Überarbeitung des Kapitels zu Lamotrigin im Buch…

Es ist gute Sitte, neue und von Grund auf überarbeitete Kapitel in meinem Buch Psychopharmakotherapie griffbereit hier zur Diskussion zu stellen. Der Text dieser Überarbeitung des Kapitels Lamotrigin steht daher unter Copyright. Ich bitte euch, ihn zu lesen und in den Kommentaren Verbesserungsvorschläge zu formulieren.

Es gibt ja nun auch ein Video zu Lamotrigin, das findest Du hier:

5.3.4 Lamotrigin

  • ist ein in der Regel gut verträgliches Antiepileptikum.
  • wird in der Phasenprophylaxe Bipolarer Störungen eingesetzt, wenn vornehmlich depressive Episoden bestanden haben.
  • muss langsam aufdosiert werden, da es sonst zu problematischen Hautveränderungen bis hin zum Stevens-Johnson-Syndrom kommen kann.

Lamotrigin ist seit 1993 als Antikonvulsivum zugelassen. Seit 2003 wird es auch zur Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen eingesetzt.

Pharmakologie

Lamotrigin blockiert Natrium- und spannungsabhängige Kalziumkanäle der Nervenzellen und verhindert die Freisetzung der erregenden Neurotransmitter Aspartat und Glutamat. So können sich Reize nur noch vermindert von einer Nervenzelle zu einer anderen ausbreiten.

Klinischer Einsatz

In der Epileptologie ist Lamotrigin für die Indikationen fokale und sekundär generalisierte epileptische Anfälle ein gut bewährtes Medikament, es führt hier bei 40–60 % der Patienten zur Anfallsfreiheit. Ebenfalls erfolgreich wird es in der Behandlung von Polyneuropathien eingesetzt.

In der Psychiatrie wird es Phasenprophylaktikum eingesetzt. Dabei wirkt es zur Verhinderung von manischen Phasen schlechter als Lithium. Aber in der Verhinderung von depressiven Phasen ist seine Wirksamkeit nach der Studienlage etwas gleich gut wie die des Lithiums, bei oft besserer Verträglichkeit.

Insbesondere, wenn in der Vergangenheit depressive Phasen ganz im Vordergrund stehen, kann Lamotrigin also eine gute Wahl sein.

Dosierung

  • 1. und 2. Woche: 25 mg/Tag
  • 3. und 4. Woche: 50 mg/Tag
  • 5. Woche: 100 mg/Tag
  • Ab Woche 6: 200 mg/Tag
  • Zieldosis: 200 mg/Tag
  • Einige Patient:innen brauchen Dosierungen bis zu: 400 mg/Tag. Bitte Fachinformationen beachten.

Wenn das Medikament 5 Tage oder länger pausiert worden ist, muss eine neue Eindosierung entsprechend dieses Schemas erfolgen. Man kann nach einer mehrtägigen Pause nicht einfach wieder die alte Dosis geben, da sonst das Risiko von Hautveränderungen erhöht wäre.

Nebenwirkungen

Die Dosierung von Lamotrigin darf nicht schneller als oben angegeben gesteigert werden, da sonst häufig Hautveränderungen auftreten. Teilweise handelt es sich dabei nur um ein kleinfleckiges Exanthem, das es erlaubt, die Dosis zu halbieren und einige Zeit abzuwarten. Wenn es vollständig verschwindet, ist es möglich, unter sorgfältiger Beobachtung die Dosis wieder zu steigern.

Tritt jedoch ein echtes Exanthem auf, muss Lamotrigin sofort vollständig abgesetzt werden, da sonst die Gefahr besteht, dass ein Stevens-Johnson-Syndrom ausgelöst wird, das lebensbedrohlich sein kann. Dabei ist das Risiko für das Auftreten eines Stevens Johnson-Syndroms erhöht bei zu schneller Titration, in Kombination mit Valproat, in den ersten 8 Wochen der Behandlung und bei bestimmten asiatischen Populationen, die ein erhöhtes genetisches Risiko tragen können.1

Außer diesen Hautveränderungen gibt es noch weitere unerwünschte Wirkungen, die vorkommen können. Am häufigsten berichtet werden

  • Kopfschmerz
  • Schwindel
  • Übelkeit
  • Schlafstörungen
  • Sedierung
  • Kognitive Störungen wie Wortfindungsstörungen
  • Auto-Immun-Prozesse

Insgesamt gilt Lamotrigin bei langsamer Aufdosierung als gut verträglich.

Interaktionen

Die Kombination von Lamotrigin mit Valproat kann klinisch sinnvoll sein, sie ist aber schwierig. Zum einen steigt in dieser Kombination das Risiko für das Auftreten eines Stevens-Johnson-Syndroms. Zum anderen kann die gleichzeitige Gabe von Valproat den Lamotrigin-Spiegel erhöhen. Es sind daher Blutspiegelkontrollen und ein besonders langsames Aufdosieren erforderlich.

Zusammen mit östrogenhaltigen Kontrazeptiva kann der Lamotrigin-Spiegel um bis zu 50 % reduziert sein, auch hier ist die Überwachung der Blutspiegel sinnvoll.

Wirksamkeitsvergleich mit Lithium

Es gibt mehrere Meta-Analysen zur Frage der Wirkstärke von Lamotrigin im direkten Vergleich zu Lithium (Oya 2019: Lithium & Lamotrigin Maintenance; Haenen et al. 2024 u.a.) Die Ergebnisse sind im Wesentlichen:

  • Lamotrigin ist in der Prophylaxe depressiver Episoden ähnlich gut wirksam wie Lithium.
  • Es ist nicht gut wirksam in der Prophylaxe manischer Episoden, hier ist Lithium wirkstärker.
  • Lamotrigin kann nicht eingesetzt werden gegen akute Manien.
  • Die suizidprophylaktische Wirkung ist nur für Lithium nachgewiesen.
  • Die Verträglichkeit von Lamotrigin kann besser sein als die von Lithium.

Mein persönliches Fazit

Lithium ist besser wirksam, wenn sich der bisherige Verlauf einer bipolaren Störung auch durch relevante manische Episoden gezeigt hat. Wenn es sich hingegen um eine Bipolar II Störung mit hauptsächlich depressiven Episoden handelt, kann Lamotrigin gleich wirksam und besser verträglich sein.

Für mich persönlich ist Lithium in der Behandlung bipolarer Störung meist das Mittel der ersten Wahl. Wird Lithium nicht vertragen, ist Lamotrigin bei Frauen im gebährfähigen Alter und bei Männern mit Kinderwunsch für mich das Mittel der zweiten Wahl (Valproat kann auch dann teratogen sein, wenn die Väter es zum Zeitpunkt der Zeugung oder in den Wochen davor eingenommen haben). Man kann Lamotrigin auch mit einem anderen Phasenprophylaktikum kombinieren, wobei Valproat schwierig ist.

Dabei muss man sich immer an die langsame Aufdosierung halten, auch nach einer Medikationspause von wenigen Tagen und sorgsam auf neu auftretende Hautveränderungen achten.

Literatur

  • [57] McKnight RF, Adida M, Budge K et al. Lithium toxicity profile: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2012; 379: 721–728. doi:10.1016/S0140-6736(11)61516-X
  • [58] BfARM. Rote-Hand-Brief. Valproat: Neue Anwendungseinschränkungen; Einführung des Schwangerschaftsverhütungsprogramms (09.11.2018). Im Internet: http://www.bfarm.de/SharedDocs/Risi-
  • koinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2018/rhb-valproat.pdf?__blob=publicationFile&v=3;
  • [59] BfARM. Rote-Hand-Brief. Arzneimittel, die Valproat und -verwandte Substanzen enthalten: Risiko für Anomalien des Neugeborenen (12.12.2014). Im Internet: https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/RI_rhb/2014/valproat-rhb.
  • [60] DGBS e. V., DGPPN e. V., Hrsg. S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. Langversion 2.1 (2019). Im Internet: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-019l_S3_Bipolare-Stoerungen-Diagnostik-Therapie_2020-05.pdf; Stand: 08.01.2021
  • [61] Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e. V. (DGBS). Homepage (o.A.). Im Internet: http://www.dgbs.de; Stand: 09.02.2020

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

  1. Bloom R, Amber KT. Identifying the incidence of rash, Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis in patients taking lamotrigine: a systematic review of 122 randomized controlled trials. An Bras Dermatol 2017;92(1):139-141. http://dx.doi.org/10.1590/abd1806-4841.20175070 ↩︎

Alles, was Du über Risperidon wissen möchtest …

Ich habe das Kapitel für die nächste Auflage meines Buches (die aber nicht vor 2023 kommen wird) überarbeitet, besser lesbar gemacht und übersichtlicher gestaltet. Wie es gute alte Tradition ist, veröffentliche ich hier den Textentwurf (dieser Text steht daher ausnahmsweise unter Copyright). Ich bitte euch, mir Rückmeldung zum Text zu geben, auf Fehler oder Unvollständigkeiten hinzuweisen und mir zu sagen, wie ich es verständlicher beschreiben könnte.

Ich habe dieses Kapitel auch als Video eingesprochen, das findest Du hier.

Ansonsten: viel Spaß mit diesem Kapitel zu Risperidon!

5.3.1 Risperidon

Risperidon

  • ist ein atypisches Antipsychotikum
  • ist meist stark und sicher wirksam
  • ist in Dosierungen bis 3 mg pro Tag meist gut verträglich
  • kann, insbesondere bei höheren Dosierungen als 4 mg/Tag, EPMS auslösen.
  • verursacht selten relevante Müdigkeit, Gewichtszunahme, QTc-Zeit-Verlängerung oder ein metabolisches Syndrom
  • ist für viele Psychiater das Antipsychotikum der 1. Wahl.

Risperidon ist ein lange etabliertes atypisches Antipsychotikum, das viele Psychiater als Mittel der ersten Wahl bei psychotischer Symptomatik einsetzen. Es wirkt über einen Dopamin-D2-Antagonismus sowie zusätzlich über einen 5-HT2-Antagonismus. Daraus leitet sich seine meist sichere antipsychotischer Wirkung und oft gute Verträglichkeit ab.

Es steht als eines von nur 17 Psychopharmaka verdientermaßen auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO.

