Messie Syndrom: Symptom oder Erkrankung?

Das Messie Syndrom ist klinisch eine eindrucksvolle Entität. Wer einmal Fotos der Wohnung eines Betroffenen gesehen hat, hat keinen Zweifel mehr daran, dass es sich hier um eine ernstzunehmende psychische Störung handelt, die nach aller Möglichkeit therapiert werden sollte.

Die Frage, die sich jedem, der damit erstmalig zu tun hat, aufdrängt, ist, ob das Messe Syndrom eine eigene Krankheit repräsentiert oder als ein Symptom / Syndrom bei unterschiedlichen anderen psychiatrischen Erkrankungen auftreten kann. In der ICD-10 wird das Messe Syndrom nicht als unabhängige Erkrankung aufgeführt. Die Krankheit findet in der wissenschaftlichen Literatur aber zunehmend einen festen Platz, im englischen als compulsive hoarding, im Deutschen als Desorganisiertheits-Sndrom bezeichnet. Da die Betroffenen nicht sehr häufig selbst den Psychiater aufsuchen, weder ambulant noch stationär, ist es gar nicht so leicht, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, welche Erkrankungen häufiger gleichzeitig mit dem Messe-Syndrom auftreten. Sicher ist, dass es einige Erkrankungen gibt, die beim Messie Syndrom deutlich gehäuft auftreten. Meiner Wahrnehmung nach tritt es gehäuft auf bei:

  • Schizophrenen Residuen: Oft ist hier die Grenze dessen, was als eigenständiges Messe-Syndrom wahrgenommen wird und was der Minus-Symptomatik des schizophrenen Residuums zugeschrieben wird, uneindeutig. Es gibt auch Fälle von ausgeprägter Schizoider Persönlichkeitsstörung oder Schizotypie, die recht ausgeprägte Messe-Symptomatiken zeigen.
  • Minderbegabung in Verbindung mit Sehschwäche, Minderbegabung in Verbindung mit körperlicher Schwäche oder Rollstuhlpflichtigkeit: Hier entsteht der Eindruck, die Betroffenen seien einfach nicht (mehr) in der Lage, den Herausforderungen, Ordnung zu halten, gerecht zu werden und hätten es dann irgendwann aufgegeben.
  • Demenz: Nicht selten aber zumeist durch Unterbringung in ein Heim zu lösen.
  • Chronifizierte Depressionen: Nicht häufig, aber möglich.
  • Zwangserkrankungen: Habe ich selbst bislang noch nie wirklich überzeugend gesehen, wird aber immer wieder diskutiert.

Liegt eine der oben genannten Diagnosen vor, ist es natürlich wichtig, diese so gut es geht zu behandeln.

Darüber hinaus gibt es aber auch eine Gruppe von Patienten, die keine weitere deutlich ausgeprägte psychiatrische Diagnose aufweisen. Normalintelligente, nicht psychosekranke, nicht depressive, nicht zwanghafte, nicht blinde Patienten, die eben nur ein Messe-Syndrom haben. Auch hier ist eine Therapie indiziert, es wird eine spezifische Verhaltenstherapie im Sinne eines Haushaltsorganisationstrainings favorisiert. Es ist nicht unüblich, einen Versuch mit SSRI zu unternehmen.

Webressourcen finden sich beim Wikipediaeintrag.

Wie funktioniert eigentlich Lippenlesen?

Wie funktioniert eigentlich Lippenlesen? Und wie gut geht das? Gehörlose Menschen lernen das Lippenlesen, wie andere Menschen Buchstaben lesen lernen. Sie kennen das „Mundbild“  der verschiedenen Phoneme. Das „Mundbild“ setzt sich zusammen aus der Stellung der Lippen, des unteren Mundbereichs, sowie des sichtbaren Teils der Zunge. Im Englischen wird das visuell sichtbare Mundbild in Angleichung an den Begriff Phonem als Visem bezeichnet. Mundbilder können oft nicht die vollständige Ausformung eines Wortes komplett wiedergeben, sondern nur Teile davon und zwar speziell die Teile des Wortes, die beim Sprechen zu besonders deutlichen und typischen Mundstellungen führen. Töne, die vor allem im Kehlkopf oder durch Variation der Zungenstellung produziert werden, lassen sich am Mundbild weniger gut oder gar nicht differenzieren. So sieht zum Beispiel das Mundbild von „Mama“ und „Papa“ gleich aus, daher bedarf es sehr viel mehr des Verständnisses des Zusammenhanges als in der Schriftsprache. In der Schriftsprache gibt es zwar einige gleiche Bilder für unterschiedliche Bedeutungen, etwa bei den Begriffen „Bank“ für Sparkasse und „Bank“ für Sitzgelegenheit, diese Homonyme sind aber nur selten irgendwie zu verwechseln.

Lippenleser berichten, dass es erforderlich ist, zu wissen, in welcher Sprache man spricht, da man nur im richtigen Kontext die Phoneme richtig erkennt und richtig zuordnet. Auch sei es wichtig, den Sprecher möglichst direkt anzusehen und ordentliche Lichtverhältnisse zu haben. Und schließlich sind ein guter Wortschatz und Übung hilfreich.

Manche Hörbehinderte haben auch noch „freies Hörvermögen“, oder hören durch ein Cochlea Implantat etwas mehr, und können diese akustischen Informationen mit den optischen Informationen kombinieren.

Es ist erwiesen, dass bereits Säuglinge Lippenlesen können. Experimentell kann dies dadurch gezeigt werden, dass Babys Videos ohne Ton in ihrer Muttersprache deutlich länger anschauen als Videos ohne Ton von Sprechern einer fremden Sprache.

Ein wirklich interessanter blog, von dem ich die obenstehenden Informaionen habe, ist dieser hier.

Benzodiazepin Umrechnungstabelle

Benzodiazepin Umrechnungstabelle

WirkstoffHalbwertszeit in Stunden10mg Diazepam entsprechen
Alprazolam6-120,5
Bromazepam10-205-6
Chlordiazepoxide5-3025
Clobazam12-6020
Clonazepam18-500,5
Clorazepate36-20015
Diazepam20-10010
Estazolam10-241-2
Flunitrazepam18-261
Flurazepam40-25015-30
Halazepam30-10020
Ketazolam215-30
Loprazolam6-121-2
Lorazepam10-201
Lormetazepam10-12

1-2

Medazepam36-20010
Midazolam27,5
Nitrazepam15-3810
Nordazepam36-20010
Oxazepam4-1520
Prazepam36-20010-20
Quazepam25-10020
Temazepam8-2220
Triazolam20,5
Benzodiazepinähnliche Wirkstoffe
WirkstoffHalbwertszeit (in Stunden)10mg Diazepam entsprechen
Zaleplon220
Zolpidem220
Zopiclone5-615

Ich selbst komme bei meinen Behandlungen mit zwei Benzodiazepinen aus. Lorazepam (Tavor) und Diazepam. OK, manchmal verschreibe ich auch schon mal ein Benzodiazepin ähnliches Schlafmittel (Zolpidem oder Zopiclon). Das wars. Mehr brauche ich nicht.

Es ist sinnvoll, sich auf einige wenige Medikamente zu konzentrieren, und die dann auch wirklich zu kennen. Es macht keinen Sinn, mit einer Vielzahl von Benzodiazepinen zu jonglieren, die sich nicht wirklich unterscheiden. Daher ist es zu Beginn einer Behandlung manchmal sinnvoll, ein Benzodiazepin, das jemand anderes verschrieben hat, umzustellen auf eines, mit dem man immer arbeitet. Insbesondere in den Entgiftungsbehandlungen hat es sich bewährt, von den 20 verschiedenen Sorten, mit denen unterschiedliche Patienten kommen, auf eine Sorte umzusteigen, in der Regel Diazepam, und das in der Regel in Tropfenform, so kann man auch im niedrigen Dosisbereich gut in kleinen Schritten reduzieren, bevor man ganz absetzt.

