag meist gut verträglich
  • kann, insbesondere bei höheren Dosierungen als 4 mg/Tag, EPMS auslösen.
  • verursacht selten relevante Müdigkeit, Gewichtszunahme, QTc-Zeit-Verlängerung oder ein metabolisches Syndrom
  • ist für viele Psychiater das Antipsychotikum der 1. Wahl.

Risperidon ist ein lange etabliertes atypisches Antipsychotikum, das viele Psychiater als Mittel der ersten Wahl bei psychotischer Symptomatik einsetzen. Es wirkt über einen Dopamin-D2-Antagonismus sowie zusätzlich über einen 5-HT2-Antagonismus. Daraus leitet sich seine meist sichere antipsychotischer Wirkung und oft gute Verträglichkeit ab.

Es steht als eines von nur 17 Psychopharmaka verdientermaßen auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO.

Pharmakologie

Risperidon (siehe Abb. 4.4) blockiert zum einen wie ein typisches Neuroleptikum den Dopamin-D2 -Rezeptor, und zum anderen wie viele atypische Neuroleptika den Serotonin-5HT2A -Rezeptor. Es verursacht nur in geringem Maße Gewichtszunahme und Müdigkeit, entsprechend seiner nur geringen, aber vorhandenen Aktivität am Histamin H1 -Rezeptor.

Risperidon selbst hat eine Halbwertszeit von 2-4 Stunden, sein aktiver Metabolit 9-Hydroxy-Risperidon eine von ca. 20 Stunden.

Die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich in der Leber über CYP2D6 zum aktiven Metaboliten Paliperidon.

Wenn man den Blutspiegel bestimmt, orientiert man sich nicht am Wert für Risperidon alleine, sondern an der Summe aus Risperidon und 9-Hydroxy-Risperidon. Diese sollte zwischen 20 und 60 ng/ml liegen. Ab 40 ng/ml können gehäuft Nebenwirkungen auftreten.

Klinischer Einsatz

Risperidon ist schnell und zuverlässig wirksam. Die häufigste Indikation ist die Behandlung schizophrener Psychosen. Darüber hinaus wird es in niedrigeren Dosierungen auch bei Manien, Depressionen mit psychotischer Symptomatik und aggressivem Verhalten eingesetzt.

Schizophrenie

Aufgrund seiner guten Verträglichkeit und seiner sicheren Wirkung wird es von vielen Psychiatern als Medikament der 1. Wahl bei schizophrenen Psychosen eingesetzt.

Akute psychotische Episoden bei sonst gesunden Erwachsenen kann man gut mit 3-4 mg Risperidon behandeln. Darunter klingen die Halluzinationen oft nach ca. 10 Tagen ab, der Wahn verbessert sich oft innerhalb der ersten 3-4 Wochen. Wenn die Dosis nicht ausreicht, kann man auf bis zu 6 mg/ Tag steigern, allerdings treten hier häufiger Nebenwirkungen auf, insbesondere EPMS.

Wenn Risperidon in der Akutphase gut gewirkt hat, kann man es gut in etwas niedrigerer Dosis als Rezidivprophylaktikum weiter geben. Hier sind die erforderlichen Dosierungen schwerer anzugeben, manche älteren Patienten kommen mit 0,5-1 mg gut hin, viele erwachsene Patienten erhalten 1,5 bis 3 mg als Rezidivprophylaxe, einige chronisch Kranke brauchen auch 6 mg zur Erhaltungstherapie. Die Wirksamkeit der gewählten Dosis kann man erst einem oder besser zwei Jahren beurteilen, wenn man weiß, ob ein Wiederauftreten der Krankheit verhindert worden ist.

Für die Rezidivprophylaxe ist eine gute Verträglichkeit unabdingbar, sonst wird das Medikament erfahrungsgemäß schnell abgesetzt. Risperidon bietet in vielen Fällen auch bei niedrigeren und gut verträglichen Dosierungen einen guten Rückfallschutz.

