Es ist gute Sitte, neue und von Grund auf überarbeitete Kapitel in meinem Buch Psychopharmakotherapie griffbereit hier zur Diskussion zu stellen. Der Text dieser Überarbeitung des Kapitels Lamotrigin steht daher unter Copyright. Ich bitte euch, ihn zu lesen und in den Kommentaren Verbesserungsvorschläge zu formulieren.
Es gibt ja nun auch ein Video zu Lamotrigin, das findest Du hier:
5.3.4 Lamotrigin
- ist ein in der Regel gut verträgliches Antiepileptikum.
- wird in der Phasenprophylaxe Bipolarer Störungen eingesetzt, wenn vornehmlich depressive Episoden bestanden haben.
- muss langsam aufdosiert werden, da es sonst zu problematischen Hautveränderungen bis hin zum Stevens-Johnson-Syndrom kommen kann.
Lamotrigin ist seit 1993 als Antikonvulsivum zugelassen. Seit 2003 wird es auch zur Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen eingesetzt.
Pharmakologie
Lamotrigin blockiert Natrium- und spannungsabhängige Kalziumkanäle der Nervenzellen und verhindert die Freisetzung der erregenden Neurotransmitter Aspartat und Glutamat. So können sich Reize nur noch vermindert von einer Nervenzelle zu einer anderen ausbreiten.
Klinischer Einsatz
In der Epileptologie ist Lamotrigin für die Indikationen fokale und sekundär generalisierte epileptische Anfälle ein gut bewährtes Medikament, es führt hier bei 40–60 % der Patienten zur Anfallsfreiheit. Ebenfalls erfolgreich wird es in der Behandlung von Polyneuropathien eingesetzt.
In der Psychiatrie wird es Phasenprophylaktikum eingesetzt. Dabei wirkt es zur Verhinderung von manischen Phasen schlechter als Lithium. Aber in der Verhinderung von depressiven Phasen ist seine Wirksamkeit nach der Studienlage etwas gleich gut wie die des Lithiums, bei oft besserer Verträglichkeit.
Insbesondere, wenn in der Vergangenheit depressive Phasen ganz im Vordergrund stehen, kann Lamotrigin also eine gute Wahl sein.
Dosierung
- 1. und 2. Woche: 25 mg/Tag
- 3. und 4. Woche: 50 mg/Tag
- 5. Woche: 100 mg/Tag
- Ab Woche 6: 200 mg/Tag
- Zieldosis: 200 mg/Tag
- Einige Patient:innen brauchen Dosierungen bis zu: 400 mg/Tag. Bitte Fachinformationen beachten.
Wenn das Medikament 5 Tage oder länger pausiert worden ist, muss eine neue Eindosierung entsprechend dieses Schemas erfolgen. Man kann nach einer mehrtägigen Pause nicht einfach wieder die alte Dosis geben, da sonst das Risiko von Hautveränderungen erhöht wäre.
Nebenwirkungen
Die Dosierung von Lamotrigin darf nicht schneller als oben angegeben gesteigert werden, da sonst häufig Hautveränderungen auftreten. Teilweise handelt es sich dabei nur um ein kleinfleckiges Exanthem, das es erlaubt, die Dosis zu halbieren und einige Zeit abzuwarten. Wenn es vollständig verschwindet, ist es möglich, unter sorgfältiger Beobachtung die Dosis wieder zu steigern.
Tritt jedoch ein echtes Exanthem auf, muss Lamotrigin sofort vollständig abgesetzt werden, da sonst die Gefahr besteht, dass ein Stevens-Johnson-Syndrom ausgelöst wird, das lebensbedrohlich sein kann. Dabei ist das Risiko für das Auftreten eines Stevens Johnson-Syndroms erhöht bei zu schneller Titration, in Kombination mit Valproat, in den ersten 8 Wochen der Behandlung und bei bestimmten asiatischen Populationen, die ein erhöhtes genetisches Risiko tragen können.1
Außer diesen Hautveränderungen gibt es noch weitere unerwünschte Wirkungen, die vorkommen können. Am häufigsten berichtet werden
- Kopfschmerz
- Schwindel
- Übelkeit
- Schlafstörungen
- Sedierung
- Kognitive Störungen wie Wortfindungsstörungen
- Auto-Immun-Prozesse
Insgesamt gilt Lamotrigin bei langsamer Aufdosierung als gut verträglich.