Die Benzodiazepine unterscheiden sich in der Wirkstärke pro Milligram und in der Halbwertszeit. Die Halbwertszeit von Lorazepam beträgt etwa 10 Stunden, die klinische Wirkung hält in der Regel etwa 6 Stunden an. Diazepam hat eine wesentlich längere Halbwertszeit von 24–48 Stunden, einige aktive Metabolite haben eine Halbwertszeit von bis zu 100 Stunden, weshalb es nach mehrtägiger Gabe oft kumuliert.

Wenn nun jemand kommt und ein ungewöhnliches Benzodiazepin mitbringt, kann man sehr gut die unten stehende Tabelle konsultieren: (http://www.adfd.org/wissen/Hilfen_zum_Absetzen_von_Benzodiazepinen). Es ist leicht, hiermit jede Dosis in Diazepam umzurechnen, so dass man dann so die Äquivalenzdosis bestimmen und umstellen kann.

Beispiel: Ein Patient nimmt pro Tag 4 mg Lorazepam. 10 mg Diazepam entsprechen laut Tabelle 1 mg Lorazepam. Also entsprechen 4 mg Lorazepam 40 mg Diazepam. Das ist dann die Ausgangsdosis. Und von der kann man dann langsam reduzieren.

Beim Reduzieren muss man beachten: Wenn Benzos über lange Zeit eingenommen worden sind, ist es sinnvoll, langsam zu reduzieren. Alles andere geht mit einer großen Gefahr eines Rückfalls einher. Nach 5 Jahren Abhängigkeit kann eine Reduktion über 3 Monate angemessen sein. Klassische stationäre Behandlungen sind natürlich kürzer, man muss aber wissen, dass eine Reduktion über 3 Wochen vielleicht am Anfang unter stationären Bedingungen noch mitgemacht wird, aber nach einigen weiteren Wochen, meist dann nach der Entlassung, kann es schwierig werden.

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Rezeptorbindungsprofile der Neuroleptika: Die Persönlichkeit der wichtigsten Neuroleptika auf einen Blick

Um das Profil eines Neuroleptikums zu lesen, reichen fürs erste folgende Daumenregeln:

  • D2 Rezeptor: Typische Neuroleptika sind D2 Antagonisten, z.B. Haldol: Sichere antipsychotische Wirkung, aber bei hohen Dosierungen EPMS
  • 5-HT 2A Rezeptoren: Atypische Neuroleptika sind 5-HT 2A Antagonisten: Gute Antipsychotische Wirkung, wenig EPMS
  • D4 Rezeptor: Clozapin hat eine außergewöhnlich hohe Affinität zum (sehr seltenen) D4 Rezeptor; möglicherweise wirkt dies antipsychotisch, ohne viel EPMS zu verursachen.
  • H1 (Histamin): Müdigkeit
  • Alpha-1=Alpha-Adrenerge Rezeptoren der Untergruppe 1: Vegetative Nebenwirkungen wie Orthostase, Schwindel, etc.

OK, das ist jetzt extrem vereinfacht, aber schon mal ein Anfang. Im Falle des Aripiprazols muss man wissen, dass die Affinität zum D2 Rezeptor nicht nur antogonistische, sondern auch partiell agonistische Wirkungen hat, weswegen es deutlich weniger EPMS macht, als das Schaubild vermuten lassen könnte.

Gut, schauen wir mal, ob wir mit diesem Wissen etwas erkennen können. Bitte schau Dir jetzt das Bild noch mal genau an (auf das Bild clicken, um es zu vergrößern). Ich stelle Dir ein paar Fragen:

  1. Nimm Dir Risperidon. Macht es EPMS?
    Antwort: Schon ein bisschen, denn es blockiert den D2 Rezeptor. In hohen Dosierungen also schon.
  2. Olanzapin: EPMS?
    Antwort: Wenig, aber möglich ist es schon, denn auch Olanzapin blockiert nicht unwesentlich den D2 Rezeptor. Und das passt auch zur klinischen Beobachtung, dass Olanzapin schnell und sicher antipsychotisch wirkt, aber ab 30 mg pro Tag oft EPMS machen kann. Bei manchen Patienten aber auch schon deutlich niedrigeren Dosierungen.
  3. Olanzapin: Müdigkeit?
    Antwort: Klar, deutliche H1 Komponente.
  4. Quetiapin: Macht es EPMS?
    Antwort: Nein, fast keine D2 Blockade.
  5. Quetiapin: Macht es müde, macht es vegetative Nebenwirkungen?
    Antwort: Ja, H1 und Alpha-1 Blockade sind ausgeprägt.
  6. Quetiapin: Antipsychotische Wirkstärke relativ zur Sedierung:
    Antwort: Vergleiche 5-HT 2A plus D2 Blockade relativ zu H1 und alpha 1 Blockade.
  7. Ziprasidon: EPMS?
    Antwort: In höherer Dosierung ja, D2 Blockade.
  8. Ziprasidon: Müdigkeit?
    Antwort: Nein, praktisch keine H1 Komponente.

Du siehst, die Vermutungen, die man aufgrund der Daumenregeln oben anstellt, wenn man das Rezeptorbindungsprofil anschaut, passen oft ganz gut zum klinischen Eindruck. Die Persönlichkeit des Medikamentes, seine Vorzüge und Nachteile, bilden sich in dieser Grafik gut ab.

Es ist sinnvoll, sich eine Grafik mit den Rezeptorbindungsprofilen der Neuroleptika, die man oft verschreibt, immer wieder anzugucken. Man lernt die Medikamente so besser kennen.

In späteren Blog-Einträgen möchte ich gerne genauer auf einzelne Medikamente eingehen und auch zu den einzelnen Rezeptoren mehr sagen. Dieser Eintrag soll aber erst einmal einen Überblick geben und erklären, wie man das Rezeptorprofil, dargestellt als Kuchendiagramm, grundsätzlich liest.


Die ganze Geschichte von Ben Breedlove

Ich hatte ja gestern auf dieses Video verlinkt: Ich kannte gar nicht die ganze Vorgeschichte. Es zeigt Ben Breedlove, einen jungen Mann, der an einer hypertrophen Kardiomyopathie litt. Er hat in den USA eine sehr große Bekanntheit gehabt, seine offene, lebensfreudige Art zeigt sich auch in seinen Youtube-Videos. Seine Kardiologin berichtet ebenfalls in einem Youtube Video hier über seine Krankheit. Ich habe jetzt erfahren, dass er im Alter von 18 Jahren letztes Jahr am Weihnachtstag verstorben ist. Seine Geschichte ist sehr bewegend.

Das Video, das ihn zu seinem letzten Video wohl inspirierte, ist nicht minder sehenswert: http://www.youtube.com/watch?v=kSBX28D9GaA

 

P.S.: Liebe Nori, hab ganz herzlichen Dank für alle diese Informationen und ganz liebe Grüße nach New York,

Dein jan

Check out this video

Mein Freund Sebastian, niedergelassener Psychotherapeut in Düsseldorf (www.psychotherapiepraxis-duesseldorf.de), hat mir den link auf dieses wirklich sehenswerte Video geschickt.

http://www.youtube.com/user/TotalRandomness512#p/a/u/0/a4LSEXsvRAI

Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, ein Blick in sein Leben, in seine Krankheit, und wie ich finde, auch in seine spezielle Art der Krankheitsverarbeitung.

Psychopharmakologie ist an Symptomen orientiert, nicht an Diagnosen

Eine Grundsozialisation in der Medizin sagt, dass man zuerst eine Diagnose stellen muss, und sich daraus dann eine Therapie ableitet. Hat man eine präzise Diagnose, ergibt sich daraus eine ebenso klare Therapie. Also: Harnwegsinfekt mit Erreger XY, Therapie mit Antibiotikum Z. Klappt meistens auch gut.