Einige Patienten bevorzugen die Rezidivprophylaxe mit einem Depot-Antipsychotikum, hier stehen Risperidon und sein gleichstark wirksamer Metabolit Paliperidon für unterschiedliche Dosierungsintervalle zur Verfügung:

  • RisperdalConsta® (Risperidon, alle zwei Wochen)
  • Xeplion® (Paliperidon, alle vier Wochen)
  • TREVICTA® (Paliperidon, alle 12 Wochen)

Manie

Akute Manien sollten immer mit einer Kombination aus einem Phasenprophylaktikum, vorzugsweise Lithium, und einem Antipsychotikum behandelt werden. In dieser Indikation wird Risperidon oft zwischen 2 und 4 mg/Tag dosiert, in der Gerontopsychiatrie zwischen 0,5 und 2 mg/Tag.

Nach Abklingen der Manie im Rahmen einer Bipolaren Störung kann das Antipsychotikum in vielen Fällen abgesetzt werden, wenn das Phasenprophylaktikum weiter eingenommen wird. Reicht dies nicht aus, kann in einer zweiten Stufe eine Phasenprophylaxe mit zwei Phasenprophylaktika versucht werden, erst wenn auch dies scheitert, wird ein Antipsychotikum zusätzlich dauerhaft gegeben.

Bei schizoaffektiven Störungen wird die Phasenprophylaxe in der Regel gleich im ersten Schritt mit einer Kombination aus Antipsychotikum und Phasenprophylaktikum durchgeführt.

Depressionen mit psychotischen Symptomen

Die erste Wahl der Behandlung der Depression mit psychotischen Symptomen ist in vielen Fällen die EKT. Die zweite Wahl ist die Pharmakotherapie mit einer Kombination aus einem Antidepressivum und einem Antipsychotikum. Gibt man Risperidon in dieser Indikation, reichen in den meisten Fällen 0,5-2 mg aus. In der Gerontopsychiatrie reichen zumeist 0,25 bis 1 mg/Tag.

Aggressives Verhalten

Risperidon ist bei zwei klar eingegrenzten Patientengruppen zugelassen, um aggressives Verhalten zu reduzieren:

  • Patienten mit Alzheimer Demenz nach Ausschöpfung anderer Therapiemöglichkeiten: In bestimmten Phasen der Alzheimer-Demenz kann es zu aggressivem Verhalten kommen, das zu erheblichen Problemen in der täglichen Versorgung der betroffenen Patienten führt. Wenn verhaltenstherapeutische Maßnahmen und angemessen eingesetzte Sedativa nicht ausreichend wirksam sind, kann ein Therapieversuch mit Risperidon angemessen sein. Das Ziel ist hier nicht Müdigkeit, sondern ein Abklingen des aggressiven Verhaltens. In der richtigen Kombination mit anderen Maßnahmen wird dieses Ziel nicht selten erreicht. Dabei muss man aber bedenken, dass Antipsychotika bei älteren Patienten die Gefahr von Schlaganfällen erhöhen können. Auch die Sturzneigung kann unter EPMS-lastigen Antipsychotika im Alter sehr zunehmen. Daher sollte man die Indikation für Risperidon in einer überlegten Abwägung gegen die möglichen Nebenwirkungen treffen und die erzielte Wirkung sowie die eingetretenen Nebenwirkungen gut beobachten.
  • Geistig behinderte Kinder ab 5 Jahren und Jugendliche mit einer Verhaltensstörung: Auch hier ist es wichtig, zuvor alle verhaltensmodifizierenden Techniken versucht zu haben und auch hier ist der Grad zwischen erzielbarem Nutzen und möglichen Nebenwirkungen schmal. In bestimmten Fällen wirkt Risperidon in dieser Indikation gut gegen aggressive Verhaltensweisen, in anderen Fällen bewirkt es keine Verbesserung.

Dosierung

  • akute Psychose, Manie: bis 2-4, maximal 6 mg/Tag
  • Rezidivprophylaxe: 0,5–4 mg/Tag
  • Depression mit psychotischen Symptomen: 0,5-2 mg/Tag
  • Aversives Verhalten bei Demenz und aggressives Verhalten bei Jugendlichen mit Verhaltensstörung: 0,25–2 mg/Tag
  • Gerontopsychiatrie: 0,25-2 mg/Tag meist ausreichend
  • maximale Tagesdosis: 6 mg/Tag
Typische Dosierungsbereiche von Risperidon
Typische Dosierungsbereiche von Risperidon