Pharmakologie

Risperidon (siehe Abb. 4.4) blockiert zum einen wie ein typisches Neuroleptikum den Dopamin-D2 -Rezeptor, und zum anderen wie viele atypische Neuroleptika den Serotonin-5HT2A -Rezeptor. Es verursacht nur in geringem Maße Gewichtszunahme und Müdigkeit, entsprechend seiner nur geringen, aber vorhandenen Aktivität am Histamin H1 -Rezeptor.

Risperidon selbst hat eine Halbwertszeit von 2-4 Stunden, sein aktiver Metabolit 9-Hydroxy-Risperidon eine von ca. 20 Stunden.

Die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich in der Leber über CYP2D6 zum aktiven Metaboliten Paliperidon.

Wenn man den Blutspiegel bestimmt, orientiert man sich nicht am Wert für Risperidon alleine, sondern an der Summe aus Risperidon und 9-Hydroxy-Risperidon. Diese sollte zwischen 20 und 60 ng/ml liegen. Ab 40 ng/ml können gehäuft Nebenwirkungen auftreten.

Klinischer Einsatz

Risperidon ist schnell und zuverlässig wirksam. Die häufigste Indikation ist die Behandlung schizophrener Psychosen. Darüber hinaus wird es in niedrigeren Dosierungen auch bei Manien, Depressionen mit psychotischer Symptomatik und aggressivem Verhalten eingesetzt.

Schizophrenie

Aufgrund seiner guten Verträglichkeit und seiner sicheren Wirkung wird es von vielen Psychiatern als Medikament der 1. Wahl bei schizophrenen Psychosen eingesetzt.

Akute psychotische Episoden bei sonst gesunden Erwachsenen kann man gut mit 3-4 mg Risperidon behandeln. Darunter klingen die Halluzinationen oft nach ca. 10 Tagen ab, der Wahn verbessert sich oft innerhalb der ersten 3-4 Wochen. Wenn die Dosis nicht ausreicht, kann man auf bis zu 6 mg/ Tag steigern, allerdings treten hier häufiger Nebenwirkungen auf, insbesondere EPMS.

Wenn Risperidon in der Akutphase gut gewirkt hat, kann man es gut in etwas niedrigerer Dosis als Rezidivprophylaktikum weiter geben. Hier sind die erforderlichen Dosierungen schwerer anzugeben, manche älteren Patienten kommen mit 0,5-1 mg gut hin, viele erwachsene Patienten erhalten 1,5 bis 3 mg als Rezidivprophylaxe, einige chronisch Kranke brauchen auch 6 mg zur Erhaltungstherapie. Die Wirksamkeit der gewählten Dosis kann man erst einem oder besser zwei Jahren beurteilen, wenn man weiß, ob ein Wiederauftreten der Krankheit verhindert worden ist.

Für die Rezidivprophylaxe ist eine gute Verträglichkeit unabdingbar, sonst wird das Medikament erfahrungsgemäß schnell abgesetzt. Risperidon bietet in vielen Fällen auch bei niedrigeren und gut verträglichen Dosierungen einen guten Rückfallschutz.

Einige Patienten bevorzugen die Rezidivprophylaxe mit einem Depot-Antipsychotikum, hier stehen Risperidon und sein gleichstark wirksamer Metabolit Paliperidon für unterschiedliche Dosierungsintervalle zur Verfügung:

  • RisperdalConsta® (Risperidon, alle zwei Wochen)
  • Xeplion® (Paliperidon, alle vier Wochen)
  • TREVICTA® (Paliperidon, alle 12 Wochen)

Manie

Akute Manien sollten immer mit einer Kombination aus einem Phasenprophylaktikum, vorzugsweise Lithium, und einem Antipsychotikum behandelt werden. In dieser Indikation wird Risperidon oft zwischen 2 und 4 mg/Tag dosiert, in der Gerontopsychiatrie zwischen 0,5 und 2 mg/Tag.

Nach Abklingen der Manie im Rahmen einer Bipolaren Störung kann das Antipsychotikum in vielen Fällen abgesetzt werden, wenn das Phasenprophylaktikum weiter eingenommen wird. Reicht dies nicht aus, kann in einer zweiten Stufe eine Phasenprophylaxe mit zwei Phasenprophylaktika versucht werden, erst wenn auch dies scheitert, wird ein Antipsychotikum zusätzlich dauerhaft gegeben.

Bei schizoaffektiven Störungen wird die Phasenprophylaxe in der Regel gleich im ersten Schritt mit einer Kombination aus Antipsychotikum und Phasenprophylaktikum durchgeführt.

Depressionen mit psychotischen Symptomen

Die erste Wahl der Behandlung der Depression mit psychotischen Symptomen ist in vielen Fällen die EKT. Die zweite Wahl ist die Pharmakotherapie mit einer Kombination aus einem Antidepressivum und einem Antipsychotikum. Gibt man Risperidon in dieser Indikation, reichen in den meisten Fällen 0,5-2 mg aus. In der Gerontopsychiatrie reichen zumeist 0,25 bis 1 mg/Tag.

Aggressives Verhalten

Risperidon ist bei zwei klar eingegrenzten Patientengruppen zugelassen, um aggressives Verhalten zu reduzieren:

  • Patienten mit Alzheimer Demenz nach Ausschöpfung anderer Therapiemöglichkeiten: In bestimmten Phasen der Alzheimer-Demenz kann es zu aggressivem Verhalten kommen, das zu erheblichen Problemen in der täglichen Versorgung der betroffenen Patienten führt. Wenn verhaltenstherapeutische Maßnahmen und angemessen eingesetzte Sedativa nicht ausreichend wirksam sind, kann ein Therapieversuch mit Risperidon angemessen sein. Das Ziel ist hier nicht Müdigkeit, sondern ein Abklingen des aggressiven Verhaltens. In der richtigen Kombination mit anderen Maßnahmen wird dieses Ziel nicht selten erreicht. Dabei muss man aber bedenken, dass Antipsychotika bei älteren Patienten die Gefahr von Schlaganfällen erhöhen können. Auch die Sturzneigung kann unter EPMS-lastigen Antipsychotika im Alter sehr zunehmen. Daher sollte man die Indikation für Risperidon in einer überlegten Abwägung gegen die möglichen Nebenwirkungen treffen und die erzielte Wirkung sowie die eingetretenen Nebenwirkungen gut beobachten.
  • Geistig behinderte Kinder ab 5 Jahren und Jugendliche mit einer Verhaltensstörung: Auch hier ist es wichtig, zuvor alle verhaltensmodifizierenden Techniken versucht zu haben und auch hier ist der Grad zwischen erzielbarem Nutzen und möglichen Nebenwirkungen schmal. In bestimmten Fällen wirkt Risperidon in dieser Indikation gut gegen aggressive Verhaltensweisen, in anderen Fällen bewirkt es keine Verbesserung.

Dosierung

  • akute Psychose, Manie: bis 2-4, maximal 6 mg/Tag
  • Rezidivprophylaxe: 0,5–4 mg/Tag
  • Depression mit psychotischen Symptomen: 0,5-2 mg/Tag
  • Aversives Verhalten bei Demenz und aggressives Verhalten bei Jugendlichen mit Verhaltensstörung: 0,25–2 mg/Tag
  • Gerontopsychiatrie: 0,25-2 mg/Tag meist ausreichend
  • maximale Tagesdosis: 6 mg/Tag
Typische Dosierungsbereiche von Risperidon
Typische Dosierungsbereiche von Risperidon

Nebenwirkungen

EPMS

Die häufigste unerwünschte Wirkung von Risperidon sind EPMS (siehe Kapitel 4.6.1). Je nach Alter und persönlicher Disposition des Patienten können EPMS bei unterschiedlichen Dosierungen auftreten. Bei einer Dosis von 4 mg und mehr oder einem Blutspiegel von 40 ng und mehr treten EPMS allerdings sehr viel öfter auf. Im ersten Schritt sollte man die Dosis reduzieren. Dabei muss man wissen, dass sowohl beim Steigern der Dosis als auch beim Reduzieren der Dosis für einige Tage verstärkt EPMS auftreten können. Während EPMS bestehen, kann man versuchen, diese mit Biperiden zu lindern. Führt eine Reduktion der Dosis auch nach einigen Tagen nicht zu einem deutlichen Nachlassen der EPMS, ist im nächsten Schritt eine Umstellung auf ein in diesem Punkt verträglicheres Antipsychotikum zu erwägen, z.B. Olanzapin oder Ziprasidon.

Akathisie

Akathisie oder Sitzunruhe (siehe Kapitel 4.6.2) kann sehr quälend sein. Ist sie durch eine Dosisreduktion nicht in den Griff zu bekommen, wechselt man in der Regel auf ein anderes Medikament.

Hyperprolaktinämie

Wie alle D2-Antagonisten kann Risperidon eine Hyperprolaktinämie verursachen. Dies kann zum Milchfluß, einer Gynäkomastie beim Mann oder sexuellen Funktionsstörungen führen. Der Prolaktinwert im Blut ist bei Therapie mit D2-Antagonisten häufig erhöht. Wenn keine spezifischen Symptome vorliegen, muss aufgrund einer moderaten Laborwerterhöhung alleine nicht unbedingt das Medikament abgesetzt werden. Es ist aber wichtig, die Patienten über diese möglichen Nebenwirkungen aufzuklären, damit beim Auftreten von Symptomen eine Konsequenz gezogen werden kann.

Hypotonie

Aufgrund der Blockade von α-adrenergen Rezeptoren kann Risperidon insbesondere in der Aufdosierungsphase in einigen Fällen den Blutdruck senken.

Depressive Stimmungslage

Wie alle Dopamin-Antagonisten kann auch Risperidon bei manchen Patienten eine depressive Stimmungslage verursachen. Im Vordergrund stehen dabei am ehesten Antriebsstörungen, Motivationsmangel und ein Gefühl der Erschöpfung. Es können aber auch depressive Gedanken und Gefühle im engeren Sinne dazu kommen. In dieser Situation wechsele ich persönlich eher auf ein anderes Antipsychotikum wie z.B. Ziprasidon, als ein Antidepressivum zu ergänzen.