In der Psychopharmakologie ist das nicht ganz so einfach. Zwar ist es zu Beginn der Überlegung notwendig, sich Klarheit über die Diagnose zu verschaffen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Die Diagnose ‚Psychose‘ zum Beispiel gibt vor, dass ein Neuroleptikum bei der Medikation vertreten sein sollte. Mehr sagt sie uns aber nicht.

Sehr viel hilfreicher ist hier der psychopathologische Befund. Wenn ich feststelle, dass ein Patient sehr ausgeprägt befehlende akustische Halluzinationen wahrnimmt, große Angst hat und psychomotorisch sehr unruhig und getrieben ist, dann werde ich ihm ein schnell wirksames hochpotentes Neuroleptikum in einer ausreichend hohen Dosis gegen die Halluzinationen verabreichen sowie ein sicher wirksames ausreichend dosiertes Benzodiazepin gegen Angst und Unruhe. Die Höhe der Dosis richtet sich im ersten Schritt nach der Schwere der Symptomatik. Und im folgenden werde ich Dosis und Wahl der Präparate an der Wirkung orientieren. Stellt sich nach der erwarteten Zeit eine ausreichende Wirkung ein, ist die Dosis angemessen. Reicht die Wirkung nicht, muss die Dosis gegebenenfalls gesteigert werden. Ist zu viel Wirkung festzustellen, zum Beispiel eine zu hohe Sedierung bei Benzodiazepingabe, ist die Dosis zu reduzieren.

Praktisch alle Psychopharmakaklassen sind bei mehr als nur einer Diagnose anwendbar. So werden Neuroleptika, oder klarer benannt ‚Antipsychotika‘, eben nicht nur bei Psychosen verordnet, sondern auch bei der wahnhaften Depression. Antidepressiva werden nicht nur bei Depressionen verordnet, sondern auch bei Angststörungen und Zwangserkrankungen. Sedierende Medikamente und Anxiolytika können bei praktisch allen psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden.

Die Psychopharmakotherapie orientiert sich also primär an Symptomen, nicht primär an Diagnosen.

Es ist wichtig, sich das klar zu machen, denn einige Symptome verandern sich sehr schnell, und dann soll auch die psychopharmakologische Behandlung schnell angepaßt werden. Ein Patient, der keine Angst und keine Unruhe mehr hat, braucht auch keine Benzodiazepine mehr. Natürlich darf man nach längerer Gabe von Benzodiazepinen die Dosis nicht abrupt absetzen. Aber er braucht sie eben genauso wenig, wie ein Patient, der keine Schmerzen mehr hat, Schmerzmittel braucht: Er braucht sie nicht mehr.

Vom psychopathologischen Befund zur Diagnose

Die Erstellung eines präzisen, vollständigen psychopathologischen Befundes ist unverzichtbar und von allerhöchster Bedeutung für eine zutreffende Diagnose in der Psychiatrie. Alle anderen Untersuchungsinstrumente sind im Vergleich zum psychopathologischen Befund weit nachgeordnet.Wenn ich einen Patienten zum ersten mal sehe und kennenlernen möchte, beginne ich fast nie damit, ihn nach Beschwerden zu fragen, oder ihn zu fragen, was ihn zu mir führt. Stattdessen frage ich ihn zunächst einmal: „Wie alt sind Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Wohnen Sie alleine oder mit jemandem zusammen? Was machen Sie beruflich? Was haben Sie früher beruflich gemacht?“ Ich versuche, solange mit ihr/ihm zu sprechen, bis ich ein Bild davon habe, wie er als gesunde Person ist. Wenn Zeit ist, kann man in dieser Phase small-talk über den Beruf, die Kinder machen und auch mal einen Scherz machen. Diese Zeit ist wichtig und wertvoll, weil sie die Beziehung zwischen Arzt und Patient als eine Beziehung zwischen zwei gesunden, sich wertschätzenden Menschen konstelliert. Diese Gesprächsphase überspringe ich nur, wenn ein sehr akutes Krankheitsbild vorliegt (Vigilanzminderung, starke Schmerzen, ein offenbares akutes körperliches Problem).Dann kann ich im zweiten Schritt fragen: „Seit wann haben Sie mit dieser psychischen Erkrankung zu kämpfen? Wie hat sich das entwickelt? Welche Beschwerden hatten Sie beim ersten Mal, als das auftrat? Welche Beschwerden haben Sie jetzt?“

Und im nun folgenden Teil der Exploration ist es wichtig, ein vollständiges Bild von allen Komponenten des psychischen Befundes zu erarbeiten. In den ersten Jahren ist es hilfreich, ein Din A4 Blatt unter der Schreibtischunterlage zu haben, auf dem ein vollständiger psychopathologischer Befund mit den wesentlichen Ausprägungsmerkmalen aufgeschrieben ist, so dass man sich beim Diktat daran orientiert. Nach einigen Malen vergißt man dann nichts mehr und kennt alle Begriffe, die hier vorkommen können.

Das Wissen darum, sich im anschließenden Protokoll festlegen zu müssen, führt das Gespräch in die richtige Richtung. So ist es dann bei einem desorientierten Patienten nicht mehr ausreichend, festzustellen, dass er total desorientiert ist, sondern ich muss mich zwingen, alle Dimensionen der Orientierung einzeln zu prüfen. Von besonderer Bedeutung sind diejenigen Symptome, an denen sich später eine diagnostische Unterscheidung festmacht. Einen Patient mit einer schweren Depression werde ich daher immer fragen, ob er das Gefühl hat, sich verschuldet, versündigt zu haben oder das Gefühl zu haben, zu verarmen, um später entscheiden zu können, ob es sich um eine wahnhafte oder eine nichtwahnhafte Depression handelt, was einen riesigen therapeutischen Unterschied macht. Auch bei Patienten mit einer Psychose hat es sich sehr bewährt, so weit es die Situation zuläßt, alle möglichen Plus- und Minus Symptome abzufragen, da man so weit mehr erfährt, als über den spontanen Bericht. Auch die explizite Frage nach Suizidalität gehört zu jeder Exploration, die zur Feststellung eines vollständigen psychopathologischen Befundes führen soll.

In dieser Phase des Gespräches soll man für sich selbst alle kritischen Fragen entscheiden, frei von Vorannahmen: Handelt es sich hier um Halluzinationen oder Pseudohalluzinationen? Wie depressiv ist der Affekt tatsächlich? Ist der formale Gedankengang noch normal oder schon beschleunigt, etc. Der psychopathologische Befund ist mit gewissen Einschränkungen eine objektive Untersuchungsmethode, wie von Juristen immer gefragt wird. Es ist ein reliabler und valider Ausgangspunkt für weitere Schritte.

Hat man über den psychopathologischen Befund Klarheit, ist es kein weiter Weg mehr, zur zutreffenden Diagnose und im nächsten Schritt zur passenden Therapie zu kommen, die sich ja ihrerseits nicht nur an der Diagnose orientiert, sondern sehr stark ebenfalls am psychopathologischen Befund, vor allem an der Ausprägung (Schwere, Bedrohlichkeit) der einzelnen Auffälligkeiten.

Bei Verlaufsuntersuchungen kann es ausreichen, nur Teile des psychischen Befundes neu zu erfragen, bei denen man prüfen will, ob sich etwas geändert hat. Es ist aber auch in diesem Fall notwendig, sich über die anderen Teil, die man nicht abfragt, Gedanken zu machen, und sich selbst klar zu machen, dass man von der Annahme ausgeht, dass sichnnichts verändert hat. Von Zeit zu Zeit sollte man daher immer mal wieder einen vollständigen Befund erheben.