Nebenwirkungen

EPMS

Die häufigste unerwünschte Wirkung von Risperidon sind EPMS (siehe Kapitel 4.6.1). Je nach Alter und persönlicher Disposition des Patienten können EPMS bei unterschiedlichen Dosierungen auftreten. Bei einer Dosis von 4 mg und mehr oder einem Blutspiegel von 40 ng und mehr treten EPMS allerdings sehr viel öfter auf. Im ersten Schritt sollte man die Dosis reduzieren. Dabei muss man wissen, dass sowohl beim Steigern der Dosis als auch beim Reduzieren der Dosis für einige Tage verstärkt EPMS auftreten können. Während EPMS bestehen, kann man versuchen, diese mit Biperiden zu lindern. Führt eine Reduktion der Dosis auch nach einigen Tagen nicht zu einem deutlichen Nachlassen der EPMS, ist im nächsten Schritt eine Umstellung auf ein in diesem Punkt verträglicheres Antipsychotikum zu erwägen, z.B. Olanzapin oder Ziprasidon.

Akathisie

Akathisie oder Sitzunruhe (siehe Kapitel 4.6.2) kann sehr quälend sein. Ist sie durch eine Dosisreduktion nicht in den Griff zu bekommen, wechselt man in der Regel auf ein anderes Medikament.

Hyperprolaktinämie

Wie alle D2-Antagonisten kann Risperidon eine Hyperprolaktinämie verursachen. Dies kann zum Milchfluß, einer Gynäkomastie beim Mann oder sexuellen Funktionsstörungen führen. Der Prolaktinwert im Blut ist bei Therapie mit D2-Antagonisten häufig erhöht. Wenn keine spezifischen Symptome vorliegen, muss aufgrund einer moderaten Laborwerterhöhung alleine nicht unbedingt das Medikament abgesetzt werden. Es ist aber wichtig, die Patienten über diese möglichen Nebenwirkungen aufzuklären, damit beim Auftreten von Symptomen eine Konsequenz gezogen werden kann.

Hypotonie

Aufgrund der Blockade von α-adrenergen Rezeptoren kann Risperidon insbesondere in der Aufdosierungsphase in einigen Fällen den Blutdruck senken.

Depressive Stimmungslage

Wie alle Dopamin-Antagonisten kann auch Risperidon bei manchen Patienten eine depressive Stimmungslage verursachen. Im Vordergrund stehen dabei am ehesten Antriebsstörungen, Motivationsmangel und ein Gefühl der Erschöpfung. Es können aber auch depressive Gedanken und Gefühle im engeren Sinne dazu kommen. In dieser Situation wechsele ich persönlich eher auf ein anderes Antipsychotikum wie z.B. Ziprasidon, als ein Antidepressivum zu ergänzen.

Risperidon in der Schwangerschaft und Stillzeit

Die Wahl von Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit ist immer eine sehr individuelle Entscheidung und sollte immer nach gründlicher Recherche aktueller Datenbanken wie z.B. Embryotox erfolgen. Wenn die Indikation eindeutig ist und Risperidon bislang gut gewirkt hat, ist eine weitere Gabe in der Schwangerschaft unter engmaschigeren Blutspiegelkontrollen und möglichst niedriger Dosierung nach heutigem Wissensstand vertretbar.

Risperidon geht wie alle Psychopharmaka in die Muttermilch über, daher wird vom Stillen mit Muttermilch abgeraten.

Sinnvolle Laboruntersuchungen

  • Vor Behandlungsbeginn und nach einem Monat: Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, GGT, Bilirubin, CK, INR, TSH, ß-HCG, EKG, Körpergewicht.
  • Im ersten Jahr quartalsweise EKG, Routinelabor und Körpergewicht.
  • Danach sind bei unkompliziertem Verlauf auch längere Kontrollintervalle üblich.

Mein persönliches Fazit

Risperidon ist zumeist gut und sicher wirksam. Daher ist es für mich oft das Antipsychotikum der 1. Wahl.

Es ist in Dosierungen bis 3 mg meist gut verträglich, es macht nicht müde und führt eher selten zu einer Gewichtszunahme.

Dosierungen von 5 und 6 mg/Tag verordne ich kaum noch, da diese öfter zu EPMS führen und meist nicht viel besser wirksam sind als 4 mg/Tag.