Interaktionen
Die Kombination von Lamotrigin mit Valproat kann klinisch sinnvoll sein, sie ist aber schwierig. Zum einen steigt in dieser Kombination das Risiko für das Auftreten eines Stevens-Johnson-Syndroms. Zum anderen kann die gleichzeitige Gabe von Valproat den Lamotrigin-Spiegel erhöhen. Es sind daher Blutspiegelkontrollen und ein besonders langsames Aufdosieren erforderlich.
Zusammen mit östrogenhaltigen Kontrazeptiva kann der Lamotrigin-Spiegel um bis zu 50 % reduziert sein, auch hier ist die Überwachung der Blutspiegel sinnvoll.
Wirksamkeitsvergleich mit Lithium
Es gibt mehrere Meta-Analysen zur Frage der Wirkstärke von Lamotrigin im direkten Vergleich zu Lithium (Oya 2019: Lithium & Lamotrigin Maintenance; Haenen et al. 2024 u.a.) Die Ergebnisse sind im Wesentlichen:
- Lamotrigin ist in der Prophylaxe depressiver Episoden ähnlich gut wirksam wie Lithium.
- Es ist nicht gut wirksam in der Prophylaxe manischer Episoden, hier ist Lithium wirkstärker.
- Lamotrigin kann nicht eingesetzt werden gegen akute Manien.
- Die suizidprophylaktische Wirkung ist nur für Lithium nachgewiesen.
- Die Verträglichkeit von Lamotrigin kann besser sein als die von Lithium.
Mein persönliches Fazit
Lithium ist besser wirksam, wenn sich der bisherige Verlauf einer bipolaren Störung auch durch relevante manische Episoden gezeigt hat. Wenn es sich hingegen um eine Bipolar II Störung mit hauptsächlich depressiven Episoden handelt, kann Lamotrigin gleich wirksam und besser verträglich sein.
Für mich persönlich ist Lithium in der Behandlung bipolarer Störung meist das Mittel der ersten Wahl. Wird Lithium nicht vertragen, ist Lamotrigin bei Frauen im gebährfähigen Alter und bei Männern mit Kinderwunsch für mich das Mittel der zweiten Wahl (Valproat kann auch dann teratogen sein, wenn die Väter es zum Zeitpunkt der Zeugung oder in den Wochen davor eingenommen haben). Man kann Lamotrigin auch mit einem anderen Phasenprophylaktikum kombinieren, wobei Valproat schwierig ist.
Dabei muss man sich immer an die langsame Aufdosierung halten, auch nach einer Medikationspause von wenigen Tagen und sorgsam auf neu auftretende Hautveränderungen achten.
Literatur
- [57] McKnight RF, Adida M, Budge K et al. Lithium toxicity profile: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2012; 379: 721–728. doi:10.1016/S0140-6736(11)61516-X
- [58] BfARM. Rote-Hand-Brief. Valproat: Neue Anwendungseinschränkungen; Einführung des Schwangerschaftsverhütungsprogramms (09.11.2018). Im Internet: http://www.bfarm.de/SharedDocs/Risi-
- koinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2018/rhb-valproat.pdf?__blob=publicationFile&v=3;
- [59] BfARM. Rote-Hand-Brief. Arzneimittel, die Valproat und -verwandte Substanzen enthalten: Risiko für Anomalien des Neugeborenen (12.12.2014). Im Internet: https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/RI_rhb/2014/valproat-rhb.
- [60] DGBS e. V., DGPPN e. V., Hrsg. S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Langversion 2.1 (2019). Im Internet: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-019l_S3_Bipolare-Stoerungen-Diagnostik-Therapie_2020-05.pdf; Stand: 08.01.2021
- [61] Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. (DGBS). Homepage (o.A.). Im Internet: http://www.dgbs.de; Stand: 09.02.2020
Copyright
Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.