Literatursuche mit google scholar

Wenn Du Dich zu einem bestimmten Medizinischen Thema informieren willst, suchst Du vermutlich erst mal im Netz, was Du so findest. Angenommen, Du willst einen Vortrag zu einem bestimmten Thema vorbereiten, suchst Du zuerst einmal Übersichtsarbeiten, dann Bilder und passende Artikel. Es gibt nun verschiedene portale, die hier hilfreich sind:
  • www.google.de.  Muss ich nichts zu sagen.
  • Google Bilder. Auch klar
  • Pubmed. Sucht nach Artikeln.
  • Die Cochrane Library. Zeigt Metaanalysen.
  • Ich möchte nun Dein Augenmerk auf google scholar richten. Wenn Du eine wissenschaftliche Quelle suchst. Ist google scholar richtig und der normalen Seite von google weit überlegen. Es sucht nach wissenschaftlichen Artikeln, wie man sie auch über pubmed finden würde, es sucht nach Lehrbuchtexten, es kann sehr selektiv nach Autor, Jahr und journal befragt werden und es verweist auf verwandte Artikel. Oft findet man kostenfreie pdf’s, die man sich gleich laden kann. Bitte probier doch mal im hier stehenden google scholar Feld aus, ein thema einzutragen, mit dem Du Dich auskennst, und sieh, welche Ergebnisse das liefert. Hättest Du das so schnell über google und pubmed gefunden?

http://scholar.google.de/

  • Cover Art     

    Papers

    mekentosj.com

    Kategorie: Produktivität

    Aktualisiert: 19.01.2012

     235 Bewertungen

    Und wer sich auf seinem iOS Gerät oder seinem Mac eine Literaturdatenbank zurecht legen will, die alle Artikel perfekt verwaltet, und aus der man direkt eine google scholar oder pubmed Suche machen kann, und dann die gefundenen Artikel auch gleich perfekt katalogisiert importieren will, frei durchsuchbar und verwaltbar, der guckt sich ‚papers‘ an. Das funktioniert perfekt. Meine Empfehlun

Zum Unterschied von Depression und Bipolarer Erkrankung

Häufigkeit Depression

Depressionen sind im psychiatrischen Alltag sehr sehr häufig. Das ist auch kein Wunder, denn sie sind in der Bevölkerung sehr häufig. Weißt Du, wie hoch die Lebenszeitprävalenz für Depressionen bei Frauen ist? Wie hoch? Bitte stell Dir jetzt mal sehr plastisch vier junge hübsche Frauen vor. Alle vier in strahlend weißer Kleidung. Eine davon soll nun einen schwarzen Schal anziehen, als Zeichen dafür, dass sie mindestens einmal in ihrem Leben für eine vorübergehende Zeit eine klinisch manifeste Depression entwickeln wird. Präg Dir dieses vorgestellte Bild ein, dann wirst Du nie mehr die Lebenszeitprävalenz der Depression vergessen. Wie viele Männer mußt Du Dir vorstellen, um die Lebenszeitprävalenz der Depression für Männer zu verbildlichen? Eine Zahl, die sich alle Merken können ist, dass Frauen doppelt so häufig wie Männer an Depressionen erkranken. Stell Dir also nicht vier, sondern 8 junge Männer vor, von denen nun einer einen schwarzen Schal umzieht. Das ist Ausdruck der Tatsache, das einer von acht Männern irgendwann in seinem Leben eine depressive Episode erleidet. Diese Lebenszeitprävalenz ist natürlich viel höher als die Punktprävalenz, die angibt, wie viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade erkrankt sind. Wenn Du die vier Frauen und acht Männer an einem bestimmten Tag besuchst und untersuchst, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die eine Frau oder der eine Mann, die/der den Schal in der Schublade hat, ihn gerade trägt, natürlich viel niedriger.

Häufigkeit Bipolare Erkrankung

Wieviele Menschen mußt Du Dir vorstellen, um die Lebenszeitprävalenz der bipolaren Erkrankung zu verbildlichen? Rate mal! Die Antwort ist: Du brauchst einhundert Menschen. Und von denen hat einer einen schwarzen Schal. Da Männer und Frauen gleich häufig betroffen sind, kannst Du Dir eine gemischte Gruppe aus 100 weiß gekleideten jungen Frauen und Männern vorstellen. Einer mit Schal. Das ist also viel viel seltener als die Depression.

Obwohl sich die bipolare Erkrankung auf der Symptomebene mit der Depression überschneidet, ist sie eine andere Erkrankung. Natürlich, auch ein Patient, der an einer Depression leidet, hat weit überwiegend depressive Tage, während er krank ist, und die unterscheiden sich klinisch nicht im geringsten von den depressiven Tagen, die sein Zimmernachbar hat, der eine normale Depression hat. Wenn Du an einem beliebigen Tag in diesem Zweierzimmer Visite machst, und beide sind depressiv, kannst Du nicht sagen, wer hier eine Depression hat und wer eine bipolare Erkrankung. Das kannst Du nur, wenn einer der beiden gerade manisch ist (dann ist es offensichtlich) oder wenn Du die beiden explizit nach manischen Phasen in der Vorgeschichte befragst! Das wird nämlich viel zu oft vergessen.

Es ist aber wichtig, die beiden Krankheiten zu unterscheiden. Die bipolare Krankheit hat eine starke genetische Komponente. Wenn Dein eineiiger Zwilling bipolar ist, hast Du eine Wahrscheinlichkeit von 60%, ebenfalls bipolar zu sein. Wenn Dein zweieiiger Zwilling bipolar ist, beträgt Deine Wahrscheinlichkeit nur 12%. Zusammen mit den komplizierten Auswertungen der Zwillingsstudien ergibt sich aus diesem riesigen Unterschied der Hinweis auf eine sehr große genetische Komponente. Diese gibt es bei Depressionen sehr viel weniger, am ehesten noch bei den Patienten, die schon sehr früh krank werden. Aber sie unterscheidet sich stark und ist insgesamt viel weniger als bei der bipolaren Erkrankung.

Therapie Bipolare Erkrankung

Und das Wesentliche ist: Eine bipolare Erkrankung muß anders behandelt werden als eine Depression. Bei bipolaren Erkrankungen helfen Phasenprophylaktika, allen voran das Lithium. Weniger gut als Lithium hilft Valproat, noch mal weniger gut Carbamazepin, und noch mal weniger gut alle anderen modernen Antiepileptika. Aber sie helfen und dürfen nicht ausgelassen werden. Natürlich kann man zusätzlich ein Antidepressivum geben, wenn gerade eine depressive Phase vorliegt. Aber das ist nicht das Wesen der Behandlung, das liegt im gesunden Intervall beim Phasenprophylaktikum!

Therapie Depression

Depressionen hingegen brauchen Antidepressiva, auch im gesunden Intervall zum Schutz vor einer Wiedererkrankung. Phasenprophylaktika brauchen nur einige wenige (und Antipsychotika meiner Meinung nach keine depressiven Patienten…)

Also: Die Therapie unterscheidet sich ganz grundlegend und daher ist es unverzeihlich, die beiden Krankheitsbilder nicht sauber zu unterscheiden. Und dafür muß man fragen! Und zwar nicht: „Waren Sie mal manisch?“ sondern: „Waren Sie mal manisch? Wann? Wielange? Wie war damals der Schlaf? Haben Sie viel Geld ausgegeben? Wofür? Konnten Sie sich das leisten? Haben Sie schnell gesprochen? Ist das Ihrer Familie aufgefallen? Waren Sie gereizt? Ungeduldig? Angespannt? Und noch mal: Wie lang ging dieser Zustand?“ Dann kannst Du eine manische Phase diagnostizieren.