Hätte ich eine Psychose, würde ich mich mit Risperidon behandeln.

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug oder eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Psychogene Polydipsie und Zönästhesien?

Der junge Patient Hr. A. leidet schon seit vielen Jahren unter einer Psychose mit verschiedenen Wahninhalten. Er ist mit Risperdal-Consta seit einigen Monaten recht stabil eingestellt. Doch in den letzten Wochen hat sich sein Verhalten dramatisch verändert. Er berichtete, dass er das Gefühl habe, sein Körper “brenne innerlich”, er trank daher in den letzten Wochen immer mehr Limonade, aß Wassereiß in großer Menge, um “den Brand zu lindern”. Er fühlte sich zunehmend schlecht und kraftlos. Schließlich wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert.

Wie lautete die Diagnose? Psychogene Polydipsie und Zönästhesien?

Natürlich nicht. Der bei Aufnahme gemessene Blutzucker betrug 612 mg/dl. Der Patient stand kurz vor dem hyperglykämischen Koma. Eine Einstellung auf Insulin brachte zügige Besserung. Er hatte schlicht und ergreifend die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus erlitten.

Zur Erinnerung: Beim Diabetes kann der Zucker nicht mehr richtig aus dem Blut in die Zellen aufgenommen werden. Sobald der Blutzucker auf über 180 mg/dl steigt, wird die Glucose mit dem Urin ausgeschieden, und zwar mit viel Flüssigkeit. Das typische Symptom des Diabetes ist daher, dass die Patienten bis zu 10 Litern Wasser oder noch typischer Limonade trinken. Das ist keine Polydipsie, das ist einfach Pathophysiologie.

Unklar ist, ob das Neuroleptikum Risperidon an der Verursachung des Diabetes beteiligt gewesen sein kann. Von Olanzapin ist so ein Zusammenhang bekannt, von Risperidon nicht.

Neues, inhalatives Neuroleptikum zur Therapie von Erregungszuständen: adasuve®

adasuve

Loxapin

Es gibt ein neues Neuroleptikum auf dem deutschen Markt, dass möglicherweise geeignet ist, Agitationen im Rahmen von akut-psychotischen oder akut-manischen Zuständen wirksam und relativ gut verträglich zu therapieren.

Das neu verfügbare Präparat heißt adasuve® und besteht aus einem Inhalator, der den Wirkstoff Loxapin freisetzt.

Der Wirkstoff Loxapin ist in den USA schon seit langem in Kapselform erhältlich. Dort ist er für die orale Gabe in einer Dosis von bis zu 50 mg/Tag zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen.

Fallbeispiel

Der 28-jährige Herr S. ist schon seit vielen Jahren aufgrund einer bipolaren Störung in ambulanter und immer wieder auch in stationärer Behandlung. Er kommt zumeist in depressiven Phasen zur Klinik, etwa ein- bis zweimal pro Jahr wird er aufgrund einer manischen Exazerbation aufgenommen. Er erhält als Regelmedikation Lithium und Aripiprazol, die er aber ambulant immer wieder absetzt, so dass es häufig zu Exazerbationen der Krankheit kommt.

Die aktuelle Aufnahme erfolgt in Begleitung des Rettungsdienstes und der Polizei, nachdem Hr. S. auf dem Balkon seiner Wohnung im dritten Stock gestanden hatte und über fast eine Stunde geschrieen hatte, er sei Jesus und könne fliegen.
In der Untersuchung spricht er in beschleunigtem Gedankengang, weitschweifig, ideenflüchtig, teilweise ideensprunghaft. Er gibt immer wieder an, dass er sich tatsächlich für Jesus halte und dass er problemlos auch aus großen Höhen springen könne, ohne Schaden zu nehmen, da er unsterblich sei. Die Regelmedikation habe er vor 3 Wochen abgesetzt, da er sie nicht brauche. Auf vorsichtiges Hinterfragen reagiert er erregt, agitiert und zeigt sich rasch bedrohlich und drohend fremdaggressiv. Bei früheren Aufenthalten war es in ähnlichen Situationen schon zu Fixierungen und Zwangsmedikationen mit Glianimon und Diazepam i.v. gekommen.