Risperidon in der Schwangerschaft und Stillzeit

Die Wahl von Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit ist immer eine sehr individuelle Entscheidung und sollte immer nach gründlicher Recherche aktueller Datenbanken wie z.B. Embryotox erfolgen. Wenn die Indikation eindeutig ist und Risperidon bislang gut gewirkt hat, ist eine weitere Gabe in der Schwangerschaft unter engmaschigeren Blutspiegelkontrollen und möglichst niedriger Dosierung nach heutigem Wissensstand vertretbar.

Risperidon geht wie alle Psychopharmaka in die Muttermilch über, daher wird vom Stillen mit Muttermilch abgeraten.

Sinnvolle Laboruntersuchungen

  • Vor Behandlungsbeginn und nach einem Monat: Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, GGT, Bilirubin, CK, INR, TSH, ß-HCG, EKG, Körpergewicht.
  • Im ersten Jahr quartalsweise EKG, Routinelabor und Körpergewicht.
  • Danach sind bei unkompliziertem Verlauf auch längere Kontrollintervalle üblich.

Mein persönliches Fazit

Risperidon ist zumeist gut und sicher wirksam. Daher ist es für mich oft das Antipsychotikum der 1. Wahl.

Es ist in Dosierungen bis 3 mg meist gut verträglich, es macht nicht müde und führt eher selten zu einer Gewichtszunahme.

Dosierungen von 5 und 6 mg/Tag verordne ich kaum noch, da diese öfter zu EPMS führen und meist nicht viel besser wirksam sind als 4 mg/Tag.

Hätte ich eine Psychose, würde ich mich mit Risperidon behandeln.

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug oder eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Mein neues Video Eine ehrliche Aufklärung über Neuroleptika ist online

In diesem Video beschreibe ich, welche Nebenwirkungen unter Neuroleptika häufig vorkommen. Ich beginne mit einem Fallbeispiel, dass zeigt, dass Neuroleptika gut gegen Psychosen wirken, aber oft aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt werden. Ich erkläre die Einteilung der Neuroleptika in niedrigpotente Neuroleptika und hochpotente Neuroleptika. Hochpotente Neuroleptika sollte man besser Antipsychotika nennen, da sie die psychotische Symptome gut behandeln können. Die hochpotenten Antipsychotika werden noch einmal in typische und atypische Neuroleptika unterteilt. Ich erkläre dann die vier wichtigsten dopaminergen Bahnen im Gehirn. Bei der Therapie mit Neuroleptika werden diese Bahnen in ihrer Aktivität gebremst.

Dies führt zu typischen Nebenwirkungen:

Das Mesolimbische System

  • Dies ist das System, das wohl bei der Psychose am ehesten überhitzt ist. Beim Gesunden ist es für Freude, Lust und Motivation da. Wenn in diesem System Dopamin ausgeschüttet wird, dann weiß der Mensch: Hier passiert gleich etwas Wichtiges, hier lohnt es sich, aufzupassen und dranzubleiben.
  • Wenn man dieses System mit Antipsychotika zu stark drosselt, ergeben sich daraus oft Lustlosigkeit und Interessenverlust.

Das Nigrostriatale System

  • Dieses System ist beim Gesunden für Bewegungen zuständig.
  • Eine bekannte Krankheit, bei der zu wenig Dopamin in diesem System zur Verfügung steht, ist der M. Parkinson.
  • Die gleichen Beschwerden wie beim Parkinson treten auf, wenn antipsychotische Medikamente das nigrostriatale System zu stark drosseln, es entsteht ein medikamentös verursachter Parkinsonismus. Die Patienten gehen mit steifen Armen und Beinen, man sagt „wie ein Teddybär“, sie zittern, die Mimik ist reduziert und spontane Bewegungen fallen schwer.

Das Mesocortikale System

  • Ist beim Gesunden für Denken, Gefühle und Motivation zuständig.
  • Wird es durch Antipsychotika zu stark gedämpft, können Antriebslosigkeit und Affektverflachung entstehen. Die Patienten „kommen einfach nicht mehr aus dem Quark“ und verlieren das Interesse an allem. Nichts macht mehr richtig Spaß und daher scheint es sich für nichts mehr zu lohnen, sich aufzuraffen.

Das Tuberoinfundibuläre System

  • Regelt beim Gesunden die Freisetzung des Hormons Prolactin. Das Hormon Prolactin führt zur Milchproduktion in den Brustdrüsen. Dies ist bei Frauen in der Stillzeit ja auch sinnvoll.
  • Dopamin ist das „Prolactin inhibitin factor“ eine Dopaminblockade durch Antipsychotika führt also zu einer Überproduktion von Prolactin, einer Hyperprolactinämie.
  • Wenn zu viel Prolactin im Blut ist kommt es bei Frauen und Männern zu einem Milchfluß. Es fließt also sowohl bei Frauen als auch bei Männern aus den bei Männern ja auch angelegten Brustdrüsen Milch. Darüber hinaus kann es durch einen zu hohen Prolactinspiegel zu sexuellen Funktionsstörungen kommen.

Dann gehe ich kurz auf einige spezifische Nebenwirkungen bestimmter Neuroleptika ein, wie z.B. QTc-Zeit-Verlängerungen, das metabolische Syndrom oder die Agranulozytose. Schließlich nenne ich einige Vorgehensweisen, die helfen können, Nebenwirkungen zu verhindern und spreche darüber, was man tun kann, wenn dennoch Nebenwirkungen aufgetreten sind.

Quellen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dopaminergic_pathways.svg

Wem meine Grafik gefällt, der darf sie gerne weiterverwenden:

Pflegegradrechner online

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hat einen Online-Pflegegradrechner erstellt. Das Tool geht 6 Module interaktiv durch und zeigt am Schluss eine Einschätzung, mit welchem Pflegegrad zu rechnen ist. Die tatsächliche Einschätzung des Gutachters kann natürlich hiervon abweichen, zur Vorbereitung und eigenen Einschätzung des Pflegegrades ist dies aber ein sehr gutes Tool. Am Schluß erhält man eine Auswertung und Erklärung des zu erwartenden Pflegegrades. Sehr praktisch!

PC113 Schmerzen

Auf YouTube findest Du die Episode hier.

NICHTS, was Du über akute Schmerzen weißt, gilt für chronische Schmerzen! 

In der 113 PsychCast Folge widmen wir uns dem Thema Schmerzen. Wir unterteilen in Akute Schmerzen, Chronische Schmerzen und Mischformen. Dabei beschreiben wir, warum man diese drei Formen ganz unterschiedlich behandeln muss und welche Vorgehensweisen wir häufig wählen.

Links

Alex Interview im stern: https://www.stern.de/gesundheit/arzt-ueber-psychosomatische-leiden—erschoepfung-wird-oft-genannt–9442116.html

Unseren Partner Blinkist findet Ihr hier: https://www.blinkist.com/de/nc/partners/psychcast

Wir danken dem PsychCast-Freundeskreis, der die Produktionskosten unseres Podcasts auch diesmal übernommen hat, DANKE!

Alex Buch „Dann ist das wohl psychosomatisch!

Jans Buch „Psychopharmakologie griffbereit

Akathisie, oder „dauernde Bewegungsunruhe“

Das Wichtigste zur Akathisie habe ich in diesem Video zusammengefasst…

Nur mal angenommen, ihr würdet in einem in weiter Zukunft einmal erscheinenden Lehrbuch zur Psychopharmakologie folgenden Text zur Akathisie finden; welches Feedback, welche Verbesserungsvorschläge hättet ihr hierzu? Schreibt mir bitte eure Gedanken in die Kommentare!

Die Akathisie ist eine der häufigsten und unangenehmsten Nebenwirkungen einiger Antipsychotika. Sie ist gekennzeichnet durch unbezwingbare rastlose Bewegungen vor allem der Beine und der Arme zusammen mit einem Gefühl der inneren Unruhe und Getriebenheit. Akathisie tritt vor allem bei der Behandlung mit Antipsychotika der ersten Generation auf, insbesondere bei hohen Dosierungen oder schnellen Dosissteigerungen. Einige Patienten entwickeln auch unter Antipsychotika der zweiten Generation, Antiemetika, SSRI oder auch bei Reduktion der Dosis eines dieser Medikamente eine Akathisie. Akathisie kann in einigen Fällen so quälend sein, dass sie fremdaggressives, autoaggressives oder suizidales Verhalten auslösen kann. Die Erkennung und rasche Behandlung der Akathisie ist daher eine wichtige Aufgabe ärztlichen Handelns. Wenn eine Akathisie vorliegt, sollte man zunächst prüfen, ob man auf ein verträglicheres Medikament umstellen oder die Dosis des verursachenden Medikamentes deutlich reduzieren kann. Sind diese beiden Optionen nicht möglich oder nicht ausreichend, kommen Mirtazapin, Betablocker oder Benzodiazepine zur Linderung der Symptomatik in Frage.

Geschichte

Das Wort Akathisie leitet sich vom altgriechischen kathízein „sich setzen“, „sitzen“ ab; A-kathisie bedeutet also “Unfähigkeit, zu sitzen“ [1]. Im Deutschen sagt man meistens ”Sitzunruhe„. Dieser Begriff klingt allerdings in meinen Ohren etwas zu milde, besser wäre vielleicht „dauernde Bewegungsunruhe“, was den quälenden Charakter dieser Nebenwirkung besser zum Ausdruck bringt.

Die Symptomatik der Akathisie war schon vor Einführung der Neuroleptika bekannt. Patienten mit M. Parkinson oder bestimmten anderen Erkrankungen der Basalganglien zeigen manchmal eine deutlich ausgeprägte Akathisie, in diesen Fällen verbunden mit parkinsonistischen Einschränkungen der Beweglichkeit.

Medikamentös verursachte Akathisie

Wirklich häufig wurde die Akathisie mit der Einführung der Antipsychotika der ersten Generation, z.B. Haloperidol. Bei den früher häufig gegebenen hohen Dosierungen kam es sehr oft zur Akathisie. Aber auch bei heute üblichen Dosierungen, insbesondere bei schneller Steigerung der Dosis, beim Reduzieren der Dosis und bei Patienten, die besonders anfällig für Akathisie sind, tritt noch in einem erheblichen Teil der Behandlungen mit einem Antipsychotikum der ersten Generation eine klinisch relevante Akathisie auf.
Mit dem Aufkommen der Antipsychotika der zweiten Generation erhoffte man sich, dass Bewegungsstörungen wesentlich seltener zum Problem werden würden. Leider verursachen aber auch einige der Antipsychotika der zweiten Generation erhebliche Akathisie. In der CATIE-Studie [2, 3] schnitten sie in diesem Punkt kaum besser ab als ihre älteren Vorfahren.