P.S.: Die englische Sprache kennt für eines der depressiven Symptome, das trotz völliger Erschöpfung durchhalten wollen und sich fassadär, aber gequält durch die Gegend schleppen, einen schönen Begriff: ‚the walking wounded‘, also der herumgehende Verwundete. Sehr plastisch, und wenn man einen Patienten vor Augen hat, der das hat, dann paßt der Begriff wie die Faust aufs Auge…

Operative Fallanalyse und ‚The Mentalist‘

Im Rahmen des 12. Warnemünder Forensikkurses hatte ich heute die Freude, ein Seminar mit Harald Dern vom Bundeskriminalamt Wiesbaden mitzuerleben. Er trug vor, wie moderne Fallanalyse heute hilft, vom Tatbild zu einem Täterbild zu gelangen, und wie sich hieraus Ermittlungshinweise ergeben. Und wie sich das vom Bild des heldenhaften Profiler, das man aus amerikanischen Serien kennt (die unterhaltsamste Serie ist in meinen Augen „The Mentalist“). Tatsächlich ähnele der Stil des FBI tatsächlich etwas mehr den entsprechenden Heldenfolgen als dem deutschen Vorgehen…

Ein typische Operative Fallanalyse (OFA) läuft dabei so ab, dass die ermittelnde SoKo typischerweise nach einigen Wochen Ermittlung, wenn auch schon viele Erkenntnisse und auch naturwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse vorliegen, die OFA des jeweiligen Bundeslandes anfordert (BKA und alle LKA’s beschäftigen etwa 60 Mitarbeiter, die ausgebildete OFA-Leute sind).

Ein Team besteht meist aus 5 Leuten, manchmal 3, manchmal 7. Zunächst werden alle gesicherten Fakten zusammengetragen, hierzu werden oft die beteiligten Spezialisten angehört, verbleiben manchmal auch im OFA Team. Das Team versucht nun, möglichst frei von irgendwelchen Vorannahmen (muss ja ein perverser Sadist sein….) die Tat Schritt für Schritt aus den Indizien und gesicherten Spuren zu rekonstruieren. Hierfür kann es oft nötig sein, bestimmte Handlungen im Experiment nachzustellen, um Aufschluss darüber zu bekommen, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Merkwürdige Schleifspuren an den Absätzen des Opfers? Ausprobieren, wie man einen gleichschweren Menschen auf welchem Untergrund wie weit schleifen muss, um an gleichen Absätzen gleiche Spuren zu bewirken. Wie lange dauert es, jemanden auf diese Art zu fesseln? ausprobieren! Und während dieses Prozesses wird immer wieder gleichberechtigt diskutiert, was im Tater vorgegangen sein kann, wie die Situation gewesen sein kann. Und dann stellt sich nach einiger Zeit etwas ein, was Psychiater aus Supervisionen und Balintgruppen kennen. Wenn man das Verhalten eines Menschen lange genug in einer Gruppe diskutiert und immer wieder neue Sichtweisen durchspricht, entsteht oft ein sehr zutreffendes Empfinden, was im Besprochenen wirklich vorgegangen sein mag. Das ist eine wichtige Erkenntnisquelle.

Dazu werden alle Anknüpfungsfakten sowie die sich hieraus ergebenden Vermutungen festgehalten und jeweils leidenschaftslos daraufhin beurteilt, wie verläßlich diese Einschatzung in Prozent sein mag.

Die Tathergangsanalyse enthält dann die Elemente

  • Rekonstruktion
  • Bewertung der Tatsituation (Geeignetheit und Verfügbarkeit des Opfers), Tatgelegenheit (Tatort, Tatzeit, Sozialkontrolle), Tatentschluss (Spontanentschluss vs. Neigungstat)
  • Deskriptive Verhaltensbewertung (Darstellung deliktuntypischer Verhaltensmerkmale, Personifizierende Elemente, Besondere Verhaltensweisen)
  • Charakterisierung des Taterhandelns (Bewertung der Strukturiertheit des Täterhandelns, Streßverhalten, Lageorientierung vs. Handlungsorientierung)
  • Motivbewertung
  • Fallcharakteristik
  • Taterprofil (Alter, Regionalität, Vorerkenntnisse (Vorstrafen und Ermittlungen), Bezug zum Opfer, Lebenssituation, Sonstiges
  • Welche Kompetenzen hat der Täter gezeigt?
  • Ermittlungshinweise

Dies wird als schriftlicher Bericht und in der direkten Präsentation allen an der Ermittlung beteiligten vorgetragen.

Im Gegensatz zu den in den medien sehr bevorzugt dargestellten hochintelligenten, planvoll handelnden sadistischen sexuell motivierten Tätern überwiegen bei den tatsächlich aufgeklärten Sexualmördern eher die dissozialen, weniger intelligenten allgemein schon als irgendwie, nicht aber unbedingt einschlägig vorbestraften Typen. Es sind also eher die ‚Dissozialen Generalisten‘ als die ‚Sadistischen Spezialisten‘.

Im zweiten Teil des Seminares wurden dann Fallbeispiele besprochen. Ich muss wohl nicht betonen, wie spannend das war…

iTunes U nun mit Kursen

iTunes U ist das mit Abstand größte und beste Angebot an e-learning Materialien. Über 1000 Universitäten bieten hier Vorlesungen an, insgesamt werden 500.000 Videos und Dokumente angeboten. Apple berichtet, 700 Millionen downloads aus dem iTunes U Angebot in den 4 Jahren, seit es ihn gibt, verzeichnet zu haben. Die Qualität der Angebote ist überragend. Der weit überwiegende Teil ist englischsprachig, aber es gibt auch gute deutschsprachige Angebote. Und das Beste: Alle Materialien in iTunes U sind kostenlos. Ich kann nur jedem dringend empfehlen, in diesem Angebot zu stöbern und Vorlesungen aus dem eigenen Bereich genauso wie Vorlesungen aus ganz anderen Bereichen zu sehen. Ich habe hier auch schon mal die Einführungsvorlesung Psychologie der Yale University empfohlen. Bislang gab es die Vorlesungen als lose Folge von Videos. iTunes U (für University) fristete aber ein recht verborgenes Dasein auf einem hinteren Reiter des iTunes store. Nicht sehr prominent. Seit heute ist es eine eigene App im iOS App Store geworden. Und sie ist wesentlich erweitert worden. Seit heute gibt es dort nicht nur Videos ausgezeichneter Vorlesungen, sondern auch zusammengestellte Kurse aus Videos, Präsentationen, Arbeitsmaterialien und einer intuitiven Verwaltung, was man schon gesehen und gelesen hat. Und es ist erweitert worden. Nicht nur Universitäten, sondern auch Schulen können ab sofort Inhalte einstellen. Ich bin sicher, das das das Lernen der Zukunft wirklich umgestalten kann.
Sieh Dir die App im App Store an:
Cover Art

iTunes U

Apple

Kategorie: Bildung

Aktualisiert: 18.01.2012

      

Ein sehr umpfangreicher Kurs ist zum Beispiel der Yale Kurs Autismus:

Autism and Related Disorders

Yale University

Verhaltensforschung

Auch iBooks hat schwer dazugelegt und kann nun interaktive Lehrbücher darstellen, die wirklich großartig aussehen. Und sie sind wirklich interaktiv. Man kann Videos und Animationen einbauen, Bildergalerien und 3D Modelle. Man kann Fragen einbauen, die sofort rückmelden, ob die gegebene Antwort richtig ist. Und besonders interessant ist, dass das Programm, mit dem man solche e-textbooks schreiben kann, kostenlos auf dem Mac zu haben ist, und wirklich einfach zu bedienen ist. Mit einem click kann jeder ein gutes textbook in den bookstore einstellen. Wahnsinn, wirklich!

So macht e-learning auf allen Gebieten richtig Spaß!

Foto: Yale University

Wie frage ich die Cochrane Library ab?