Dem Patienten wird jetzt angeboten, eine Medikation aus Diazepam und Aripiprazol einzunehmen, was er aber ablehnt. Alle anderen ihm vorgeschlagenen Neuroleptika und Sedativa lehnt er ebenfalls unter dem Hinweis auf früher erlebte Nebenwirkungen unter diesen Medikamenten ab.

Ihm wird dann angeboten, ein neuartiges Präparat zu versuchen, dass gut verträglich sei und inhaliert werde. Er erklärt sich damit einverstanden. Die Krankenschwester aktiviert den adasuve®-Inhalator, indem sie die Papierlasche herauszieht. Sie erklärt Hrn. S., dass er an dem Inhalator ziehen soll, wie an einer Zigarette. Hr. S. tut dies. Nach etwa 10 Minuten kommt es zu einer deutlichen Beruhigung des Patienten. Eine Fixierung ist nicht erforderlich, am Abend nimmt er seine Regelmedikation, bestehend aus Lithium und Aripiprazol sowie zusätzlich Diazepam wieder ein.

Pharmakologie

Die wesentliche Wirkung von Loxapin ist ein Antagonismus an den D2 und 5HT-2A Rezeptoren, was die antipsychotische Wirkung erklärt. Darüber hinaus bindet es an noradrenerge, histaminerge und cholinerge Rezeptoren, was die sedierende Wirkung erklärt. Aufgrund der inhalativen Applikation werden rasch nach Einnahme recht hohe Plasmaspiegel erreicht, vergleichbar der Anflutungsgeschwindigkeit eines intravenös verabreichten Medikamentes.

Indikation

Loxapin ist indiziert bei agitierten Patienten mit einer Psychose oder einer bipolaren Störung.

Dosierung

Man gibt einmalig 9,1 mg adasuve® inhalativ. Falls erforderlich, kann nach zwei Stunden eine weitere Gabe erfolgen; danach erst wieder am nächsten Tag.

Wirkung

In den Zulassungsstudien (Lesem et al., 2011, Kwentus et al., 2012) zeigte sich ein Rückgang des Wertes auf der PANSS-Subskala für Erregung nach zwei Stunden um 30-50%, unter Placebo um weniger als 30%. Es bewirkt also eine wirksame Sedierung.

Die antipsychotische Wirkung eines Neuroleptikums ist nicht nach einer einmaligen Gabe beurteilter. Die D2 und 5HT-2A Blockade lässt aber auf eine gute antipsychotische Wirkung schließen.

Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Die Anwendung darf nur im Krankenhaus unter Aufsicht von medizinischem Personal erfolgen, da der Patient über eine Stunde auf das Auftreten von Kurzatmigkeit oder Atemnot als Zeichen eines möglichen Bronchospasmus überwacht werden muss. Die verabreichende Klinik muss vorsorglich ein inhalatives ß2-Sympathomimetikum bereithalten.

Da unter Behandlung mit adasuve® Bronchospasmen auftreten können, sind ein vorbekanntes Asthma bronchiale sowie eine bestehende COPD Kontraindikationen.

Kosten

In der Roten Liste wird adasuve® mit 99,50 € pro Einheit geführt; in der Klinik können die Kosten niedriger liegen.

Mein persönliches Fazit

Dank der inhalativen Applikation wirkt adasuve® vermutlich tatsächlich so schnell wie ein intravenös verabreichtes Neuroleptikum. Im Einzelfall kann der Wirkeintritt nach 2-10 Minuten im Vergleich zum Wirkeintritt etwa von Tavor expidet® oder anderen Tabletten nach erst etwa 30 Minuten eine Eskalation verhindern; in solchen Fällen lohnt sich der Einsatz auf jeden Fall. Auch für Patienten, die im akuten Erregungszustand aus welchen Gründen auch immer keine orale Applikation akzeptieren, bietet adasuve® eine zusätzliche Option.

Bei Patienten mit einem manischen Erregungszustand habe ich schon erlebt, dass adasuve® akzeptiert und rasch eine ausreichende Besserung erreicht wurde. Die Wirkung entspricht am ehesten der eines mittel- bis hochpotenten Neuroleptikums, mit einer antipsychotischen und einer verträglichen aber gut wirksamen sedierenden Komponente.