Symptomatik

Die Akathisie ist gekennzeichnet durch eine Kombination aus motorischer und psychischer Unruhe. Typisch sind folgende Symptome:

Motorisch:

  • Ständiger, unbezwingbarer Impuls, sich zu bewegen, der verhindert, dass die Patienten längere Zeit still sitzen oder stehen können.
  • Andauernde rastlose Bewegungen vor allem der Beine und der Hände.
  • Unfähigkeit, still zu sitzen.
  • Ständige Verlagerung des Gewichtes von einem Bein auf das andere.
  • Unwillkürliche Bewegungen der Beine im Bett, die am Schlafen hindern.
  • Umherlaufen
  • Trippeln
  • Wechselndes Überkreuzen der Beine
  • Ungerichtete Bewegungen im Gesicht

Psychisch:

  • Innere Rastlosigkeit
  • Innere Unruhe
  • Gefühl der Getriebenheit

Differentialdiagnose

Abzugrenzen ist die Akathisie unter anderem vom Restless-legs-Syndrom (RLS). Beim RLS sind fast ausschließlich die Beine betroffen, es tritt zumeist erst abends in der Einschlafphase und in der Nacht auf, ist oft mit Schmerzen in den Beinen verbunden und wird bei Bewegung kurzfristig besser. Anders als bei der Akathisie können Opioide und Dopaminagonisten die Symptomatik verbessern, SSRI können die Symptomatik verschlechtern.

Pathophysiologie

Nach der aktuellen Studienlage geht man davon aus, dass Akathisie durch eine Imbalance zwischen dopaminergen und serotonergen / noradrenergen Neurotransmittern hervorgerufen wird [4].

Behandlung der Akathisie

Weil eine unbehandelte Akathisie entweder in Noncompliance endet oder zu subjektiv stark belastenden Symptomen führt, muss die Behandlung schnell und entschieden stattfinden. Der Erfolg sollte nicht allzulange auf sich warten lassen. Ich empfehle folgende Reihenfolge:

  1. Erste Wahl: Umstellen des Medikamentes: Wenn eine relevante Akathisie schon unter einer üblichen Dosis eines Antipsychotikums auftritt, ist es oft am sinnvollsten, dieses Präparat direkt gegen ein verträglicheres auszutauschen. Oft treten in diesen Fällen nämlich auch unter niedrigen Dosierungen Symptome der Akathisie auf, und wenn ein Wechsel möglich ist, ist dies oft die beste Lösung.
  2. Zweite Wahl: Reduktion der Dosis: Sollte ein Wechsel nicht möglich sein, ist als nächstes eine deutliche Dosisreduktion zu erwägen. Dabei muss man beachten, dass Akathisien bei Dosisreduktionen erst einmal stärker werden können. Erst nach etwa einer Woche mit gleichbleibender Dosis kann man beurteilen, ob diese Maßnahme zu einer ausreichenden Abnahme der Akathisie geführt hat.
  3. Dritte Wahl: Mirtazapin: Der 5-HT2A Antagonist Mirtazapin hat sich in einer Studie mit 90 Patienten als wirksam gegen Akathisie erwiesen [5]. Die Gabe von 15 mg Mirtazapin wirkte gleich gut wie Propanolol bei besserer Verträglichkeit. Allerdings muss man bedenken, dass Mirtazapin auch in dieser eher niedrigen Dosis bei längerer Behandlung Gewichtszunahme verursachen kann.
  4. Vierte Wahl: Betablocker: Der Betablocker Propranolol wird schon seit Jahrzehnten gegen Akathisie eingesetzt, allerdings bei oftmals schlechter Verträglichkeit [5]. Eine typische Dosis wären 80–0–80 mg /Tag.
  5. Fünfte Wahl: Benzodiazepine: Benzodiazepine können insbesondere die psychische Komponente der Unruhe für eine gewisse Zeit lindern, die Bewegungsunruhe an sich verbessert sich dadurch allerdings zumeist nicht wirklich.
  6. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind Mianserin und Amantidin.
  7. Anticholinergika wie Biperiden können zwar gut gegen die parkinsonistischen Symptome und EPMS helfen, gegen Akathisie helfen sie oft nicht so gut. Einen Behandlungsversuch kann man allerdings unternehmen, wenn andere Optionen nicht geeignet waren [6].

Fazit

Die Akathisie ist subjektiv eine äußerst unangenehme Nebenwirkung. Und sie betrifft nicht nur die wenigen Patienten, die heutzutage noch mit Antipsychotika der ersten Generation behandelt werden. Akathisie ist unter einigen neueren Antipsychotika ebenfalls häufig. Insbesondere Aripiprazol, Risperidon und selbst Clozapin können Akathisie verursachen. Nicht selten sieht man ausgeprägte Symptome auch bei Patienten, die „nur“ ein SSRI wie Citalopram oder ein Antiemetikum wie Dimenhydrinat einnehmen.
Besteht eine Akathisie, muss der Behandler darauf reagieren. Tut er dies nicht, ist es praktisch vorprogrammiert, dass der Patient die Behandlung absetzt, weil Akathisie für die meisten Menschen nicht dauerhaft aushaltbar ist. In Phasen der Akutbehandlung, wenn ein Antipsychotikum in einer hohen Dosis gegeben werden muss, und eine Akathisie auftritt, muss der Behandler berücksichtigen, dass diese Akathisie so quälend sein kann, dass Fremdaggressivität, Selbstverletzungen und Suizidalität begünstigt werden können.
Wenn es irgendwie möglich erscheint, sollte das verursachende Medikament auf ein verträglicheres Medikament umgestellt werden. Geht dies nicht, sollte die Dosis wesentlich reduziert werden. Geht auch das nicht, kann ein Medikament zur Linderung der Akathisie versucht werden.

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Literatur

[1] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Akathisie

[2] Lieberman JA, Scott Stroup T, McEvoy JP, et al. Effectiveness of antipsychotic drugs in patients with chronic schizophrenia. N Engl J Med 2005; 353: 1209–1223 Im Internet: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa051688

[3] Poyurovsky, M. (2010). Acute antipsychotic-induced akathisia revisited. British Journal of Psychiatry, 196(2), 89–91. doi:10.1192/bjp.bp.109.070540

[4] Salem H, Nagpal C, Pigott T, et al. Revisiting Antipsychotic-induced Akathisia: Current Issues and Prospective Challenges. Curr Neuropharmacol 2017; 15: 789 Im Internet: /pmc/articles/PMC5771055/?report=abstract

[5] Poyurovsky M, Pashinian A, Weizman R, et al. Low-Dose Mirtazapine: A New Option in the Treatment of Antipsychotic-Induced Akathisia. A Randomized, Double-Blind, Placebo- and Propranolol-Controlled Trial. Biol Psychiatry 2006; 59: 1071–1077 Im Internet: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0006322306000436

[6] Rathbone J, Soares-Weiser K. Anticholinergics for neuroleptic-induced acute akathisia. Cochrane Database Syst Rev 2009; Im Internet: http://doi.wiley.com/10.1002/14651858.CD003727.pub3

[7] Gutes Video zur Akathisie: https://www.youtube.com/watch?v=ER4JGnRssSk

PC109 Sucht und Neurologie

Im 109. PsychCast unterhalte ich mich mit Dr. Kai Gruhn, der als Facharzt für Neurologie am Neuro Center Mettman arbeitet. Er ist einer der Gastgeber des Podcasts Klinisch relevant. Wir haben uns als Fallbeispiel einen alkoholintoxizierten Patienten ausgesucht, der nach der Ausnüchterung noch auffällig bleibt. An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut, dass man sowohl psychiatrische als auch neurologische Kompetenzen braucht, um dem Patienten gerecht zu werden.

Shownotes

Den Podcast findet ihr hier oder könnt ihn gleich hier auf dieser Seite anhören.

Cochrane Bibliothek temporär kostenlos zugänglich

https://www.cochranelibrary.com/cdsr/reviews

Im Rahmen der COVID-Krise sind einige wissenschaftliche Quellen, vorwiegend COVID im engeren Sinne betreffend, auf vielen wissenschaftlichen Seiten frei zugänglich, um die Forschung und den klinischen Austausch zu unterstützen.

Erfreulicherweise ist auch die Cochrane-Datenbank temporär kostenlos zugänglich, wenn man sich dort bei den Reviews umschaut, findet man alles auf free access. Nutzt das und seht euch mal genauer um!

Hier findet ihr die Cochrane Review-Datenbank.

Phasenprophylaktika stabilisieren nicht die Stimmung innerhalb eines Tages

Was können Phasenprophylaktika?

Phasenprophylaktika wie Lithium, Carbamazepin, Valproat und andere verhindern und lindern in einem Zeitfenster von mehreren Jahren depressive, manische und submanische Phasen. Das ist es, was man von ihnen erwarten kann. In meinem Buch habe ich dies so dargestellt:

2020 03 24 Überarbeitung Dreher 2020 04 16 10 57 15

Was können Phasenprophylaktika nicht?

Phasenprophylaktika wie Lithium, Carbamazepin, Valproat und andere können nicht die Stimmung im Verlaufe eines Tages oder einer Woche stabilisieren. Dies erhoffen sich zwar ebenso viele Behandler:innen wie Patient:innen, das funktioniert aber leider nicht. Daher ist der Begriff „Stimmungsstabilisierer“ auch irreführend. Ich bin ja sonst ein großer Freund der einfachen Sprache, aber in diesem Fall ist Stimmungsstabilisierer schlechter als das richtige und präzise Phasenprophylaktika. Also soll man das letztere Wort verwenden. 

Wollte ich nur noch mal gesagt haben.