Von vielem, was man weiß, weiß man nicht, woher man es weiß. Und nicht selten weiß man etwas, was nicht stimmt, oder von dem man halt einfach nicht weiß, ob es stimmt. Und das ist in der Medizin nicht richtig. Richtig ist, zu wissen, welchen Evidenzgrad ein mutmaßliches Wissen hat. Der einzige Weg, das herauszufinden, ist, sich einen Überblick darüber zu schaffen, welche Studien zu einer Fragestellung es gibt und diese zu bewerten. Am besten freilich ist, wenn ausgewiesene Statistikgurus zu einer bestimmten Fragestellung schon alle hochgradig geeigneten Studien an Land gezogen und zusammengefaßt haben. Und zwar nach festgelegten Protokollen, die allerlei Fehlerquellen, etwa den publication-bias, minimieren.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten liegen in der Cochrane Library. Hier kann jeder auffinden, welche Meta-Analysen zu bestimmten Themen vorliegen und kann sich kostenlos die Zusammenfassung ansehen. Bedauerlicherweise ist der Zugriff auf den Volltext der jeweiligen reviews kostenpflichtig. Manchmal hat man aber Glück und kann sich eine auf der Cochrane Seite identifizierte Studie irgendwie bei google schießen…

Vorgehen:

  1. Ich will etwas zu einem bestimmten Thema in Erfahrung bringen. Ich will wissen, was ist gesicherte Erkenntnis, was ist nicht gesichert.
  2. Ich kann ein Lehrbuch lesen, das genau diese Informationen bereit hällt. Das ist das praktischste und schnellste. Im Gebiet der Psychiatrie ist dies in ddeutscher Sprache das Lehrbuch von Berger. (Buchbesprechung siehe hier)
  3. Zweite Möglichkeit: Ich klicke folgenden link: http://www.thecochranelibrary.com/view/0/index.html
  4. Hier finde ich zwei Suchmöglichkeiten. In der Spalte links ist ein thematisch geordneter Verzeichnisbaum. Hier kann ich beispielsweise auswählen: Mental health/Anxiety Disorder/Generalized. Klicke ich hier drauf, finden sich alle Meta-Analysen genau zu diesem Thema. Oder ich wähle die Stichwortsuche oben links auf der website. Auch dies zeigt mir alle verfügbaren Studien hierzu. Ein Klick auf den link zur Meta-Analyse meiner Wahl, und ich sehe deren Abstract. Das sieht etwa so aus:
  1. Ich tippe den Titel der Studie noch mal bei google ein, vielleicht ergänzt um ‚.pdf‘, so findet man manchmal zusätzliche Informationen.
  2. Nun tippt man bei Google Bilder den Artikelnamen und zusätzlich Forest plot ein.

Der Forest plot informiert mit einem Blick, welche Studien welches Ergebnis zeitigen und zu welchem Ergebnis die gewichtete Zusammenfassung aller Studien kommt.

  1. Fertig.

Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass private Träger forensische Kliniken betreiben dürfen

Bislang galt die Vorstellung, dass in Forensischen Kliniken so weit die Freiheitsrechte der Untergebrachten eingeschränkt werden, dass dies an Beamte und damit an eine Institution in staatlicher Trägerschaft gebunden ist. Die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts billigten mit ihrem Urteil vom 18.01.2012, (Az. 2 BvR 133/10) entsprechende Vorschriften des hessischen Gesetzes zum Maßregelvollzug, die eine private Trägerschaft zulassen.. In Hessen sind forensische Kliniken auch in der Hand der privaten Trägergesellschaft der Vitos-Klinik, die seit2007 von einer Gesellschaft privaten Rechts, einer gemeinnützigen GmbH, betrieben wird. Diese wiederum liegt vollständig in der Hand des Landeswohlfahrtsverbandes. Damit sei der Maßregelvollzug weiterhin in öffentlicher Hand, hieß es. Er sei nicht den Interessen des privatwirtschaftlichen Wettbewerbs ausgeliefert, die den Standards der Unterbringung und deren Zielen zuwiderliefen.

Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung auch für die insgesamt 15 Bundesländer, die den Maßregelvollzug teilweise oder vollständig privatisiert haben. 

Dieser Artikel beruht auf einer Nachricht der Legal Tribune Online, die auch einen RSS Feed sowie eine iPhone App hat, die beide über die homepage zugänglich sin.

Sind Schimpansen eigentlich dissozial?

Willkommen bei der live-Berichterstattung vom 12. Warnemünder Forensikkurs. Wer nicht selber dabei sein kann, erfährt hier, was er verpaßt. Die Fortbildung findet seit 12 Jahren im immer gleichen Rahmen statt. Vormittags referieren Prof. Kröber und geladene Referenten aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu einem Themenschwerpunkt. Nachmittags stellen die Teilnehmer eigene Gutachten vor, die diskutiert werden. Sehr lehrreich, sehr interessant.Den Auftakt gab Prof. Kröber mit einer Ausführung zur Frage, warum beim Menschen Dissozialität eben nicht die Regel ist. Vielmehr neigt der Mensch erfreulicherweise schon früh und auf breiter Front zu Kooperation, Verträglichkeit in Gruppen und fröhlicher Kommunikation. Vergleichende Studien zwischen Menschen und anderen Primaten zeigen, dass sich schon sehr früh Unterschiede entwickeln. Tomasello, ein weltweit hoch anerkannter Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Antropologie in Leipzig hat unter anderem den angenehmen Job, Kinder und junge Affen dabei zu beobachten, wie sie soziales Verhalten erlernen und zu welchen Formen der Kooperation sie fähig sind. (Tomasello M (2009) Why we cooperate. MIT Press, Cambridge MA London). Er fand heraus, dass Menschen schon früh mehr leisten als alle anderen nahestehenden Säugetiere. Gemeinsam ist uns Säugern, dass Mütter die Kinder stillen, Eltern die Kinder vor Gefahren warnen und schützen. Hochentwickelte Arten können auch etwas kooperieren, etwa, wenn es darum geht, gemeinsam Nahrung zu ergattern. Lernen am Modell geht auch. Aber dann geht es bei den anderen Arten nicht weiter. Selbst die freundlichen Schimpansen achten eigentlich im Wesentlichen auf ihren eigenen Vorteil. Wenn es hoch kommt, gibt eine Schimpansenmutter mal etwas Nahrung an ihr Kind ab, aber nicht gerade den leckersten Teil.

Was machen Menschen zusätzlich mit ihren Kindern? Durch die Sprache können Menschen mehr, und sie tun es auch. Sie erklären ihren Kindern die Welt. Immer und immer wieder. Sie erklären Dinge, Zusammenhänge, Bedeutungen. Und sie erklären das Verhalten anderer Menschen. Dadurch laden sie die Welt mit Bedeutung auf. Sie vermitteln Kulturtechniken, die in der Lage sind, Wissen, Erfahrungen, Techniken, die Herstellung und den Gebrauch von Artefakten zu tradieren. Menschen bringen sich gegenseitig bei zu lesen, zu sprechen, Bücher zu drucken und facebook zu benutzen. Voraussetzung hierfür ist natürlich die Sprache.

Gehen kleine Kinder anders mit anderen Menschen um als Schimpansen? Ja. Kinder pflegen schon ab einem Alter von einem Jahr als Normalfall die Kooperation, sie verhalten sich in einem starken Maße prosozial. Kinder können anderen Kindern Dinge zeigen, die für sie selbst uninteressant sind, aber für das andere Kind spannend sind. Sie teilen Ressourcen; wenn sie satt sind sogar Nahrung und Süßigkeiten. Sie können anderen etwas geben, auch wenn sie erst viel später dafür etwas bekommen, und sogar, wenn das unsicher ist. Sie wissen offenbar um die langfristigen Vorteile der Kooperation, des Mutualismus (= die Wechselseitigkeit sozialer Aktionen).

Menschen gehen also nicht nur Seite an Seite mit ihren Kindern durch die Welt, säugen und beschützen sie, sondern erklären ihnen die Welt, insbesondere auch die Art, wie Menschen miteinander umgehen. Und die Kinder gehen dann im Regelfall sozial miteinander um, sie teilen und tauschen Sachen, Wissen und Informationen. Es liegt nahe, anzunehmen, dass das vermittelte Wissen, wie Menschen funktionieren, ein begünstigender Faktor einer sicherlich auch schon angelegten Verhaltensweise des Menschen ist, sich sozial zu verhalten. Das Ergebnis ist eine Spezies, die Kooperation zum Regelfall gemacht hat. Die Mitglieder dieser Spezies zeigen weit überwiegend eine ‚Prosoziale Persönlichkeit‘.