Zusätzlich zu den bekannten Nebenwirkungen von Neuroleptika und antihistaminergen/anticholinergen Sedativa ist der mögliche Bronchospasmus zu berücksichtigen, weswegen eine Klinik, die adasuve® gibt, ein inhalatives ß-Sympathomimetikum vorrätig halten muss. Für Patienten mit bekannten Atemwegserkrankungen ist es nicht geeignet.

Weitere Literatur

Kompendium-news: Loxapin

Welches Neuroleptikum gebe ich wem?

Nehmen wir an, in meine Behandlung kommt ein sonst gesunder Patient mit einer Psychose. Ich entscheide mich, dass er ein Neuroleptikum braucht. Das bespreche ich mit ihm und er stimmt dem auch zu. Nun stellt sich die Frage: Welches Neuroleptikum empfehle beziehungsweise verordne ich? Es gibt keine ganz einfache Faustformel, nach der ich für einen bestimmten Patienten ein Neuroleptikum auswähle, aber ich habe ein bestimmtes Vorgehen, dass ich in bestimmten Fällen anwende. Ich habe hier mal versucht, dies aufzuschreiben:

Welches Neuroleptikum gebe ich wem?

Konstellation 1: Der erfolgreich vorbehandelte Patient: Auf meine Frage: „Haben Sie schon einmal in einer früheren Krankheitsphase ein Neuroleptikum erhalten? Hat es gut gewirkt und haben Sie es gut vertragen?“ antwortet er zwei mal mit „Ja“, d.h. ein bestimmtes Präparat hat schon einmal gut gewirkt und wurde gut vertragen. Dann empfehle ich genau dieses Medikament wieder. Ich frage, welche Symptomatik damals bestanden hat und wie stark sie war und welche Dosis des Präparates in welcher Zeit geholfen hat. Ich mache mir ein Bild davon, wie stark die Symptomatik jetzt ist und empfehle eine passende Dosis.

Konstellation 2: Der bislang unbehandelte Patient: Wenn bislang noch nie ein Neuroleptikum verordnet wurde empfehle ich in der Regel in der ersten Stufe Risperidon. Es wirkt schnell und verläßlich. Es macht nicht müde und es macht keine Gewichtszunahme. Wenn ich selbst ein Neuroleptikum bräuchte, würde ich mich auch für Risperidon entscheiden. (Das stimmt sogar mit dem Ergebnis meiner kleinen Umfrage überein: Welches Neuroleptikum würdest Du selbst einnehmen: hier). In Dosierungen bis 4 mg pro Tag ist es meist gut verträglich und macht meist keine EPMS. In höheren Dosierungen kann es EPMS machen.

Konstellation 3: Risperdal hat nicht ausreichend geholfen oder wurde nicht vertragen. Der Pat. ist nicht adipös: In der zweiten Stufe empfehle ich in der Regel Zyprexa (nachdem ich über die Möglichkeit einer Gewichtszunahme aufgeklärt habe). Es wirkt ebenso sicher, verläßlich und zügig wie Risperidon und wird ebenfalls zumeist gut vertragen. Es kann aber tatsächlich eine deutliche Gewichtszunahme verursachen. Daher lasse ich das Gewicht bei Beginn der Behandlung mit Zyprexa messen. Treten Heißhungerattacken oder eine Gewichtszunahme von mehr als 3 Kilogramm auf, empfehle ich, das Präparat zu wechseln.

Konstellation 4: Zyprexa hat nicht ausreichend geholfen oder wurde nicht vertragen: Wenn Risperdal in Stufe eins wegen mangender Wirksamkeit und nicht wegen EPMS das Feld räumen musste, und in Stufe zwei Zyprexa nicht gut ging, dann versuche ich in der dritten Stufe Solian. Wenn Risperdal EPMS gemacht hatte, dann überspringe ich diesen Schritt.

Konstellation 5: Mit Risperdal, Zyprexa und Solian stellte sich kein Erfolg ein: In der vierten Stufe muss ich ein Neuroleptikum auswählen, dass gegebenenfalls etwas weniger wirkstark ist als Risperdal, Zyprexa und Solian, aber vielleicht besser verträglich ist. Es kommen nun Abilify, Zeldox, Seroquel (meine Einschätzung zu Seroquel findet ihr hier) und Serdolect in Betracht. Ich verordne in dieser Reihenfolge. Abilify führt häufig zu Akathisie, ich setzte es dann zumeist sofort und ohne zu warten ab. Zu Serdolect sind diese Hinweise zu beachten. Zeldox und Seroquel werden in der Regel sehr gut vertragen, hier stellt sich eher die Frage der ausreichenden Wirksamkeit.