Copyright

Die Grafik ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Durchführung eines Corona Abstriches

So führst du einen Corona-Abstrich durch: Anlegen eines normalen OP-Mundschutzes (keine FFP-2 Maske), Handschuhe und Kittel. Das Ziel ist es, die hintere Rachenwand abzustreichen, also die Wand hinter dem Gaumensegel, hinter dem Zäpfchen, was unangenehm ist und Würgereiz auslösen kann. Aber hier, an der hinteren Rachenwand, ist das Virus am ehesten nachweisbar. Daher versuchst Du, mit dem Wattestäbchen durch den Mund so weit wie möglich nach hinten an die hintere Rachenwand zu kommen und hier den Abstrich zu nehmen. An beiden Seiten ein paar mal das Röhrchen gegen die hintere Rachenwand streichen.

Wenn Du ein flexibles Abstrichröhrchen hast, kannst Du auch einen Abstrich durch die Nase machen, eine ausgezeichnete Videoanleitung hierfür findest Du hier.

Danach: Stäbchen an der Sollbruchstelle halbieren, in das Röhrchen mit dem Roten Deckel tun. Dies in die weiße Umverpackung mit Watteeinsatz tun. Laborschein mit Anforderung „SARS-CoV-2 PCR“ ausfüllen. Zusätzliches Etikett „Infektiös“ mit Risikoeinteilung (Kontaktperson / wahrscheinlich infiziert / symptomatisch) dazu tun. Dies in einen Umschlag packen und diese in eine Laborkiste packen. Dann mit dem normalen Labortransport zum Labor bringen lassen. Laut RKI dürfen diese Kisten so verpackt auch per Taxi transportiert werden, die Laboratorien sehen das aktuell noch unterschiedlich, bei Bedarf nach einer Taxifahrt bitte zuerst mit dem Labor telefonieren, ob das geht.

 

Welche Entscheidungen haben wir heute für die Psychiatrische Klinik getroffen?

Ich weiß, dass im Moment jeder damit ringt, wie er auf die Lage reagiert. Für unsere psychiatrische Klinik haben wir Entscheidungen getroffen, die ich etwas verallgemeinert und etwas gekürzt hier wiedergebe. Diese Entscheidungen muss man sicherlich aktuell täglich prüfen und anpassen. Wir haben uns entschieden, die Entscheidungen hier darzulegen, um den Austausch mit anderen Kliniken zu fördern. Ich freue mich über Anregung und Kommentare. Wir haben heute folgendes geregelt:

Corona Update 18.03.2020, 11:00

Hygienemaßnahmen

  • Unser Vorgehen bei Aufnahmen: Kein Patient darf auf die Station, bevor ihn ein Arzt gesehen hat. Sowohl geplante als auch ungeplante Aufnahmen melden sich an der Pforte, diese ruft den AvD an, der spricht im im hierfür reservierten Aufnahmezimmer mit dem Patienten. Bei Kontakt zu einem Corona-Kranken UND Symptomatik erfolgt keine Aufnahme auf eine Station. Risikostratifizierung nach dem Schema des RKI. Bei Verdacht auf Corona-Infektion: Klärung, ob somatische Behandlung in einem anderen Krankenhaus notwendig ist, ob ambulante Behandlung möglich ist oder eine Aufnahme bei uns erforderlich ist. Das Schema des RKI findet ihr hier.
  • Durchführung Corona-Abstrich: Anlegen eines normalen OP-Mundschutzes (keine FFP-2 Maske), Handschuhe und Kittel. Je eine Sekunde das Wattestäbchen im hinteren Rachen an beiden Seiten abstreichen. Stäbchen an der Sollbruchstelle halbieren, in das Röhrchen mit dem Roten Deckel tun. Dies in die weiße Umverpackung mit Watteeinsatz tun. Laborschein mit Anforderung „SARS-CoV-2 PCR“ ausfüllen. Zusätzliches Etikett „Infektiös“ mit Risikoeinteilung (Kontaktperson / wahrscheinlich infiziert / symptomatisch) dazu tun. Dies in einen Umschlag packen und diese in eine Laborkiste packen. Dann mit dem normalen Labortransport werktags morgens um 10:00 Uhr zum Labor bringen lassen. Laut RKI dürfen diese Kisten so verpackt auch per Taxi transportiert werden, die Laboratorien sehen das aktuell noch unterschiedlich, bei Bedarf nach einer Taxifahrt bitte zuerst mit dem Labor telefonieren, ob das geht.

  • Besuchsregelung: Es gilt ein generelles Besuchsverbot, in Ausnahmefällen soll mit den Mitarbeitern der Station der Bedarf abgesprochen werden. Patienten, die nach PSychKG untergebracht sind, haben weiterhin eine Besuchserlaubnis, allerdings empfehlen wir hier im Einzelgespräch mit den Angehörigen die Wahrnehmung des Besuchsrechtes in Form eines Videotelefonates oder Telefonates.
  • FFP2-Masken: FFP2-Masken sollen nur im Falle einer gesicherten Influenza, einer bestätigten Corona-Infektion oder einer anderen hochinfektiösen Erkrankung bei einem symptomatischem Patienten verwendet werden. Zum Erstkontakt und zur Abklärung eines Verdachtes reichen die normalen OP-Masken zum Schutz aus.
  • Sparsamer Umgang mit Schutzausrüstung: Desinfektionsmittel, Schutzkleidung und Atemschutzmasken sind rationiert. Pro Schicht und Person nur eine Maske, das gilt im Moment auch für die normalen OP-Masken. Schutzkleidung und Abstrichröhrchen werden zentral in zwei Dienstzimmern gelagert. Im Aufnahmezimmer wird nur eine Tagesmenge gelagert.
  • Dienstkleidung: Wer über persönliche Dienstkleidung verfügt, soll diese nun tragen. Wer noch keine hat, soll Pool-Dienstkleidung tragen. Reinigungsbedürftige Kleidung kommt in einen der gelben Wäschesäcke zurück.
  • Handhygiene: Bitte auf ausreichendes Händewaschen und Desinfizieren achten. Keine Ringe tragen. 

Begrenzung der Krankenhausaufenthalte

  • Vor jeder Aufnahme im Einzelfall prüfen, ob die Krankenhausbehandlung verschiebbar ist.
  • Bei Patienten mit vorbestehenden Lungenerkrankungen prüfen wir besonders streng, ob auch eine ambulante Behandlung möglich ist.
  • Freie Zimmer vorhalten: Auf jeder Station wird ein Zimmer frei gehalten, um kurzfristig Isolierungen von einzelnen Patienten dieser Station möglich zu machen. Frei werdende dritte Betten in Dreibettzimmern werden nicht neu belegt. Im übrigen werden weiterhin Neuaufnahmen geplant.
  • In der Tagesklinik wird die Patientenzahl auf 12 reduziert, so dass zwei Gruppen zu je 6 Patienten möglich sind.
  • Das Schlaflabor bleibt bis zum Ende der Osterferien NRW geschlossen. 

Allgemeine Maßnahmen, um mögliche Infektionsketten präventiv zu unterbrechen

  • Wir versuchen bei allen Treffen, jeden zweiten Stuhl frei zu lassen
  • In der Frühkonferenz treffen sich nur noch der Arzt vom Dienst der vergangenen Nacht, der Tagdienst des kommenden Tages, der Chefarzt, die Oberärztinnen der geschützten Stationen, die CaseManagerin, der Pflegedienstleiter und eine Protokoll-führende Sekretärin. Sie mailt den Inhalt der Frühkonferenz innerhalb von 30 Minuten an alle, die bislang an der Frühkonferenz teilgenommen haben. Die Fortbildung bei den Donnerstags-Frühkonferenzen entfällt.
  • Schließung der Cafeteria: Unsere Cafeteria ist bis auf weiteres für Patienten und Mitarbeiter geschlossen. Sie können Sie sich bis 11:00 Uhr am Empfang in eine Liste eintragen und dann von 12:00-13:00 Uhr am Folgetag Essen aus unserer Küche bekommen.
  • Physiotherapie findet normal weiter statt.
  • Gruppentherapien werden auf 5 Patienten plus einen Therapeuten begrenzt, die Zuteilung erfolgt nach alphabetischer Reihenfolge. In der Sporttherapie wird auf Kontaktsportarten verzichtet. Keine stationsübergreifenden Gruppen, diese werden in kleinere stationsspezifische Gruppen geteilt.
  • Mahlzeiten auf den Stationen werden in zwei Schichten zeitversetzt durchgeführt.
  • Ambulante Ergo- und Sporttherapie wird bis nach Ostern abgesagt.
  • Belastungserprobungen nach Hause sollen im Regelfall nicht erfolgen. Wenn sie ausnahmsweise doch erfolgen sollen, dann nach strenger ärztlicher Indikationsstellung und zu einem klaren Zweck. Öffentliche Verkehrsmittel sollen vermieden werden. Beim Auftreten von Krankheitssymptomen während einer Belastungserprobung nach Hause sollen die Patienten telefonisch Kontakt aufnehmen. Bei der Rückkehr aus der Belastungserprobung macht sich ein Mitarbeiter des Pflegedienstes ein Bild, ob neue Verdachtsmomente vorliegen, in diesem Falle wird der Arzt hinzugezogen.
  • Vorstationäre Aufnahmen werden telefonisch durchgeführt.
  • Ambulante Kontakte werden nicht mehr in Arztzimmern auf den Stationen durchgeführt, sondern nach Möglichkeit telefonisch oder bei persönlichem Kontakt nur im Ambulanzgebäude.
  • Personal auf dem Gelände der kooperierenden somatischen Klinik: MitarbeiterInnen sollen entweder auf dem Gelände der somatischen Klinik oder im Psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, konkret soll die Tagesklinik ärztlich von MitarbeiterInnen des Konsil- und Liaisondienstes betreut werden. Absprachen zwischen beiden Bereichen werden telefonisch durchgeführt. 
  • Psychologische Gespräche in somatischen Kliniken: Nach Möglichkeit telefonisch durchführen.
  • Externe Therapien wie Gesangstherapie, Ernährungstherapie, Zoobesuche, Klettern, Selbsthilfegruppe Sucht werden zunächst für vier Wochen ausgesetzt.
  • Fortbildungen und öffentliche Veranstaltungen werden zunächst abgesagt.
  • Vorstellungsgespräche für neue Mitarbeiter werden frühestens in 4 Wochen terminiert und dann als Telefonkonferenz geplant.
  • Schülerpraktika finden zunächst nicht mehr statt.
  • Gottesdienste in der Klinikkapelle finden zunächst nicht statt. Im Intranet findet sich ein Link auf Onlinegottesdienste.

Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz der MitarbeiterInnen

  • Schwangerschaften und immunsuppressive Therapien bei MitarbeiterInnen bitte jetzt dem Vorgesetzten melden.
  • Kinderbetreuung: In NRW bieten die Kitas und Schulen eine Betreuung für Kinder von Eltern, die beide einen systemkritischen Beruf haben an. Ein Formular zur Bestätigung findet sich im Intranet. Dieses unterschreibt ihnen ihr Vorgesetzter. Wir besprechen in jedem Einzelfall flexible Regelungen.
  • Der Pflegedienst wird auf die Früh-, Spät- und Nachtdienst organisiert, keine Mitteldienste oder Zwischenschichten mehr.

Fortbildungen

  • Am Mittwoch geht unsere Hygienebeauftragte durchs Haus und beantwortet Fragen.
  • Es gibt eine Online-Fortbildung zum Thema Corona. 

Sonstiges

  • Alle abgesagten Leistungen wie Fortbildungen oder Gruppenveranstaltungen bitte kurz per Email an die Geschäftsführung mailen.

 

Video: Benzos sind schlechte Sandmännchen

Zusammen mit DocCheck habe ich ein Video aufgenommen, in dem ich erkläre, dass kein Mensch dauerhaft Schlafmittel braucht.

Und ich erkläre, wie man Patienten mit einem dauerhaften Schlafmittelgebrauch helfen kann, davon wieder los zu kommen.

Schaut euch hier mal das Video an!

Darf ich mit Medikamenten Auto fahren?

In diesem Video erkläre ich, welche Überlegungen ich anstelle, wenn ich einen Patienten berate, ob er trotz psychiatrischer Erkrankung und Medikation wieder Auto fahren darf.

Vertragen sich meine Psychopharmaka mit Alkohol?

Die meisten Ärzte sagen dazu: „Nein, verzichten sie am Besten ganz auf Alkohol, wenn sie Medikamente einnehmen“. Das ist ja auch ein gut gemeinter Rat. Aber die Wahrheit ist etwas differenzierter. Wenn du wirklich wissen willst, welche Wechselwirkungen zwischen Alkohol und bestimmten Psychopharmaka typischerweise auftreten können, und welche Überlegung ich anstelle, wenn ich diese Frage beantworte, dann guck dir dieses Video an…

Moderne Behandlung des Delirs: Ein how-to-Video für Praktiker

Im Delir gebe ich doch immer Haldol und Diazepam, oder? Warum das fast immer falsch ist, und wie ich es nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft richtig machen kann, erkläre ich euch in diesem Video.

Midazolam nasal ist eine gute Option zur Sedierung im Notfall

MAD System  Midazolam

Midazolam

  • wird überwiegend in der Anästhesie und Notfallmedizin verwendet
  • ist ein Benzodiazepin mit einer sehr kurzen Halbwertszeit von ca. 1,5 – 2,5 Stunden
  • kann im Notfall als Nasenspray verabreicht werden
  • wird im Notfall bei Erwachsenen mit 10 mg dosiert, wobei 5 mg pro Nasenloch appliziert werden
  • fällt in Einheiten von mehr als 15 mg je abgeteilter Einheit unter die Betäubungsmittel

In der Anästhesie wird Midazolam gerne zur Prämedikation vor Operationen, auf Intensivstationen zur Dauersedierung oder zusammen mit Ketamin im Rahmen von Narkosen verwendet. Im Rettungsdienst wird es schon länger zur Behandlung von Krampfanfällen gegeben. Gerade hier ist eine nasale Gabe über einen Zerstäuber sehr praktisch, da es während eines Krampfanfalles schwierig ist, einen intravenösen Zugang zu legen. In den letzten Jahren hat Midazolam als nasale Gabe eine zusätzliche Nische gefunden. Auch bei einem psychiatrisch bedingten akuten Erregungszustand kann man Midazolam gut nasal applizieren. Es führt in dieser Situation zu einer zügigen Sedierung und Entaktualisierung. Die nasale Gabe ist gerade im Rahmen einer Zwangsmedikation für Behandler und Patienten sicherer als die intravenöse Gabe.

Pharmakologie

Midazolam ist ein kurzwirksames Benzodiazepin. Wenn es – wie hier beschrieben – im Rahmen der Sedierung bei akutem Erregungszustand nasal verabreicht wird, umgeht man den first-pass-Effekt. Die Wirkung tritt oft bereits nach wenigen Minuten ein.

Fallbeispiel

Der aus Vorbehandlungen gut bekannte 35 jährige Herr M. leidet seit einigen Jahren unter einer drogeninduzierten Psychose. Unter Drogenintoxikationen kam es in der Vergangenheit immer wieder zu ausgeprägten Erregungszuständen, teilweise mit fremdaggressivem Verhalten. Aktuell wird Herr M. von der Polizei auf der Rechtsgrundlage eines PsychKG´s zur Klinik gebracht. Er ist mit Handschellen fixiert, dennoch im Rahmen eines akuten Erregungszustandes nur schwer zu halten. In gesunden Zeiten hat der Patient eine Patientenverfügung erstellt, in der er dem Einsatz von Midazolam Nasenspray zu Sedierung in solchen Situationen zugestimmt hat. Darauf angesprochen stimmt er auch jetzt der Gabe von Midazolam Nasenspray zu. Der Dienstarzt nimmt sich eine Ampulle Midazolam mit 15 mg Midazolam in 3 ml Injektionslösung und zieht sie unverdünnt in eine 5 ml Spritze auf, so dass in der Spritze nun 15 mg Midazolam sind. An der Spitze der Spritze bringt er einen Mikrozerstäuber zur Vernebelung des Wirkstoffes mit darunterliegendem Schaumstoffkonus (Mucosal Atomization Device, MAD) an. Er gibt in jedes Nasenloch des Patienten einen Milliliter, entsprechend 5 mg pro Seite, dabei hält er das andere Nasenloch zu und bittet den Patienten, einzuatmen. Danach verbleibt ein Milliliter, entsprechend 5 mg Midazolam in der Spritze. Diese Dosis könnte bei unzureichender Wirkung nach einigen Minuten nachgegeben werden. Nach 5 Minuten beruhigt sich der Patient sichtlich und eine weitere nasale Medikamentengabe ist nicht erforderlich. Nach einem geordneten Aufnahmegespräch nimmt der Patient eine weitere Medikation oral ein, hierunter auch Lorazepam, das zu wirken beginnt, bevor der Effekt des recht kurzwirksamen Midazolams ganz abgeklungen ist.

In oben beschriebenen Fall ist die Rechtsgrundlage der Verabreichung die Freiwilligkeit. Je nach Bundesland gibt es sehr unterschiedliche Rechtsgrundlagen für Zwangsmedikationen. Ist eine Rechtsgrundlage für eine Zwangsmedikation vorhanden und ist die Indikation gegeben, ist die Gabe von Midazolam nasal eine gut handhabbare, sichere, zügig wirksame und effektive Behandlung.

Dosierung

  • Erwachsene: 10 mg Midazolam nasal, auf beide Nasenlöcher verteilen.
  • Maximale Menge 1–2 ml pro Nasenloch pro Gabe. Bei größeren Mengen fraktionierte Gabe.
  • Bei unzureichender Wirkung kann nach einigen Minuten eine weitere Gabe Midazolam in geeigneter Dosis erfolgen.

Nebenwirkungen

Eine schnelle Sedierung mit Midazolam kann im Einzelfall auch zu einer Übersedierung, schlimmstenfalls mit einem reduzierten Atemantrieb einhergehen. In diesem Fall ist die Gabe des Benzodiazepinantagonisten Flumazenil (z.B. Anexate®) möglich. Nach der Gabe von Midazolam nasal kann es für einige Minuten zu einer lokalen Reizung der Nasenschleimhaut kommen. Die Patienten berichten dann ein Brennen in der Nase. Dagegen ist Lidocain-Spray wirksam.

Mein persönliches Fazit

Die nasale Gabe von Midazolam ist selbst in unruhigen Situationen einfach. Es besteht sowohl für den Patienten als auch für die Behandler ein deutlich niedrigeres Verletzungsrisko im Vergleich zu einer i.v. Medikation mit einer scharfen Nadel. Da der first-pass-Effekt umgangen wird ist die Bioverfügbarkeit gut und es kommt zu einem schnellen Wirkungseintritt, oft nach etwa 5 Minuten. Ich habe Midazolam inzwischen in mehreren psychiatrischen Notfällen mit Erfolg eingesetzt und empfehle Behandlungsteams im Rettungsdienst und in psychiatrischen Kliniken, mit dieser Behandlungsoption Erfahrungen zu sammeln.

Habt ihr Erfahrung mit Midazolam nasal im Notfall? Schreibt sie gerne hier in die Kommentare!