Von diesen Beobachtungen ausgehend kann man die Frage stellen, was schief gelaufen sein muss, damit ein Mensch eine Dissoziale Persönlichkeitsstörung entwickelt hat. Genetische Befunde spielen sicher eine Rolle, aber es gibt auch Entwicklungseinflüsse. Die Etablierung moralischer Werte läuft dabei in gewissen Stufen ab. Schon im 4. Lebensjahr kennen Kinder die wichtigsten Regeln im sozialen Umgang, können sie aber nicht immer einhalten. Die Kinder lernen durch Beobachtung und am eigenen Leibe, dass Kooperation meist weiter führt als Egozentrik, Rücksichtslosigkeit und Regelbrüchigkeit.

Dissozialität kann dann interpretiert werden als ein Zustand, der der Entwicklung von Moral, Empathie und Wissen um den Nutzen der Kooperation vorausgeht. Praktisch ein entwicklungspsychologisches Stehenbleiben auf den sozialen Strategien der anderen Säugetiere. Oder als eine bewußte Entscheidung für einen kurzfristigen Vorteil in (möglicherweise irrtümlicher) Abwägung gegen die damit verbundenen Nachteile.

Nachzulesen ist das alles im Artikel ‚Prosoziale Persönlichkeit. Warum ist kooperatives, normorientiertes Verhalten der Normalfall?‘ Kröber HL, Nervenarzt 2011. 82:37-42.

Wichtige Hormone, die keiner kennt. Heute: Ghrelin

Ghrelin macht Appetit.

Das Akronym Ghrelin kommt von  Growth Hormone Release Inducing, d. h. Wachstumshormonfreisetzung einleitend. Das Hormon hat zwei Hauptwirkungen. Zum einen induziert es die Freisetzung von Wachstumshormon, daher der Name. Zum anderen spielt es eine wichtige Rolle bei der Regulation von Appetit und Hunger. Ghrelin wird hauptsächlich in der Magenschleimhaut produziert. Es wird produziert, wenn der Organismus hungert, besonders stark also beim Fasten.

Wie Forscher des Max-Planck Instituts München nun herausfanden, setzt allein der Anblick appetitlicher Bilder Ghrelin frei (Schüssler P, Kluge M, Yassouridis A, Dresler M, Uhr M, Steiger A. Ghrelin levels increase after pictures showing food. Obesity (Silver Spring). 12. Januar 2012, doi: 10.1038/oby.2011.385. [Epub ahead of print]). 

Man sollte also während einer Diät nicht unbedingt Bilder von appetitlichen Speisen anschauen, da allein der Anblick einem „das Wasser im Munde zusammen laufen läßt“, oder, neurobiologisch formuliert, den Ghrelin-Spiegel erhöht.   

Ghrelin Infusionen führen bei Mäusen und Menschen zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme. Nach dem Essen sinkt der Ghrelin Spiegel wieder. 

In der Psychiatrie hat man beim Prader-Willi-Syndrom mit Ghrelin zu tun. Patienten, die an dieser Krankheit leiden, haben oft einen exzessiv erhöhten Ghrelinspiegel und ebenso oft mit unkontrollierbaren Eßattacken zu tun, da diesen Patienten das Sättigungsgefühl völlig zu fehlen scheint.

Schlafmangel induziert eine erhöhte Ghrelin-Ausschüttung und trägt auf diese Weise vermutlich zur Entwicklung der Adipositas bei. Darüber hinaus wirkt Ghrelin im Mausversuch Angst reduzierend. Eine texanische Studie aus dem Jahr 2008 deutet auf die antidepressive Wirkung von Ghrelin hin, und beleuchtet die Frage, warum chronischer Stress und Depressionen zu Übergewicht führen können.

Damit ist Ghrelin ein Gegenspieler des Leptins. Leptin wird in den Fettzellen produziert und vermittelt ein Sättigungsgefühl. Die Neurobiologie der Regulation von Hunger, Durst und Sättigung wurde in den letzten 10 Jahren wesentlich besser aufgeklärt. Noch gibt es jedoch keine wirklichen therapeutischen Ansatzpunkte. Die größte Hoffnung lag darin, adipösen Menschen das Hormon Leptin zu geben, dass normalerweise ein Gefühl der Sättigung vermittelt. Das war nicht erfolgreich. Adipöse Menschen haben interessanterweise keinen Mangel an Leptin, sondern einen Überschuss, aber wohl so etwas wie eine Leptinresistenz. Forschungen auf diesem Gebiet werden mit großem Interesse verfolgt, da sie große finanzielle Gewinne versprechen.

 

Bild: Wikipaedia, Creative Commons

Erinnerung an einen alten Bekannten: Das atypische Neuroleptikum Sertindol

1997 hatte ich ein Leiblingsneuroleptikum: Sertindol, Handelsname Serdolect®. Es wirkt schnell und verlässlich, macht kaum müde und zeigt bei üblichen Dosierungen praktisch keine EPMS. Man verordnet am ersten Tag 4 mg, am zweiten Tag 8 mg, am dritten Tag 12 mg und am vierten Tag 16 mg, je morgens. Darunter klingt die psychotische Symptomatik in der Regel rasch und verlässlich ab, Nebenwirkungen werden kaum je beschrieben und das Medikament ist auch langfristig gut wirksam und verträglich.

Sertindol bewirkt eine selektive Hemmung mesolimbischer dopaminerger Neuronen durch inhibitorische Effekte auf zentrale Dopamin D2- und Serotonin-5HT2-Rezeptoren sowie auf  a1- adrenerge Rezeptoren. In tierexperimentellen pharmakologischen Studien hemmte Sertindol spontan aktive Dopaminneuronen im mesolimbischen ventralen Tegmentum (VTA), und zwar mit einem Selektivitätsquotienten von mehr als 100 im Vergleich zu den Dopaminneuronen in der Substantia nigra pars compacta (SNC). Die Hemmung der SNC-Aktivität gilt als mitverantwortlich für die mit vielen Neuroleptika einhergehenden Bewegungsstörungen (EPS). Hier wird erklärt, wie man diese Bilder liest.

1998 wurde Sertindol nur 16 Monate nach Markteinführung wieder vom Markt genommen. Grund dafür war der Verdacht auf eine erhöhte Rate von Torsade de Pointes Tachykardien, die in ein potentiell lebensbedrohliches Kammerflimmern degenerieren können. In den Zulassungsstudien, die einem Umfang von etwa 476 Personenjahren entsprachen, traten 12 plötzliche Todesfälle sowie 23 Synkopen auf. In den USA wurde Sertindol daher gar nicht erst zugelassen. Tatsächlich wurde unter Sertindol (20 mg/d) eine Zunahme der QTc Zeit von durchschnittlich 26 msec beobachtet. Zum Vergleich: 10 mg Haldol führte überhaupt nicht zu einer Verlängerung der QTc Zeit; Risperdal in einer Dosis von durchschnittlich 6,6 mg führte zu einer sehr moderaten Zunahme der QTc Zeit von 1,7 msec. Quelle: Lewis et al. Sertindole for schizophrenia. The cochrane Database of systematic reviews 2006, Issue 3. Üblicherweise wird eine Zunahme um mehr als 20 msec als kritisch angesehen. Die Zunahme der QTc Zeit kann aber unter jedem Neuroleptikum auftreten, eine ganze Reihe von Substanzen zeigen diese Nebenwirkung, teilweise weit ausgeprägter als Sertindol. Einen sehr guten Übersichtsartikel aus dem Deutschen Ärzteblatt zu medikamenteninduzierten QTc Zeit Verlängerungen findet sich hier.