Konstellation 6: Eine Monotherapie klappt nicht: In der fünften Stufe wähle ich eine Kombinationstherapie aus zwei Neuroleptika. Geleitet von den Nebenwirkungen der bisherigen Versuche wähle ich gut verträgliche, aber in Monotherapie nicht ausreichend wirksame Präparate aus und gebe beide in einer mittleren Dosis. Dabei unterteile ich die Neuroleptika nach ihren Nebenwirkungen in unterschiedliche Gruppen und meide die Gruppe, deren Nebenwirkung bislang am problematischsten war:

  • Gruppe 1: EPMS-Gefahr: Haldol, Solian, Risperdal
  • Gruppe 2: Gewichtszunahme-Gefahr: Clozapin, Zyprexa, manchmal Seroquel
  • Gruppe 3: Akathisie-Gefahr: Abilify

Konstellation 7: Alle oben genannten Stufen wurden nicht gut vertragen: Ich versuche Serdolect.

Konstellation 8: Alle oben genannten Stufen haben nicht ausreichend gewirkt: Ich kläre ausführlich auf und versuche Clozapin.

Konstellation 9: Reine Rezidivprophylaxe bei asymptomatischem Patienten: Mit großer Sicherheit wirkt das Neuroleptikum, das die psychotische Episode beendet hat. Bei der Rezidivprophylaxe sind aber Nebenwirkungen noch viel weniger akzeptabel als in der Akuttherapie. Bei Nebenwirkungen wechsele ich daher noch niederschwelliger auf ein Ausweichpräparat.

Konstellation 10: Behandlung akuter kokaininduzierter psychotischer Zustände: Kokain ist stark und selektiv dopaminagonistisch. Solian ist stark und selektiv dopaminantagonistisch. Daher behandele ich akute psychotische Zustände nach Kokainkonsum mit Solian.

Konstellation 11: Delir: Ein lebensbedrohliches Delir, egal welcher Genese (Alkoholentzug-, Benzodiazepinentzug-,…) braucht eine wirkstarke und schnelle Neurolepsie. Ich gebe Haloperidol oder Risperidon.

Konstellation 12: Auswahl eines Depotpräparates: Ich mache zunächst einen Versuch mit Fluanxol, zunächst oral gegeben. Wird dies vertragen, gebe ich eine milde Dosis Fluanxol Depot, etwa 40-60 mg alle zwei Wochen. Sind bei dem Patienten unter irgendeiner Medikation EPMS aufgetreten, gebe ich Risperdal Consta oder Xeplion. Immer noch EPMS: Dann Zypadhera. (Zu Depotpräparaten siehe auch hier)

Das ist natürlich nur eine Blaupause, bei jedem einzelnen Patienten können so viele weitere Aspekte eine Rolle spielen, dass diese Blaupause nicht hilft. Aber manchmal hilft sie doch.

OK, das waren jetzt so einige Gedanken, die ich oft anwende. Wie gehst Du vor? Was machst Du anders? Bitte schreib Dein Vorgehen in die Kommentare!

P.S.: Hier der Artikel zur Auswahl eines Antidepressivums.

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Quetiapin ist ein mittelpotentes Neuroleptikum


Blogs geben ja nun einmal die persönliche Meinung des Blogautors wieder. Nichts anderes. Und das ist auch gut so. Bezüglich des Medikamentes Quetiapin (z. B. Seroquel®) gibt es eine recht breite Streuung der Einschätzungen. Manche halten es für dünne Plörre, die kaum Wirkungen zeigt, manche halten es für ein sehr gut verträgliches Medikament, dass gut gegen Psychosen wirkt, Affekte stabilisiert, phasenprophylaktisch wirkt, antidepressiv wirkt und Läuse tötet.

Nun also meine höchstpersönliche Meinung:

Also: Es gibt ja hochpotente Neuroleptika, wie z.B. Haldol, Risperdal und Zyprexa. Diese Substanzen heißen hochpotent, weil sie sehr potent gegen Wahn und Halluzinationen wirken, aber nur recht wenig sedieren.