Literatur

Wanka, Medikamente im Rettungsdienst (ISBN 978–3–13–240087–0), © 2016 Georg Thieme Verlag KG

Copyright

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Antidepressiva Äquivalenzdosierungen

Wenn man von einem Antidepressivum zu einem anderen wechselt, will man ja wissen, welche Dosis des neuen Medikamentes äquivalent zur Dosis des vorigen Medikamentes ist. Natürlich gibt es da so ein Bauchgefühl, was ungefähr gleichstark ist, aber erfreulicherweise gibt es auch vernünftig zusammengestellte Äquivalenzdosierungen.
Das Paper „Dose equivalents of antidepressants: Evidence-based recommendations from randomized controlled trials“1 kann hier kostenlos im Volltext heruntergeladen werden. Eine Forschergruppe, in der unter anderem Stefan Leucht aus München mitwirkte, wertete 83 Studien mit insgesamt 14131 Patienten aus, in denen verschiedene Antidepressiva in flexibler Dosis gegen Fluoxetin oder Paroxetin verglichen wurden. Die tatsächlich gegebenen mittleren Dosierungen der verschiedenen Substanzen wurden dann zu 40 mg Fluoxetin ins Verhältnis gesetzt.
In der Zusammenfassung heißt es:

„In the primary analysis, fluoxetine 40 mg/day was equivalent to paroxetine dosage of 34.0 mg/day, agomelatine 53.2 mg/day, amitriptyline, 122.3 mg/day, bupropion 348.5 mg/day, clomipramine 116.1 mg/day, desipramine 196.3 mg/day, dothiepin 154.8 mg/ day, doxepin 140.1 mg/day, escitalopram 18.0 mg/day, fluvoxamine 143.3 mg/day, imipramine 137.2 mg/ day, lofepramine 250.2 mg/day, maprotiline 118.0 mg/day, mianserin, 101.1 mg/day, mirtazapine 50.9 mg/ day, moclobemide 575.2 mg/day, nefazodone 535.2 mg/day, nortriptyline 100.9 mg/day, reboxetine 11.5 mg/day, sertraline 98.5 mg/day, trazodone 401.4 mg/day, and venlafaxine 149.4 mg/day.“

Nun hat dieser Vergleich der Wirkstärke insgesamt natürlich so seine Limitationen. Eigentlich kann man ein SSRI nicht mit einem SNRI vergleichen, weil dessen noradrenerge Wirkung bei einem SSRI gar nicht vorhanden ist. Auch bestimmte Nebenwirkungen wie Sedierung, Gewichtszunahme, Müdigkeit und andere kommen bei einem Medikament vor, beim anderen aber nicht. Das schränkt die Aussage einer solchen Vergleichstabelle natürlich ein. Aber die Tabelle soll auch nicht so tun, als könne man jedes Antidepressivum einfach in ein anderes umrechnen. Sie soll nur einen Hinweis geben, bei welcher ungefähren Dosierung ähnliche Wirkstärken zu erwarten sind.
In der oben genannten Veröffentlichung kommen Duloxetin, Milnacipran und Trimipramin leider nicht vor. Für meine eigene Aufstellung habe ich selbst für diese drei Substanzen jeweils die zulässige Tageshöchstdosis mit 40 mg Citalopram gleichgesetzt, wohlwissend, dass diese Dosierungen nicht gleich stark sein müssen. Dann habe ich die Dosierungen auf solche Dosierungen gerundet, die man mit den verfügbaren Medikamenten auch tatsächlich geben kann. Dabei habe ich manchmal die errechnete Dosis um ein paar Prozent nach oben oder unten angepaßt, um real verfügbare Tablettendosierungen zu erreichen. Bei Escitalopram habe ich der Einfachheit halber 40 mg Citalopram mit 20 mg Escitalopram gleich gesetzt. Der Studie nach wären hier 18 mg einzusetzen, aber das macht weder pharmakologisch Sinn, noch ist diese kleine Abweichung klinisch relevant.

Dann habe ich alle Werte auf Citalopram umgerechnet und nur die Medikamente aufgeführt, die ich in meinem Buch behandele. Daraus ergibt sich folgende Tabelle der Äquivalenzdosierungen:

Die resultierenden Dosierungen finde ich klinisch plausibel. Sie bilden zwar nicht das genaue und von Substanz zu Substanz unterschiedliche Wirkspektrum ab, als Anhalt für vergleichbare Dosierungen vergleichbarer Wirkstärken finde ich sie aber gut verwendbar.

Was haltet ihr von dieser Überlegung? Sind die Werte plausibel? Entsprechen sie eurer klinischen Praxis? Macht eine solche Tabelle Sinn? Oder sind die Vereinfachungen, die ihr zugrunde liegen, zu groß?

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.


  1. Hayasaka Y, Purgato M, Magni LR, Ogawa Y, Takeshima N, Cipriani A, et al. Dose equivalents of antidepressants_ Evidence-based recommendations from randomized controlled trials. Journal of Affective Disorders. Elsevier; 2015 Jul 15;180(C):179–84. ↩︎

Das Delir

Zu diesem Thema habe ich auch ein Video bei YouTube gepostet, das findet ihr hier:

Man braucht ja immer mal einen Lehrbuchtext zum Delir. Ich habe hier einen Vorschlag erstellt. Dieser Vorschlag steht mit Blick auf die mögliche zukünftige Verwertung mal nicht unter creative commons, sondern das Copyright bleibt bei mir. Wer Lust und Zeit hat, mag ihn lesen und mir Hinweise geben, wie ich ihn noch weiter verbessern könnte. Oder sagen, dass er schon ganz gut ist… 🙂

(tl;dr: too long, didn´t read): Delir
– Das Delir ist eine reversible, typischerweise fluktuierende organisch bedingte Störung der Orientierung, des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit. Oft sind der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört, es können Agitation und psychotische Symptome bestehen.

– Therapeutisch müssen immer die Ursachen des Delirs behandelt werden. Darüber hinaus sollen Basismaßnahmen durchgeführt werden, wie ausreichende Flüssigkeitssubstitution, Schmerzbehandlung, Absetzen anticholinerger Medikamente, Schutz vor störenden Reizen, gute Orientierung schaffen, eigenes Hörgerät und eigene Brille zur Verfügung stellen und ähnliches.

– Benzodiazepine dann und nur dann geben, wenn Agitation besteht.

– Antipsychotika dann und nur dann geben, wenn psychotische Symptome / Halluzinationen vorliegen.

– Im Alkoholentzugsdelir sind Clomethiazol oder Benzodiazepine sowie Antipsychotika indiziert.

Psychiater haben immer wieder mit der Behandlung von Delirien zu tun. Ob als Komplikation einer Alkoholentzugsbehandlung, in der Gerontopsychiatrie bei einer einfachen Exsikkose, auf der Intensivstation als postoperatives Delir oder bei einem Übermaß an anticholinerger Medikation: Delirien zu erkennen und zu behandeln gehört zu den grundlegenden Aufgaben des Psychiaters.

Der Begriff Delir stammt vom Lateinischen „De lira ire“. „De“ heißt „aus“; „lira“ bedeutet „Gleis, Spur“ und „ire“ heißt „gehen“. Übersetzt heißt es also „aus dem Gleis gehen“ oder „aus der Spur geraten“.

Das Delir beginnt meist plötzlich aufgrund einer körperlichen Störung der Gehirnfunktion. Es zeigt typischerweise einen fluktuierenden Verlauf und ist grundsätzlich reversibel. Klinisch imponieren Desorientierung, Verkennung der Umgebung, Störungen von Gedächtnis und Aufmerksamkeit und in manchen Fällen Halluzinationen. Psychomotorisch zeigen sich Auffälligkeiten, die vom Stupor über nestelnde, ungerichtete Bewegungen hin bis zu starker Agitation reichen können. Der Schlaf ist oft im Sinne einer Schlaf-Wach-Rhythmus-Umkehr mit nächtlicher Unruhe gestört.

In der ICD-10 wird das Delir so charakterisiert:

  • Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit
  • Wahrnehmungsstörung (Gedächtnis, Orientierung)
  • Psychomotorische Störungen
  • Schlafstörungen
  • Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf
  • Nachweis einer organischen Grundlage

Auf Intensivstationen sind delirante Zustände mit ca. 30-80% aller dort behandelten Patienten sehr häufig. Insbesondere postoperativ kommt es bei vielen Patienten zu Verwirrtheitszuständen. 

Die früher oft verwendete Bezeichnung “Durchgangssyndrom” für postoperative Delirien verharmlost die Symptomatik allerdings und ist in dieser Hinsicht irreführend. Tatsächlich verlängern Delirien die Krankenhausbehandlungsdauer, gehen in bis zu einem Viertel der Fälle mit bleibenden kognitiven Funktionsstörungen einher und führen zu einer erhöhten Sterblichkeit. 

Prävention 

Es gibt gut etablierte und einfache Maßnahmen, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Delirs zu reduzieren. Dazu gehören unter anderem:

  • Orientierungshilfen wie Uhr und Kalender
  • Eigenes Hörgerät, eigene Brille
  • Angemessene Schmerzbehandlung
  • Vermeidung unnötiger Stationswechsel
  • Feste und gleichbleibende Ansprechpartner
  • Frühe Mobilisierung
  • Schutz vor vermeidbarem Lärm, auch durch medizinische Geräte
  • Nachts möglichst dunkles Patientenzimmer
  • Schlafverbesserung
  • Vermeidung unnötiger Polypharmazie
  • Vermeidung unnötiger anticholinerger Medikamente

Medikamentöse Prophylaxe

In den bisherigen Studien zeigte sich, dass zumindest Antipsychotika keine prophylaktische Wirksamkeit gegen die Entwicklung eines Delirs haben. Neben den oben genannten Basismaßnahmen gibt es somit aktuell keine wirksame medikamentöse Delirprophylaxe.

Diagnostik 

Die Diagnostik vor allem des hypoaktiven Delirs gelingt sicherer mit etablierten Testverfahren, wie dem kostenlos in deutscher Sprache erhältlichen CAMICU für Intensivpatienten und dem CAM-S für Patienten auf Normalstationen. Da insbesondere das hypoaktive Delir leicht übersehen werden kann, sollte insbesondere auf Intensivstationen routinemäßig ein Screenings auf Delirien mit einem solchen standardisierten Testverfahren durchgeführt werden.

Klassifikation der Delirien

Aus klinisch-therapeutischer Sicht ist es am sinnvollsten, das Delir nach der vermuteten Ursache zu klassifizieren, also beispielsweise Delir bei Exsikkose oder Alkoholentzugsdelir. 

Innerhalb dieser Gruppen kann man dann nach dem Grad der psychomotorischen Erregung in hypoaktive Delirien, Delirien vom Mischtyp und hyperaktive (agitierte) Delirien unterscheiden.

Eine weitere Differenzierung mit therapeutischer Konsequenz ist die Frage, ob es sich um ein Delir ohne psychotische Symptome/Halluzinationen oder mit psychotischen Symptomen/Halluzinationen handelt. 

Man stellt sich also immer diese drei Fragen, um zu einer therapieleitenden Arbeitsdiagnose zu kommen:

  • Wie ist die Psychomotorik? (Hypoaktives Delir, Delir vom Mischtyp, hyperaktives Delir)
  • Welche Ursache für das Delir vermute ich? (Postoperatives Delir, Delir bei Exsikkose, Alkoholentzugsdelir, Benzodiazepinentzugsdelir, Delir, Delir bei Demenz,…)
  • Liegen psychotische Symptome vor? (Delir ohne psychotische Symptome / Halluzinationen, Delir mit psychotischen Symptomen / Halluzinationen)

So entsteht eine aus diesen drei Komponenten zusammengesetzte Diagnose wie zum Beispiel „Hypoaktives postoperatives Delir ohne psychotische Symptome“ oder „Agitiertes Alkoholentzugsdelir mit psychotischen Symptomen“. Diese Art der Diagnose ist geeignet, uns den Weg zur richtigen Therapie zu leiten.

Therapie

Das Delir ist ein medizinischer Notfall, der ein zügig beginnendes und wirksames multifaktorielles Therapiekonzept erfordert. 

Behandelbare Ursachen eines Delirs müssen natürlich immer zuerst behandelt werden. Zu den häufig anzutreffenden und gut behandelbaren Delirursachen gehören unter anderem Infektionen, Elektrolytstörungen, Substanzentzug, Blutzuckerentgleisungen, Schmerzen und Hypoxien. Eine ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit gelingt oft nur durch die Gabe von Infusionen.

Wie sieht es mit der Gabe von Benzodiazepinen aus?

Früher war es üblich, jedes Delir mit Benzodiazepinen zu behandeln. Das ist inzwischen nicht mehr geboten. 

Unstrittig sinnvoll ist die Gabe von Benzodiazepinen im Alkoholentzugsdelir und im Benzodiazepinentzugsdelir. 

Bei allen anderen Delirien soll man Benzodiazepine oder verwandte Sedativa dann und nur dann geben, wenn eine Agitation besteht, also beim agitierten / hyperaktiven Delir oder einem Delir vom Mischtyp. Im hypoaktiven Delir soll man nach Möglichkeit keine Benzodiazepine geben. Eine Ausnahme im hypoaktiven Delir kann bestehen, wenn der Patient deutlich geängstigt wirkt, dann ist die Gabe des Benzodiazepins zur Anxiolyse sogar sinnvoll, um eine der delirverstärkenden Ursachen, die Angst, zu behandeln. 

Man muss aber sagen, dass die Versorgungsrealität hier etwas anders aussieht. Es gibt viele Ärzte, die auch im hypoaktiven Delir niedrig dosiert Benzodiazepine, vorzugsweise Lorazepam, geben, in der Hoffnung, dadurch die Dauer des Delirs zu verkürzen. Dieses Vorgehen wird nicht durch Studien gestützt und es wird davon abgeraten, man sieht diese Behandlungspraxis dennoch nicht selten.

Antipsychotika

Früher war es auch üblich, bei allen Delirien Antipsychotika zu geben. Auch das ist nicht mehr indiziert.

Im Alkoholentzugsdelir und im Benzodiazepinentzugsdelir ist der Nutzen von Antipsychotika belegt1. Üblich ist die Gabe von Haloperidol, alternativ kann man auch Risperidon geben.

Bei allen anderen Delirien gilt: Man soll Antipsychotika dann und nur dann geben, wenn auch psychotische Symptome, zum Beispiel Halluzinationen bestehen.

Übersicht Therapie des Delirs

  1. Seitz DP, Gill SS, Psychiatry LZJOC, 2007. Antipsychotics in the treatment of delirium: a systematic review.
  2. Zoremba N, Coburn M. Acute confusional states in hospital. Dtsch Arztebl Int. 2019;:1–8. 
  3. van den Boogaard M, Slooter AJC, Brüggemann RJM, et al. Effect of Haloperidol on Survival Among Critically Ill Adults With a High Risk of Delirium: The REDUCE Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018;319(7):680–690. doi:10.1001/jama.2018.0160
  4. S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2015)

Copyright

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug beziehungsweise eine auszugsweise Vorabveröffentlichung des Werks „Psychopharmakotherapie griffbereit“ von Dr. Jan Dreher, © Georg Thieme Verlag KG. Die ausschließlichen Nutzungsrechte liegen beim Verlag. Bitte wenden Sie sich an permissions@thieme.de, sofern Sie den Beitrag weiterverwenden möchten.

Super Übersichtsarbeit „Delir im Krankenhaus“ im Ärzteblatt

In der aktuellen Auflage des Ärzteblatts findet sich ein ausgezeichneter Übersichtsartikel zum Thema Delir im Krankenhaus, online findet ihr ihn zum kostenlosen PDF-Download hier. Wer im Krankenhaus arbeitet, hat mit absoluter Sicherheit immer mal wieder mit Delirien zu tun, und gerade bezüglich dieses Krankheitsbildes gibt es einen reichlich wuchernden Wald an Halbwissen, Fehlannahmen, nicht evidenzbasiertem Handeln und tatsächlich offenen Fragen. Umso erfreulicher ist, dass die Autoren Zoremba und Coburn hier Licht in den Wildwuchs bringen und beschreiben, was man über Diagnostik und Therapie des Delirs im Krankenhaus wissen sollte. Ich empfehle daher jedem Krankenhausarzt, diesen Artikel im Original zu lesen. Als teaser kann ich zur raschen Lektüre hier allerdings auch mal meine take-away-Punkte aufführen:

  • Das Delir hat bei Intensivpatienten eine Inzidenz von 30-80 %.
  • Der früher oft verwendete Begriff „Durchgangssyndrom ist unpassend, vor allem, weil das Delir mit einer erhöhten Letalität verbunden ist und 25 % der Patienten kognitive Funktionsstörungen behalten.
  • Die Diagnostik vor allem des hypoaktiven Delirs gelingt sicherer mit etablierten Testverfahren, wie dem kostenlos in deutscher Sprache erhältlichen CAMICU für Intensivpatienten oder dem CAM-S für Patienten auf Normalstationen.
  • Die Prävention und Therapie erfolgt überwiegend nichtmedikamentös mittels Reorientierung (eigene Brille, eigenes Hörgerät), adäquater Schmerztherapie, Frühmobilisation, Schlafverbesserung und Vermeidung unnötiger Polypharmazie.
  • Man unterscheidet das hypoaktive Delir, das Delir vom Mischtyp und das hyperaktive Delir. Die Extremform des hypoaktiven Delir heißt katatone Variante, die Extremform des hyperaktiven Delirs heißt exzitatorische Variante. Auf einer Abfolge von extrem ruhig bis extrem agitiert ergeben sich also diese 5 Stufen: Katatone Variante des hypoaktives Delir, hypoaktives Delir, Delir vom Mischtyp, hyperaktives Delir und exzitatorische Variante des hyperaktiven Delirs.
  • In der Therapie des Delirs sollten natürlich delirogene Ursachen behandelt werden, insbesondere Infektionen, Elektrolytstörungen, Substanzentzug, Blutzuckerentgleisungen, Schmerzen und Hypoxien.
  • Zur Kontrolle des hyperaktiven Delirs sollten kurzwirksame Benzodiazepine wie Midazolam und Alpha2-Agonisten wie Clonidin eingesetzt werden.
  • Im Medikamenten- und Substanzentzugsdelir sind langwirksame Benzodiazepine wie Lorazepam indiziert.
  • Selbst im hyperaktiven Delir ohne psychotische Symptomatik sind Antipsychotika wie Haloperidol nicht indiziert.
  • Sowohl bei hypoaktiven Delirien als auch bei hyperaktiven Delirien mit psychotischen Symptomen sind Antipsychotika wie niedrigdosiertes Haloperidol oder Risperidon indiziert. Dabei haben die Atypika natürlich weniger Nebenwirkungen als Haloperidol und gelten als ebenso wirksam.
  • Das Delir ist ein medizinischer Notfall, das ein zügig beginnendes und wirksames multifaktorielles Therapiekonzept erfordert.

Neu: Ein Verzeichnis guter kostenloser deutschsprachiger Blogs, Video-Kanäle, Podcasts und Fortbildungsangebote für alle Fachbereiche der Medizin

FOAM, oder Free Online Medical Education ist im englischsprachigen Raum ein bekannter Begriff, und es gibt auch Seiten, die auf Blogs, YouTube-Channel oder Podcasts verweisen.

Im deutschsprachigen Raum finden sich ebenfalls eine Reihe von guten Seiten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, medizinisches Wissen für alle Interessierten zugänglich zu machen. Aber ein Verzeichnis solcher Seiten, das nicht nur über eine medizinische Fachrichtung informiert, sondern Ressourcen zu allen Fachrichtungen zusammenstellen möchte, gab es bislang noch nicht.

Das ist ab heute anders! Die Seite https://psychiatrietogo.de/foam/ sammelt ab nun links auf gute deutschsprachige Blogs, Videos und Podcasts, die sich der medizinischen Ausbildung verschrieben haben!

Für jedes Fachgebiet bestimmen wir einen oder einige Redakteure, die Vorschläge für neue Seiten sichten und gegebenenfalls aufnehmen. Wie bei einem Wiki soll sie so aktuell bleiben und nicht den Interessen eines Einzelnen folgen, sondern einen tatsächlichen Überblick über gute Seiten wiedergeben. Philipp von Nerdfallmedizin, der Kinderdok von Kids and me 2.0, Pharmama und ich haben schon mal begonnen, für jeweils unsere Fachgebiete gute links zu sammeln.

Wir haben Seiten von Medizinern, Psychologen, Mitarbeitern im Rettungsdienst, Pflegekräften und auch Patienten und Angehörigen aufgenommen, um einen möglichst vollständigen Überblick zu ermöglichen.

Die Seite befindet sich natürlich noch im Aufbau, und viele Fachrichtungen sind noch gar nicht vertreten. Auch sind noch bei weitem nicht alle interessanten Seiten zu den Fachrichtungen, die wir schon mit einigem Leben gefüllt haben, zu sehen.

Wenn ihr interessante Links kennt, dann schlagt sie den Redakteuren der jeweiligen Fachrichtung vor! Gibt es die Fachrichtung noch nicht, dann schickt die Vorschläge erst mal an psychiatrietogo2012@gmail.com.

Helft uns, eine Übersichtsseite zu schaffen, die allen Interessierten hilft, die guten Seiten im Netz zu finden!

Und jetzt mal los zu https://psychiatrietogo.de/foam/