2006 wurde es in Deutschland wieder auf den Markt gebracht, allerdings unter recht strengen Sicherheitsauflagen. Bei angeborenem long-QT Syndrom oder in Kombination mit anderen die QTc Zeit verlängernden Medikamenten soll es nicht gegeben werden. Es darf erst als Medikament zweiter Wahl gegeben werden, wenn sich zumindest ein Neuroleptikum vorher als ungeeignet erwiesen hat. Vor der Verabreichung, nach Dosisänderungen sowie alle drei Monate ist eine EKG Untersuchung mit Bestimmung der QTc Zeit im Vergleich zur QTc Zeit vor Medikation erforderlich. Ganz schön viele Auflagen.

Dennoch verschreibe ich Sertindol immer mal wieder. Es ist ein Präparat, das recht wirkstark ist und kaum je zu EPS führt. Es wird gut vertragen. Natürlich mache ich zuvor ein EKG, natürlich kontrolliere ich das EKG regelmäßig, natürlich gebe ich es nicht bei long QT-Syndrom und kombiniere es nicht mit anderen Medikamenten, die für eine Verlängerung der QTc Zeit bekannt sind.

Aber wir kennen doch alle die Patienten, die nur eine Substanz brauchen, auf jedes Medikament, dass ausgeprägt Dopamin-antagonistisch ist, mit EPS reagieren, und bei jedem Medikament, das wenig Dopamin-antagonistisch ist, eine unzureichende Wirksamkeit verzeichnen. Bevor hier Clozapin eingesetzt wird, das die bekannten metabolischen und anderen Nebenwirkungen hat, kann Sertindol einen Versuch wert sein.

Wie sind Deine Erfahrungen mit Sertindol? Hast Du Patienten, die davon profitieren? Kannst Du beschreiben, wem Du es mit Erfolg verschreibst? Berichte uns in den Kommentaren!

Selbsttest auf Narzissmus, Psychopathie und histrionische Persönlichkeit online

Online Selbsttest

Auf den Psychotherapieblog des Wiener Psychotherapeuten R. Fellner hatte ich schon einmal verlinkt. Auf dessen Website finden sich einige interessante Selbsttests, die man online kostenlos ausfüllen kann, und die sofort eine Auswertung anzeigen: hier.

Narzissmus

Heute neu ist ein Selbsttest auf Narzissmus, Psychopathie und histrionische Persönlichkeit eingestellt. Wer Spaß an Selbsttests hat, kann sich hier gleich mal einen wissenschaftlich fundierten Spiegel vorhalten. Kommt bei Euch etwas plausibles raus? (Mein Ergebnis entspricht meiner Selbsteinschätzung….)

Die Sache mit den MHC Komplexen, dem Geruch und der sexuellen Selektion

Geruch spielt eine wichtige Rolle bei der Partnerwahl. Das wissen wir alle. Aber welche Mechanismen sind schon aufgeklärt und wissenschaftlich gesichert? Welche Botenstoffe tragen welche Information? Wer selektiert nach welchen Kriterien? Gibt es Gerüche, die alle bevorzugen? Gibt es Gerüche, die zueinander passen? Bevorzugen Menschen immer die gleichen Gerüche?
Auf der Suche nach den schon aufgedeckten Mechanismen, die die Rolle des Geruchs bei der sexuellen Selektion aufklären, stößt man unumstößlich immer wieder auf folgende Arbeit aus dem Jahre 1995 von Claus Wedekind (Seite 1 der Originalarbeit hier). Er hat folgendes beschrieben und herausgefunden:
Ein Vorteil sexueller Reproduktion ist eine zügige Anpassungsfähigkeit an wechselnde immunologische Herausforderungen, etwa Parasiten. Es müsste einen evolutionären Vorteil bringen, wenn Frauen sich Männer aussuchen könnten, die immunologisch anders sind als sie selbst, so dass die Kombination aus beiden immunologischen Charakteristika bei den Nachkommen zu einer höheren Immunkompetenz führt. Ein genetisch sehr variables und zugleich für die Erkennung von fremden Antigenen äusserst wichtiges System ist der Haupthistokompatibilitätskomplex, auch HLA für Human Leucocyte Antigen, auch major histocompatibility complex, kurz MHC). Jeder Mensch kann bezüglich seiner HLA Antigene klassifiziert werden. Sie spielen eine Rolle bei der Immunerkennung und bei Gewebetransplantationen.

Wedekind konnte zeigen, dass der HLA-Typ sowohl den eigenen Körpergeruch als auch die Vorlieben für Körpergerüche anderer beeinflusst. Weiterhin konnte er zeigen, das die Vorliebe von Frauen für bestimmte HLA-Typen von ihrem Hormonstatus abhängig ist.

Das Experiment: Weibliche und männliche Studenten wurden zunächst HLA typisiert. Dann trugen sie zwei Nächte lang weiße Baumwoll-T-Shirts (wir kennen das, die nehmen dann den Geruch auf). Danach wurden die Studentinnen gebeten, die Gerüche der T-Shirts von 6 verschiedenen Studenten als angenehmer oder unangenehmer zu beurteilen. Die Studentinnen bevorzugten dabei T-Shirts von Studenten, die sich in ihrem HLA-Typ von ihrem eigenen HLA-Typ unterschieden (was immunologisch vorteilhaft ist). Der Geruch von HLA-unterschiedlicheren Studenten erinnerte die Studentinnen stärker an frühere oder jetzige Freunde.

Exkurs: Interessanterweise schlug diese Bevorzugung ins Gegenteil um, wenn die Studentinnen orale Kontrazeptiva einnahmen. Orale Kontrazeptiva, also in der Regel Östrogen, signalisiert dem Körper, er sei schwanger. In der Schwangerschaft ist es nicht mehr erforderlich, eine auf Unterschiede ausgerichtete Partnerwahl zu treffen. Andere Studien zeigen, dass Frauen, die keine Östrogene zu sich nehmen, „Männlichere, wildere“ Männer bevorzugen, während Frauen, die Östrogene zu sich nehmen, etwa durch die Pille, beschützendere, verläßlichere Männer bevorzugen, die sich vielleicht etwas besser in der Brutpflege engagieren. Den gleichen Unterschied beobachtet man auch zyklusabhängig: während des Eisprunges werden eher die harten Typen bevorzugt, im Intervall eher die guten daddys.

Der HLA-Typ ist wahrscheinlich nicht der einzige bereits identifizierte Botenstoff, der über den Geruchssinn die Partnerwahl beeinflusst. Aber der erste. Daher habe ich ihn hier vorgestellt. Ich suche nach weiteren (bei meiner bisherigen kurzen Suche habe ich noch keine weiteren gefunden) und werde sie gerne vorstellen.

… und auch Verwandtschaft kann man am Duft erkennen

Aufmerksame Leser dieses Blogs wissen schon, dass Menschen die Persönlichkeitsmerkmale „Offenheit für Neues“, „Neurotizitismus“ sowie die Eigenschaft „Dominanz“ allein aufgrund des Geruches eines Menschen erkennen können (siehe blogpost).
Eine Sudie des Bielefelder Biologen Thobias Krause zeigt nun, dass Zebrafinken ihre Verwandten am Geruch erkennen können: Originalarbeit.

Man hatte Zebrafinken nach der Geburt noch zwei Tage im Nest ihrer eigenen Familie gelassen, dann in ein neutrales Nest umgebettet. Kurz bevor sie flügge wurden, bot man ihnen zwei verschiedene Nester zur Wahl an. Das eine trug den Duft von Verwandten, das andere roch nach Nicht-Verwandten. Die kleinen Zebrafinken bevorzugten das Nest der Verwandten.

Wissenschaftlich neu daran ist eigentlich nur, dass auch Vögel das können, für Säugetiere und den Menschen war das schon bekannt. Aber es ruft uns in Erinnerung, wieviele wichtige Informationen wir über den Geruch wahrnehmen, und ich verspreche, bald noch etwas zum Thema Partnerwahl und Geruch beizutragen…