Es gibt mittelpotente Neuroleptika, wie das gute alte Taxilan, die sowohl gegen den Wahn wirken, aber eben nicht ganz so durchschlagkräftig wie hochpotente Neuroleptika, und auch sedieren, aber nicht so stark wie die niedrigpotenten Neuroleptika.

Und es gibt die niedrigpotenten Neuroleptika, wie Atosil oder Truxal. Diese wirken fast nicht gegen Wahn und Halluzinationen, sedieren aber sehr gut.

Und wo steht Quetiapin (z.B. Seroquel®)?

In dieser Systematik ordne ich das Quetiapin (=Seroquel) in der Gruppe der mittelpotenten Neuroleptika ein. Es wirkt schon gegen Wahn und Halluzinationen, allerdings meiner Erfahrung nach erst in einer Dosis oberhalb von 600-800 mg pro Tag. Dabei tritt die Wirkung aber langsamer ein und ist bei schwer Kranken weit weniger durchschlagend als bei Risperidon, Haloperidol oder Olanzapin. Es sediert nicht wenig und wird auch oft hierfür verwendet. Die Kombination aus milder Neurolepsie und milder Sedierung ist ja nicht schlecht und wird oft und gerne verschrieben und von sehr vielen Patienten auch gerne eingenommen. Wer noch Erfahrung mit Perazin (z.B. Taxilan) hat, weiß, dass mittelpotente Neuroleptika für viele Patienten eine gute Wahl sind und für einige auch eine ausreichende Rezidivprophylaxe bieten. Allerdings nicht bei allen.

Eingesetzt bei Psychosen sehe ich bei Seroquel häufig das Problem, dass es in sehr niedrigen Dosierungen gegeben wird, in dieser Dosis dann auch sehr gut verträglich und oft als angenehm sedierend eingeschätzt wird, aber nicht ausreichend kräftig rezidivprophylaktisch wirkt. Der Preis kann dann ein mit einer anderen Medikation möglicherweise nicht aufgetretenes Rezidiv sein. Und das wäre ein hoher Preis.

Einen festen Platz hat Seroquel in der Gerontopsychiatrie und bei der Behandlung von psychotischen Symptomen bei M. Parkinson, da es tatsächlich praktisch nie EPMS macht. Als mittelpotentes Neuroleptikum finde ich es gut und gut verträglich, aber sehr teuer. Ich selbst glaube nicht an die beworbene Qualität als Phasenprophylaktikum, Affektstabilisierer oder Antidepressivum.

Das Patent für die unretardierte Form von Seroquel läuft am 24.03.2012 ab. Die Prolong-Form bleibt patentgeschützt. Ich bin gespannt, wie die Verordnungskultur sich durch den fallenden Preis, aber auch die mutmaßlich deutlich reduzierte Bewerbung durch die Firma verändern wird.  Sehr erfreulich ist, dass nach Risperidon, Amisulprid und Olanzapin nun bald ein weiteres atypisches Neuroleptikum den Patentschutz verliert und damit preiswerter werden wird.

Ich bin sicher, dass es zu dieser Einschätzung recht viele Meinungen geben wird. Bitte schreibt ALLE Eure Einschätzung von Quetiapin in die Kommentare!

Welches Neuroleptikum würdest Du selbst einnehmen?

Die Frage, welches Neuroleptikum man einem bislang unbehandelten Patienten verschreibt, hat sehr viel mit individuellen Erfahrungen und eigenem Geschmack zu tun. Ich finde die Frage immer sehr interessant, welches Neuroleptikum man sich selber geben würde, wenn man in der Situation wäre, eines nehmen zu müssen.

Nehmen wir folgende Situation: Du erleidest jetzt eine erste psychotische Episode in Deinem Leben. Du bist körperlich gesund und hast keine Drogen genommen. Seit vier Wochen hörst Du Stimmen, die unangenehme Kommentare äußern, aber keine Befehle geben. Du hast das Gefühl, Leute in orangefarbenen Autos beobachteten Dich. Das macht Dir Angst, aber Du hast keine Suizidgedanken. Welches Neuroleptikum würdest Du am ehesten einnehmen? (ohne Angabe einer Dosis, nur das Präparat)

Hier ist die Umfrage: